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  • Wie steht es um die Religion in der Sowjetunion?
    Erwachet! 1973 | 8. September
    • Folglich ist es notwendig, der Sache ein wenig mehr auf den Grund zu gehen. Vieles muß in Betracht gezogen werden, wenn man versucht, festzustellen, in welchem Zustand sich die Religion in der Sowjetunion heute befindet. Wenn man alle Faktoren berücksichtigt, kann man ganz bestimmte Schlüsse ziehen. Einer dieser Schlüsse mag sehr überraschend für dich sein!

      Eine Hilfe bei dieser Nachforschung ist eine Untersuchung der Geschichte der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in der Sowjetunion. Dadurch können wir besser verstehen, warum gewisse Dinge geschehen sind und wohin die Entwicklung führt.

      Der mächtige Einfluß der Religion

      Wenn man die Geschichte der Religion in der Sowjetunion zurückverfolgt, so muß man den Fußstapfen der russisch-orthodoxen Kirche folgen. Diese ist bei weitem die bedeutendste des Landes gewesen.

      Diese Kirche nahm ihren Anfang im Jahre 988 u. Z., als Wladimir der Große, Großfürst von Kiew, als Mitglied der orthodoxen Kirche getauft wurde. Er soll sich von seiner heidnischen Religion bekehrt haben, um seine Frau Anna zu gewinnen. Sie war die Schwester des Kaisers des damals vorherrschenden Byzantinischen Reiches. Dieses Reich hatte seine Hauptstadt in Konstantinopel, dem Hauptsitz der orthodoxen Kirche.

      Wladimir sagte seinen Untertanen, sie müßten sich alle als orthodoxe Christen taufen lassen. Wer das nicht tat, wurde als Staatsfeind betrachtet. So wurde die russische Kirche von Anfang an von der weltlichen Macht unterstützt. Als das Byzantinische Reich im Jahre 1453 zusammenbrach, erlangte die russisch-orthodoxe Kirche die Unabhängigkeit von Konstantinopel. Später erhielt das religiöse Oberhaupt in Moskau die Stellung eines Patriarchen und hatte somit den gleichen Rang wie der Patriarch von Konstantinopel. Jedoch schaffte Peter der Große im Jahre 1692 die Stellung des Patriarchen ab und beaufsichtigte die Kirche selbst. Und im Jahre 1721 wurde die russisch-orthodoxe Kirche offiziell zur Staatskirche gemacht.

      Im Laufe der Zeit gelangte die Kirche in eine immer engere Verbindung mit der bedrückenden Herrschaft der Zaren (Könige oder Kaiser [von dem lateinischen Wort Caesar]). Die Zaren verlangten, daß sich das Volk der russisch-orthodoxen Kirche unterwarf, und es wurde ungesetzlich, zu einer anderen Religion überzutreten. Die skrupellosen Zaren und die selbstsüchtige Kirche verbanden sich, um das Volk in Unwissenheit und Armut zu halten.

      Aber dann, im März 1917, inszenierten liberalgesinnte politische Gruppen eine Revolution und setzten den Zaren ab. Da es keinen Zaren mehr gab, sah die russisch-orthodoxe Kirche eine Gelegenheit, von der Kontrolle durch den Staat unabhängig zu werden. Und die neue, provisorische Regierung unterstützte diese Bemühungen. Im August jenes denkwürdigen Jahres wurde das Amt des Patriarchen wiedereingeführt. Da die Kirche nun einen neuen Patriarchen, nämlich Tichon, und neuerlangte Freiheit hatte, glaubte man, sie würde mehr Macht erlangen als je zuvor.

      Ein verhängnisvoller Wechsel

      Aber bevor dies eintreten konnte, wehten politische Winde mit der Gewalt eines Orkans in ganz Rußland! Eine weitere Revolution brach im November 1917 aus. Diese brachte die Bolschewiken (später Kommunisten genannt) an die Macht. Sie machten der bestehenden Ordnung, einschließlich der provisorischen Regierung, ein Ende.

      Innerhalb weniger Jahre festigte der Kommunismus unter der Leitung Lenins seine Macht über Rußland und angrenzende Gebiete. Dann, am 30. Dezember 1922, wurde die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) gegründet. Schließlich bestand die Sowjetunion aus fünfzehn Republiken, einschließlich Rußlands, der größten der Republiken. Heute hat die Sowjetunion eine größere Festlandfläche als irgendeine andere Nation. Die Bevölkerung beläuft sich auf fast 250 000 000 und steht damit an dritter Stelle in der Welt nach China und Indien.

      Dadurch, daß die kommunistischen Herrscher mehr als einhundert nationale Gruppen unter ihre Herrschaft gebracht hatten, hatten sie es mit Menschen zu tun, die verschiedenen Glaubensrichtungen anhingen. Natürlich war die russisch-orthodoxe Kirche bei weitem die größte Religionsgemeinschaft. Aber es gab viele weitere, besonders in Gebieten, die erst später unter kommunistische Herrschaft kamen.

      All diese Religionsorganisationen fragten sich nun, welche Stellung sie in Verbindung mit der neuen Regierung einnehmen würden. Das sollten sie sehr bald erfahren. Der gewaltige Wechsel, der im November 1917 begonnen hatte, sollte sie alle mit voller Gewalt treffen.

  • Der Feldzug der Sowjetunion zur Vernichtung der Religion
    Erwachet! 1973 | 8. September
    • Der Feldzug der Sowjetunion zur Vernichtung der Religion

      ALS die Kommunisten die Macht über Rußland erlangten, verloren sie keine Zeit, ihr Vorhaben in bezug auf die Religion bekanntzumachen. Es bestand darin, die Religion aus dem Dasein auszulöschen und das Land in einen atheistischen Staat umzuwandeln.

