Folgen der Alkoholabhängigkeit
WER nur gelegentlich und nur wenig trinkt, wird selten alkoholabhängig. Es gibt ganz wenige Leute, die überhaupt keinen Alkohol vertragen.
Die meisten Alkoholiker sind süchtig geworden, weil sie jahrelang zuviel getrunken haben. Es ist ganz sicher, daß das Risiko, alkoholabhängig zu werden, größer wird, je mehr man trinkt.
Arten der Abhängigkeit
Alkoholabhängig zu sein bedeutet, süchtig zu sein. Eine Art der Abhängigkeit oder Sucht ist die psychische Abhängigkeit. Das ist eine geistige oder emotionale Abhängigkeit.
Bei der psychischen Abhängigkeit empfindet der Mensch ein schwer bezwingbares Verlangen nach Alkohol, um seine Unlustgefühle zu verscheuchen. Er hat nicht den Mut, ohne die Krücke Alkohol dem Leben und seinen Problemen gegenüberzutreten. Allerdings besteht noch keine körperliche Abhängigkeit.
Aber die psychische Abhängigkeit führt oft zur körperlichen Abhängigkeit. Dann verlangen nicht mehr nur Geist und Emotionen nach Alkohol, sondern auch der Körper.
Jahrelanger Alkoholmißbrauch hat chemische Veränderungen im Körper zur Folge. Die Zellen und Gewebe werden buchstäblich vom Alkohol abhängig, und mit der Zeit funktionieren sie ohne Alkohol nicht mehr richtig. Diese körperlichen Veränderungen behindern die Selbstbeherrschung, so daß der Alkoholabhängige ein unbezähmbares Verlangen nach Alkohol verspürt.
Während er meint, die Bedürfnisse seines Körpers durch starkes Trinken zu befriedigen, schafft er tatsächlich die Voraussetzungen für seinen Zusammenbruch. Wenn er weiter trinkt, wird seine Sucht früher oder später zu schweren Organschäden führen und seine Lebenserwartung sicherlich verkürzen.
Man weiß noch nicht genau, warum es zu einer körperlichen Abhängigkeit kommt. Zu den Gründen, die angenommen werden, gehören folgende: Allergie gegenüber dem Alkohol; anomaler Zuckermetabolismus; mangelhafte Hormonabsonderung der Schilddrüse, der Hypophyse oder der Nebennieren; ein Mangel an Vitaminen, Mineralien, Enzymen oder Nährstoffen zufolge einer Fehlernährung oder einer Stoffwechselstörung; Leberfunktionsstörung und ein funktionsgestörter Hypothalamus, der ein unwiderstehliches Verlangen nach Alkohol hervorruft.
Wie lange dauert es, bis ein gewohnheitsmäßiger starker Trinker körperlich vom Alkohol abhängig wird? Meistens dauert es eine Reihe von Jahren. Es gibt Personen, die erst süchtig werden, nachdem sie zwanzig bis dreißig Jahre stark getrunken haben; bei anderen dauert es nur zehn Jahre, bei einigen nur drei bis fünf Jahre, und einzelne werden sozusagen von Anfang an süchtig.
Das Leben eines Alkoholikers wird besonders dann immer stärker beeinträchtigt, wenn es zu einer körperlichen Abhängigkeit kommt. Seine Leistungen lassen zu wünschen übrig, und sein Arbeitgeber merkt es. Zufolge von „Krankheit“ bleibt er immer häufiger dem Arbeitsplatz fern. Seine Selbstachtung schwindet, und sein Verhältnis zu anderen leidet immer mehr.
Er mag versuchen, das zu kompensieren, indem er übermäßig freigebig ist und Geld mit vollen Händen ausgibt, wodurch er aber in Schulden gerät. Wegen seiner Gereiztheit und weil es schwierig ist, mit ihm auszukommen, gerät er in immer größere soziale Isolation.
Schließlich verliert er Arbeit, Freunde und Familie. Das Trinken ist ihm wichtiger als alles andere, auch als das Essen. Er vernachlässigt seine äußere Erscheinung, seine Gesundheit und seine Pflichten.
In der Zeitschrift Weltgesundheit hieß es: „Ein Alkoholiker, der ständig weiter trinkt, schafft rund um seine eigene Abhängigkeit immer neue Schäden, und seine Lebenserwartung wird sicherlich verkürzt sein.“
Körperliche Schäden
Alkohol enthält zwar keine Vitamine, Mineralien oder Proteine, aber Kalorien. Wer also viel trinkt, kann, obschon er nicht richtig ernährt sein mag, das Gefühl haben, satt zu sein, und er mag zunehmen. Da sich der Alkoholiker vielfach nicht mehr für das Essen interessiert, mag sein Körper zufolge von Unterernährung für Krankheiten anfälliger werden.
