Warum ist das eine „Generation der Unsicherheit“?
„ES MACHT sich eine schleichende Furcht breit, so daß die Leute an eine Art schützende Macht glauben möchten, die sich, wie sie hoffen, ihrer annehmen wird.“
Diese im vergangenen April im Sunday Telegraph (London) veröffentlichten Worte eines Studenten aus Oxford offenbaren eine unerwartete Zunahme an Religiosität unter Studenten. Der Trend, der nun dem extremen politischen Engagement vergangener Jahre folgt, spiegelt wider, was die Zeitung als „das ungewisse Gefühl einer Generation der Unsicherheit“ bezeichnet.
In einem Zeitalter nie dagewesenen Wohlstandes nimmt sich eine solche Situation ziemlich paradox aus. Das Ganze mutet wie ein Kartenhaus an, kunstvoll und großartig, aber wackelig und zum Einsturz verurteilt. Die Leute spüren diese Unbeständigkeit. Wieso fühlt sich die gegenwärtige Generation so unsicher? Ist es möglich, den Ursprung dieser „schleichenden Furcht“ zu ergründen und zu beseitigen?
Wert einer besseren Bildung
Seit Ende des Zweiten Weltkrieges sind in den meisten fortschrittlichen Ländern die Bildungsmöglichkeiten erheblich erweitert worden. Dennoch kann man nicht sagen, daß Bildung als solche Sicherheit bietet. Sie ist ein Mittel zum Zweck — zu welchem Zweck? Das ist die wichtige Frage. Heute erweist sich das Bildungsziel vieler als eine Sackgasse, denn sie haben trostlose Aussichten und keinen Arbeitsplatz, also keine Sicherheit.
Auf den Britischen Inseln gibt es gegenwärtig eineinhalb Millionen Arbeitslose, und die Zahl scheint zu steigen. Schon sind mehr junge Leute ohne Arbeit als zu irgendeiner anderen Zeit nach dem Krieg. Ein Jugendlicher von 16 Jahren war so deprimiert, weil er trotz größter Anstrengungen keinen Arbeitsplatz finden konnte, daß er sich erhängte. Ein Mitglied der zuständigen Schulbehörde meinte: „Das war ein extremer Fall, aber er veranschaulicht, welche Ängste viele Jugendliche ausstehen müssen.“ Viele junge Leute haben wirklich Angst davor, unmittelbar nach der Schule das Geschick der Arbeitslosen zu teilen — eine Angst, die mit dem Gefühl der Unsicherheit in direkter Verbindung steht.
Hongkong hat ebenfalls eine ausgeprägte Leistungsgesellschaft, in der junge Leute unter extremem Druck stehen. Die Mehrheit hält eine bessere Bildung für den Schritt zur Sicherheit, da sie sich für später eine gutbezahlte Arbeit erhofft. Tritt das nicht ein, ist eine Katastrophe die unausweichliche Folge. Daraus ergeben sich nicht nur Enttäuschungen, sondern auch Depressionen und Tragödien.
Von einer Gruppe, die sich als Samariter von Hongkong bezeichnet, wird berichtet, daß sie im August 1977 innerhalb von sechs Tagen 1 225 Telefonanrufe von deprimierten Studenten erhalten hat. Im Hong Kong Standard vom 13. August 1977 wurde die Situation wie folgt umrissen: „Unser Schulsystem sowie die geldgierige, materialistische Einstellung unserer Gesellschaft, die uns gegenüber der Bedeutung grundlegender menschlicher Werte blind werden läßt, bilden einen Hauptgrund dafür, warum Leute zum Selbstmord getrieben werden.“ Außerdem wird bei der zunehmenden Zahl von Studenten und der abnehmenden Zahl von freien Arbeitsplätzen der Druck, sich nach oben kämpfen zu müssen, kaum nachlassen.
Moderne Technik
Wie steht es mit der modernen Technik? Werden dadurch nicht neue Arbeitsbereiche und Betätigungsfelder geschaffen? In den vergangenen Jahrzehnten haben viele so gedacht, aber das hat sich geändert. In Wirklichkeit hört man von behördlicher Seite die Warnung, daß in den nächsten Jahren die Arbeitslosigkeit drastisch zunehmen wird. Eine Gruppe von Wirtschaftsexperten in Cambridge (England) ging so weit, für die Britischen Inseln eine Arbeitslosenzahl von ungefähr fünf Millionen vorauszusagen, die für einen Zeitraum von 10 Jahren zu erwarten sei. Wieso diese düstere Voraussage?
Die rapide Entwicklung der Mikroelektronik hat die Automatisierung in einem vorher ungeahnten Ausmaß vorangetrieben. Als Befreiung von monotoner Arbeit gepriesen, entpuppt sich die Computertechnik jetzt auch als Angriff auf Geistesarbeit. Ein geschickter Zeichner beispielsweise braucht für einen Entwurf vielleicht 25mal so lange wie ein entsprechend programmierter Computer. Denkt man an die größeren Profite, dann kann man sich unschwer vorstellen, was aus der menschlichen Arbeitskraft werden wird.