      Zwar hatte Lenin Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts geschrieben, es solle religiöse Duldsamkeit geben. Aber nachdem die Bolschewiken einmal die Macht ergriffen hatten, war es klar, daß die Regierung die Religion als Feind betrachten und versuchen würde, sie in Vergessenheit zu bringen. In seiner Abhandlung Das Verhältnis der Arbeiterpartei zur Religion sagte Lenin:

      „‚Religion ist Opium für das Volk‘ — diese Erklärung von Marx ist der Eckstein der gesamten Weltanschauung des Marxismus in bezug auf Religion. Der Marxismus betrachtet alle heutigen Religionen und Kirchen, jede einzelne Religionsorganisation, immer als Organe der [feindlichen] reaktionären Kräfte der Bourgeoisie.“

      Der Angriff beginnt

      Gleich nach der Machtergreifung im November 1917 erließ die neue Regierung eine Verordnung, die besagte, daß alle Ländereien, einschließlich des Kircheneigentums, nun das Eigentum des Volkes (in Wirklichkeit der Regierung) seien. Diese Entscheidung ebnete den Weg für die spätere Konfiskation kirchlichen Eigentums.

      Eine andere Verordnung besagte, alle Bürger seien gleich, ungeachtet zu welcher Religion sie sich bekennen würden oder selbst wenn sie sich zu keiner Religion bekennen würden. Die praktische Auswirkung dieser Verordnung bestand darin, daß der Atheismus zugelassen und gefördert werden konnte.

      Anfang 1918 verkündete dann die Regierung die vollständige Trennung der russisch-orthodoxen Kirche vom Staat. Gleichzeitig wurde sämtliches Kircheneigentum von den Kommunisten übernommen. Auch wurde Religionsunterricht in den Schulen verboten. Außerdem wurden alle Zahlungen der Regierung an die Kirchen eingestellt.

      Diese Schritte waren nur ein Teil des Angriffs. Es sollte noch viel mehr kommen. Vom Standpunkt der Regierung aus war es jetzt wichtig, zu ermitteln, was getan werden mußte, um den Sinn der Menschen, besonders der Jugend, zu beeinflussen. In der ersten Verfassung, die im Jahre 1918 angenommen wurde, hieß es: „Allen Bürgern wird das Recht auf religiöse und antireligiöse Propaganda zugestanden.“ Aber die Verfassung wurde 1929 ergänzt, und das „Recht auf religiöse Propaganda“ wurde widerrufen. Während das „Recht auf antireligiöse Propaganda“ aufrechterhalten wurde, wurde den Sowjetbürgern nur das „Recht, sich zu einer Religionsgemeinschaft zu bekennen“, eingeräumt.

      Die Entscheidung vom Jahre 1929 war für die Religion sehr nachteilig. Dadurch wurde allen Religionen verboten, irgendein soziales, erzieherisches oder wohltätiges Werk zu verrichten. Religiöse Gruppen mußten sich daher auf die Gebäude beschränken, die ihnen von den Behörden zugewiesen wurden. Sie konnten nichts tun, um ihre Religion zu verbreiten. Und da den Kindern in den Schulen nun der Atheismus gelehrt wurde, waren die Aussichten für die Religion, auf lange Sicht gesehen, sehr schlecht.

      Die Auswirkungen

      All diese gesetzlichen Schritte und die feindliche Einstellung der Regierung verfehlten ihre Wirkung nicht. Von den ersten Wochen der Revolution an wurden die Kirchen im ganzen Land angegriffen. Kirchengebäude wurden ausgeplündert, abgerissen oder in Fabriken, Warenhäuser, Versammlungssäle oder Museen umgebaut.

      Nicht nur die orthodoxe Kirche wurde davon betroffen. Auch andere Religionen wurden angegriffen. Zum Beispiel wurden römisch-katholische Geistliche ins Gefängnis gesteckt, das Kircheneigentum wurde beschlagnahmt, und der katholische Schulunterricht wurde eingeschränkt. Es war allgemein üblich, daß die Kommunisten Priestervereinigungen gründeten, die nur Moskau treu waren, so daß die Autorität des Papstes untergraben wurde.

      Unter dem schweren Druck verschwanden einige Religionen völlig von der Bildfläche. Eine davon war die unierte Kirche. Diese Kirche war aus einer Verbindung des Katholizismus mit der orthodoxen Kirche hervorgegangen. Sie hatte besonders unter den Ukrainern viele Anhänger. Aber die Geistlichen, die dem Kommunismus widerstanden, wurden eingesperrt oder verbannt. Andere Geistliche sagten sich vom Papst los, verließen ihre Religion und unterstellten sich dem orthodoxen Patriarchen von Moskau.

      Hand in Hand mit der Beschlagnahme von Kircheneigentum, der Inhaftierung oder Verbannung widerstandleistender Geistlicher und dem Schließen von Kirchen ging ein großangelegter Erziehungsfeldzug, für den Presse, Radio, Filme und die Schulen gebraucht wurden. Besonders verheerend war die antireligiöse Atmosphäre in den Schulen. Typisch für die Belehrung war ein Schulbuch für Neunjährige, das in der Sowjetunion veröffentlicht wurde und in dem es hieß:

      „Das Studium der Gesetze, die bei der Entwicklung der organischen Welt eine Rolle spielten, hilft uns bei der Erarbeitung der materialistischen Idee ...

      Außerdem wappnet uns diese Lehre für den antireligiösen Kampf, indem sie uns die materialistische Erklärung für das Vorhandensein eines Zweckes in der organischen Welt gibt und gleichzeitig beweist, daß der Mensch von niederen Tieren abstammt.“

      Die Kinder waren in der Gewalt ihrer atheistischen Lehrer. Und die Eltern, die Kirchgänger waren, waren im allgemeinen nicht in der Lage, diesem Einfluß entgegenzuwirken. Die meisten dieser Eltern wußten wenig oder gar nichts über die Gründe für die Lehren und Bräuche ihrer eigenen Religion. Daher waren sie sehr schlecht ausgerüstet, gegen diese Flut anzukämpfen.

