-
Nutzen ziehen aus der unverdienten Güte GottesDer Wachtturm 1962 | 1. November
-
-
längere Zeit dauerte. Ich kann nun verstehen, was der Apostel Paulus empfunden haben muß, der auch mit einem Leiden behaftet war. Er nannte es einen „Dorn im Fleisch“ und wäre gern davon befreit gewesen, aber der Herr sagte zu ihm: „Meine unverdiente Güte genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollkommen gemacht.“ (2. Kor. 12:7-9, NW) Selbst mein Leiden, meine Schwachheit, bot mir Gelegenheit, dem Krankenhauspersonal und anderen Patienten, die alle sehr freundlich zu mir waren, ein gründliches Zeugnis zu geben.
Weit über vierzig Jahre sind verflossen, seitdem ich in das finnische Zweigbüro der Wachtturm-Gesellschaft eintrat, mir scheint es jedoch eine kurze Zeit gewesen zu sein. Ich habe meine Musikerlaufbahn aufgegeben, aber ich bin heute überzeugt, daß das Streben nach materiellen Gütern oder Berühmtheit nicht wahrhaft glücklich machen kann. Ich weiß, daß mich das Singen des Lobes und Preises Gottes viel glücklicher gemacht hat. Und meine Freude an Fremdsprachen bedeutet mir heute noch mehr als damals in meiner Jugend, denn ich habe das Vorrecht, beim Übersetzen der Botschaft des Lebens in die Sprache des Volkes, unter dem ich lebe, mitzuhelfen. All diese Vorrechte, die ich Gottes unverdienter Güte verdanke, haben mir viel Freude gebracht und mir auch Gelegenheit gegeben, meine Freude mit anderen zu teilen.
-
-
Der frühchristliche KodexDer Wachtturm 1962 | 1. November
-
-
Der frühchristliche Kodex
DAS gedruckte Buch ist so sehr zu einem Bestandteil der heutigen Zivilisation geworden, daß wir es selbstverständlich hinnehmen und oft vergessen, daß es noch vor erst zweitausend Jahren fast völlig unbekannt war. Die Schriftwerke erschienen damals noch in Rollen, die sechs bis neun Meter lang und ungefähr 25 cm hoch waren. Eine solche „Rolle des Buches“ bestand aus einer Anzahl zusammengeleimter Tierhäute oder Papyrusblätter. (Ps. 40:7) Der Text war in Spalten geschrieben, die auch die Seiten bildeten. (Jer. 36:23) Das englische Wort volume (lat. volumen), das unserem deutschen Wort „Band“ entspricht, bedeutet buchstäblich etwas, was aufgewickelt oder aufgerollt ist. Wir können uns also gut vorstellen, wie Jesus in der Synagoge von Nazareth aufstand und sich vom Hazzan oder Diener die Rolle des Propheten Jesaja geben ließ und sie dann mit der einen Hand geschickt ausrollte und mit der anderen wieder aufrollte, bis er zu der gewünschten Stelle kam. — Luk. 4:16, 17.
Doch dann kam etwas anderes: der Kodex. Zunächst erschien er nur vereinzelt, wurde jedoch immer beliebter und verdrängte die Rolle schließlich fast vollständig. Was ist ein Kodex? Einen Baumstamm nannte man „caudex“. Diese Bezeichnung wandte man auch auf die mit erhöhten Rändern versehenen Holztafeln an, die mit Wachs ausgegossen und dann mit einem Schreibstift, der einem Schülergriffel glich, beschrieben wurden. (Jes. 8:1) Im 5. Jahrhundert v. Chr. begann man, mehrere Tafeln durch Riemen, die man durch Löcher zog, miteinander zu verbinden. Da diese zusammengebundenen Tafeln einem Baumstamm glichen, nannte man sie Kodex.
Wir können uns vorstellen, daß es sehr umständlich war, diese großen Bücher aus Holztafeln herumzutragen. Kein Wunder, daß man sich nach einem leichteren, biegsameren Beschreibstoff umsah. Die Römer entwickelten das Pergament-Notizbuch, das ein Zwischending war zwischen dem Tafel- und dem späteren Buch-Kodex. Mit dem Aufkommen eines anderen Beschreibstoffs und einer anderen Buchform entstand die Frage, wie das neue Format bezeichnet werden sollte. In der lateinischen Sprache bezeichnete man das Pergament-Notizbuch als membrana,1 und dieses Wort gebrauchte auch Paulus, als er darum bat, man möchte ihm „die Bücher, besonders die Pergamente [membranas]“, mitbringen. (2. Tim. 4:13) Paulus gebrauchte dieses lateinische Wort — und zwar sogar in lateinischem Sinn — offenbar nur deshalb, weil es dafür noch kein griechisches Wort gab. Später übertrug man das Wort „codex“ in die griechische Sprache und bezeichnete damit das Buch.
