Costaricaner erwerben sich eine lebenswichtige Bildung
VIELLEICHT wird Costa Rica wegen der Schönheit seiner grün schimmernden Berge oft die „Schweiz Mittelamerikas“ genannt, vielleicht aber auch, weil die Costaricaner ein friedliebendes Volk sind. Sie haben nicht nur im Jahre 1948 ihre Armee abgeschafft, sie genießen auch den guten Ruf, daß sie sowohl innen- wie außenpolitische Konflikte auf friedlichem Wege lösen.
Seit 1948 wird hier besonderer Wert auf Schulbildung gelegt; die Folge ist, daß Costa Rica eines der Länder Lateinamerikas ist, die die niedrigste Zahl von Analphabeten haben. Natürlich ist eine Erkenntnis des Wortes Gottes, der Bibel, noch wichtiger (Joh. 17:3). Es gibt über 5 000 Personen im Land, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, ihren Mitmenschen diese wertvollere Erkenntnis zu übermitteln. Diese Bibelunterweiser — es handelt sich um Jehovas Zeugen — haben mit ihrem Bildungswerk fast jeden Landesteil erreicht.
Costa Rica ist eine zentralamerikanische Republik, die im Süden an Panama, im Norden an Nicaragua, im Westen an den Pazifischen Ozean und im Osten an das Karibische Meer grenzt. Das Land wird durch eine von Nord nach Süd verlaufende Bergkette unterteilt. Auf der Ost- und auf der Westseite dieses kühlen Hochlandes mit seinen Plateaus liegt feuchtheißes tropisches Tiefland; daran schließen sich die Küstenebenen längs des Pazifiks und des Atlantiks an. Damit wir aber mit Costa Rica und seiner Bevölkerung vertrauter werden, wollen wir einen reisenden christlichen Ältesten (einen Bezirksaufseher) und seine Frau auf ihrer Reise zu vier Kongressen der Zeugen Jehovas in verschiedenen Teilen dieses Landes begleiten.
UNBERÜHRTER DSCHUNGEL DER ATLANTISCHEN KÜSTENEBENE
Der erste Kongreß findet in Puerto Limón statt, 162 Kilometer von San José, der Hauptstadt Costa Ricas, entfernt. Unsere Freunde vermuteten richtig, daß wir lieber mit der Schmalspureisenbahn durch die malerische Gegend reisen wollten, anstatt mit dem viel schnelleren Bus zu fahren. Die Berge zu unserer Linken bieten einen atemberaubenden Anblick; das schäumende Wasser eines reißenden Flusses, der zu unserer Rechten tief unter uns in der Schlucht fließt, rundet das Bild ab. Uns bleibt vor Schreck die Luft weg, als das „betagte“ Bähnchen auf einem nur etwa drei Meter breiten Felsvorsprung hoch über dem Fluß dahinkriecht.
Nun geht es bergab, und die bewaldeten Berge werden bald von einer hügeligen Landschaft abgelöst. Dann erstreckt sich vor uns — als ob eine riesige Hand einen schier endlosen grünen Teppich ausgebreitet hätte — der dichte Dschungel der atlantischen Küstenebene. Die scheinbar wahllos angeordneten hellgrünen Flecken in diesem dunklen Blätterdach sind in Wirklichkeit Bananenplantagen. In vielen dieser Plantagen gibt es blühende Versammlungen der Zeugen Jehovas.
Man erzählt uns: „Das Leben auf diesen Bananenplantagen wird oft mit den Verhältnissen verglichen, wie sie einst im ,Wilden Westen‘ herrschten. ... Zum Beispiel erinnere ich mich an einen Mann, der auf einer Plantage in der pazifischen Küstenebene lebte. Er war in der ganzen Gegend als Raufbold verschrien; er trank so viel, daß ihn schließlich nur noch reiner Alkohol zufriedenstellen konnte. Ein Ältester der Ortsversammlung der Zeugen Jehovas zog in das Nachbarhaus und begann, sich um ihn zu kümmern ... Mit der Absicht, eines Tages seinem Nachbarn, dem Zeugen, Fragen vorzulegen, die er nicht beantworten könnte, fing der Mann an, die Bibel zu lesen. Doch bald war er selbst derjenige, der Fragen beantworten mußte — nämlich während des Heimbibelstudiums, das sein Nachbar mit ihm durchführte.“ Heute dient der Mann als Dienstamtgehilfe und allgemeiner Pionier, das heißt als Vollzeitverkündiger des Königreiches. In diesen Gebieten sind Jehovas Zeugen dafür bekannt, daß sie ein reines Leben führen, ehrlich sind und Familien haben, die fest zusammenhalten.
