Das Ozon schätzenlernen
IM Dezember vergangenen Jahres wurde weltweit mit Interesse — und vielleicht auch mit Erleichterung — zur Kenntnis genommen, daß die Vereinigten Staaten die Produktion eines vertrauten Haushaltsartikels, des Fluorchlorkohlenwasserstoff-Aerosolsprays, einstellten. Das lang erwartete Verbot war die Reaktion der Regierung auf die Warnungen der Wissenschaftler, es könnten auf allen Kontinenten Klimaveränderungen und vermehrte Hautkrebserkrankungen auftreten.
„Was?“ magst du fragen. „Meine kleine Spraydose kann Schäden von weltweiter Bedeutung hervorrufen?“
Vielleicht — vielleicht auch nicht. Sofern jedoch deine Spraydose einen Fluorchlorkohlenwasserstoff als Treibgas enthält, ist gemäß drei verschiedener Behörden der Vereinigten Staaten das Risiko zu groß, um übergangen zu werden. Die Behörden für Umweltschutz, Ernährungsfragen und Konsumgütersicherheit werden eine neue Bestimmung durchführen. Seit 15. Dezember 1978 darf keine Firma mehr Fluorchlorkohlenwasserstoffe als Treibmittel für nicht lebensnotwendige Produkte verwenden. Warum? „Weil Fluorchlorkohlenwasserstoffe in der Atmosphäre das Ozon abbauen und zu einer Zunahme an Hautkrebs, zu Klimaänderungen und anderen nachteiligen Auswirkungen führen können“, heißt es in der endgültigen Bestimmung.
Dieser Bestimmung liegt eine Entwicklung zugrunde, die dazu geführt hat, daß der Mensch heute Wertschätzung hat für diesen Schutzschild — eine dünne Schicht aus einer Form des Sauerstoffs, die man als Ozon bezeichnet. Einfach ausgedrückt, sieht der Mensch jetzt das Ozon als einen Filter an, der die Erde vor schädlichen Strahlungen der Sonne schützt. Zerstöre den Filter, und du zerstörst das Leben auf der Erde. In Offenbarung 11:18 ist über die zu lesen, „die die Erde verderben“. Der Gedanke, in der eigenen Hand eine Spraydose zu halten, der solche Auswirkungen zugeschrieben werden, ist nicht unbedingt begeisternd.
Sind die Aerosole giftig?
Allgemein gesagt, sind die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (kurz: FKW) bemerkenswert sicher und ungiftig. Sie gehen keine chemischen Verbindungen mit Nahrungsmitteln, mit Wasser oder menschlichem Körpergewebe ein. Da aber die FKW mit keinem Stoff in der Atmosphäre um uns herum reagieren, halten sie sich lange Zeit. Ironischerweise bewirkt gerade diese Eigenschaft, die ja das Treibgas auf der Erdoberfläche so harmlos macht, daß es sich nicht zersetzt und schließlich in einen Bereich gelangt, wo es gegen den Menschen wirksam werden kann. Im Laufe der Jahre wird es durch die normale Luftzirkulation in die Stratosphäre getragen, in der ganz andere Verhältnisse herrschen.
Wie viele Wissenschaftler verlauten lassen, können im oberen Bereich der Atmosphäre die energiereichen Strahlen des Sonnenlichts sehr gut mit FKW reagieren und Chloratome freisetzen. Das Chlor wiederum kann Ozon in die übliche Form des Sauerstoffs umwandeln, und die freien Chloratome gehen in einem fast endlosen Prozeß immer wieder Reaktionen ein. Sie werden zu einem Katalysator, der ständig Ozon abbaut. Darin liegt die mögliche Gefahr. Dieser langfristige Abbau von Ozon ist genau das, was Wissenschaftler kommen sehen — als eine Folge der winzigen Wölkchen aus Millionen von FKW-Spraydosen.
In dieser Theorie spielt die Zeit eine große Rolle. Angeblich dauert es 10 bis 15 Jahre, bis FKW die Stratosphäre erreichen. Und es kann ein Jahrhundert oder länger dauern, bis sich das Ozon von einem bereits bestehenden Schaden erholt. Sollte wirklich eine Bedrohung bestehen, dann gilt sie künftigen Generationen.
