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  • Ein Alkoholiker in der Familie — Was kannst du tun?
    Erwachet! 1983 | 8. März
    • Ein Alkoholiker in der Familie — Was kannst du tun?

      SCHWANKEND schafft er es nach einer durchzechten Nacht gerade noch bis nach Hause und sackt im Wohnzimmer zusammen. Seine Frau ist entsetzt und verärgert. Dennoch hebt sie ihn unter großer Anstrengung auf, macht ihn sauber und bringt ihn ins Bett. Ihr Mann ist Alkoholiker.a

      Am nächsten Tag verspricht er ihr, es werde nie wieder vorkommen. Manchmal kann er sich überhaupt nicht mehr an die vergangene Nacht erinnern. Aber sie kann es! „Ich getraue mich nicht, etwas dazu zu sagen“, denkt sie, weil sie befürchtet, er sei sonst so verärgert, daß er wieder anfangen würde zu trinken. Da er keinesfalls in der Lage ist, zur Arbeit zu gehen, ruft sie seinen Chef an, um ihn zu entschuldigen.

      Vergeblich hofft sie, daß er nicht mehr soviel trinkt. Sie versucht verzweifelt, sein Trinken einzuschränken. Deshalb versteckt sie den Alkohol oder schüttet ihn weg.

      Damit sie sich nicht wegen seines Alkoholproblems vor anderen genieren muß, schränkt sie die gesellschaftlichen Kontakte der Familie ein. Und sie pflegt keine Geselligkeit ohne ihn, da sie befürchtet, er werde sonst ärgerlich und würde noch mehr trinken.

      Trotz allem hört er nicht auf zu trinken. Warum? Tut sie nicht bereits alles, was sie kann, um ihm zu helfen? In Wirklichkeit erschwert sie seine Heilung, ohne es zu merken. Nicht nur ihr Mann braucht Hilfe, sondern auch sie.

      Trifft obige Schilderung auf eine Familie aus deinem Bekanntenkreis zu oder vielleicht auf deine eigene? Wenn ja, dann fragst du dich womöglich: „Wieso braucht in diesem Fall auch der Ehepartner Hilfe?“

      Auswirkung auf die Familie

      Der Alkoholismus hat eine enorme emotionale Auswirkung auf die gesamte Familie. Zum Beispiel ist der Ehepartner oft ein Spiegelbild des Alkoholikers.

      Normalerweise leugnen Alkoholiker, daß sie ein Alkoholproblem haben. Aber häufig leugnen auch Angehörige das Problem, weil sie vielleicht die Familie vor Schande bewahren wollen. Findest du, wenn dein Ehepartner ein Alkoholproblem hat, immer wieder „Gründe“ für jedes Trinkerlebnis?

      Das ist nicht alles. Während die Bemühungen, die Trinkgewohnheiten deines Ehepartners einzuschränken, wiederholt fehlschlagen, wachsen in dir vielleicht Angst und ein Gefühl des Versagens. Oder noch schlimmer — stauen sich in dir Groll und Bitterkeit auf? „Oft wünschte ich, er wäre tot“, bekannte eine verzweifelte Ehefrau.

      Daher ist es kein Wunder, daß du unter denselben negativen Gefühlen und Emotionen leidest wie der Alkoholiker — Angst, Furcht, Zorn, Schuldgefühle, Nervosität, Frustration, Spannungen und geringe Selbstachtung. Ja, der Ehepartner braucht oft ebenfalls Hilfe.

      Wie steht es mit den Kindern? Es ist herzzerreißend, zu sehen, welche emotionellen Narben bei ihnen zurückbleiben. Beachte, was Awake! von einigen Kindern von Alkoholikern erfuhr:

      „Ich stand immer zwischendrin. Einmal — ich war etwa neun Jahre alt — hatte Mutti zuviel getrunken und geriet mit Vati in einen heftigen Streit. Mutti wollte weggehen. Ich wurde hysterisch, klammerte mich an ihren Rock und bettelte darum, daß sie bleiben sollte.“

      „Alle wußten Bescheid. Ich kann mich erinnern, daß die Jungen, wenn ich zur Schule ging, lachten und riefen: ,Dein Vater ist ein Säufer!‘“

      „Ich entwickelte einen Minderwertigkeitskomplex und gab mir die Schuld.“

      „Ich fühle mich noch immer sehr unsicher, zweifle an meinen Fähigkeiten, setze mich herab und ekle mich vor mir selbst.“

      Man kann leicht erkennen, warum viele solche Kinder nervös, in sich gekehrt und nicht sehr gesprächig sind. Häufig unterdrücken und leugnen sie Zorn, Furcht, Frustration und Einsamkeit, sonst würde es ihnen zu weh tun. Ja, auch die Kinder brauchen Hilfe.

