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Wie steht es um die Religion in der Sowjetunion?Erwachet! 1973 | 8. September
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auf fast 250 000 000 und steht damit an dritter Stelle in der Welt nach China und Indien.
Dadurch, daß die kommunistischen Herrscher mehr als einhundert nationale Gruppen unter ihre Herrschaft gebracht hatten, hatten sie es mit Menschen zu tun, die verschiedenen Glaubensrichtungen anhingen. Natürlich war die russisch-orthodoxe Kirche bei weitem die größte Religionsgemeinschaft. Aber es gab viele weitere, besonders in Gebieten, die erst später unter kommunistische Herrschaft kamen.
All diese Religionsorganisationen fragten sich nun, welche Stellung sie in Verbindung mit der neuen Regierung einnehmen würden. Das sollten sie sehr bald erfahren. Der gewaltige Wechsel, der im November 1917 begonnen hatte, sollte sie alle mit voller Gewalt treffen.
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Der Feldzug der Sowjetunion zur Vernichtung der ReligionErwachet! 1973 | 8. September
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Der Feldzug der Sowjetunion zur Vernichtung der Religion
ALS die Kommunisten die Macht über Rußland erlangten, verloren sie keine Zeit, ihr Vorhaben in bezug auf die Religion bekanntzumachen. Es bestand darin, die Religion aus dem Dasein auszulöschen und das Land in einen atheistischen Staat umzuwandeln.
Zwar hatte Lenin Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts geschrieben, es solle religiöse Duldsamkeit geben. Aber nachdem die Bolschewiken einmal die Macht ergriffen hatten, war es klar, daß die Regierung die Religion als Feind betrachten und versuchen würde, sie in Vergessenheit zu bringen. In seiner Abhandlung Das Verhältnis der Arbeiterpartei zur Religion sagte Lenin:
„‚Religion ist Opium für das Volk‘ — diese Erklärung von Marx ist der Eckstein der gesamten Weltanschauung des Marxismus in bezug auf Religion. Der Marxismus betrachtet alle heutigen Religionen und Kirchen, jede einzelne Religionsorganisation, immer als Organe der [feindlichen] reaktionären Kräfte der Bourgeoisie.“
Der Angriff beginnt
Gleich nach der Machtergreifung im November 1917 erließ die neue Regierung eine Verordnung, die besagte, daß alle Ländereien, einschließlich des Kircheneigentums, nun das Eigentum des Volkes (in Wirklichkeit der Regierung) seien. Diese Entscheidung ebnete den Weg für die spätere Konfiskation kirchlichen Eigentums.
Eine andere Verordnung besagte, alle Bürger seien gleich, ungeachtet zu welcher Religion sie sich bekennen würden oder selbst wenn sie sich zu keiner Religion bekennen würden. Die praktische Auswirkung dieser Verordnung bestand darin, daß der Atheismus zugelassen und gefördert werden konnte.
Anfang 1918 verkündete dann die Regierung die vollständige Trennung der russisch-orthodoxen Kirche vom Staat. Gleichzeitig wurde sämtliches Kircheneigentum von den Kommunisten übernommen. Auch wurde Religionsunterricht in den Schulen verboten. Außerdem wurden alle Zahlungen der Regierung an die Kirchen eingestellt.
Diese Schritte waren nur ein Teil des Angriffs. Es sollte noch viel mehr kommen. Vom Standpunkt der Regierung aus war es jetzt wichtig, zu ermitteln, was getan werden mußte, um den Sinn der Menschen, besonders der Jugend, zu beeinflussen. In der ersten Verfassung, die im Jahre 1918 angenommen wurde, hieß es: „Allen Bürgern wird das Recht auf religiöse und antireligiöse Propaganda zugestanden.“ Aber die Verfassung wurde 1929 ergänzt, und das „Recht auf religiöse Propaganda“ wurde widerrufen. Während das „Recht auf antireligiöse Propaganda“ aufrechterhalten wurde, wurde den Sowjetbürgern nur das „Recht, sich zu einer Religionsgemeinschaft zu bekennen“, eingeräumt.