Alkoholmißbrauch schädigt die Magenwände und den Dünndarm, verursacht Entzündungen und Geschwüre. Die Magenmuskeln können ihren Tonus verlieren, die Verdauung wird behindert, und Übelkeit stellt sich ein.
Auf den Bahamainseln, wo, wie die Zeitung Physician’s Alcohol Newsletter schreibt, der „Alkoholismus das Problem Nr. 1 der Gesundheitsfürsorge“ ist, sollen viele an dem sogenannten „Trinkerfuß“ leiden. Dieser Zustand — chronische Geschwürbildung und Brand — erfordert gelegentlich eine Amputation.
Eine besonders gefährliche Folge übermäßigen Trinkens ist die Leberzirrhose. Diese Erkrankung zählt zu den häufigsten Todesursachen bei der Altersgruppe von 25 bis 40 Jahren. Aus amtlichen Statistiken geht hervor, daß in Frankreich in einem Jahr über 22 000 Personen an Leberzirrhose gestorben sind. In den Vereinigten Staaten sind in dem letzten Jahrzehnt doppelt so viele Personen an Leberzirrhose gestorben wie in dem Jahrzehnt davor — größtenteils eine Folge des stärkeren Alkoholkonsums der Bevölkerung. In Dänemark stieg die Zahl der Todesfälle zufolge von Leberzirrhose im Laufe von drei Jahren um 40 Prozent. Auch in diesem Land ist der erhöhte Alkoholgenuß die Ursache. In Italien hat sich die Zahl dieser Todesfälle in den vergangenen elf Jahren verdoppelt.
Dr. Frank A. Seixas, medizinischer Leiter des Nationalrates für Alkoholismus in den Vereinigten Staaten, sagte: „Zum erstenmal erhalten wir medizinische Daten, die die Beobachtungen der Ärzte, die man jahrelang in Abrede gestellt hatte, bestätigen: Zwischen dem Alkoholismus und der Leberzirrhose besteht eine enge Beziehung.“
Bei einem Versuch ernährte Dr. Charles Lieber (New York) eine Gruppe freiwilliger Versuchspersonen achtzehn Tage lang mit einer vorzüglichen Kost. In dieser Zeit genehmigte sich jede täglich sechs „Drinks“, insgesamt 0,29 Liter 43prozentigen Whiskey. Man merkte, daß die Betreffenden unter Alkoholeinfluß standen, konnte aber von keiner Person sagen, sie sei so betrunken, daß sie ihrer Sinne nicht mehr mächtig sei. Aber schon nach wenigen Tagen zeigten sich bei allen deutlich beginnende Leberschäden.
Gewohnheitsmäßiges starkes Trinken ist auch die Ursache verschiedener Herzleiden — in einigen Ländern Todesursache Nr. 1. Durch übermäßigen Alkoholgenuß kann es sogar zu einer Lähmung der Herznerven und dadurch zu Herzversagen kommen. Er kann auch das Atemzentrum im Gehirn lähmen und so bewirken, daß sich die Atmung verlangsamt und vielleicht sogar ganz aufhört.
Gehirnschaden
Bei langzeitigem Alkoholmißbrauch werden auch die Gehirnzellen zerstört. Und der Körper vermag diese Zellen nicht in der Weise zu ersetzen, wie er andere Zellen ersetzt.
Bei der Öffnung von Leichen chronischer Alkoholiker hat man festgestellt, daß viele ihrer Gehirnzellen zerstört waren. Ein solcher Gehirnschaden kann verschiedene Geisteskrankheiten — zum Beispiel Paranoia (eine Form von Geistesgestörtheit, die sich durch Verfolgungswahn äußert) und Schizophrenie (Persönlichkeitsspaltung) — hervorrufen oder verschlimmern. Aus Frankreich wird zum Beispiel berichtet, daß jedes dritte Bett in den psychiatrischen Kliniken von einem Alkoholiker belegt ist.
In den letzten Stadien des Alkoholismus kommt es häufig zum Delirium tremens. Dieser Zustand tritt ein, wenn der Süchtige keinen oder nur noch ganz wenig Alkohol erhält. Er kann aber auch nach einer ausgedehnten „Sauftour“ eintreten. Zuerst beginnt der Süchtige am ganzen Körper zu zittern. Er hat keinen Appetit, sondern verspürt einen Brechreiz. Er beginnt zu fiebern und bewegt sich unruhig hin und her. Es treten Halluzinationen auf. Er sieht Dinge, die gar nicht vorhanden sind — zum Beispiel Spinnen, Ratten oder Fliegen —, aus den Wänden oder dem Fußboden kommen.