      Du als Angehöriger benötigst Hilfe, um 1. dir deine eigene emotionale Gesundheit zu bewahren und 2. den bestmöglichen Zugang zu dem Alkoholiker zu finden.

      Mache dich mit den Tatsachen vertraut

      Informiere dich zuerst über den Alkoholismus. Hilfreiches Material läßt sich in einer öffentlichen Bibliothek oder in einem Informationszentrum für Alkoholiker finden. Du kannst praktische Ratschläge erhalten, indem du mit anderen sprichst, die ein ähnliches Problem durchgemacht haben.

      Die vielleicht wichtigste Frage, die dich beschäftigt, lautet: „Was kann ich tun, um dem Alkoholiker zu helfen?“ Aber bevor du ihm helfen kannst, brauchst vielleicht du selbst Hilfe, um von deinen negativen Empfindungen und Emotionen geheilt zu werden. Mache dich also zuerst damit vertraut, wie sich der Alkoholismus auf dich ausgewirkt hat. Andernfalls wirst du wahrscheinlich den Alkoholiker nicht erreichen.

      Als nächstes mußt du lernen, wie du am besten Zugang zu dem Alkoholiker findest. Vielleicht hast du am Anfang ähnlich reagiert wie die eingangs beschriebene Ehefrau. Aber ein solches Vorgehen fördert eher noch die Trunksucht, als daß es zur Heilung führt. Wieso? Weil es den Alkoholiker daran hindert, die Realität seiner (oder ihrer) Situation zu erkennen. Er versteckt sich hinter einer riesigen Wand der Leugnung. Ihn gegen die Folgen seiner Trunksucht abzuschirmen ermöglicht ihm gewöhnlich, das Problem weiterhin zu leugnen und weiter zu trinken.

      Dem Alkoholiker Hilfe zukommen lassen

      Obwohl du einen Alkoholiker nicht zwingen kannst, sich einer Behandlung zu unterziehen, kannst du in ihm den Wunsch nach Hilfe wecken. Aber wie?

      Es gibt im wesentlichen zwei Möglichkeiten: 1. Laß ihn die Folgen seiner Trunksucht spüren, und 2. konfrontiere ihn direkt mit den Tatsachen über seine Trunksucht. Wenn es dem Alkoholiker auch noch so schlecht geht, kann er einen Teil der Realität verkraften, wenn sie ihm auf annehmbare Weise nahegebracht wird.

      Doch bevor wir diese Möglichkeiten besprechen, ein Wort zur Vorsicht: Solche Maßnahmen erfordern, daß du über den Alkoholismus informiert bist und die emotionale Kraft hast, diese Kenntnisse anzuwenden.

      Nun, was bedeutet es, den Alkoholiker die Folgen seiner Trunksucht spüren zu lassen? Es bedeutet nicht, ihn zu bestrafen, aber es erfordert eine gewisse Bestimmtheit. Nehmen wir zur Veranschaulichung den eingangs beschriebenen Fall. Beachte, was Dr. Winnie Sprenkle, leitender Berater an einem erfolgreichen Behandlungszentrum für Alkoholismus, in einem Interview mit Awake! empfahl:

      ● Was könnte sie tun, wenn ihr Mann im Rausch auf den Boden sackt? „Im allgemeinen ist es sehr wichtig, daß die Familie das Problem nicht vertuscht, sonst weiß der Alkoholiker hinterher nicht, was vor sich gegangen ist. Wenn er also im Rausch auf den Boden sackt und am nächsten Morgen im Bett — mit dem Schlafanzug bekleidet — aufwacht, wird er nicht wissen, was geschehen ist.“ Daher könnte die Frau ihn je nach den Umständen gleich auf dem Boden schlafen lassen. Wenn er am nächsten Morgen dort aufwacht, wird ihm bewußt, wie es um seine Situation bestellt ist.