      Außerdem wurden große Organisationen für die Jugend gegründet. Da waren die „Jungen Pioniere“ für Kinder und die „Union der kommunistischen Jugend“ für die Sechzehn- bis Dreiundzwanzigjährigen. Diese Organisationen waren von Marx’ und Lenins Ideen geprägt. Es war zwar nicht obligatorisch, diesen Organisationen beizutreten, aber der soziale Druck, sich anzupassen, war ungeheuer groß. Der natürliche Wunsch junger Menschen, ein Teil dessen zu sein, was populär ist, hatte seine Folgen.

      Als die Kommunisten einmal an der Macht waren, machten sie es sich daher zur Aufgabe, die traditionelle Religion auszurotten. Und von 1917 an kämpften sie ein Vierteljahrhundert lang mehr oder weniger heftig gegen die Religion.

      Warum so antireligiös?

      Viele Menschen in anderen Ländern waren über diese Angriffe entsetzt, nicht aber das gesamte russische Volk. Ein großer Teil des russischen Volkes sah die Geschehnisse als eine Vergeltung für die Verbrechen an, die die Kirchen begangen hatten.

      Wenn man verstehen will, was viele Russen empfanden, muß man daran denken, daß die Kirchen, besonders die orthodoxe Kirche, bei der Bedrückung des Volkes durch die Zaren eine wesentliche Rolle gespielt hatten. Um ihres eigenen selbstsüchtigen Vorteils willen hatte die Geistlichkeit jahrhundertelang die Herrscher umschmeichelt, die Bedürfnisse des Volkes ignoriert und es in Unwissenheit gehalten. Die Mehrheit des Volkes wurde von den Herrschern und den begüterten Klassen praktisch in Sklaverei gehalten. Die Geistlichkeit sorgte dafür, daß das so blieb. Viele Geistliche waren habgierig, unmoralisch und machthungrig.

      Historiker anerkennen, daß insbesondere die orthodoxe Kirche sehr korrupt war. In dem Buch House Without a Roof schreibt Maurice Hindus:

      „Der Batüschka [Priester] des Dorfes war oft selbst ein ungebildeter Mann, er war dem Wodka ergeben und nicht abgeneigt, eine attraktive Frau aus seiner Gemeinde zu verführen. ...

      Der Muschik [Bauer] ... lernte aus den Geschichten und Balladen wandernder Bettler und Pilger mehr über Gut und Böse als vom Gemeindepriester. ...

      Die verhängnisvolle Schuld der russischen Kirche bestand in ihrer völligen Unterordnung unter den zaristischen Staat und in ihrer Unterwürfigkeit ihm gegenüber, wodurch, nach den Worten Miljukows, ,alle Keime der Religion erstickt wurden‘.“

      Dieser Autor führte auch die Worte des russischen Literaturkritikers Wissarion Belinski an, der schrieb: „Ist der Priester in den Augen aller Russen nicht das lebendige Symbol der Schlemmerei, des Geizes, der Speichelleckerei und der Schamlosigkeit?“

      Der verstorbene russische Philosoph N. Berdjajew nahm in dem Buch The Origin of Russian Communism [Der Ursprung des russischen Kommunismus] darauf Bezug, daß die orthodoxe Kirche die Streitmacht der Zaren dazu gebrauchte, ihre eigenen Interessen zu fördern, und schrieb:

      „Kann der Klerus solche antichristliche ,Politik‘ rechtfertigen? Warum wendet er Gewalt an, statt Taten der Liebe zu verrichten? ... Wir beobachten mit Verwunderung den Zusammenschluß von Kirche und Staat in diesem hassenswerten Werk. Gerade diese Unterwürfigkeit der Kirche gegenüber dem Staat hat dazu geführt, daß so viele Menschen ihren Glauben verloren haben.“

      Daß die Sünden der Religion zu einem großen Teil für das verantwortlich sind, was in Rußland geschehen ist, wird sogar von religiösen Führern selbst zugegeben. Ein Theologe in einem kommunistischen Land sagte in einem Bericht, der von der Zeitschrift Harper’s gedruckt wurde:

      „Ich bin kein Kommunist, ich bin Christ. Aber ich weiß, daß wir Christen allein für den Kommunismus verantwortlich sind. Wir hatten in der Welt einen Auftrag zu erledigen, und Jesus Christus ließ uns nicht im Zweifel darüber, worin er bestand. Wir haben versagt. Wir ,redeten wohl, aber handelten nicht entsprechend‘. ... Man sollte daran denken, daß die Kommunisten einmal Christen waren. Wessen Fehler ist es, wenn sie nicht an einen gerechten Gott glauben?“

      Zweifellos hat die Korruption der Kirchen in Rußland viele Menschen Gott, der Bibel und dem Christentum entfremdet. Sie folgerten: „Wenn dies die Religion Gottes ist, dann glauben wir lieber, daß es keinen Gott gibt.“

      Es gab also Gründe für den erbitterten Widerstand der Führer der Sowjetunion gegen die Religion. Aber unglücklicherweise machten sie keinen Unterschied zwischen dem wahren Glauben an Gott und heuchlerischer Religion. In ihrer Erbitterung beschlossen sie, die gesamte Religion auszumerzen.

      Die Geistlichkeit schließt Kompromisse

      Zuerst widerstanden viele Geistliche den Angriffen der Kommunisten auf die Religion. Aber im Laufe der Zeit schlossen immer mehr Geistliche Kompromisse und wurden Werkzeuge der kommunistischen Regierung. Aber da die Regierung entschlossen war, die Religion zu beerdigen, halfen diese kompromißbereiten Geistlichen in Wirklichkeit bei ihrer eigenen Beerdigung!

      Ein Beispiel dafür war der Patriarch Tichon. Im Gegensatz zu Jesus Christus, der lieber sterben wollte, als Kompromisse zu schließen, ging Tichon einen Kompromiß ein. Nachdem er 1923 aus dem Gefängnis entlassen worden war, unterzeichnete er eine Erklärung, in der er versprach, nichts zu unternehmen, was den Interessen des Staates schaden könnte. Kurz vor seinem Tod, im Jahre 1925, rief er alle Russen auf, „aufrichtig für die Sowjetmacht einzustehen, für das Gemeinwohl zu arbeiten und jegliche offene oder geheime Agitation gegen die neue Staatsordnung zu verurteilen“.