Die Entscheidung vom Jahre 1929 war für die Religion sehr nachteilig. Dadurch wurde allen Religionen verboten, irgendein soziales, erzieherisches oder wohltätiges Werk zu verrichten. Religiöse Gruppen mußten sich daher auf die Gebäude beschränken, die ihnen von den Behörden zugewiesen wurden. Sie konnten nichts tun, um ihre Religion zu verbreiten. Und da den Kindern in den Schulen nun der Atheismus gelehrt wurde, waren die Aussichten für die Religion, auf lange Sicht gesehen, sehr schlecht.
Die Auswirkungen
All diese gesetzlichen Schritte und die feindliche Einstellung der Regierung verfehlten ihre Wirkung nicht. Von den ersten Wochen der Revolution an wurden die Kirchen im ganzen Land angegriffen. Kirchengebäude wurden ausgeplündert, abgerissen oder in Fabriken, Warenhäuser, Versammlungssäle oder Museen umgebaut.
Nicht nur die orthodoxe Kirche wurde davon betroffen. Auch andere Religionen wurden angegriffen. Zum Beispiel wurden römisch-katholische Geistliche ins Gefängnis gesteckt, das Kircheneigentum wurde beschlagnahmt, und der katholische Schulunterricht wurde eingeschränkt. Es war allgemein üblich, daß die Kommunisten Priestervereinigungen gründeten, die nur Moskau treu waren, so daß die Autorität des Papstes untergraben wurde.
Unter dem schweren Druck verschwanden einige Religionen völlig von der Bildfläche. Eine davon war die unierte Kirche. Diese Kirche war aus einer Verbindung des Katholizismus mit der orthodoxen Kirche hervorgegangen. Sie hatte besonders unter den Ukrainern viele Anhänger. Aber die Geistlichen, die dem Kommunismus widerstanden, wurden eingesperrt oder verbannt. Andere Geistliche sagten sich vom Papst los, verließen ihre Religion und unterstellten sich dem orthodoxen Patriarchen von Moskau.
Hand in Hand mit der Beschlagnahme von Kircheneigentum, der Inhaftierung oder Verbannung widerstandleistender Geistlicher und dem Schließen von Kirchen ging ein großangelegter Erziehungsfeldzug, für den Presse, Radio, Filme und die Schulen gebraucht wurden. Besonders verheerend war die antireligiöse Atmosphäre in den Schulen. Typisch für die Belehrung war ein Schulbuch für Neunjährige, das in der Sowjetunion veröffentlicht wurde und in dem es hieß:
„Das Studium der Gesetze, die bei der Entwicklung der organischen Welt eine Rolle spielten, hilft uns bei der Erarbeitung der materialistischen Idee ...
Außerdem wappnet uns diese Lehre für den antireligiösen Kampf, indem sie uns die materialistische Erklärung für das Vorhandensein eines Zweckes in der organischen Welt gibt und gleichzeitig beweist, daß der Mensch von niederen Tieren abstammt.“
Die Kinder waren in der Gewalt ihrer atheistischen Lehrer. Und die Eltern, die Kirchgänger waren, waren im allgemeinen nicht in der Lage, diesem Einfluß entgegenzuwirken. Die meisten dieser Eltern wußten wenig oder gar nichts über die Gründe für die Lehren und Bräuche ihrer eigenen Religion. Daher waren sie sehr schlecht ausgerüstet, gegen diese Flut anzukämpfen.
Außerdem wurden große Organisationen für die Jugend gegründet. Da waren die „Jungen Pioniere“ für Kinder und die „Union der kommunistischen Jugend“ für die Sechzehn- bis Dreiundzwanzigjährigen. Diese Organisationen waren von Marx’ und Lenins Ideen geprägt. Es war zwar nicht obligatorisch, diesen Organisationen beizutreten, aber der soziale Druck, sich anzupassen, war ungeheuer groß. Der natürliche Wunsch junger Menschen, ein Teil dessen zu sein, was populär ist, hatte seine Folgen.
Als die Kommunisten einmal an der Macht waren, machten sie es sich daher zur Aufgabe, die traditionelle Religion auszurotten. Und von 1917 an kämpften sie ein Vierteljahrhundert lang mehr oder weniger heftig gegen die Religion.
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