      ● Was kann sie tun, wenn er sich am nächsten Tag nicht mehr an sein Benehmen erinnern kann? „Sie sollte ihm die Wahrheit sagen, aber nicht im Zorn. ,Das und das ist letzte Nacht passiert, und so hat es sich auf mich ausgewirkt.‘“ Selbst wenn er sich darüber aufregt, hilft sie ihm auf diese Weise, zu sehen, daß ein solches Verhalten in normalen Familien nicht vorkommt.

      ● Ist es gut, wenn sie sich isoliert? „Das wichtigste ist, wie ich glaube, daß die Familie so gut wie möglich ihren normalen Tagesablauf beibehält und vernünftig lebt. Der Alkoholiker wird immer mehr damit konfrontiert, wie groß der Gegensatz zwischen ihm und seinen Angehörigen ist. In vielen Fällen führt es dazu, daß er schließlich sagt: ,Holla — ich habe ein Problem und brauche unbedingt Hilfe!‘“ Wenn die Frau also ohne ihn mit anderen Gemeinschaft pflegt, könnte sie ihn freundlich wissen lassen, daß sie es gern sähe, wenn er mit dabei wäre, aber daß das doch wegen seines Alkoholproblems unmöglich sei.

      Wie steht es mit der zweiten Möglichkeit, der Konfrontation? Vernon E. Johnson empfiehlt in seinem Buch I’ll Quit Tomorrow:

      Diejenigen, die mit dem Alkoholiker sprechen, sollten die bedeutsamsten Personen in seinem oder ihrem Leben sein. Mit der Hilfe eines befähigten Beraters stellt jeder eine Liste auf, durch die das Verhalten des Alkoholikers schonungslos in allen Einzelheiten beschrieben wird. Man legt eine Zeit fest, zu der der Alkoholiker wahrscheinlich nüchtern sein wird. Dann liest ihm einer nach dem andern seine Liste vor, und zwar auf eine Weise, die tiefe Besorgnis verrät. Selbst wenn der Alkoholiker sich anfangs sträubt, sollten sie entschlossen weitermachen. Das Ziel besteht darin, ihm die Wirklichkeit so deutlich vor Augen zu führen, daß er die Notwendigkeit einsieht, Hilfe zu suchen.

      Wo kann man Hilfe finden?

      Einige Angehörige können sich zusammen mit dem Alkoholiker an ein Behandlungszentrum für Alkoholiker wenden, wo vielleicht auch die Familie in ein Therapieprogramm einbezogen wird. Inwiefern kann dies eine Hilfe sein? Bis jetzt haben die Angehörigen möglicherweise schmerzliche Erinnerungen und Gefühle unterdrückt. Da sie nicht einmal mit ihren eigenen Gefühlen vertraut sind, ist es für sie schwer, die des Alkoholikers zu verstehen. Daher hat die Therapie häufig folgende wesentliche Ziele: die eigenen Gefühle zu erkennen und zu akzeptieren (um negative Gefühle verarbeiten zu können, mußt du dich ihnen zuerst stellen); die Gefühle des anderen zu verstehen und zu erkennen, wie deine Verhaltensweise ihn oder sie emotional berührt; dieses Verständnis in die Tat umzusetzen und so zu lernen, wie man am besten reagiert.

      „Doch was ist, wenn der Alkoholiker sich weigert, Hilfe zu suchen?“ magst du fragen. Ob der Alkoholiker Hilfe annimmt oder nicht, auf jeden Fall brauchst du Hilfe, um deine eigenen negativen Gefühle zu erkennen und zu verarbeiten. Manche Familien wenden sich an Ortsgruppen, zu denen sich Angehörige von Alkoholikern zusammengeschlossen haben. Solche Gruppen versuchen, Verständnis und Wissen in bezug auf die Probleme zu vermitteln, die das Leben mit einem Alkoholiker mit sich bringt. Natürlich existieren derartige Gruppen nicht in allen Teilen der Welt.b Andere, die ihr emotionales Bedürfnis nach Hilfe erkennen, wenden sich einer anderen Quelle zu.