Die natürliche Ozonschicht zwischen 15 und 50 Kilometer Höhe filtert einen Teil der Wärmestrahlen (Infrarotstrahlen) der Sonne aus. Überschüssige Wärmestrahlen von der Sonne könnten auf der Erde das Wetter verändern. Noch wichtiger ist, daß uns die Ozonschicht vor dem Großteil der ultravioletten Strahlen der Sonne schützt. Viele von uns haben ihre Sonnenbräune und das Vitamin D den „wohlwollenden“ ultravioletten Strahlen im normalen Sonnenlicht zu verdanken. Übermäßige UV-Strahlung dagegen erhöht die Gefahr von Hautkrebs einschließlich des seltenen und oft tödlichen Melanomsa. Einige Krebsexperten rechnen damit, daß mit jedem Prozent Ozonverlust der Krebs um 2 Prozent zunimmt. Sollten die intensiveren Strahlen die winzigen sauerstofferzeugenden Pflanzen im Ozean zerstören, würde die Nahrungskette des Meeres beeinträchtigt. Die Ozonschicht bietet also der Menschheit einen Schutz, auf den sie nicht verzichten kann.
Warum haben wir nicht früher davon erfahren?
In den 1930er Jahren künstlich hergestellt und unter dem Warenzeichen Freon vertrieben, geben die ungiftigen FKW erst im Juni 1974 Anlaß zur Besorgnis. Damals ließen die Wissenschaftler F. Sherwood Rowland und Mario S. Molina von der Universität von Kalifornien eine Warnung verlauten. Andere hatten vorher mathematische Beschreibungen (Modelle) darüber ausgearbeitet, wie sich Gase in der Luft ausbreiten. Rowland und Molina dagegen zeigten, wie die in der Atmosphäre befindlichen FKW die Lebensqualität auf der Erde verändern können. Bald verwendeten die Universität von Michigan, die Harvarduniversität und das Institut für die Erforschung der Atmosphäre ähnliche Modelle und gelangten zur selben Schlußfolgerung.
Folglich bist du nicht der einzige, der von dieser Bedrohung des Ozons erst kürzlich erfahren hat. Es ist für jeden neu. Die Menschheit lernte plötzlich in der Mitte der 70er Jahre das Ozon schätzen.
Dann kam das quälende Problem. „Muß wegen einer alarmierenden, allerdings nur theoretisch bestehenden Gefahr eine blühende Industrie stillgelegt werden?“ Für die ursprüngliche Verwendung von Freon als Kühlmittel einen Ersatz zu finden wäre schwierig. Doch in den Vereinigten Staaten wurden jährlich 230 000 Tonnen Freon allein für Sprays hergestellt. 90 Prozent der Sprays waren persönliche Bedarfsartikel wie Kosmetika, Deodorants und Haarsprays. Die Popularität dieser Sprays nimmt weltweit zu, und in den Vereinigten Staaten, wo die Hälfte der weltweit benötigten FKW hergestellt wurde, verdoppelte sich die Produktion alle sechs Jahre.
Am Scheideweg
Bei den spärlichen Kenntnissen, die der Mensch über die Luftströmungen und die Photochemie im oberen Bereich der Atmosphäre hat, läßt es sich schwer sagen, wie genau die Modelle den Abbau des Ozons vorhersagen. Sollten sie jedoch der Wahrheit einigermaßen nahekommen, dann stehen wir einem großen Risiko gegenüber. Für die Untersuchung der Ozonschicht wendete man neue Verfahren an. Der Einsatz von Satelliten und Raketen ergänzte die ältere Methode, bei der man zwei Wellenlängen des Sonnenlichts miteinander verglich. Die Wissenschaftler mußten die Ergebnisse auswerten. Hat der Ozongehalt abgenommen, und entspricht der Verlust den versprühten Mengen von FKW?
Früher beschrieb man mit Hilfe eindimensionaler Modelle die Beeinträchtigung des Ozons durch FKW. Das heißt, man erklärte mathematisch, was geschieht, wenn das Gas senkrecht zur Stratosphäre aufsteigt. Dem muß entgegengehalten werden, daß wir in einer dreidimensionalen Welt leben. Winde wehen, Sommer- und Winterstürme kommen auf, und kein Gas steigt senkrecht nach oben. Zudem ist die Verteilung der natürlichen Ozonschicht ungleichmäßig. Der Großteil des Ozons entsteht im Sommer im Bereich des sonnigen Äquators. Da sich das Ozon vom Äquator ständig wegbewegt, bildet es in der Nähe der Pole eine dichtere Schicht. Daher gingen die Forscher dazu über, zwei- und dreidimensionale Modelle auszuarbeiten, bei denen die Jahreszeit und die Breitengrade berücksichtigt wurden.