CHRISTEN ENTWICKELN DEN KODEX
Wo entstand nach den vorhandenen Beweisen der Kodex? F. G. Kenyon, Assistent im Manuscript Department des Britischen Museums, schrieb 1898, daß Hand in Hand mit dem Kodex auch das Pergament immer gebräuchlicher geworden sei — besonders im 4. Jahrhundert n. Chr. — und der Papyruskodex eigentlich nur ein Versuch gewesen sei, sich aber nicht bewährt habe.2 Es waren bis dahin eben noch nicht viele Papyrushandschriften gefunden worden, und die ersten drei Jahrhunderte unserer Zeitrechnung waren noch ein beinahe unbeschriebenes Blatt in der Geschichte des biblischen Schrifttums. Papyrus hält den Unbilden der Zeit und der Witterung nur in einem sehr trockenen Klima stand. Die Papyrologen mußten sich somit Gebieten zuwenden, die diese Voraussetzung erfüllten: der Landschaft um das Tote Meer und Ägypten. Das haben sie auch getan, und seither hat sich das Bild wesentlich verändert — dank Ägyptens trockenem Sand! Die vielen Funde, die im Verlauf von sechzig Jahren besonders in den Trümmern der Stadt Oxyrhynchos und im alten Faijum gemacht wurden, haben die Lücke dreier Jahrhunderte fast gänzlich geschlossen und den Wert des Papyrus-Kodexes besser erkennen lassen.
Besonders beachtenswert ist die Tatsache, daß es sich bei fast allen biblischen Papyri der christlichen Zeit, die man gefunden hat, um Kodexe handelt. Das führte zu der interessanten Schlußfolgerung, daß man „den Kodex für die christlichen Schriften für besonders geeignet hielt, während die klassischen Schriften noch lange in Rollenform in Umlauf waren“.3 Nach Ermittlungen, die vor kurzem angestellt worden sind, besteht das aus dem 2. Jahrhundert stammende nichtchristliche Schrifttum mit Ausnahme von nur etwa 2,4 Prozent aus Rollen (11 Kodexe und 465 Rollen). Die Bibelhandschriften aus dem 2. Jahrhundert dagegen sind alle in Kodexform. Man hat nur eine einzige, spätere Handschrift der Psalmen, die nachweisbar christlichen Ursprungs ist, in Rollenform gefunden.4 Heute sind in den verschiedenen Museen und Sammlungen der ganzen Welt über hundert Papyrus-Bibelkodexe (von einigen nur Fragmente) aus der Zeit vor dem Ende des 4. Jahrhunderts vorhanden. Die ersten Christen haben die Rolle tatsächlich schon früh durch den Kodex ersetzt.
BIBELHANDSCHRIFTEN DES 2. JAHRHUNDERTS
Wieso kann aber gesagt werden, eine Handschrift stamme aus dem 2. Jahrhundert? Erscheint auf dem ersten Blatt ein Datum? Das Datum ist nur bei sehr wenig alten Handschriften erhalten geblieben, und bei vielen ist es sogar nicht einmal zuverlässig. Auch heutzutage erscheint das Veröffentlichungsdatum oft nur auf der Titelseite, und wenn diese Seite zerfällt, ist es unter Umständen schwierig, genau festzustellen, wann das Buch erschienen ist. In der Hinsicht hat die Handschrift dem gedruckten Buch gegenüber gewisse Vorzüge.
Die Paläographie — die Lehre von den alten Formen der Buchstabenschrift und von der Entzifferung alter Schriftwerke — liefert uns die Antwort. So wie unsere heutigen Sprachen durch kaum merkbare Abweichungen im Gebrauch geformt werden, war es auch in den ersten Jahrhunderten. Ein sorgfältiger Vergleich von Dutzenden kleinen Merkmalen kann daher zur Ermittlung der Entstehungszeit einer Handschrift auf vierzig bis fünfzig Jahre genau führen. Kleine Zwischenräume zwischen den Wörtern, sparsam verwendete Satzzeichen und verschiedene Abkürzungen haben geholfen, bestimmte Epochen zu erkennen. Man hat anhand von nichtliterarischen Papyri, wie Quittungen, Briefen, Gesuchen und Kaufverträgen, die genau datiert waren, Tafeln mit charakteristischen Buchstaben erstellt, die für die Vergleiche eine gute Grundlage bilden. In dem Bruchstück des Johannesevangeliums, das als P52 bekannt ist, hat der Schreiber gewisse Striche mit einem Häkchen oder einem kleinen Schnörkel versehen, bestimmte Zeichen weggelassen, einen besonderen Kreuzstrich verwandt und bestimmte Buchstaben abgerundet: alles bekannte Schreibgewohnheiten der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts.
