Wir wollen unsere fremdsprachigen Nachbarn besser kennenlernen
Vom „Awake!“-Korrespondenten in der Bundesrepublik Deutschland
KENNST du ein Land in Europa mit einer Bevölkerung von nicht ganz neun Millionen Menschen, das flächenmäßig etwa 9 Prozent größer ist als Österreich? Statt Schillingen gibt man dort Escudos aus, und statt mitten im Kontinent zu liegen, steht dieses Land ziemlich abseits, fast als hätte es Europa den Rücken gekehrt. Richtig! Es kann sich nur um Portugal handeln, und da zur Zeit über 100 000 Portugiesen in der Bundesrepublik wohnen, möchten wir auch dieses Land und seine Leute etwas näher kennenlernen.
Der Garten Europas
Portugal besteht aus zwei Großlandschaften, dem Süden und dem Norden, aufgeteilt durch die Serra da Estrêla. Wer die Berge liebt, wird sich im nördlichsten Teil des Landes, der sich durch eine hügelige bis bergige Landschaft auszeichnet, sehr wohl fühlen. Tief eingeschnittene Flußtäler fehlen ebenfalls nicht. Den bekanntesten Fluß, den Douro, magst du nicht kennen, aber der Wein, der in der Douroebene angebaut wird, ist dir sicherlich ein Begriff: der liebliche und wohlschmeckende „Vinho do Porto“ oder Portwein. Übrigens hat dieser Wein seine Bezeichnung von Porto, was zu deutsch „das Tor“ bedeutet. Die zweitgrößte Stadt Portugals, Porto, erhebt sich auf schroffen Granitfelsen über den Flußufern des Douro und ist berechtigt, „das Tor“ genannt zu werden, denn sie ist eine wichtige Hafenstadt Portugals. Buntes, geschäftiges Treiben spielt sich in den engen, winkligen Gassen der Innenstadt ab. Man sagt, daß Porto die Stadt ist, wo gearbeitet wird, Coimbra, wo studiert wird (wegen seiner Universität), Braga, wo gebetet wird (ein Erzbischofssitz), und Lissabon, wo das Geld ausgegeben wird.
Im Gegensatz zum Norden ist der Süden flach. Der südlichste Teil des Landes wird Algarve genannt. Weil er häufig von sonnenhungrigen Touristen besucht wird, ist er auch der bekannteste Teil. Die wunderschönen weißen Sandstrände laden zum Baden ein, denn im Sommer klettert das Thermometer bis auf 40 Grad, und die Wassertemperatur beträgt durchschnittlich 26 Grad.
Wieso heißt diese Gegend Algarve, was „der Westen“ bedeutet, wenn sie doch im Süden liegt? Nun, für diesen ziemlich eindeutigen Widerspruch gibt es eine ebenso eindeutige Erklärung. Die Moslems nannten sie Al-Gharb (den Westen), denn sie war tatsächlich einmal der westlichste Teil des Maurenreiches auf der Iberischen Halbinsel. Daher die Bezeichnung Algarve.
Interessant ist auch, wie der Name Portugal zustande kam. Er ist auf den Namen eines römischen Dorfes zurückzuführen, das am Douro lag und Portus Cale hieß. Mit der Zeit wurde der Name als Bezeichnung für das ganze Land gebraucht.
Nicht ohne Grund wird Portugal der „Garten Europas“ genannt, denn rund 2 700 Arten von Blumen, Sträuchern und Bäumen sind dort zu finden. Es gibt viele exotische Pflanzen. Neben Olivenbäumen findet man Johannisbrotbäume sowie Eukalyptusbäume, die durch ihre schönen silbergrauen „Früchte“ auffallen und einen wohltuenden Eukalyptusduft verbreiten. Auch die Korkeiche ist nicht zu vergessen, denn sie hat für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes eine bedeutende Rolle gespielt. Kork und Korkprodukte gehören sogar zu den Hauptexportwaren. Wer würde sich in einem solch schönen Land nicht wohl fühlen?
Sitten und Lebensgewohnheiten
Der größte Teil der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft. Deshalb verstehen die meisten Portugiesen etwas von Ackerbau und Viehzucht. Viele Familien in ländlichen Gebieten ernähren sich hauptsächlich von den Produkten, die sie selbst anbauen. Auch einige der portugiesischen Familien, die in der Bundesrepublik wohnen, freuen sich, ein kleines Stück Land bearbeiten zu können, denn sie sind es so aus ihrer Heimat gewohnt. Das einzige, was sie nicht anbauen können, ist Wein, etwas, was sie auch sehr vermissen, denn in Portugal wird bei jeder Mahlzeit Wein getrunken.
Auf den Wochenmärkten der Großstädte der Bundesrepublik wirst du oft Portugiesen antreffen. Wie aus den portugiesischen Namen für die Wochentage hervorgeht, ist der Wochenmarkt ein fester Bestandteil im Leben eines Portugiesen. Zum Beispiel heißt Montag „Segunda-feira“, was „zweiter Markt“ bedeutet, und so geht es weiter bis zum Freitag, dem „Sextafeira“ oder „sechsten Markt“. Natürlich geht es auf einem portugiesischen Markt etwas anders zu als auf einem deutschen. Von weitem kannst du schon die lauten Rufe der Marktverkäufer hören, die ihre Waren anpreisen. Hier werden jedoch nicht nur Gemüse, Blumen und Kartoffeln verkauft, sondern auch andere Waren. Ein Verkäufer mag zum Beispiel den Wunsch haben, dir ein komplettes Schlafzimmer zu verkaufen oder gute, kräftige Stiere, mit denen du schwere Lasten transportieren oder Felder pflügen kannst. Auf dem Markt kannst du alles bekommen! Auch würde es dir auffallen, daß viele Frauen ihre gekauften Waren auf dem Kopf nach Hause tragen, vielleicht in einem Korb, über den sie Draht gespannt haben, damit die von ihnen gekauften lebenden Hühner oder Kaninchen nicht unterwegs davonlaufen. Oder ein Möbelstück wird auseinandergenommen und auf dem Kopf nach Hause transportiert. Hättest du vielleicht Lust, es beim nächsten Einkauf auch zu probieren? Aber bitte nichts fallen lassen!
