Selbstloses Interesse für andere bekunden
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Guatemala
UNSERE Reise begann in Guatemala City, einer Stadt, die sechzehnhundert Meter hoch liegt. Nach ein paar Stunden trafen wir am Ufer des Lago de Izabal ein. Nachdem wir unser Gepäck auf einem wartenden Boot verstaut hatten, begaben wir uns auf eine außergewöhnliche und lohnenswerte Fahrt. Davon möchte ich nun berichten.
Der Lago de Izabal liegt am Fuße der Sierra de Santa Cruz, einer Gebirgskette in Guatemala. Dieser See nimmt eine Fläche von etwa 590 Quadratkilometern ein und ist etwa dreimal so groß wie das Galiläische Meer. Er entwässert in den Rio Dulce (Süßer Fluß), der in den Golf von Honduras mündet.
Wir hatten vor, rund um den See zu fahren und dabei mit jedem zu sprechen, dem wir begegneten. Während unserer dreiwöchigen Reise sprachen wir mit Fischern, Kaufleuten, Plantagenbesitzern und bescheidenen Landarbeitern.
Der Zweck unserer Reise
Meiner Familie und mir ist aufgefallen, daß heute viele Menschen nur wenig Interesse für ihre Mitmenschen bekunden. Als Zeugen Jehovas bemühen wir uns immer, uns vor dieser Neigung zu hüten und unsere Angelegenheiten so zu ordnen, daß wir anderen Menschen helfen können. In Guatemala, diesem mittelamerikanischen Land, in dem wir nun schon seit fünf Jahren leben, hat sich uns dazu reichlich Gelegenheit geboten. Als wir vor einiger Zeit am Lago de Izabal Urlaub machten, fiel uns die Freundlichkeit der Eingeborenen auf, die an seinen Ufern leben. Die meisten von ihnen hatten kaum etwas von den tröstenden Verheißungen der Bibel gehört. Dabei kam es uns so richtig zum Bewußtsein, daß sie die „gute Botschaft“ der Heiligen Schrift kennenlernen mußten (Matth. 24:14). Doch wir dachten: Von welchem Nutzen ist es, ihre Bedürfnisse zu kennen, wenn wir nichts für sie tun? Wir entschlossen uns daher, zum Lago de Izabal zurückzukehren, aber diesmal nicht, um Urlaub zu machen, sondern um den Menschen zu helfen, Gottes Wort zu verstehen.
Sorgfältige Vorbereitungen notwendig
Wir hatten vor, mit allen Menschen zu sprechen, die am Ufer des Sees wohnten, sowie verschiedene Flüsse entlangzufahren, um Siedlungen im Urwald zu erreichen. Wir benötigten ein Boot, in dem wir drei Personen zwei oder drei Wochen wohnen konnten. Es mußte Schutz vor der tropischen Sonne und den tropischen Regenfällen bieten und Platz genug haben, damit wir bequem unsere Campingausrüstung und viele Kartons biblische Literatur unterbringen konnten. Da das Wasser oft flach ist, benötigten wir ein Boot, mit dem wir bis ans Ufer fahren konnten, um leicht ein- und aussteigen zu können.
Daher beschlossen wir, einen „Katamaran“, ein Auslegerboot, aus leichtem Sperrholz zu bauen, dessen Deck nur 1,50 mal 3,60 Meter groß sein sollte. Wir statteten es mit einem Segeltuchdach aus, das uns Schatten spenden sollte, mit einem kleinen Außenbordmotor sowie mit einer langen Stange und einem Paddel, die wir häufig benutzen mußten. Nahrung und Kleidung bewahrten wir in großen Metallbehältern oder in Plastiktüten auf, damit sie trocken blieben, und jeder Gegenstand erhielt seinen festen Platz.
Es ist möglich, jeden zu erreichen
Wir teilten unseren Arbeitsplan so ein, daß zwei von uns tagsüber die Häuser und Dörfer besuchten, während der dritte im Boot blieb und aufpaßte, ob er ans Ufer kommen und die anderen mit dem Boot abholen mußte, wenn es unmöglich war, den Weg zum nächsten Haus oder Dorf zu Fuß zurückzulegen.
Manchmal versammelten sich bis zu dreißig Menschen am Strand um unser Boot, um der Botschaft der Bibel zuzuhören. Sie bekundeten großes Interesse und nahmen viele Schriften entgegen. Manchmal liefen uns interessierte Personen nach und baten uns um Bibeln, Bücher oder Zeitschriften, von denen sie ein Exemplar in der Wohnung eines Nachbarn hatten liegen sehen.