Als nach und nach die Ergebnisse zutage traten, erkannten Regierungsbehörden die Notwendigkeit zu handeln. Eine Zeitungskarikatur zeigte einmal zwei außerirdische Geschöpfe in einem Raumschiff. „Mit unseren Instrumenten stimmt etwas nicht“, sagte der eine zum anderen. „Sie zeigen an, daß die da unten mit Deodorants ihr Ozon zerstören.“ Die Theorie ist noch nicht eindeutig „bewiesen“. Doch das Risiko schien zu groß, um noch länger zu warten. Die Vereinigten Staaten haben die Produktion von FKW für den Hauptverwendungszweck als Spraytreibgas eingestellt.
Als die für Ernährungsfragen zuständige Behörde (FDA) das Verbot bekanntgab, erschien im Federal Register die Erklärung:
„Die Behörde ist zur Tat geschritten, weil nach sorgfältiger Untersuchung die besten Schätzungen der Wissenschaftler besagen, daß das Versprühen von Fluorchlorkohlenwasserstoffen zu einer Verminderung des Ozons in der Stratosphäre führt, daß die letzten Folgen des veranschlagten Ozonabbaus nach der Ansicht der Behörde nicht akzeptierbar sind und daß es unbestimmt ist, wann die restlichen wissenschaftlichen Fragen eindeutig gelöst werden.“
Wie wird das die Wirtschaft und mein Portemonnaie beeinflussen?
Einige Wirtschaftszweige trifft es besonders hart. Man schätzt, daß in den USA während einer 18monatigen Übergangsphase 1 700 Arbeitsplätze verlorengehen werden. 1975 wurden in den Vereinigten Staaten die FKW von sechs Firmen in 15 Herstellerbetrieben produziert. Die größten Folgen wird das Verbot für die Firmen haben, die die Aerosole abfüllen. Sofern sie Kosmetikfirmen angeschlossen sind, können sie ohne größere Schwierigkeiten zu Kohlendioxid und zu Kohlenwasserstoffen als Treibgas übergehen. Kleinere Firmen werden vielleicht Bankrott machen. Sie arbeiten unter Vertrag und haben eventuell nicht die nötige Rücklage, um auf andere Treibgase umzustellen.
Für das persönliche Portemonnaie sieht es günstig aus, weil sicherere und preiswertere Ersatzstoffe in Sicht sind. Manche Verbraucher halten schon seit einiger Zeit Ausschau nach Produkten, die nicht in Spraydosen abgefüllt sind. Die Hersteller, Verpackungsfirmen und Vertriebsgesellschaften in der Branche der Kosmetikartikel haben u. a. Sprühdosen mit Pumpventilen und Rollstifte eingeführt, die dem Verbraucher Kosten sparen helfen.
Interessanterweise sind die umweltfreundlicheren Kohlendioxid- und Kohlenwasserstofftreibgase auch billiger. 1977 schätzte die FDA, daß ein Übergang zu diesen Ersatzstoffen den Verbrauchern jährlich eine Gesamtersparnis von 58 Millionen bis zu 240 Millionen Dollar bringen würde. Die Zeit wird zeigen, inwieweit sich das im Portemonnaie des einzelnen bemerkbar macht.
Freilich wird jede finanzielle Überlegung in den Hintergrund gedrängt durch die Gefahr einer allmählichen Katastrophe, die die Menschheit und alles irdische Leben bedroht. Eine Zerstörung unseres natürlichen Filters gegen gefährliche Sonnenstrahlen wäre sicher der gröbste Fehler, den der Mensch in seinem Streben nach Technisierung begehen könnte. Und wie entsetzlich wäre die Erkenntnis, daß bereits ein nicht wiedergutzumachender Schaden besteht und wir hilflos zusehen müssen, wie die Folgen über uns hereinbrechen. Man stimmt darin überein, daß der Mensch das Ozon noch zur rechten Zeit schätzengelernt hat. Vielleicht werden wir, wenn wir eines Tages zurückblicken, erkennen, daß wir noch einmal beängstigend knapp davongekommen sind.