Das Grauen eines solchen Deliriums oder „Wahnsinns“ kann zu Selbstmord führen. Es kann auch eine Demenza hinterlassen oder zum Tod führen. Die Todesrate soll 20 Prozent betragen.
Einen Menschen, der schon längere Zeit Alkoholiker ist, kann man nur vor dem Tod retten, indem man ihn „entgiftet“. Er darf so lange nichts mehr trinken, bis sein Körper alle Spuren von Alkohol ausgeschieden und sich davon erholt hat. Das mag Wochen oder Monate erfordern. Und gewisse Schäden wie Leber- oder Gehirnschäden mögen irreparabel sein.
Bei jungen Menschen treten gesundheitliche Schäden durch übermäßiges Trinken schneller auf als bei älteren. Ihr Körper ist noch nicht ausgewachsen, er ist kleiner, deshalb verträgt ein junger Mensch weniger Alkohol als ein Erwachsener.
Unschuldige Opfer
Die bedauernswertesten Opfer des Alkoholismus sind die Babys. Eine Frau, die während der Schwangerschaft viel trinkt, mag ein Kind zur Welt bringen, das geistig behindert oder körperlich mißgebildet ist — oder beides.
Dr. Jaime Frias, Leiter eines der Universität von Florida angegliederten Instituts für Geburtsschäden, erklärte: „Aus den klinischen Daten, die uns jetzt zur Verfügung stehen, ist ersichtlich, daß eine Frau, die während der Schwangerschaft regelmäßig Alkohol trinkt, mit einer 50prozentigen Wahrscheinlichkeit damit rechnen muß, daß ihr Kind geistig behindert sein wird, und zudem mit einer 30prozentigen Wahrscheinlichkeit, daß es die verschiedensten Mißbildungen haben wird.“
Dr. David W. Smith, Professor für Kinderheilkunde an der Medizinischen Fakultät der Universität Washington, sagte: „Alkohol ist heute die Hauptursache für Mißbildungen bei menschlichen Embryonen.“
Wie Forscher berichten, ist es schon passiert, daß Kinder „betrunken“ zur Welt gekommen sind. Ihr Blutalkoholwert war höher als der Wert, der vielerorts als ordnungswidrig gilt. Bei einigen Neugeborenen hat man sogar Entzugserscheinungen festgestellt.
Über Schädigungen an Babys berichteten die Detroit News: „Die Ärzte erklären übereinstimmend, daß die Erscheinungen des Syndroms irreparabel sind und daß viele Opfer ihr Leben lang entweder zu Hause oder in Institutionen einer besonderen Pflege bedürfen.“
Was gilt bei einer Schwangeren als „starkes Trinken“? Darin ist man sich nicht einig. Dr. Smith sagt, als starkes Trinken sei eine tägliche Menge von fünf „Drinks“ anzusehen. Als „Drink“ gilt ein „Cocktail, der 0,029 Liter 50prozentigen Whiskey enthält“. Dr. Smith erklärte warnend, daß starker Genuß von Bier oder Wein während der Schwangerschaft die gleichen Folgen hat.
Vor kurzem berichteten die Medical World News: „Jetzt zeigt es sich immer deutlicher, daß auch der mäßige Alkoholgenuß das sich im Mutterleib entwickelnde Kind schädigen kann. Deshalb fordert das Nationalinstitut für Alkoholmißbrauch und Alkoholismus energisch, daß die Regierung einen Aufklärungsfeldzug starte und alle Schwangeren davor warne, mehr als zwei ,Drinks‘ täglich zu genießen.“ Das Institut fügte hinzu, die Beweise seien „absolut überzeugend und auch alarmierend“.
Die Kosten des Alkoholmißbrauchs sind also in jeder Hinsicht unerhört hoch. Und das Problem wird immer schlimmer, weil die Zahl der exzessiven Trinker ständig steigt.
Doch was kann man tun, um zu vermeiden, daß man alkoholabhängig wird? Wie kann man jemandem, der bereits abhängig ist, helfen?
[Fußnote]
a Erworbener Schwachsinn, auf organischen Hirnschädigungen beruhende dauernde Geistesschwäche.
[Bild auf Seite 11]
Eine Schwangere, die längere Zeit Alkoholmißbrauch treibt, kann ihr Kind schwer schädigen.