Diese bescheidenen Menschen waren bereit, Lebensmittel und irgendwelche Gebrauchsgüter gegen biblische Schriften einzutauschen. Wir lernten schnell den örtlichen Wert von Lebensmitteln wie Tortillas, Eiern, elote (Süßmais), Bananen, Pisang, Kokosnüssen, Kakaobohnen und getrocknetem oder frischem Fisch kennen.
Eines Tages, als unser Lebensmittelvorrat schon recht groß geworden war, kam einer von unserer Gruppe zu unserer Freude mit einem großen Korb zurück, den er im Tausch gegen biblische Schriften erhalten hatte. Obwohl wir nur wenig Lebensmittel zu sehen bekamen, die wir sonst essen, war immer reichlich zu essen da; es war eine angenehme Abwechslung für uns.
Als es mehrere Tage regnete, mußten wir uns an einen langen Regenmantel aus Kunststoff gewöhnen und mußten auch mit einer kunststoffüberzogenen Aktentasche arbeiten. Abends setzten wir uns dann um ein Holzkohlenfeuer und ließen uns trocknen.
Herzerfreuende Erfahrungen
Wenn wir mit diesen Menschen in ihrer einfachen Umgebung sprachen, dachten wir immer wieder daran, daß es das Richtige war hierherzukommen. Ein Ehepaar in einem Einbaum (cayuco) grüßte uns begeistert. Die beiden hatten in ihrem Boot Körbe mit köstlichem frischem Brot, das mit sauberen weißen Tüchern abgedeckt war. Sie nahmen bereitwillig biblische Schriften entgegen und baten uns eindringlich, zurückzukehren und mit ihnen zu studieren. Während wir mit Genuß ihr köstliches pan dulce (süßes Brot) aßen, versicherten wir ihnen, daß wir bald zurückkehren würden.
Eines Tages machten wir eine kurze Mittagspause und zogen das Boot in der Nähe von Kokospalmen auf den Strand, in deren Schatten wir uns setzen wollten. Hier beobachteten wir, daß viele Menschen den Strand entlanggingen, um in ihre ranchitos (mit Schilfrohr gedeckte Häuser) zurückzukehren. Konnten wir uns eine solch goldene Gelegenheit entgehen lassen, mit ihnen über das Wort Gottes zu sprechen? Nicht, wenn wir wirklich an ihrem Wohl interessiert waren.
Bei dieser Gelegenheit nahm ein Mann namens Carlos Enrique eine bibelerklärende Schrift an und sagte, er würde gern wissen, wie man sie studieren könne. Noch am gleichen Nachmittag kam er wieder zu uns, und wir konnten eine Stunde mit ihm studieren. Wir bewunderten seinen Lerneifer.
An jenem Abend bauten wir unser Zelt auf, legten eine Feuerstelle an und setzten uns nieder, um das Abendessen zuzubereiten und um uns gegenseitig unsere freudigen Erfahrungen zu erzählen. Dann hörten wir, daß jemand auf unser Lager zukam. Wie überrascht und erfreut waren wir, als es Carlos Enrique war! Er hatte uns gesucht, um mit uns ein weiteres Kapitel in seinem neuerworbenen Bibelstudienhilfsmittel zu studieren. Als wir das zweite Kapitel besprochen hatten, war das Holzkohlenfeuer schon niedergebrannt. Dann erklärte Carlos, er müsse in sein Dorf zurückkehren, das mehrere Kilometer entfernt lag und nur durch einen dunklen Urwaldpfad zu erreichen war. Solch eine Wertschätzung! Einer der anderen, die uns zu einer außergewöhnlichen Uhrzeit besuchten, war José Morales, der um Mitternacht zu unserem Zelt kam und um eine Bibel sowie um eine Publikation bat, die ihm helfen würde, die Bibel zu verstehen.
Als sich unsere Reise um den See ihrem Ende näherte, dachten wir darüber nach, wie viele Menschen, die an der Bibel interessiert waren, wir auf unserer dreiwöchigen Reise kennenlernen konnten. Wir hatten Hunderte von biblischen Schriften verbreitet und viele Freundschaften geschlossen. Wie dankbar waren wir doch unserem Schöpfer für die Gelegenheit, die Wahrheit seines Wortes den freundlichen Menschen am Lago de Izabal zu überbringen!