      „Dadurch, daß ich die Wahrheit der Bibel kenne, werde ich leichter damit fertig“, sagte Ann, die seit 30 Jahren mit einem Alkoholiker verheiratet ist, der nicht an die Bibel glaubt. Als Zeugin Jehovas studiert sie regelmäßig die Bibel und bemüht sich, sie in ihrer eigenen Situation anzuwenden. Obwohl dadurch ihre Probleme nicht beseitigt werden, ist es für sie eine Hilfe, trotz der Umstände glücklich zu sein. Und es kann auch für dich eine Hilfe sein. Inwiefern?

      Die Anwendung biblischer Grundsätze kann dir vor allem helfen, negative Gefühle und Emotionen zu überwinden und somit trotz deiner Situation glücklich zu sein. Das erfordert allerdings einen starken Glauben daran, daß Gott das tun wird, was er versprochen hat (Hebräer 11:1, 6). Betrachte einige Beispiele.

      Sorgen: Hast du aufgrund der Trunksucht deines Angehörigen finanzielle Probleme und machst dir sehr große Sorgen darüber, wie du den Lebensunterhalt bestreiten sollst? „Hört auf, euch Sorgen zu machen“,c riet Jesus in bezug auf die Beschaffung des Lebensnotwendigen. „Euer himmlischer Vater weiß, daß ihr all diese Dinge benötigt“, und er kann und wird für diejenigen sorgen, die es zum Hauptziel ihres Lebens machen, ihn anzubeten (Matthäus 6:25-34). Anschließend gab Jesus einen höchst praktischen Rat darüber, wie man Sorgen begegnen kann — jeden Tag für sich zu sehen. Warum sollte man den Sorgen von heute diejenigen von morgen hinzufügen? Außerdem sagte ein Bibelgelehrter: „Die Zukunft ist in Wirklichkeit selten so schlecht wie in unseren Ängsten.“

      Doch Jesu Worte lediglich zu kennen befreit einen nicht von den Sorgen. Man muß sie in die Tat umsetzen, und dazu ist echter Glaube nötig. Gottes Fähigkeit, sein Versprechen zu erfüllen, für seine Diener zu sorgen, ist unanfechtbar. Es bleibt nur die Frage: Haben wir das absolute Vertrauen, daß Gott — sofern wir eifrig bemüht sind, unseren Teil zu tun — seinen Teil tun wird?

      Schuldgefühle: Sind in dir zufolge einer negativen Empfindung oder Einstellung Schuldgefühle entstanden? Zugegeben, du bist unvollkommen, und Gott billigt keine verkehrte Einstellung. Doch die Bibel versichert uns liebevoll: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, uns die Sünden zu vergeben“ (1. Johannes 1:9; Sprüche 28:13). Gibt es wirklich irgendeinen Grund, zu glauben, daß Gott dies — vorausgesetzt, du tust deinen Teil — in deinem Fall nicht tun wird? Gott wird das tun, was er verheißen hat. Aber du wirst dich nicht besser fühlen, es sei denn, daß du fest daran glaubst.

      Ein Studium des Wortes Gottes kann dich auch in die Lage versetzen, Hilfe durch Gottes heiligen Geist zu erhalten. Und dieser Geist kann dir positive Eigenschaften verleihen, wie zum Beispiel ‘Liebe, Freude, Frieden, Freundlichkeit, Milde und Selbstbeherrschung’ (Galater 5:22, 23). Welch wirksame Hilfe im Überwinden negativer Gefühle! Doch du mußt um Gottes Geist unablässig bitten (Lukas 11:5-13). Auch in dieser Hinsicht brauchst du festen Glauben. Jesus sagte: „Alle Dinge, um die ihr betet und bittet, glaubt, daß ihr sie sozusagen empfangen habt, und ihr werdet sie haben“ (Markus 11:24).

