Großeltern sein — Schön, aber nicht unproblematisch
„Ich bin leidenschaftlich gern Opa! Man genießt seine Enkel, ohne das Gefühl zu haben, für sie Rechenschaft ablegen zu müssen oder für sie verantwortlich zu sein. Man ist sich bewußt, daß man Einfluß auf ihr Leben nimmt, aber letzten Endes nicht das Sagen hat. Das haben ja die Eltern“ (Gene, ein Großvater).
WARUM löst die Großelternrolle so große Begeisterung aus? Forscher machen darauf aufmerksam, daß die normalen Forderungen, die Eltern naturgemäß an ihre Kinder stellen, eine Menge Spannungen hervorrufen können. Da Großeltern in aller Regel keine solchen Forderungen stellen, genießen sie eine wesentlich streßfreiere Beziehung zu ihren Enkeln. Um es mit den Worten von Dr. Arthur Kornhaber auszudrücken, haben sie die Freiheit, ihre Enkel schlicht und ergreifend deshalb zu lieben, „weil sie atmen“. Esther, eine Großmutter, sagte: „Bei meinen eigenen Kindern kreisten meine Gedanken und Gefühle Tag für Tag um das, was sie taten. Als Oma fühle ich mich frei, mich einfach nur an meinen Enkeln zu freuen und sie gern zu haben.“
Das Alter bringt außerdem mehr Lebensklugheit und Kompetenz mit sich (Hiob 12:12). Alles andere als jung und unerfahren, blicken Großeltern auf jahrelange Praxis in der Kindererziehung zurück. Da sie aus ihren Fehlern gelernt haben, können sie jetzt unter Umständen besser mit Kindern umgehen als in früheren Jahren.
Dr. Kornhaber zieht deshalb das Resümee: „Eine gesunde, liebevolle Beziehung zwischen Großeltern und Enkeln ist erforderlich für die emotionelle Gesundheit und das Glück aller drei Generationen. Auf diese Beziehung haben Kinder von Geburt an ein Recht, ... sie ist ein Vermächtnis der älteren Generation, das der ganzen Familie zugute kommt.“ In dem Magazin Family Relations wird dies wie folgt bestätigt: „Großeltern, die ihre Rolle verkörpern und sich damit identifizieren, entwickeln ein gesteigertes Wohlbefinden und eine bessere Stimmungslage.“
Die Rolle der Großeltern
Für Großeltern gibt es viele wertvolle Aufgabenbereiche. „Sie können ihren verheirateten Kindern eine Stütze sein“, meint Gene. „Dadurch sind sie meiner Meinung nach in der Lage, die Schwierigkeiten, mit denen sich junge Eltern abmühen müssen, einigermaßen aufzufangen.“ Die Unterstützung kann aber auch direkt bei den Enkeln ansetzen. Oft erzählen gerade Großeltern Erlebnisse, durch die Kinder einen Sinn für die Familiengeschichte erhalten. Zudem spielen sie nicht selten eine Schlüsselrolle dabei, das religiöse Erbe der Familie weiterzugeben.
In vielen Familien werden die Großeltern als Ratgeber ins Vertrauen gezogen. „Die Kinder erzählen einem vielleicht so einiges, was sie mit ihren Eltern nur ungern bereden“, sagt Jane, die schon im ersten Artikel erwähnt wurde. Den Eltern ist dieser zusätzliche Beistand im allgemeinen willkommen. Einer Studie zufolge „betrachteten über 80 Prozent der Teenager ihre Großeltern als Vertrauenspersonen. ... Ein großer Anteil Erwachsener hält regelmäßigen Kontakt zu den ihnen am nächsten stehenden Großeltern.“
Liebevolle Großeltern sind für Kinder, die zu Hause nicht richtig betreut werden, oft besonders wichtig. „Wer mir in meiner frühen Kindheit am meisten bedeutet hat, war meine Großmutter“, schreibt Selma Wassermann. „Sie war es, die in meiner Welt auftauchte und mich von vorne bis hinten umsorgte. Ihr Schoß war größer als der Strand von Miami, und dort fühlte ich mich absolut geborgen. ... Von meiner Großmutter lernte ich das Wichtigste über mich selbst: daß ich geliebt wurde und folglich liebenswert war“ (The Long Distance Grandmother).
Spannungen in der Familie
Die Großelternrolle birgt allerdings ein gewisses Maß an Konfliktstoff in sich. Eine Frau erinnert sich beispielsweise an einen erbitterten Streit mit ihrer Mutter, bei dem es um die richtige Methode ging, wie man ein Baby ein Bäuerchen machen läßt. „Zu einem Zeitpunkt, wo ich äußerst verwundbar war, kam es dadurch zum Bruch zwischen uns“, sagt sie. Verständlicherweise wünschen sich junge Leute von ihren Eltern Anerkennung für ihre Erziehungsmethoden. Die Vorschläge wohlmeinender Eltern können deshalb als vernichtende Kritik ankommen.