Zwölf Papyrus-Kodexe sollen nach den meisten Forschern, wenn auch nicht nach allen, aus dem 2. Jahrhundert stammen. Da diese Papyri nicht nur wegen ihres Alters, sondern auch als erste Kodexe sehr wertvoll sind, führen wir sie nebenstehend auf.
WIE EIN KODEX ENTSTAND
Bei einer näheren Betrachtung eines Kodexes stellt man einige interessante Merkmale fest. In der ersten Zeit bestand der Kodex aus einer großen Lage von Blättern, die aufeinandergelegt und dann einmal gefalzt wurden. Das als P5 bekannte Bruchstück besteht aus einem Doppelblatt. Das eine Blatt enthält einen Teil des 1. Kapitels des Johannesevangeliums, das andere das 20. Kapitel. Wenn dieser Kodex alle dazwischenliegenden Kapitel enthielt, dann müßte er aus einer Lage von etwa fünfzig Blättern bestanden haben. Der Jesaja-Kodex aus der Chester-Beatty-Sammlung bestand ursprünglich aus einer einzigen Lage von 112 Blättern. Bei einem solchen Kodex waren die innersten Blätter oft beschnitten, damit sie nicht vorstanden, wenn er zugeklappt wurde. Die Spalten auf den inneren Blättern waren daher schmaler als die auf den äußeren. Andere Kodexe wurden wieder ganz anders hergestellt. Man verwandte dabei Lagen, die nur aus einzelnen Bogen bestanden, das heißt, die Bogen wurden zuerst alle einzeln gefalzt und dann aufeinandergelegt und zusammengeheftet. Doch keine dieser beiden Methoden bewährte sich. Lagen aus vier oder fünf Bogen (acht bis zehn Blätter) schienen sich am besten zu bewähren. Einige Kodexe bestehen aus verschieden großen Lagen, so zum Beispiel der Kodex Bodmer Johannes P66. Von den fünf vorhandenen Lagen bestehen drei aus je fünf, eine aus vier und die letzte aus acht Bogen. Der fehlende Teil des sechsten Kapitels war eine Lage, bestehend aus einem einzigen Bogen.
Vielleicht sind die verschiedenen Methoden, die Bogen aufeinanderzulegen, auch eine Sache des persönlichen Geschmacks gewesen. Die einzelnen Bogen bestanden aus zwei Schichten Papyrusfibern, die kreuzweise übereinandergeklebt wurden. Die Fläche der Horizontalfibern galt als Vorderseite (recto), die der Vertikalfibern als Rückseite (verso). Je nachdem, wie die Bogen aufeinandergelegt waren, hatte man, wenn man den Kodex aufschlug, entweder eine Vorder- und eine Rückseite vor sich oder aber zwei Vorder- oder zwei Rückseiten.
Bei einigen der ersten Kodexe, die auf jeder Seite zwei schmale Spalten Text haben, handelt es sich wahrscheinlich um Abschriften von Rollen, bei denen man möglichst wenig von der Anordnung des Originals abgewichen ist. Es kam aber auch vor, daß Texte aus Kodexen auf Rollen abgeschrieben wurden. So schrieb zum Beispiel ein sparsamer Christ den Text aus einem Kodex des Hebräerbriefes auf die Rückseite einer alten Rolle ab, die einen Auszug aus einem Werk von Livius enthielt. Eine solche auf beiden Seiten beschriebene Rolle nennt man Opisthograph.
WARUM DER KODEX BEVORZUGT WURDE
Warum zog man schließlich den Kodex den überall bekannten und gebräuchlichen Rollen vor? Kodexe waren nicht zuerst im Buchhandel erhältlich, und da einige offensichtlich aus aufgeschnittenen Rollen hergestellt worden sind, müssen ihre Hersteller diese ersten nichtfachmännischen Versuche aus ganz bestimmten Gründen unternommen haben. Die vier Evangelien konnten ohne weiteres in einem Kodex untergebracht werden, eine Rolle dagegen wäre sehr unbequem gewesen, denn das Matthäusevangelium wäre etwa neun, das Markusevangelium nicht ganz sechs, das Lukasevangelium etwa neuneinhalb und das Johannesevangelium sieben Meter lang geworden. Es hätte also eine Rolle von über 30 Metern ergeben. Der Chester-Beatty-Kodex der Evangelien und der Apostelgeschichte aus dem 3. Jahrhundert hätte fünf Rollen und der gleichnamige Kodex des 4. und 5. Buches Mose drei Rollen ergeben. In einem Kodex ließen sich auch die Texte viel schneller finden als in einer Rolle, und das war für die Christen sehr wichtig, da sie ihre Bibeln fleißig gebrauchten. Man hat sogar Taschenkodexe gefunden, der kleinste (P. Literary London 204, 3. Jahrhundert, Psalm 2) ist ungefähr 7,5 × 5 cm groß und hat auf jeder Seite zwölf Zeilen. Daß der Kodex eine leicht nachschlagbare Buchform war, wurde schnell erkannt, und
-