      Möchtest du wissen, wie man einen derartigen Glauben erlangt? Jehovas Zeugen sind dir gern dabei behilflich. Vielleicht wirst du sogar feststellen, daß sich unter ihnen Personen befinden, die dieselben Probleme durchgemacht haben wie du und dir daher mit Hilfe der Bibel verständnisvoll beistehen können. Denke daran, daß negative Gefühle gewöhnlich nachlassen, wenn man sich darüber ausspricht. Dadurch, daß du mit jemand, der für deine Situation Verständnis hat, offen über deine Gefühle sprichst, erfährst du eine große Erleichterung.

      Falls du bereits mit Jehovas Zeugen verbunden bist und Beistand brauchst, um in deinem Glauben gestärkt zu werden, könntest du einen christlichen Aufseher um Hilfe bitten. Solche aufopferungsbereiten Männer helfen ihren Mitchristen „freiwillig“ und „voll Eifer“ auf jede ihnen mögliche Weise (1. Petrus 5:1-3).

  • Mit einem Alkoholiker leben
    Erwachet! 1983 | 8. März
    • Mit einem Alkoholiker leben

      WOCHENLANG tat mein Mann nichts anderes, als Tag und Nacht zu trinken. Immer wieder sackte er zusammen, kam wieder zu sich und begann erneut zu trinken. Sein Arbeitgeber hatte ihn entlassen, und unsere finanzielle Situation wurde von Tag zu Tag schlimmer. Seine Gesundheit war ruiniert, und ich war mir nicht sicher, wie lange er noch leben würde. „Wie soll das alles enden?“ fragte ich mich.

      Bevor ich dir den Ausgang erzähle, möchte ich dir erklären, wie es zu dieser kritischen Phase in unserem Leben kam.

      Ich lernte meinen Mann im Jahre 1947 bei einer Tanzveranstaltung kennen. Er hatte bereits getrunken, bevor er dorthin kam. Am Schluß tanzte er auf dem Tisch. Noch in derselben Woche besuchte er mich. Bei dieser Gelegenheit war er nüchtern, und seine Gesellschaft war mir sehr angenehm. Da wir so vieles gemeinsam hatten, schlossen wir Freundschaft.

      An dem Abend, an dem er mir einen Heiratsantrag machte, hatte er eine Flasche Whiskey dabei, aber er war nicht betrunken. Wir unterhielten uns eingehend über den Ernst der Ehe und die Gründung einer Familie. Ich sagte ihm, ich hätte nicht die Absicht, mit einem Alkoholiker zu leben. Daraufhin warf er die Flasche fort und versprach mir, nie mehr zu trinken. Wie glücklich ich doch war!

      Aber nicht lange nachdem wir geheiratet hatten, begann er wieder zu trinken. In den darauffolgenden Jahren bekam ich immer mehr Angst vor ihm. Er war so unberechenbar — wie ein Vulkan, der jeden Moment ausbrechen kann!

      Nicht nur, daß er weiterhin viel trank, sondern er begann auch noch, bei der Arbeit Glücksspiele zu spielen. Das führte zu großen finanziellen Problemen. An jedem Zahltag gab es Streit. Er wollte mir immer weniger Geld geben, damit er mehr trinken konnte. Ständig erhielten wir Mahnungen wegen unbezahlter Rechnungen.

      „Wie kann er mich nur so behandeln und mir gleichzeitig sagen, daß er mich liebt?“ fragte ich mich. Da ich eine Teilzeitbeschäftigung hatte, machte ich Anstrengungen, mehr Geld zu verdienen, um die Rechnungen bezahlen zu helfen.

      Manchmal konnte ich mich nicht zurückhalten. Ich flehte ihn an: „Siehst du denn nicht, was du machst? Deine Tochter und ich sind nur noch Nervenbündel!“

      „Du übertreibst!“ gab er zurück. „Ich habe höchstens ein oder zwei Drinks genommen. Ich verbrauche nicht einmal eine Flasche in der Woche.“ In Wirklichkeit brauchte er eine Flasche am Tag.

      Mein Leben war voller Wechselhaftigkeit. Gelegentlich brachte er mir Blumen oder Süßigkeiten. „Er liebt mich doch!“ durchfuhr es mich dann, und ich kam mir schäbig vor, weil ich so schlecht über ihn gedacht hatte. Da er so nett war, glaubte ich, ich sei an seiner Trunksucht schuld. Wenn ich mich nur ändern könnte, dann würde er vielleicht nicht soviel trinken.

