Obadja prophezeit wider Selbsterhöhte
SATAN war der erste, der sich selbst erhöhte. „Hoch über die Sterne Gottes [will ich] meinen Thron erheben“, sagte er in seinem Herzen und fügte begehrlich hinzu: „mich gleich machen dem Höchsten.“ Wie ist er vom Himmel gefallen! Wie wird er bald in den Abgrund des Grabes stürzen! (Jes. 14:12-15; Off. 20:1-3) Durch seine schlaue Verführung verleitete er das erste Menschenpaar, sich gleich Göttern hoch zu erheben; aber das Ergebnis war ein Sturz in Sünde und Tod. Bei diesem Sturz in Vergehungen rissen sie das ganze Menschengeschlecht mit. In der nachfolgenden Erniedrigung zogen die Menschengeschöpfe nicht in Demut eine Lektion aus ihren Fehlern; sie lernten nichts aus den harten Schlägen der Erfahrung, sondern fielen, als Folge von Stolz und Selbsterhöhung, zu ihrem Schaden tiefer und tiefer. Bis in unser zwanzigstes Jahrhundert hinein haben die Menschen nicht durch Erfahrung gelernt, diese Schlinge zu meiden, im Gegenteil, die Verwegenen und Hochmütigen unter ihnen mehren sich in diesen „letzten Tagen“. (2. Tim. 3:1, 4) Ja, einige Arrogante ahmen selbst die Torheit Satans nach, indem sie sich über Jehova Gott erhöhen und behaupten, dass sie Gott täglich von seinem himmlischen Throne auf die Erde herabbefehlen, um ihn auf einem Religionsaltar zu opfern!
Doch nicht alle Menschen sind in die Schlinge gegangen, die den törichten Satan zu Fall brachte. Nicht alle haben höher von sich gedacht, als sich zu denken gebührt. Neben den vielen, die sich selbst erhöhen und die zur bestimmten Zeit erniedrigt werden, gibt es einige wenige, die sich selbst erniedrigen und die zur bestimmten Zeit von Gott erhöht werden. Ein auffallender Gegensatz aus der Vergangenheit beweist dies. Man versetze sich zurück in die Zeit etwa sechshundert Jahre vor der Geburt Jesu. Jerusalems Sturz durch den König von Babylon im Jahre 607 v. Chr. hat stattgefunden. Obadja proklamiert eine Untergangsbotschaft wider das stolze und hochmütige Edom, doch befindet sich Obadja selbst in scharfem Gegensatz zu den erhabenen Edomitern.
Der Name Obadja bedeutet „Knecht Jahs“, und diese blosse Andeutung eines Aufschlusses über den Mann ist auch schon dessen Ende. Das biblische Buch, das den Namen Obadja trägt, das kürzeste Buch in den hebräischen Schriften, beginnt einfach mit den Worten „Gesicht Obadjas“. Etwas weiteres über den Mann ist nicht zu finden. Aus welchem Stamm, wann und wo er geboren wurde, sein Stand im Leben — nichts von diesen Einzelheiten über seine Person erscheint. Aus fernem Altertum ist eine Menge von Meinungen über die Person Obadjas vorhanden. Aber gerade ihre Verschiedenheit und ihre Widersprüche bilden den stärksten Beweis von ihrer Wertlosigkeit. Obadja verfasste keine eigene Lebensbeschreibung, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ausser dem Umstand, dass er ein Diener Jahs war, nahm er sich selbst nicht wichtig. Er leitete seine Prophezeiung mit den Worten ein: „So spricht der Herr, Jehova“, und das verbürgte die Glaubwürdigkeit seiner Worte und enthob Menschenhände der Verantwortung dafür, auch wenn Menschenlippen sie verkündigten. Es ging nicht an, dass die Person des Menschen, der die Botschaft schrieb, mit dieser konkurrierte: die ungeteilten Geisteskräfte mussten ganz auf die Prophezeiung gerichtet sein!
Nachrichten von Jehova und ein Gesandter, der unter die Nationen geschickt wurde, kündigten an: „Machet euch auf, und lasst uns wider dasselbe aufstehen zum Kriege!“ Obwohl Edom sich sehr aufgebläht hatte, machte Gott es klein; obwohl es vor Stolz aufgeblasen war, bezeichnete Jehova es als verachtet. Seinem hochmütigen Geist wird der Kampf angesagt durch die Worte des Höchsten: „Der Übermut deines Herzens hat dich verführt, der du in Felsenklüften, auf hohem Sitze wohnst und in deinem Herzen sprichst: Wer wird mich zur Erde hinabstürzen? Wenn du dein Nest auch hoch baust wie der Adler, und wenn es zwischen die Sterne gesetzt wäre: ich werde dich von dort hinabstürzen, spricht Jehova.“ — Obad. 1-4.