Schon bald sind wir mitten in der Ebene mit ihrem feuchten und schattigen Dschungel; der Zug macht oft in kleinen Städten halt. Schließlich kommen wir in Puerto Limón an. Ein Zeuge aus Deutschland, der mit seiner panamaischen Frau hier im Kreisdienst tätig ist, erzählt uns:
„Puerto Limón wurde an der Stelle erbaut, wo Kolumbus auf seiner vierten und letzten Reise an Land gegangen sein soll. Die Mehrheit der Bevölkerung stammt von Jamaikanern ab, die vor der Jahrhundertwende einwanderten, um beim Eisenbahnbau und auf den in der Ausdehnung begriffenen Bananenplantagen zu arbeiten. Es fällt besonders auf, daß das Königreichswerk in Costa Rica im Vergleich zu den anderen lateinamerikanischen Ländern sehr früh begann. Schon 1904 waren Jehovas Diener eifrig damit beschäftigt, die englischsprachige Bevölkerung der Atlantikküste die den Frieden fördernden biblischen Grundsätze zu lehren; einige Versammlungen sind vor 1914 gegründet worden. Von hier ausgehend wurde das Bildungswerk auf die anderen Landesteile ausgedehnt ... Obwohl die meisten Menschen heute Spanisch sprechen, gibt es noch drei englischsprachige Versammlungen, die sich weiterhin der vielen Leute in diesem Gebiet annehmen, die sich besser auf englisch unterhalten können.“
Am folgenden Tag nehmen wir an der Lehrtätigkeit von Tür zu Tür teil und stellen fest, daß die Menschen im allgemeinen sehr freundlich sind und sich gern über die Bibel unterhalten. Ein bemerkenswertes Interesse zeigen Jugendliche.
Unter den etwa 800 Kongreßdelegierten befinden sich Zenón und sein Cousin Jesús. Obwohl sie einer Ganztagsbeschäftigung nachgingen, fuhren sie regelmäßig stundenlang mit dem Motorrad, um sich der geistigen Bedürfnisse einer Gruppe von Interessierten in Puertoviejo anzunehmen. In der Zwischenzeit haben Zenón und Jesús ihre Angelegenheiten auf eine Weise geregelt, daß sie als Sonderpioniere dem religiösen Bildungswerk ihre ganze Zeit widmen können; man hat sie jenem Flußhafenstädtchen zugeteilt.
Viel zu früh heißt es wieder Abschied nehmen. Wir fahren zurück in das zentrale Hochland, das für sein kühleres Klima, seine bedrohlich aussehenden Vulkane und seine ergiebigen Kaffeehaine bekannt ist. Der nächste Kreiskongreß soll in San José, der Hauptstadt, stattfinden.
IM ZENTRALEN HOCHLAND
Im zentralen Hochland wohnen die meisten der zwei Millionen Einwohner des Landes. Hier befinden sich auch die vier größten Städte, und mehr als die Hälfte der Zeugen Jehovas von Costa Rica wohnen hier. Wir finden das schmucke, vor kurzem umgebaute Zweigbüro der Watch Tower Society nahe dem Stadtzentrum von San José. Die starke Nachfrage nach Bibeln und biblischer Literatur machte die Erweiterung des ursprünglichen Gebäudes, das 1955 erbaut wurde, erforderlich. Ja, allein in den letzten zehn Jahren sandte das Zweigbüro den Versammlungen mehr als 63 000 Bibeln und 163 000 Exemplare des biblischen Lehrbuchs Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt. Legt man diese Zahlen zugrunde, so kommt auf etwa 30 Costaricaner eine Bibel und auf 12 Einwohner ein Wahrheits-Buch.