      Nach seinem Tod wurde es der Kirche nicht erlaubt, einen neuen Patriarchen zu wählen. Aber andere hohe Würdenträger folgten im allgemeinen seinem Beispiel. Das wurde 1927 offensichtlich, als Sergei, ein Metropolit (der nächste im Rang nach einem Patriarchen), eine Erklärung veröffentlichte. Das Buch The First Fifty Years [Die ersten fünfzig Jahre] erwähnt, daß Sergei darin „die Unterstützung und politische Zusammenarbeit der Kirche und ihrer Anhänger“ versprach. Er rief die Geistlichen auf, ihre Loyalität gegenüber der Sowjetregierung schriftlich zu garantieren, sonst würden sie aus der Kirche ausgestoßen.

      Trotz aller Kompromisse, die die Geistlichkeit einging, setzten die Kommunisten ihren vielseitigen Feldzug gegen die Religion fort. Besonders während der politischen Säuberungsaktionen in den Jahren 1936 bis 1938 wurden die Kirchen heftig angegriffen. Während Sergei 1930 behauptet hatte, er habe die loyale Unterstützung von 163 Bischöfen, waren im Jahre 1939 weniger als 12 übriggeblieben. Es hieß, 40 Bischöfe seien erschossen worden. Und schätzungsweise 10 000 Kirchen waren geschlossen. Es war so, wie es das Buch The First Fifty Years sagt: „Die Kirche stand 1939 kurz vor dem Zusammenbruch.“

      Aber 1939 ereignete sich etwas, was einen Wechsel bringen sollte. Der Zweite Weltkrieg brach aus. Er berührte das Verhältnis zwischen der Sowjetregierung und der Religion.

  • Der Zweite Weltkrieg führt eine Wendung herbei
    Erwachet! 1973 | 8. September
    • Der Zweite Weltkrieg führt eine Wendung herbei

      DER Zweite Weltkrieg brach im September 1939 aus. Innerhalb von zwei Jahren überrannten Hitlers Armeen Westpolen, Frankreich, einen großen Teil der Balkanländer und verschiedene andere europäische Länder. Dann, im Jahre 1941, wandten die siegreichen Nationalsozialisten ihre Aufmerksamkeit nach Osten.

      Im Juni jenes Jahres marschierten die deutschen Armeen in die Sowjetunion ein. Bis zum Dezember hatten sie nahezu den ganzen westlichen Teil des Landes eingenommen und hatten den Stadtrand von Moskau erreicht. Das Überleben der Nation stand auf dem Spiel.

      Das strenge Winterwetter und der entschlossene Widerstand der sowjetischen Truppen und der Partisanen hielten jedoch gegen Ende des Jahres die deutsche Flut auf. Aber es war offensichtlich, daß im darauffolgenden Frühling weitere Angriffe kommen würden. Die Sowjetregierung wußte, daß das sowjetische Volk für das, was bevorstand, aufgerüttelt werden mußte. Sämtliche Kraftreserven mußten aufgebracht werden.

      Etwas, was diese Aufgabe leichter machte, war die Grausamkeit der deutschen Invasoren. Die Verwüstung, die sie anrichteten, das Niedermetzeln von Millionen von Menschen, der Anspruch auf rassische Überlegenheit und ihre offenkundige Absicht, viele Slawen auszurotten, erzürnten die Bürger der Sowjetunion.

      Doch es waren noch mehr Motive erforderlich. Um alle Reserven der Nation aufzubringen und die ganzherzige Zusammenarbeit des gesamten Volkes zu erlangen, mußte die Regierung die Unterstützung der religiösen Führer haben. Warum war das der Fall?

      Die Regierung benötigte die Unterstützung der religiösen Führer, weil es immer noch Zigmillionen religiöse Menschen im Land gab. Es ist wahr, der Kommunismus hatte die Nation schon vierundzwanzig Jahre lang in der Gewalt. Aber das war nicht annähernd genug Zeit, um mehrere jüngere Generationen von Atheisten aufzuziehen, die, wie die Kommunisten glaubten, die aussterbende ältere Generation von Gläubigen ersetzen würden. Ein großer Teil der Menschen, die über zwanzig Jahre alt waren, besonders die Frauen, bekannten sich immer noch zu einer Religion.

      Eine veränderte Haltung gegenüber der Religion

      Daher sahen die kommunistischen Herrscher, einschließlich Stalins, die Notwendigkeit, ihre Einstellung zur Religion zu ändern. Sie erkannten, daß ihr Feldzug gegen die Religion ihnen viele religiöse Menschen entfremdet hatte. So begann die kommunistische Führung im Herbst 1941, Zugeständnisse zu machen.

      Es dauerte nicht lange, bis diese Bemühungen Früchte zeitigten. Im Jahre 1942 pries der Metropolit Sergei Stalin als Rußlands „von Gott bestimmten Führer“. Dann, im Jahre 1943, empfing Stalin die führenden Männer der orthodoxen Kirche in seinem Amtssitz im Kreml und autorisierte sie, Sergei als neuen Patriarchen zu wählen. Damit endete eine Zeitspanne von achtzehn Jahren, in der es kein offizielles Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche gegeben hatte.

      Es wurden noch mehr Zugeständnisse gemacht. Die Veröffentlichung einer Kirchenzeitung wurde erlaubt. Verschiedene Theologieseminare wurden wiedereröffnet, ebenso viele Kirchen. Der Drang, die Religion zu vernichten, wurde gedämpft. Auch die Einschränkungen, die anderen Religionen auferlegt worden waren, wurden gelockert.

      Patriarch Sergei starb 1944. Ihm folgte Alexi. Das Werk The Encyclopædia Britannica vermerkt, daß Alexi Stalin der „tiefen Liebe und Dankbarkeit“, von denen „alle Kirchenarbeiter“ erfüllt seien, versicherte. Nun setzten sich die Kirchenführer überall bei ihren Anhängern dafür ein, die kommunistische Regierung zu unterstützen. Und die Regierung belohnte einige Geistliche für ihre Bemühungen, indem sie ihnen Auszeichnungen verlieh.