An Lösungsvorschlägen fehlt es nicht — Vorverlegung des Rentenalters, kürzere Arbeitswoche, häufigere und längere Urlaubszeiten im Jahr sowie die unvermeidliche Anhebung des Schulentlassungsalters. Doch können weder alle noch einer dieser Punkte das Problem lösen, und die Unsicherheit des Arbeitsmarktes bleibt bestehen.
Unter normalen Umständen kann man fairerweise mit der Bibel sagen: „Wenn jemand nicht arbeiten will, soll er auch nicht essen“ (2. Thess. 3:10). Aber wie verhält es sich mit jemandem, der gern arbeiten möchte, jedoch keine Gelegenheit dazu erhält? Leider trifft das heute auf viele zu, und in Ländern ohne Arbeitslosenunterstützung sind sie gezwungen, sich durchzuschlagen und einen Zustand der Unsicherheit hinzunehmen.
Kriminalität
„Die Arbeit verscheucht die drei großen Übel Müßiggang, Laster und Armut“, philosophierte Voltaire, französischer Schriftsteller des 18. Jahrhunderts. Wenn fähige, geschulte Männer und Frauen sich keiner anständigen Arbeit zuwenden können, ist es kaum verwunderlich, daß heute so viele der Kriminalität verfallen. Die Frustration hat ihre Auswirkung, was man daran erkennt, daß auf den Britischen Inseln ungefähr 38 Prozent aller Verbrechen von Arbeitslosen begangen werden.
Noch alarmierender ist das Aufflammen des Terrorismus in der ganzen Welt. In Italien wurden durch eine unsichere und entfremdete jüngere Generation Unruhen hervorgerufen (20 Prozent der italienischen Akademiker sind für Positionen ausgebildet worden, die einfach nicht existieren), und sie spiegeln die unglückliche Situation vieler anderer europäischer Länder wider. Doch das Streben, das „System“ durch Gewalttätigkeit und Einschüchterung zu ändern, kann nur zusätzliche Unsicherheit hervorrufen.
Viele Regierungen suchen in einer größeren sowie stärkeren Polizeimacht und einer strengeren Gesetzgebung Zuflucht, um die Flut der Verbrechen einzudämmen. Sicher tragen solche Schritte viel zur Einschränkung der Kriminalität bei, aber der rechtschaffene Teil der Bevölkerung muß für seine Sicherheit unweigerlich einen hohen Preis bezahlen. Nicht nur die Höhe der Steuern, sondern auch die Freiheit aller Bürger ist zu einem gewissen Grad davon betroffen. Auf dem Weg zur erwünschten Sicherheit gibt es für Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit keinen Ersatz.
Internationale Spannung
Werden die internationalen Probleme außer Kontrolle geraten? Diese Befürchtung hegen auch die Vertreter der jüngeren Generation, wenn sie ihre Zukunftspläne schmieden. Sie wissen, daß ihr Vater und ihr Großvater die Unsicherheit der Kriegswirren mitgemacht haben. Wie sie sehen, sind die führenden Politiker der Welt immer noch nicht zu einer Übereinkunft bereit, und internationale Täuschung und Intrigen gefährden weiterhin den Frieden.
Das Wettrüsten schreitet unvermindert fort, und Studenten wissen nur zu gut, daß ein Viertel aller Wissenschaftler ihre Zeit für die Entwicklung von Angriffswaffen einsetzen. Vielleicht weniger bekannt ist, daß das Wettrüsten jährlich im Durchschnitt den Lohn für zwei Arbeitswochen jedes Berufstätigen schluckt. Die gegenwärtige Generation sagt „Make Love — Not War“, erkennt aber, daß sie in der wichtigen Frage der internationalen Sicherheit nicht alleiniger Herr ihres eigenen Geschicks ist.
Probleme mit der Pensionierung
Selbst die Bürger im fortgeschrittenen Alter sind von dem Gefühl der Unsicherheit nicht befreit. Wie viele ältere Leute sehen schon unbesorgt zu, wenn ihre Ersparnisse durch die ständige Inflation aufgezehrt werden? Sparsamkeit scheint keine begehrenswerte Tugend mehr zu sein. Ein Werbefachmann verwandelte das in eine lakonische Ermunterung, Schulden zu machen und Darlehen aufzunehmen: „So, wie die Preise heute steigen, lohnt es sich nicht mehr, für Anschaffungen zu sparen, die man sich wünscht.“
Diese Lebensphilosophie mag sich für die jüngere Generation eignen, doch wie ist es um die bestellt, die eine kleine Rente haben und sich gern auf ihre Ersparnisse verlassen? Sogar in Ländern mit schneller verfügbaren Sozialleistungen fordert die Verzweiflung unter älteren Leuten noch ihren Tribut. In den Vereinigten Staaten ist jede vierte Person, die Selbstmord begeht, über 65 Jahre alt.
Gibt es in dieser Zeit mit all den Problemen und der Unsicherheit überhaupt Stabilität? Was ist sicher? Du bist eingeladen, die Antwort auf diese Fragen in Betracht zu ziehen.