Wir stellen fest, daß die Menschen hier im zentralen Hochland recht weltoffen sind, aber auch Interesse haben an der Bibel und besonders an Fragen, die das Familienleben betreffen. Wenn es auch in Costa Rica mit der Familieneinheit besser bestellt ist als in vielen anderen Ländern der Erde, ist man hier dennoch beunruhigt. Drogen, Alkoholismus und Unmoral haben die traditionell starken lateinamerikanischen Familienbande geschwächt. Während wir von Haus zu Haus gehen, ist es daher nicht ungewöhnlich, daß eine Hausfrau, die mitten in der Arbeit ist, ihre Hände abtrocknet und uns in ihre Wohnung einlädt, wenn sie hört, daß die Bibel über das Familienleben spricht.
Etwa zehn Kilometer von San José entfernt befindet sich ein Städtchen, in dem es keine Zeugen Jehovas gab. Einige Eltern suchten von der katholischen Kirche Rat über Familienangelegenheiten zu erhalten, doch vergebens. Von bestimmten Wachtturm-Publikationen (einschließlich des Wahrheits-Buches), die ihre Aufmerksamkeit auf die Bibel lenkten, beeindruckt, beschlossen alle, unsere Literatur zum Studium der Heiligen Schrift zu benutzen und das Gelernte anzuwenden. Sie wollten dann einfach Jehovas Zeugen bitten, sie als eine Versammlung beitreten zu lassen. Sie begannen sich „Anbeter Jehovas“ zu nennen. Mit der Zeit schlichen sich jedoch falsche Lehren und Praktiken bei ihnen ein; zum Beispiel setzten sie 12 Apostel ein — sowohl Männer als auch Frauen. Das Zweigbüro sorgte später dafür, daß mit einer Familie ein Bibelstudium begonnen wurde, das dann auch gut voranging. Nach einer gewissen Zeit baten auch die übrigen Personen aus der Gruppe um ein Studium. Als ein Missionar zum ersten Studium eintraf, fand er 17 Personen vor, die alle mit der Bibel in der Hand und mit geöffnetem Wahrheits-Buch warteten. Statt weiterhin eine große Zusammenkunft abzuhalten, richtete man bei den einzelnen Familien Studien ein. Auf diese Weise wurden bessere Fortschritte erzielt. Mit der Zeit zogen Sonderpioniere sowie ein Ältester und seine Frau, die aus den USA stammten, in die Stadt. Heute besteht dort eine gesunde Versammlung von 71 Verkündigern und zwei allgemeinen Pionieren, die mit Eifer das religiöse Bildungswerk an diesem Ort durchführen. Sie alle befanden sich unter den 2 000 Anwesenden beim Kreiskongreß in San José, und einige von ihnen nahmen am Programm teil.
Die Zeit vergeht schnell, und der Bezirksaufseher sagt uns, daß wir wieder einmal leichte Kleidung einpacken sollen. Der dritte und der vierte Kongreß werden in der warmen pazifischen Küstenebene stattfinden.
GEISTIGES WACHSTUM IN DER PAZIFISCHEN KÜSTENEBENE
Wir sitzen in einem komfortablen Bus und fahren auf einer modernen Landstraße an Zuckerrohrfeldern vorbei. Obwohl das Klima in der pazifischen Küstenebene ziemlich warm ist, gibt es hier keinen tropischen Dschungel. Das Land ist trockener, und Regenfälle sind seltener. Bald kommen wir in Puntarenas an, dem wichtigsten Hafen und Erholungsort Costa Ricas.
Ein reisender Ältester kommt zu unserer Begrüßung. Er berichtet uns, daß die Königreichsverkündiger in diesem Gebiet alles daransetzen, jeden zu erreichen, der daran interessiert sein könnte, etwas über das Königreich zu erfahren. Dazu gehört, daß die Versammlung Puntarenas regelmäßig ein biblisches Bildungsprogramm auf der berühmten Strafinsel San Lucas durchführt.