      Kirchenführer erzählten ihren Anhängern, der Kampf gegen die nationalsozialistischen Invasoren diene nicht nur der Verteidigung der Sowjetunion, sondern auch der Verteidigung des Christentums. Die Kirchen veranstalteten Sammlungen, um Waffen zu kaufen. Bis zum Januar des Jahres 1943 reichten die Spenden aus, um eine Fliegerstaffel mit Kampfflugzeugen auszurüsten. Durch eine weitere Spende wurde eine Panzereinheit ausgerüstet, und als diese Einheit der Roten Armee in einer feierlichen Zeremonie übergeben wurde, pries der Metropolit Nikoloy Stalin als „unseren gemeinsamen Vater“.

      Schließlich, im Jahre 1945, wurden die deutschen Armeen zurückgedrängt. Sowjetische Truppen marschierten in Deutschland ein. Um dieser Ereignisse zu gedenken, wurde eine Versammlung unter der Leitung des Patriarchen Alexi einberufen. Die Versammlung nahm eine Proklamation an, in der die Siege der Roten Armee als Siege Christi über die Gewalten der Finsternis gepriesen wurden. In der Proklamation hieß es: „Jeder kann sehen, wessen Waffen [die der Sowjets] unser Herr Jesus Christus gesegnet hat und wessen Waffen [die der Deutschen] keinen Segen erhielten.“ Ein paar Tage später brachten die kommunistischen Führer ihre Dankbarkeit für die Bemühungen der Kirchen zum Ausdruck.

      Ein Gesinnungswechsel?

      Ließ der Wandel in der Haltung der Regierung einen wirklichen Gesinnungswechsel gegenüber der Religion erkennen? Keineswegs. Es war so, wie es das Buch Europe Since 1939 erklärt:

      „Rein weltliche Gründe zwangen die sowjetischen Herren, die materialistische Atheisten waren, religiösen Gefühlen Zugeständnisse zu machen. Die religiösgesinnten Bürger in der UdSSR, so folgerte man, würden den Staat im Krieg besser unterstützen; die feindselige Haltung der Christen in den westlichen alliierten Ländern gegenüber der kommunistischen Lebensweise würde gemildert und die frommen orthodoxen Christen der Balkanhalbinsel würden größere Sympathien für Rußland haben.“

      Hatte diese Taktik Erfolg? Der Autor des eben erwähnten Buches, Arthur J. May von der Universität Rochester, erklärt: „Mehr oder weniger wurden all diese Ziele durch die gemäßigtere Haltung, die der Kreml einnahm, erreicht.“ Ein weiteres Ergebnis, das er beobachtete, war, daß „in den Kirchen, wie auch sonst überall, der Stalinkult blühte“.

      Die Religion war den Kommunisten ein nützliches Werkzeug geworden! Wie nützlich, das konnte man nach dem Ende des Krieges sehen. In dem Buch The Soviet Union: The Fifty Years, herausgegeben von Harrison Salisbury, lesen wir: „Nach Kriegsende pflichteten die Kirchenführer den mit dem kalten Krieg verbundenen Forderungen der Außenpolitik Stalins bei.“

      Bei einer Osterfeier im Jahre 1949 ereignete sich ein typischer Vorfall. Während des Mitternachtsgottesdienstes in der Yelokhowsky-Kathedrale in Moskau erteilte der Patriarch Alexi dem Führer des Sowjetstaates, Jossif Stalin, Gottes Segen. Und im Jahre 1950 sandte Alexi ein Telegramm an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in dem er gegen die „Aggression der Vereinigten Staaten in Korea“ protestierte.

      Es ist daher ganz offensichtlich, daß die Zugeständnisse, die die Führung der Sowjetunion gemacht hatte, politisch motiviert waren. Auf diese Weise sollte erreicht werden, daß die Kirchen eher zur Zusammenarbeit bereit wären. Doch da die Regierung nur die Geistlichen billigte, die dem Staat gegenüber loyal waren, konnte die Religion vollständig in Übereinstimmung mit den Zielen der Kommunisten gelenkt werden.

      Es konnte keinen Zweifel geben, daß die Veränderungen keinen wirklichen Gesinnungswechsel darstellten. Die Kommunisten hatten immer noch das Ziel, die gesamte Religion auszumerzen, nur ihre Taktik war raffinierter geworden. Sie sahen es als vorteilhaft an, die „Salamitaktik“ anzuwenden, indem sie die Macht der Religion allmählich beschnitten und ihr die Unterstützung langsam entzogen. Dadurch sollte vermieden werden, daß unnötig Widerstand heraufbeschworen wurde oder daß jemand als Märtyrer für die Religion starb, wie es bei der direkten Taktik, die zuerst angewandt worden war, der Fall gewesen war.

      Natürlich war nicht jeder im Ausland oder in der Sowjetunion davon überzeugt, daß alle kirchlichen Würdenträger echte Geistliche waren. Wegen ihrer großen Kompromißbereitschaft wurden einige von ihnen beschuldigt, Agenten der Regierung zu sein, die eingesetzt worden seien, um die Kirche zu kontrollieren. Diejenigen, die diese Beschuldigungen erhoben, wiesen darauf hin, daß andere hohe Geistliche, die dem Kommunismus Widerstand geleistet hatten, eingesperrt oder getötet worden waren. Aber die begünstigten Geistlichen konnten sich frei bewegen und in ihrem Amt bleiben.

      Ob solche hohen Geistlichen nun direkte Agenten der Regierung waren oder nicht, die Wirkung war die gleiche. Sie arbeiteten eng mit der kommunistischen Regierung zusammen, um ihr zu helfen, ihre Ziele zu erreichen. Und eines dieser Ziele bestand immer noch darin, die Religion auszumerzen.