In seinem Buch Between Parents and Grandparents läßt Dr. Kornhaber zwei Personen zu Wort kommen, die noch ein anderes alltägliches Problem haben. Eine Mutter sagt: „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht von meinen Eltern überfallen werde. Und dann ärgern sie sich, wenn ich mal nicht zu Hause bin. ... Sie denken überhaupt nicht an mich — an meine Gefühle und meine Privatsphäre.“ Ein Vater beschwert sich: „Meine Eltern wollen unsere Kleine besitzen. Was sie ißt, wann sie schläft, was sie denkt — alles dreht sich um Susie, 24 Stunden am Tag. ... Wir spielen schon mit dem Gedanken an einen Umzug.“
Hin und wieder hört man auch den Vorwurf, die Großeltern würden ihre Enkel verwöhnen, indem sie sie mit Geschenken überschütten. Großzügig zu sein ist für Großeltern freilich etwas so Natürliches wie das Atmen. Doch scheinen es manche damit leicht zu übertreiben. Es kommt aber auch vor, daß die Klagen der Eltern von einer gewissen Eifersucht herrühren (Sprüche 14:30). „Zu mir waren meine Eltern streng und barsch“, verrät Mildred. „Bei meinen Kindern sind sie großzügig und lassen alles durchgehen. Es macht mich eifersüchtig, daß sich ihr Verhalten mir gegenüber kein bißchen geändert hat.“ Gleichgültig, welche Motive und Gründe die Großeltern beim Schenken haben, wenn sie die Wünsche der Eltern nicht respektieren, sind Probleme abzusehen.
Kluge Großeltern stellen ihre Großzügigkeit daher nicht zur Schau. Zuviel des Guten kann schlecht sein, wie schon die Bibel sagt (Sprüche 25:27). Falls sie nicht sicher sind, mit welchen Geschenken sie richtigliegen, können sie sich mit den Eltern beraten. Dann ‘wissen sie gute Gaben zu geben’ (Lukas 11:13).
Liebe und Achtung — die Schlüsselfaktoren
Traurig, aber wahr: Etliche Großeltern beschweren sich, ihre Arbeit als Betreuer und Babysitter werde für selbstverständlich genommen. Andere empfinden den Kontakt zu ihren Enkeln als nicht ausreichend. Manche sagen, ihre erwachsenen Kinder hätten sich ohne eine Aussprache einfach von ihnen distanziert. Solche schmerzlichen Konflikte lassen sich oft dadurch verhindern, daß man sich Liebe und Achtung entgegenbringt. Die Bibel sagt: „Die Liebe ist langmütig und gütig. Die Liebe ist nicht eifersüchtig, ... blickt nicht nach ihren eigenen Interessen aus, läßt sich nicht aufreizen. ... Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, erduldet alles“ (1. Korinther 13:4, 5, 7).
Angenommen, eine Großmutter läßt gegenüber der jungen Mutter eine zwar gutgemeinte, aber dennoch irritierende Bemerkung oder Anregung fallen. Ist das wirklich ein Grund, sich „aufreizen“ zu lassen? Immerhin erkennt die Bibel älteren Christinnen die Aufgabe zu, „die jungen Frauen“ anzuleiten, „so daß sie ihre Männer lieben, ihre Kinder lieben, gesunden Sinnes seien, keusch, im Haus arbeiten“ (Titus 2:3-5). Und wollen nicht die Eltern und Großeltern im Grunde dasselbe — das Beste für die Kinder? Zumal die Liebe „nicht nach ihren eigenen Interessen aus[blickt]“, ist es wahrscheinlich am besten, die Bedürfnisse des Kindes in den Vordergrund zu rücken und nicht die eigenen Gefühle. Dann wird es sich vielleicht vermeiden lassen, bei jeder Kleinigkeit „einander zu Kraftproben [zu] nötigen“ (Galater 5:26, Fußnote).
Sicher, da ist die Sorge, daß das Kind durch zuviel Großzügigkeit maßlos verwöhnt wird, obschon gebefreudige Großeltern normalerweise keine schlechten Beweggründe haben. Die meisten Kinderpsychologen stimmen jedoch darin überein, daß die Erziehung durch die Eltern eine weit größere Wirkung hat als die gelegentliche Einflußnahme der Großeltern. Ein Arzt empfiehlt: „Eine gesunde Portion Humor ist eine Hilfe.“
Falls man wegen der Art und Weise, wie die Eltern oder Schwiegereltern mit den Kindern umgehen, in verschiedenen Punkten berechtigte Bedenken hat, sollte man trotzdem nicht den Kontakt der Großeltern zu den Enkeln unterbinden. In der Bibel heißt es: „Pläne scheitern, wo es kein vertrauliches Gespräch gibt“ (Sprüche 15:22). Es wäre gut, „zur rechten Zeit“ ein ernstes Gespräch zu führen und offen über die Bedenken zu reden (Sprüche 15:23). Oft läßt sich eine Lösung erarbeiten.