      Immer, wenn er mir versprach, sich zu mäßigen, war ich nach einigen Tagen sicher, daß er mit meiner Hilfe mit dem Trinken aufhören könnte. Aber am Ende der Woche holte er alles nach, indem er mehr trank denn je. Mich überkam dann ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit.

      Er ging mehrmals zu den Anonymen Alkoholikern. Sie sprachen über Alkoholismus, aber er dachte, damit habe er ja nichts zu tun. Seine Probleme würden von der Familie herrühren, meinte er. Wieder hatten sich alle meine Hoffnungen zerschlagen. Ich kam mir wie in einer Sackgasse vor.

      Ich machte sämtliche Gefühlsregungen durch — ich empfand Freude, Schuld, Haß gegen mich selbst, Groll, Verbitterung und Haß gegen ihn, ich wünschte, er würde gehen, und hatte Angst, er ginge wirklich. Es schien hoffnungslos zu sein.

      Nachdem ich mehrere Jahre versucht hatte, damit fertig zu werden, verlor ich jegliche Selbstbeherrschung. Eines Tages stieg ich in meiner Verzweiflung ins Auto und fuhr einfach irgendwohin. Schließlich kam ich an einen Fluß. Dort war es ruhig und friedlich. Als ich mich ans Ufer setzte, dachte ich über die Hoffnungslosigkeit meiner Situation nach. Die Ruhe des Wassers wirkte wie ein Magnet. Wenn ich einfach ins Wasser gleiten könnte ...

      Plötzlich hörte ich, daß mich jemand rief. Eine Frau, die in der Nähe wohnte, hatte mich beobachtet und kam zu mir, um nach dem Rechten zu sehen. Darauf stieg ich ins Auto und fuhr nach Hause.

      Nicht lange danach wurde es schlimmer. Mein Mann fing an, Selbstmordgedanken zu äußern, und beschrieb mir sogar, wie er es tun wolle. „Dir wird es ohne mich bessergehen“, sagte er. Einerseits war ich froh, das zu hören, andererseits trieb es mich zur Verzweiflung.

      Am nächsten Morgen wußte ich, daß ich etwas tun mußte. Ich nahm mit den Anonymen Alkoholikern Verbindung auf, und sie verwiesen mich an eine Frau in unserem Viertel, die eine ähnliche Situation durchgemacht hatte. Sie empfahl mir eine Ortsgruppe, die aus Angehörigen von Alkoholikern bestand. Ich besuchte einige ihrer Zusammenkünfte.

      Sie halfen mir, zu erkennen, daß ich die Schuld für die Trunksucht meines Mannes wirklich nicht mir zuschreiben konnte. Bei ihm hatte es schon angefangen, bevor ich ihn überhaupt kennenlernte. Die Anwesenden schienen sich gut unter Kontrolle zu haben. Sie waren freudig und diskutierten offen über ihre Gefühle. Sie machten sich nicht allzu große Sorgen um den nächsten Tag. Genau das mußte ich mir auch noch angewöhnen. Und selbst wenn dieselben Probleme da waren, mußte ich mir eingestehen, daß ich nicht mehr als die Sorgen eines einzigen Tages ertragen konnte. Ich erinnerte mich an Jesu Worte in Matthäus 6:34: „Macht euch also niemals Sorgen um den nächsten Tag, denn der nächste Tag wird seine eigenen Sorgen haben.“

      Gleichzeitig hatte ich den Eindruck, daß einige Frauen immer noch voll Verbitterung und Groll über ihre Männer waren, denn sie beklagten sich über sie und ließen sich über ihre Fehler aus. Ich beteiligte mich nicht an diesen Gesprächen, sondern zog es vor, nichts dazu zu sagen.

      Während ich jedoch zuhörte, wie sie über ihr Leben mit einem Alkoholiker redeten, lernte ich eine Menge Nützliches. Das Wichtigste, was ich lernte, war: Im Gegensatz zu dem, was ich bisher getan hatte, sollte ich meinen Mann nicht vor den Folgen seiner Trunksucht abschirmen. Statt dessen mußte ich ihm helfen, zu erkennen, welche Probleme das Trinken hervorrief. Ich brauchte enorm viel Kraft, um das während so vieler Jahre gepflegte negative Denken zu überwinden, aber ich war entschlossen. Ich begann, die Ratschläge anzuwenden.