Die Edomiter liessen sich zufolge der Lage ihres Heimatlandes durch den Hochmut ihrer Herzen verführen. Das wilde, zackige Gebirge Seir, eine wirre Masse von zerklüfteten Felsen, Flühen, Riffen und gezähnten Berggräten erstreckte sich südlich vom Toten Meer und erhob sich östlich von der Araba. Diese Bergfestung von Kalk- und Sandstein und Porphyr ragte mehr als neunhundert Meter über der Araba-Ebene empor, und die schmalen Pfade, die sich um die Felsabhänge wanden, machten ein Eindringen ins Land zu einem Wagestück. In den höchsten Klüften lag gleich dem Nest eines mächtigen Adlers die Hauptstadt. Sie wurde Sela und später Petra genannt, und die beiden Namen bedeuten im Hebräischen beziehungsweise Griechischen „Fels“. Sie lag in einer natürlichen Einsenkung von etwa anderthalb Kilometer Länge und etwa achthundert Meter Breite, die mit schroffen Felswänden von rötlichfarbenem Sandstein umgeben war und in welche Tälchen und Schluchten mündeten. Über sie türmte sich gleich einer mächtigen, schweigenden Schildwache der Berg Hor. Ein Teil der Stadt war ins Felsmassiv eingehauen. Die Zugänge dazu führten über Bergpässe und Schlünde. Kein Wunder, dass die Edomiter sich in ihren hohen Felsenwohnungen sicher fühlten!
Wenn aber auch ihre nächsten Nachbarn die Adler waren, die über den Schluchten kreisten und kreischten, wenn auch ihre nahen Gefährten die Sterne waren, die fast zum Greifen nahe über ihnen zu schweben schienen, wollte doch Jehova dafür sorgen, dass die arroganten Edomiter von ihrem hohen Sitz hinabgestürzt würden. Und zwar nicht etwa durch ein gemächlich ernüchterndes Hinuntergleiten, das ihnen als Lehre dienen sollte, nicht durch ein teilweises Erniedrigen, wodurch ihren hochmütigen Köpfen Verstand eingehämmert werden sollte, nein sondern durch einen unaufhaltsamen Sturz bis zum Grunde der Grabestiefe! Diebe stehlen nicht alles, und Traubenleser lassen zur Nachlese etwas zurück, doch die früheren Verbündeten werden diese edomitischen Nachkommen Esaus umzingeln und sie all ihrer verborgenen Schätze berauben. Die Weisheit ihrer Weisen wird zunichte werden und der Verstand ihrer Verständigen verschwinden, und die mächtigen Kriegerscharen werden verzagt dastehen, alles, damit diese Selbsterhöhten durch Ermordung ausgerottet werden. — Obad. 5-9.
Weshalb denn? Nur weil sie in Bergklüften weilten? Nur weil sie die hochgelegenen Schlupfwinkel der Adler liebten? Weil sie so nah den Sternen des Himmels wohnten? Nein, natürlich nicht. Wohl nährte diese natürliche Umgebung ihren eitlen Wahn, unbesiegbar zu sein, bestärkte sie in ihrer Selbstsicherheit und förderte die Fabel von ihrer Unbezwinglichkeit. Mit prophetischem Finger aber wies Obadja auf ihre Sünde hin, deren Folgen sie ereilen und sie in die Vernichtung stürzen würden. In den Versen 10-15 beschreibt er ihr Geschick und dessen Ursache:
„Wegen des Frevels an deinem Bruder Jakob bedeckt dich Schande und wirst du auf immer vernichtet. Damals, als du dabeistandest, da Fremde sein Gut wegführten und Ausländer in seine Tore drangen und über Jerusalem das Los warfen, da warst auch du wie einer von ihnen. Weide dich nicht an deinem Bruder am Tage seines Unglücks, freue dich nicht über die Söhne Judas am Tag ihres Untergangs und reisse dein Maul nicht auf am Tage der Not. Dringe nicht ein in das Tor meines Volkes am Tage seines Verderbens, weide nicht auch du dich an seinem Unglück am Tage seines Verderbens, strecke die Hand nicht aus nach seinem Gut am Tage seines Verderbens. Stelle dich nicht an den Scheideweg, um seine Flüchtlinge niederzumachen, und liefere seine Entronnenen nicht aus am Tage der Not. Denn nahe ist der Tag des Herrn über alle Völker. Wie du getan hast, wird dir geschehen; deine Tat fällt zurück auf dein Haupt.“ — rev. Zürcher B.