      Die Taten zeigen, daß sich die Ziele nicht geändert haben

      Daß sich die auf lange Sicht geplante Politik der Regierung, die Religion zu vernichten, nicht geändert hatte, konnte man an ihren offiziellen Handlungen und Erklärungen erkennen. Zum Beispiel war trotz der Zugeständnisse, die der Religion als Gegenleistung für ihre Unterstützung gemacht wurden, das Recht, die Religion auszubreiten, immer noch verboten. Eine Bedingung für die Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei war immer noch das Bekenntnis zum Atheismus.

      Auch war weiterhin der Religionsunterricht in den Schulen verboten. Der Atheismus war immer noch die offizielle Lehre, und dazu gehörte antireligiöse Propaganda. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Förderung des Atheismus unter den „Jungen Pionieren“ und der „Union der kommunistischen Jugend“ gewidmet. Die offizielle Parteipolitik wurde in folgendem Rat zusammengefaßt, der in der offiziellen Zeitschrift des Jugendbundes, Komsomolskaja Prawda, veröffentlicht wurde:

      „Junge Kommunisten müssen nicht nur überzeugte Atheisten sein und allem Aberglauben [der Religion] widerstehen, sondern sie müssen aktiv die Ausbreitung von Aberglauben und Vorurteilen unter der Jugend bekämpfen.“

      Der Tod Stalins bedeutete nicht das Ende der weitreichenden Ziele hinsichtlich der Religion. Gegen Ende der 1950er und besonders zu Beginn der 1960er Jahre wurde unter dem Premierminister Nikita Chruschtschow auf alle religiösen Gruppen ein großer Druck ausgeübt. Erst später erkannte man das Ausmaß dieser Maßnahmen. Peter Grose, Korrespondent der New York Times, berichtete:

      „Das Ausmaß des Schadens, der dem religiösen Gefüge in der ganzen Sowjetunion in den fünf Jahren vor 1964 zugefügt wurde, wird jetzt sichtbar. Andersdenkende Geistliche in Rußland haben behauptet, in jenen Jahren seien 10 000 Anbetungsstätten von den Behörden geschlossen worden. ...

      Ein riesiger Verwaltungsapparat wurde aufgebaut, um sicherzugehen, daß die Arbeit der Kirche im ganzen Land unter die wirksame Kontrolle der Staatsgewalt gebracht wurde.“

      Während die kommunistischen Führer also in ihrem Kampf gegen die Religion Änderungen vornahmen, haben sie unbeirrt ihre Ziele verfolgt, und das tun sie auch heute noch. Sie arbeiten unaufhörlich darauf hin, die Religion in der Sowjetunion auszulöschen.

      Was ist nach all diesen Jahren des Widerstandes von der Religion in diesem Land übriggeblieben? Wie stark ist die Religion in der Sowjetunion heute eigentlich?

  • Wie stark ist die Religion in der UdSSR heute?
    Erwachet! 1973 | 8. September
    • Wie stark ist die Religion in der UdSSR heute?

      DIE Sowjetunion veröffentlicht keine offiziellen Statistiken mehr über die Religion. Sie hat es jedoch einmal getan. Diese Statistiken, zusammen mit Augenzeugenberichten und anderen Berichten, die im Laufe der Jahre geschrieben wurden, vermitteln ein ziemlich vollständiges Bild über die Situation.

      Die Informationen zeigen, was mit den „Gläubigen“ und der Geistlichkeit der traditionellen Religionen geschehen ist. Sie zeigen, wie es um die Macht dieser Religionen steht und in welchem Zustand sich ihre Kirchen, Seminare und Klöster befinden. Sie verraten einen unmißverständlichen Trend.

      Wie viele „Gläubige“?

      Vor dem Ersten Weltkrieg hieß es in dem Werk The Encyclopædia Britannica, Ausgabe von 1911: „Laut [von Rußland] veröffentlichten Berichten vom Jahre 1905 betrug die Zahl der Anhänger der verschiedenen religiösen Gemeinden im ganzen russischen Reich schätzungsweise ... 125 640 020.“

      Da sich die Bevölkerung damals auf 143 000 000 belief, machte die Zahl der Personen, die damals einer Religion angehörten, mehr als 87 Prozent der Bevölkerung aus. Wahrscheinlich war die Zahl der „Gläubigen“ sogar noch höher, wenn man diejenigen dazuzählt, die an Gott glaubten, aber nicht mit einer Religion verbunden waren.

      Das läßt die grundlegende Tatsache erkennen, daß Rußland sehr religiös war, bevor der Kommunismus die Macht übernahm. Die überwältigende Mehrheit des Volkes gehörte irgendeiner Religion an oder bekannte, an die Existenz Gottes zu glauben. Aber was ist seitdem geschehen?

      Im Jahre 1937 führte die Sowjetunion eine besondere Volkszählung durch, um die Einstellung des Volkes gegenüber der Religion zu ermitteln. Ungefähr 50 000 000 Bürger erklärten, sie seien „Gläubige“. Im Jahre 1939 wurde die Bevölkerung der Sowjetunion mit 170 000 000 angegeben. Somit bekannten Ende der 1930er Jahre weniger als ein Drittel der Menschen im ganzen Land, „Gläubige“ zu sein. Nach zwanzig Jahren kommunistischer Herrschaft war die Zahl von etwa 90 Prozent auf etwa 30 Prozent abgesunken.

      Im Jahre 1970 veröffentlichte die New York Times einen Bericht der Minority Rights Group, einer Organisation, die ihren Sitz in London hat und die Nachforschungen über die Rechte von Minderheiten anstellt. Die Times schrieb: „In dem Bericht wird geschätzt, daß die russisch-orthodoxe Kirche 30 Millionen Anhänger hat, und dies bei einer Sowjetbevölkerung von 237 Millionen.“ Und im Jahre 1971 hieß es im Herald-Examiner von Los Angeles: „Es gibt keine offizielle Schätzung der aktiven russisch-orthodoxen Gläubigen in der Sowjetunion. Nach inoffiziellen Schätzungen beläuft sich die Zahl auf mehr als 20 Millionen.“

      Wenn man berücksichtigt, daß die Zahl der „Gläubigen“ anderer Religionen nur ein paar Millionen ausmacht, ist der Trend unmißverständlich. Tatsächlich sieht die Situation für die Kirchen noch schlimmer aus, da viele „Gläubige“ keine Kirchgänger sind, was aber vor der Revolution von 1917 der Fall war.