Nun zu den Großeltern: Für sie ist es äußerst wichtig, Achtung vor den Eltern ihrer Enkel zu haben. Sollten sie ihre Enkel in Gefahr sehen, werden sie sich selbstverständlich verpflichtet fühlen, etwas zu sagen. Doch wenn es auch ganz natürlich ist, daß ihnen die Enkel am Herzen liegen, sind nun einmal die Eltern und nicht die Großeltern für die Erziehung verantwortlich (Epheser 6:4). Die Bibel fordert von Kindern, ihre Eltern zu respektieren und ihnen zu gehorchen (Epheser 6:1, 2; Hebräer 12:9). Deshalb sollte man sich nicht dazu hinreißen lassen, ständig ungebetene Ratschläge anzubringen oder die Autorität der Eltern zu untergraben. (Vergleiche 1. Thessalonicher 4:11.)
Manchmal kostet es schon Überwindung, sich herauszuhalten, sich auf die Zunge zu beißen oder sozusagen die Luft anzuhalten und seinen Kindern die Elternrolle zu überlassen. Doch Gene meint dazu: „Solange man nicht um Rat gefragt wird, muß man das akzeptieren, was ihrer Meinung nach das beste für die Kinder ist.“ Jane sagt: „Ich passe auf, daß mir nicht die Bemerkung rausrutscht: ‚Das macht man so!‘ Schließlich gibt es ja viele verschiedene Methoden, etwas zu tun, und Sturheit schafft nur Probleme.“
Großeltern haben viel zu geben
Enkel sind nach der Bibel ein Segen Gottes (Psalm 128:3-6). Dadurch, daß man sich für seine Enkel interessiert, kann man einen nachhaltigen Einfluß auf ihr Leben nehmen und ihnen helfen, sich gottgefällige Werte anzueignen. (Vergleiche 5. Mose 32:7.) In biblischen Zeiten spielte eine Frau mit Namen Lois eine bedeutende Rolle dabei, daß ihr Enkel, Timotheus, zu einem herausragenden Mann Gottes heranwachsen konnte (2. Timotheus 1:5). Auch heute haben Großeltern allen Grund zur Freude, wenn ihre Enkel auf gottgemäße Anleitung ansprechen.
Großeltern können außerdem das Bedürfnis nach Liebe und Zuneigung stillen. Überschwengliche Herzlichkeit ist zwar nicht jedem gegeben, aber gottgemäße Liebe zeigt sich auch in aufrichtigem, selbstlosem Interesse an den Enkeln. Die Autorin Selma Wassermann schreibt: „Wenn man sich für das interessiert, was das Kind einem zu sagen hat ..., merkt es deutlich, daß man es gern hat. Ein guter Zuhörer, der nicht unterbricht oder kritisiert, signalisiert Achtung, Zuneigung und Anerkennung.“ Für ein Enkelkind ist diese liebevolle Aufmerksamkeit möglicherweise eines der schönsten Geschenke, die die Großeltern geben können.
Bis hierhin wurde die traditionelle Rolle der Großeltern erörtert. Heute haben viele Großeltern jedoch eine weit schwerere Last zu tragen.
[Herausgestellter Text auf Seite 6]
„Von meiner Großmutter lernte ich das Wichtigste über mich selbst: daß ich geliebt wurde und folglich liebenswert war“
[Kasten auf Seite 6]
Tips für weit entfernt wohnende Großeltern
• Die Eltern bitten, Videos oder Bilder von den Enkeln zu schicken.
• Den Enkeln „Briefe“ auf Kassette schicken. Für kleine Kinder eignen sich selbstaufgesprochene Bibelgeschichten oder selbstgesungene Schlaflieder.
• Den Enkeln Karten und Briefe schicken. Wenn möglich, sollte man einen regelmäßigen Briefwechsel pflegen.
• Telefonisch Kontakt mit den Enkeln halten, sofern man es sich leisten kann. Bei kleinen Kindern kann man Gespräche mit einfachen Fragen beginnen, wie zum Beispiel: „Was hast du zum Frühstück gegessen?“
• Regelmäßig kurze Besuche machen, wenn es sich einrichten läßt.
• Mit den Eltern vereinbaren, daß die Enkel zu Besuch kommen. Es wäre dann gut, etwas zu planen, was den Kindern Spaß macht, beispielsweise in den Zoo, in ein Museum oder in einen Park zu gehen.
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Viele Großeltern helfen bei der Betreuung ihrer Enkel
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Über Erziehungsmethoden können Meinungsverschiedenheiten entstehen
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Großeltern spielen oft eine Rolle dabei, die Familiengeschichte weiterzugeben