In den Tatsachen, die diese Anklagen stützen, erblicken wir den Grund zur Vernichtung der Edomiter. Sie waren Abkömmlinge Esaus, während die Israeliten von Jakob abstammten; und Esau und Jakob waren Zwillingsbrüder. Daher kommt es, dass die an den Israeliten verübte Gewalttat als „an deinem Bruder Jakob“ verübt erwähnt wird. Aus dem Zusammenhang zu schliessen, scheinen die hier gerügten Gewalttaten sich auf die Zeit zu beziehen, da Jerusalem im Jahre 607 v. Chr. in die Hand Babylons fiel. Nicht nur standen die Edomiter damals billigend daneben, sondern sie spornten die Eroberer noch an, die Verödung zu vollenden: „Gedenke, Herr, den Söhnen Edoms den Unglückstag Jerusalems, wie sie riefen: ‚Reisst nieder, reisst nieder bis auf den Grund!‘ “ (Ps. 137:7, Menge) Als die Eroberer über die Beute Jerusalems Lose warfen, waren die Edomiter „wie einer von ihnen“ und kamen herbei, um mitzuplündern, und streckten ihre Hand aus nach einem Teile der Beute. Ja noch mehr: Sie sperrten Hauptstrassen und Pässe ab, um Entrinnenden den Weg abzuschneiden, und lieferten fliehende Juden den Chaldäern aus. Die Edomiter förderten die unter den Juden angerichtete Verwüstung, und eine ebenso vollständige und bleibendere Verwüstung sollte auf ihre eigenen Häupter zurückfallen.
Für die Juden sollte eine Wiederherstellung und für Jerusalem und Juda ein Wiederaufbau kommen: „Auf dem Berge Zion werden Entronnene sein, und er wird heilig sein; und die vom Hause Jakob werden ihre Besitzungen wieder in Besitz nehmen. Und die vom Süden werden das Gebirge Esaus, und die von der Niederung die Philister in Besitz nehmen; und sie werden das Gefilde Ephraims und das Gefilde Samarias, und Benjamin wird Gilead in Besitz nehmen; und die Weggeführten dieses Heeres der Kinder Israel werden in Besitz nehmen, was den Kanaanitern gehört bis nach Zarephath hin; und die Weggeführten von Jerusalem, welche in Sepharad sind, die Städte des Südens. Und es werden Retter auf den Berg Zion ziehen, um das Gebirge Esaus zu richten; und das Reich wird Jehova gehören.“ (Obad. 17, 19-21, Fussn.) Für Edom aber keine solche Wiederherstellung! — „Denn das Haus Jakob wird ein Feuer sein, und Josephs Haus eine Flamme, und Esaus Haus wird sein wie Stroh, das angezündet und verzehrt werden muss, bis keine Seele vom Hause Esaus übrig ist.“ — Obad. 18, Moffatt, engl.
Obadjas Prophezeiung wider Edom erfüllte sich im Kleinen. Der Beweis hierfür ist die Hauptstadt Petra, die angeblich uneinnehmbare Festung, die in einer Felsenkluft eingehauen war. Heute ist sie ein unbewohntes Überbleibsel der fernen Vergangenheit. Das Vorbild-Edom ist für immer ausgerottet worden. Seine Ausrottung begann mit dem Einfall des Heeres Nebukadnezars etwa fünf Jahre nach Jerusalems Sturz. Mehr als hundertfünfzig Jahre später weist Maleachis Prophezeiung auf den Sturz Edoms hin. (Mal. 1:2-5) Schliesslich kam der Untergang, der Edom prophezeit war, so buchstäblich, dass jene Nationalität für immer verlorenging. Nicht nur kündigte Jehova diesen drohenden Untergang durch Obadja an, sondern ungefähr in derselben Zeitperiode liess er noch durch zwei andere Zeugen, durch Jeremia und Hesekiel, Zeugnis geben. — Jer. 49:7-22; Klagel. 4:21, 22; Hes. 35:1-15.
Die Nachkommen Esaus verloren das Geburtsrecht auf Gottes Königreich, weil Esau ihm so geringen Wert beigemessen hatte. Er dachte eher an seinen eigenen Leib und seine Bequemlichkeit, an ein Linsengericht, als an das Königtum. Die Edomiter folgten danach in den Fussstapfen ihrer Vorfahren, indem sie dem Reiche Gottes keinen Wert beimassen und jenen, die es taten, mit Eifersucht, Neid und Gewalttat begegneten. Stolz und hochmütig erhöhten sie sich selbst und schauten spottend und arrogant auf die Juden herab. Aber Jehova erniedrigte sie zu seiner Zeit. Ebenso wird es denen ergehen, die sich in unserem zwanzigsten Jahrhundert erhöhen, und besonders den arroganten Religionsführern der Christenheit. Gleich den Edomitern hatten sie eine Gelegenheit, für das durch Christus regierte Königreich Jehovas einzutreten, doch wollten sie ihre Person nicht zurückstellen und einfach als Knechte Jahs bekannt sein. Sie begehrten Aufmerksamkeit, Verherrlichung, Titel, Erhöhung; und eifersüchtig stachelten sie die Verfolger der wahren Zeugen Jehovas an. Obwohl sie sich gleich Heiligen und Göttern erhöhen, werden sie so tief erniedrigt werden wie die Edomiter und Satan selbst, wenn sie in Harmagedon in die Gehenna der Vernichtung hinabsinken werden.