Vor einigen Jahren bezogen zwei junge Sträflinge auf San Lucas — der eine ein überführter Dieb und der andere wegen Mordes zu einer langen Haftstrafe verurteilt — zur Freude derer, die ihnen geduldig geholfen hatten, entschieden Stellung als Christen. Einer der Männer berichtet: „Stellt euch vor, welchen Eindruck es auf die anderen Sträflinge gemacht haben muß, als die Brüder gleich in mehreren Booten kamen, nur um mich und einen anderen interessierten Gefangenen zu besuchen. Natürlich sprachen sie mit anderen Gefangenen und mit den Aufsehern über die Bibel; aber danach verbrachten sie eine lange Zeit damit, uns zu erbauen oder einfach bei uns zu sein. Wie haben uns doch diese Besuche gestärkt! Nachdem uns dann alle Besucher wieder verlassen hatten, versuchten mein Kamerad und ich, Sträflinge und Aufseher genauso zu belehren, wie wir es bei den Brüdern beobachtet hatten. Jahre später erfuhren wir, daß zwei der Aufseher, bei denen wir den ersten Königreichssamen ausgesät hatten, Zeugen Jehovas geworden waren. Wegen guter Führung wurde meine Haftstrafe ständig verkürzt, und nach nur dreieinhalb Jahren wurde ich freigelassen.“ Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis machten die beiden jungen Männer auch weiterhin gute Fortschritte, ließen sich später taufen und sind heute treue Diener Jehovas.
Nachdem wir den Kongreß in Puntarenas besucht haben, reisen wir weiter nach Norden in Richtung nicaraguanische Grenze. Wir werden auf einem Kreiskongreß in der Provinz Guanacaste zugegen sein, wo es ausgedehnte Haziendas (Farmen) und große Viehherden gibt. Es sind viele Vaqueros (Cowboys) zu sehen. Die Leute sind hier im allgemeinen recht großzügig und gastfreundlich. Wenn die Brüder von Haus zu Haus Zeugnis geben, bittet man sie oft, sich zu setzen und etwas Pinolillo zu trinken — ein aus gemahlenem Mais hergestelltes kaltes Getränk. Viele dieser einfachen Menschen vom Lande hatten niemals die Gelegenheit gehabt, lesen und schreiben zu lernen. Die Unkenntnis der Bibel ist aber noch verbreiteter, und Jehovas Zeugen arbeiten hier hart, um diesen Leuten auf beiden Gebieten zu helfen.
Unsere Reise zu dem Kongreß hat uns in ein Städtchen in den Ausläufern des Vulkans Miravalles geführt. Drei Stunden Fahrt über holprige und staubige Straßen in einem Geländewagen verblassen im Vergleich zu den Strapazen, die viele unserer Brüder auf sich nahmen, um zu diesem Kongreß zu kommen. Ein Ehepaar war zwei Tage zu Pferd unterwegs. Andere mußten 19 Kilometer und mehr zu Fuß gehen, um einen Bus zu erreichen. Einige verkauften ein Kalb oder ein Schwein, um das Geld für die Fahrt aufbringen zu können. Die 300 Anwesenden waren jedoch der Ansicht, daß das Programm all die Mühen wert war, die sie sich gemacht hatten, um den Kongreß zu besuchen.
Wir freuen uns, als man uns von drei leiblichen Brüdern erzählt, deren Eltern keine Zeugen Jehovas sind. Die jungen Männer nahmen aber dennoch die Wahrheit ernst und ließen sich taufen. Anstatt nun ihr Vermögen zu vergrößern, indem sie auf der Farm, die in ihren Besitz übergegangen war, Rinder gezüchtet hätten, verkauften sie die Farm. Mit dem Geld, das sie dafür erhielten, bestritten sie ihren Lebensunterhalt im Vollzeitdienst als Bibelunterweiser. Heute sind Abner, Ezer und Eliud glückliche Sonderpioniere, die mithelfen, in abgelegenen Teilen des Landes Versammlungen des Volkes Gottes zu gründen.
Wir sind überzeugt, daß sich unsere vierwöchige Reise mit dem Bezirksaufseher wirklich gelohnt hat. Der unberührte Regenwald, die hohen, in Nebel gehüllten Vulkane, die grünen Bananenplantagen und das trockene, gelbe Gras der ausgedehnten Haziendas haben uns sehr gut gefallen. Besonders freuen wir uns darüber, daß wir das friedliebende Volk Costa Ricas, des Landes der vielen Gegensätze, besser kennengelernt haben. Auch die Gemeinschaft mit Jehovas christlichen Zeugen hat uns sehr viel gegeben. Sie nehmen an dem wichtigsten Bildungswerk teil, das heute auf der Erde durchgeführt wird. Diejenigen, die günstig darauf reagieren, werden „von Jehova Belehrte sein“, und ihr Friede wird überströmend sein (Jes. 54:13).