Nicht jeder Garten ist ein Paradies
Obwohl Portugal, der Garten Europas, bezaubernd schön ist, ist doch das Leben dort zum Teil sehr schwer und ziemlich primitiv. Leider ist nicht jeder Garten gleichzeitig ein Paradies. In vielen Teilen des Landes gibt es in den Häusern kein fließendes Wasser und keine Elektrizität. Viele Menschen wohnen in Häusern ohne sanitäre Einrichtungen. Es gibt viele Häuser, die aus großen Sandbruchsteinen errichtet wurden, die jedoch von innen nicht verputzt wurden und keine Zimmerdecken haben. Wenn dann im Sommer die Sonne lacht, lacht sie buchstäblich durch die Dachziegel hindurch!
Seitdem Portugal seine afrikanischen Kolonien aufgegeben hat, sind Bananen und andere Früchte Delikatessen geworden, die sich kinderreiche Familien nicht sehr oft kaufen können. Deshalb sind Tausende von Portugiesen in andere europäische Länder emigriert, um ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern. Auch nach Brasilien sind in den letzten Jahrzehnten Hunderttausende ausgewandert. Dadurch haben sie sicherlich einige Probleme gelöst; dafür sind aber andere entstanden: zum Beispiel das Schreiben von Briefen. Du magst denken, das sei auch für dich ein Problem. Aber hier liegt das Problem doch etwas anders. Bei großen Familien war es früher oft üblich, die Kinder nicht in die Schule zu schicken (obwohl die allgemeine Schulpflicht schon seit über hundert Jahren besteht), sondern sie mitarbeiten zu lassen, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Deshalb sind immer noch fast 30 Prozent der Bevölkerung Analphabeten. Besonders im Ausland mag dies zum Problem werden, denn wenn man einen Brief schreiben möchte, muß die Hilfe eines guten Freundes oder Arbeitskollegen in Anspruch genommen werden. Sicherlich wird man seine Gefühle und Probleme dann nicht so offen darlegen wollen, wie wenn man den Brief selbst schreiben würde. Und wenn der Empfänger des Briefes auch nicht lesen kann, wird wieder jemand benötigt, der ihm den Brief vorliest.
Trotz seiner Probleme — im Inland sowie im Ausland — hat der Portugiese seine natürliche und freundliche Wesensart beibehalten. Seine demütige Einstellung zeigt sich in einer gottesfürchtigen und religiösen Haltung. Die katholische Kirche hat in der Vergangenheit einen großen Einfluß auf Portugal und seine Leute ausgeübt, aber jetzt, wie fast überall, hat sie ziemlich an Macht verloren. Besonders seit dem Regimewechsel im Jahre 1974 ist es den Menschen eher möglich, sich mit den Wahrheiten der Bibel ungestört zu beschäftigen. Die Impulse dafür gingen manchmal sogar von der Bundesrepublik aus.
Ein Portugiese, der in der Bundesrepublik Zeuge Jehovas wurde, berichtet zum Beispiel: „Unsere Schwierigkeiten begannen, als wir voller Freude unseren Verwandten in Portugal von der Wahrheit erzählten. Meine Schwägerin war die schlimmste Gegnerin. Sofort sandte sie uns ein Buch, das von der katholischen Kirche in Portugal gegen Jehovas Zeugen geschrieben wurde. Sie warnte uns davor, durch ein Bibelstudium verrückt zu werden. Trotzdem betete ich immer zu Gott, er möchte uns den richtigen Weg zeigen. Wir gaben uns Jehova hin und ließen uns am 2. April 1975 taufen.“ Und die gegnerisch eingestellte Schwägerin? Ihre Gegnerschaft ließ allmählich nach, und später wurde sie selbst getauft und auch ihr Mann.
Ein anderer Portugiese, der schon seit mehreren Jahren in der Bundesrepublik wohnt, erzählt: „Wir wurden öfter von einem Spanier besucht, der uns von der Bibel erzählte. Meine Frau und ich hörten gerne zu. Nach einigen Wochen wurde ein Bibelstudium mit uns begonnen. An diesem Studium beteiligte sich auch eine zweite portugiesische Familie. Der Spanier lud uns zu einem spanischen Kongreß nach München ein, und wir besuchten ihn auch. Dann begannen die Probleme. Die andere Familie gab das Studium auf und sagte uns, wir sollten auch aufhören, denn das sei eine Religion der Spanier und als Portugiesen hätten wir unsere Religion. Daraufhin hörte meine Frau mit dem Studium auf und drohte mir, sie würde mich verlassen und nach Portugal zurückkehren, wenn ich weiter studieren würde. Trotz des Widerstandes studierte ich weiter. Mit viel Geduld ist es mir endlich gelungen, meine Frau mit in den Königreichssaal zu nehmen. Durch die Liebe in der Versammlung taute meine Frau auf und ließ sich bereits nach einem Jahr taufen — sechs Monate nachdem ich mich hatte taufen lassen.“
Portugiesen, die zu einer genauen Erkenntnis der biblischen Wahrheit gekommen sind, freuen sich, daß unter dem Königreich Gottes ihr schönes Land von allen Ungerechtigkeiten und Problemen befreit werden wird. Dann wird der Garten Europas — sowie die ganze Erde — doch ein Paradies sein!