[Fußnote]
a Braune bis blauschwarze bösartige Geschwulst.
[Kasten/Bild auf Seite 17]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
DURCH DIE EINWIRKUNG VON SONNENLICHT UND AEROSOL WIRD DAS OZON IN DER STRATOSPHÄRE ABGEBAUT:
1. Die ultravioletten Strahlen entziehen den Fluorkohlenwasserstoffen Chloratome.
2. Das Chlor wirkt als „Katalysator“ und verwandelt das Ozon in gewöhnlichen Sauerstoff.
3. Dann können mehr ultraviolette Strahlen zur Erde vordringen.
SONNE
80 Kilometer
MESOSPHÄRE
50 Kilometer
STRATOSPHÄRE
ULTRAVIOLETTE STRAHLEN
OZON
OZON
ES KANN ZWISCHEN 10 UND 15 JAHRE DAUERN, BIS DIE FLUORKOHLENWASSERSTOFFE DIE STRATOSPHÄRE ERREICHEN
15 Kilometer
TROPOSPHÄRE
ERDE
[Kasten auf Seite 19]
DIE THEORIE VOM ABBAU DES OZONS
(IN DER KURZSCHRIFT DES CHEMIKERS)
Wissenschaftler schätzen, daß Fluorkohlenwasserstoffe — genauer gesagt Fluorchlorkohlenwasserstoffe —, die bereits vor 10 oder 15 Jahren aus Spraydosen versprüht worden sind, erst jetzt die Stratosphäre erreichen.
SIE BEZEICHNEN ES ALS „PHOTOLYSE“
In Höhen über 25 Kilometer hat das Sonnenlicht noch genügend Energie, um von den Fluorkohlenwasserstoffen Chloratome loszulösen. Diesen Vorgang, bei dem chemische Stoffe durch elektromagnetische Wellen (z. B. Licht) zersetzt werden, bezeichnen die Wissenschaftler als „Photolyse“. Um uns die Wirkungsweise zu vergegenwärtigen, wollen wir einmal annehmen, wir hätten vor einem Jahrzehnt ein Deodorantspray mit dem Treibmittel Freon II (CFCI3) verwendet. Was in der Stratosphäre jetzt mit diesem Freon geschehen könnte, ist hier in der Kurzschrift des Chemikers festgehalten:
hv + CFCI3 → CFCI2 + CI
Das Zeichen hv steht für ein Photon, die kleinste Energieeinheit des Lichts. Trifft es auf eines unserer längst vergessenen Freon-II-Moleküle auf, dann entsteht (angezeigt durch den Pfeil) ein kleineres Molekül und ein freies Chloratom (CI). Was geschieht als nächstes?
OZON WIRD ZU GEWÖHNLICHEM SAUERSTOFF
Die Chloratome zerlegen Ozonmoleküle, indem sie ihnen jeweils eines der drei Sauerstoffatome entziehen. Chemiker geben den Vorgang wie folgt wieder:
CI + O3 → CIO + O2
CI steht für ein freies Chloratom, O3 für Ozon und O2 für Sauerstoff. Doch das entstandene Chloroxid (CIO) ist unbeständig. Es trifft auf ungebundene Sauerstoffatome (O), die in dieser Höhe ziemlich zahlreich sind.
UND ALS NÄCHSTES:
CIO + O → CI + O2
Wenn du dem Pfeil folgst, bemerkst du, daß wieder Sauerstoff (O2) entsteht. Das Chlor (CI) dagegen ist frei und kann sich auf die Suche nach einem neuen Ozonmolekül (O3)begeben. Dadurch wird das freie Chlor zum Katalysator. Es wiederholt diesen Vorgang immer wieder, bis es von einem seltenen chemischen Stoff gebunden und somit „aus dem Verkehr gezogen“ wird. Folglich besagt die Theorie, daß eine geringe Menge Aerosol eine große Menge Ozon abbauen kann.
[Bild auf Seite 20]
„Meinst du, das hier ... könnte das bewirken?“
KREBS