      Bald danach bot sich eine Gelegenheit dazu. Wir hatten unseren Enkel bei uns, der krank war und Fieber hatte. Da ich die Wohnung für eine Zeitlang verlassen mußte, bat ich meinen Mann, auf den Jungen aufzupassen. Ich rief ihn von der Arbeit aus an und warnte ihn davor zu trinken. Er versicherte mir, daß er sich um den Jungen gut kümmern werde.

      Kurz nachdem ich gegangen war, rief meine Tochter an, um sich nach dem Jungen zu erkundigen. Zu ihrer Überraschung kam ihr kleiner Sohn ans Telefon. „Opa schläft“, erklärte er. Meine Tochter war entsetzt. „Schüttle ihn heftig, und versuche, ihn zu wecken.“ Aber mein Enkel konnte Großvater nicht wecken — er schlief gerade seinen Rausch aus. Daraufhin legte meine Tochter den Hörer auf und lief zu unserer Wohnung.

      Etwa eine Stunde später — nachdem ich zu Hause angekommen war — wachte er schließlich aus dem Rausch auf. Er fragte, warum wir ihn nicht geweckt hätten. Da er immer noch betrunken war, sagten wir nicht viel. In der Vergangenheit hätte ich es dabei bewenden lassen. Ich hätte zuviel Angst gehabt, etwas zu sagen. Aber nun wußte ich, daß ich ihn nicht vor den Folgen seiner Trunksucht abschirmen sollte. Er mußte wissen, was geschehen war. Am nächsten Morgen konfrontierte ich ihn damit und beschrieb ihm bis ins Detail, was geschehen war. „Siehst du, was unserem kleinen Enkel hätte passieren können?“ fragte ich ihn. Er war ziemlich betroffen. „Ich hätte das Kind umbringen können“, bekannte er.

      Einige Monate später trank er einmal die ganze Nacht. Als er jedoch am nächsten Tag erwachte, bat er mich, ihn ins Krankenhaus zu bringen. Er konnte es nicht mehr ertragen. Ich ließ ihn den Arzt anrufen und alle Vereinbarungen treffen. Als wir im Krankenhaus ankamen, füllte er die Formulare selbst aus und blieb zwei Monate in Behandlung.

      Seither sind mehrere Jahre vergangen, und unser Zusammenleben wird immer besser. Für keinen von uns beiden ist es leicht. Ständig müssen wir über unsere Denkweise und unsere Beweggründe wachen.

      Da ist noch etwas, was mir viel geholfen hat — mein Verhältnis zu Jehova. Es half mir, die Verbitterung und den Groll zu überwinden, da ich wußte, daß solche Gefühle Jehova nicht wohlgefällig sind, ganz gleich, was mein Mann getan hatte (Kolosser 3:13, 14). Wie tröstlich es war, Jehova als einen liebevollen und barmherzigen Vater kennenzulernen, der uns unsere Fehler nicht vorhält! Das erleichterte meine Schuldgefühle (Psalm 103:9-12; 130:3, 4).

      Da ich Tag und Nacht betete, gab er mir seinen Geist und auch Kraft. Ich konnte meine Hoffnung lebendig erhalten, indem ich regelmäßig mit anderen über meinen christlichen Glauben sprach. Zutiefst dankbar bin ich auch für die christlichen Zusammenkünfte, die ich besuche, und für die liebevolle Gemeinschaft mit christlichen Brüdern und Schwestern. Ich glaube nicht, daß ich es ohne sie hätte schaffen können.

      Natürlich bin ich froh, daß ich gelernt habe, mit einem Alkoholiker zu leben. Dadurch, daß ich mir nur noch um den jeweiligen Tag Sorgen mache, kann ich meine Ängste unter Kontrolle halten. Von besonderem Nutzen war mir der Rat, meinen Mann nicht davor zu bewahren, die Folgen seiner Trunksucht zu verspüren. Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn ich nicht diese Einsicht gewonnen hätte. (Eingesandt.)

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