      Die Daily Post von Kotorua (Neuseeland) berichtet: „Eine kürzlich veranstaltete Umfrage in Pskow [Pleskau, im Westen der Sowjetunion] zeigte, daß sich 13 Prozent der Stadtbevölkerung für ,Gläubige‘ halten.“ Die Zeitung deutete diese Zahl als ein Zeichen für religiöse Stärke in dieser Gegend. Aber in Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall. Der Bericht zeigt, daß es nur noch 13 Prozent „Gläubige“ gibt, während es vor 1917 ungefähr 90 Prozent waren.

      Wenn die verfügbaren Zahlen also irgend etwas anzeigen, dann zeigen sie, daß das Volk der Sowjetunion nach fünfundfünfzig Jahren atheistischer Belehrung die Religion aufgibt. Den jüngeren Generationen werden Ideen eingeimpft, die bewirken, daß sie sich von der Religion abwenden. Und jedes Jahr machen diese einen größeren Prozentsatz der Bevölkerung aus, während die älteren „Gläubigen“ allmählich aussterben.

      Die orthodoxe Kirche in einer ausweglosen Situation

      Die russisch-orthodoxe Kirche hat schwere Verluste erlitten. Das spiegelt sich nicht nur in der immer kleiner werdenden Zahl der „Gläubigen“ wider, sondern auch in der Zahl der Kirchen, der Geistlichen und anderer, die für die Kirche tätig sind. Die Encyclopædia Britannica vom Jahre 1959 sagte über die orthodoxe Kirche: „Im Jahre 1914 gab es in Rußland 55 173 Kirchen und 29 593 Kapellen.“ Das sind ungefähr 85 000 Gebäude für Gottesdienste. Aber im Jahre 1955 gab es nur noch 20 000!

      Die gleiche Quelle enthielt auch folgende Aufstellung:

      1914 1955

      Geistliche 112 629 32 000

      Klöster 1 025 70

      Diese Zahlen entsprechen denen, die in anderen Quellen angegeben werden. Zum Beispiel berichtet das Buch Europe Since 1939, daß es 1959 etwa 20 000 Kirchen gab und daß die Zahl der Geistlichen ungefähr 32 000 betrug. Es schätzt, daß ungefähr 90 Klöster in Betrieb seien.

      Dann, Ende der 1950er und zu Beginn der 1960er Jahre, wurden viele weitere Kirchen geschlossen. Die New York Times führte „eine Studie zweier orthodoxer Priester in Moskau [an], aus der hervorgeht, daß während des späteren Teils des Regimes von Herrn Chruschtschow zehntausend Kirchen geschlossen wurden, ungefähr die Hälfte der Kirchen, die noch offen gewesen waren“. Die Times fügte hinzu: „Eine offizielle sowjetische Veröffentlichung aus dem Jahre 1966 gab die Zahl der offenen Kirchen mit 7 500 an.“

      Bezeichnend ist die Situation in den Großstädten. Die Zeitschrift Herald-Examiner von Los Angeles berichtet: „In Moskau gab es 1917 mehr als 600 Kirchen für eine Bevölkerung von einer Million. Heute gibt es nicht mehr als 40 oder 50 Kirchen für eine Bevölkerung von sieben Millionen, und einige sind nur kleine Kapellen.“ Ein Herausgeber der Zeitschrift The Christian Century bestätigte dies, nachdem er die Sowjetunion fünfmal besucht hatte, und erklärte: „Wie viele orthodoxe Kirchen sind in Moskau noch offen? Vierzig.“ Somit sind in Moskau, vor der Zeit der Kommunisten noch das Herz der Religion, die Kirchen praktisch verschwunden. Und der Herald-Examiner bemerkt: „Selten wird eine neue gebaut.“

      In Leningrad ist die Situation ähnlich. The Christian Century schreibt: „Nimm zum Beispiel Leningrad, eine Stadt mit 5 Millionen Einwohnern. Dort sind vierzehn Kirchen offen.“ Jedoch zeigt dieser Bericht, daß diese Kirchen „jeden Sonntagmorgen überfüllt sind“. Der Leser mag daraus schließen, daß dies auf ein großes Interesse an der orthodoxen Kirche hinweist.

      Aber das ist durchaus nicht der Fall. Zur Erklärung diene folgendes Beispiel: Wenn drei Kirchen Gemeinden von je 1 000 Gliedern hätten, aber im Laufe der Jahre die Mitgliederzahl auf je 500 absinken würde und darauf zwei Kirchen geschlossen würden, was würde dann geschehen? Wahrscheinlich würdest du feststellen, daß etwa 1 500 Menschen versuchen würden, in der übriggebliebenen Kirche Platz zu finden. Ein zufälliger Beobachter könnte daraus schließen, es gäbe einen starken Aufschwung, ja eine „Erweckung“, weil jene Kirche „überfüllt“ sei. Doch was geschah in Wirklichkeit? Immer weniger Menschen unterstützten in dieser Gegend die Religion. Aber weil ständig Kirchen geschlossen wurden, war die eine übriggebliebene überfüllt.

      Was für Menschen sind religiös?

      Was für Menschen sind es, die im allgemeinen die orthodoxe Kirchen besuchen? Peter Grose, Korrespondent der New York Times, bemerkte:

      „Jedesmal, wenn ich eine sowjetische Kirche besuchte ... Da waren immer ärmliche alte Frauen mit ihren Kopftüchern, die in dunklen Ecken saßen, den Weihrauch einatmeten und das Interesse am Leben um sich herum anscheinend verloren hatten.

      Wenn Religion nicht mehr bedeutet, dann dürften die Baumeister des Kommunismus wenig Grund zur Sorge über die Gegenwart oder die Zukunft haben.“

      In dem Bericht des Herald-Examiner hieß es auch: „Die Gottesdienste werden nur von wenigen, meist älteren Personen besucht, und meistens sind es Frauen.“

      Aber wie verhält es sich mit den Berichten, die besagen, daß sich junge Menschen der Religion zuwenden? Die Zeitung Daily Post aus Neuseeland sagte darüber: „In Rußland haben sich einige junge Leute (nicht viele) wieder der orthodoxen [Religion] zugewandt, und zwar aus ästhetischen und auch aus geistigen Gründen.“ Das bedeutet, daß eine kleine Zahl junger Leute die Gottesdienste besuchen, aber nicht, weil sie etwas über die Wahrheit Gottes lernen möchten, sondern aus künstlerischen und kulturellen Gründen, aus Neugier oder sogar aus Aberglauben. Das Jahrbuch der Britannica für 1972 bemerkte: „Junge Leute, die den orthodoxen Glauben annahmen, verstanden die Liturgie nicht und kümmerten sich auch nicht um die Predigten, ließen sich aber trotzdem taufen.“

      In seinem Buch House Without a Roof äußert sich der Autor Maurice Hindus über die Tatsache, daß einige junge Leute in den Kirchen zu sehen sind. Er schreibt:

      „Es wäre töricht, von einer populären Bewegung zu sprechen. Die sowjetische Jugend ist überwiegend entweder atheistisch oder völlig gleichgültig gegenüber der Orthodoxie.

      Selbst in dem Kosakengebiet Kuban, in der Geschichte einer der frömmsten Teile des Landes, gehen kaum noch junge Leute zur Kirche. Während ich am Sonntagmorgen durch Kosakendörfer fuhr, sah ich Scharen junger Menschen auf den Straßen spazierengehen oder in den Parks spielen, aber nicht zur Kirche gehen. In keiner einzigen Kirche sah ich eine nennenswerte Anzahl junger Leute.“

      Man kommt daher zwangsläufig zu dem Schluß: Die einst allmächtige russisch-orthodoxe Kirche liegt im Sterben. Peter Grose bezeichnete sie als „einen blassen Schatten dessen, was sie vor der bolschewistischen Revolution war“. Und Anatoly Y. Levitin, ein Theologe und Historiker der orthodoxen Kirche, sagte:

      „Die russische Kirche ist krank, schwer krank. Ihr schlimmstes Leiden ist das uralte Leiden des Cäsaropapismus, die Unterwerfung der Kirche unter die weltliche Macht.

      In der Kirche gibt es Bischöfe, die Zweige eines toten, sterilen und nutzlosen Feigenbaumes sind. Es gibt von Brand befallene Kirchenmitglieder, die diesen Baum ... mit ihren fauligen Ausdünstungen infizieren und die Gift in seine geheimsten Tiefen injizieren.“

      Wie Levitin andeutet, hat der „Brand“ auch die höchsten Stellen befallen. Das konnte man wieder im Jahre 1971 sehen, als ein neuer Patriarch, Pimen, eingesetzt wurde, um Alexi zu ersetzen, der im Jahr davor gestorben war. Über Pimen sagt das Jahrbuch der Britannica für 1972: „Er hatte gezeigt, daß er mit der offiziellen Regierungspolitik völlig einigging.“

      Das war so offensichtlich der Fall, daß die Zeitschrift Time vom 3. April 1972 berichtete, daß ein prominenter russischer Schriftsteller „Patriarch Pimen, den Führer der russisch-orthodoxen Kirche, beschuldigte, sich der antireligiösen Politik des Kremls völlig zu unterwerfen“. Wie die Zeitschrift Time erklärte, „beschuldigte [der Schriftsteller] die Kirchenhierarchie, Maßnahmen wie das Schließen von Kirchen, die Unterdrückung andersdenkender Priester und das Verbot religiöser Unterweisung für Kinder gutzuheißen“.

      Tatsächlich, die russisch-orthodoxe Geistlichkeit hilft weiterhin bei der Beerdigung ihrer eigenen Religion! Aber wie steht es mit den anderen Religionen? Ergeht es ihnen besser als der orthodoxen Kirche?

  • Wie steht es mit den anderen Religionen?
    Erwachet! 1973 | 8. September
    • Wie steht es mit den anderen Religionen?

      NACH einer Aufstellung von Kirchenvertretern, die eine Konferenz in Zagorsk, in der Nähe von Moskau, besuchten, sind mindestens dreiundzwanzig weitere Denominationen bei der Sowjetregierung eingetragen. Diesen ist es erlaubt, in ihren Versammlungsstätten Gottesdienste abzuhalten.

      Zu diesen gehören die Moslems, Lutheraner, Katholiken, Baptisten, die Mitglieder der georgischen und der armenischen Kirche, die Juden, Buddhisten und die Angehörigen von ein paar kleineren Religionsgemeinschaften. Natürlich sind dies nur Minderheiten, verglichen mit der russisch-orthodoxen Kirche. Diesen Religionsgemeinschaften gehören in der gesamten Sowjetunion nur ein paar Millionen Menschen an.

      Aber die Tatsache, daß diese Religionsgemeinschaften von der Regierung „anerkannt“ sind, zeigt etwas. Sie zeigt, daß auch sie mit den kommunistischen Führern Kompromisse geschlossen haben. Ein Zeichen dafür ist die Tatsache, daß es anderen Religionsgemeinschaften nicht erlaubt ist, sich eintragen zu lassen oder Zusammenkünfte abzuhalten. Unter diesen ragen Jehovas christliche Zeugen hervor, die wiederholt versucht haben, sich eintragen zu lassen, die aber keine Erlaubnis erhalten haben.

      „Anerkannte“ Religionen liegen im Sterben

      Jedoch liegen fast alle „anerkannten“ Religionsgemeinschaften im Sterben. Zum Beispiel

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