Wachtturm ONLINE-BIBLIOTHEK
Wachtturm
ONLINE-BIBLIOTHEK
Deutsch
  • BIBEL
  • PUBLIKATIONEN
  • ZUSAMMENKÜNFTE
  • g85 8. 5. S. 16-20
  • Vom Tod zum Leben in Dachau

Kein Video für diese Auswahl verfügbar.

Beim Laden des Videos ist ein Fehler aufgetreten.

  • Vom Tod zum Leben in Dachau
  • Erwachet! 1985
  • Zwischentitel
  • Ähnliches Material
  • Tod — eine tägliche Erfahrung
  • „Empfinde keinen Haß gegen sie“
  • Leuchtender Glaube und der lila Winkel
  • Leben in der Freiheit
  • Ein neues Leben und eine wiedererlangte Hoffnung
  • Leserbriefe
    Erwachet! 1985
  • Leserbriefe
    Erwachet! 1985
  • Ich überlebte den „Todesmarsch“
    Der Wachtturm verkündigt Jehovas Königreich 1980
  • Zusammen mit meinem Mann den Glauben bewahrt
    Der Wachtturm verkündigt Jehovas Königreich 1980
Hier mehr
Erwachet! 1985
g85 8. 5. S. 16-20

Vom Tod zum Leben in Dachau

„Empfinde keinen Haß gegen sie. Du wirst sie damit nicht verletzen. Du schadest dir nur selbst!“

DIESE Worte, die eine freundliche Frau während des Zweiten Weltkrieges im Konzentrationslager Dachau zu mir, einem jungen Mädchen, sprach, trugen entscheidend dazu bei, daß ich am Leben blieb und meinen Verstand behielt.

Ich wurde 1926 in Moskau geboren. Mein Vater stammte aus Kiew, meine Mutter aus Georgien. Sie waren Wissenschaftler an der Universität in Moskau. Mein Vater floh im Jahre 1929 aus Rußland, und wir lebten dann in Danzig (heute Gdańsk, Polen). Ich lernte als Kind nur Deutsch. Die meisten unserer Freunde waren jüdischer Herkunft.

Als die Schreckensherrschaft Hitlers begann, verschwanden jüdische Familien nach und nach aus unserer Nachbarschaft, besonders bei Nacht. An dem Tag, an dem zwischen Deutschland und Rußland der Krieg ausbrach, verschwand unsere Familie ebenfalls. Als man uns abholte, hatten wir nur wenige Minuten Zeit, um uns anzuziehen. Wir ließen alles zurück.

Im ersten Untersuchungslager wurde ich wiederholt unter grellem Scheinwerferlicht verhört, und man schlug mich grün und blau. Bis heute glaube ich nicht, daß man erkannte, daß ich die Fragen über die Tätigkeiten meiner Eltern ohnehin nicht beantworten konnte. Weshalb nicht? Weil sich meine Eltern nur in Russisch miteinander unterhielten und ich diese Sprache nie gelernt hatte.

Meinen Vater habe ich zum letzten Mal gesehen, als wir in jenem Untersuchungslager vom Lastwagen stiegen. Bis heute habe ich keine Ahnung, ob er tot oder noch am Leben ist.

Mutter und mich sperrte man vier Tage lang in einen Viehwaggon. Darin war es so eng, daß man nur stehen konnte, und es gab weder Nahrung noch Wasser. Auch Toiletten waren nicht vorhanden. Wir konnten nicht wissen, daß unser Bestimmungsort Dachau war, jene berüchtigte Stätte der Folter und des Todes.

Wir wurden tätowiert, umhergestoßen, mit den Füßen getreten und mußten uns nackt ausziehen. Dann hatten wir einen Spießrutenlauf zwischen knüppelschwingenden SS-Männern zu absolvieren. Anschließend schickte man uns unter die Dusche und gab uns gestreifte Kleidung. Danach wurde ich von meiner lieben Mutter, einer sehr schönen Frau, getrennt und in eine Kinderbaracke gesteckt.

Tod — eine tägliche Erfahrung

Dort sah ich zum ersten Mal Tote. Jeden Morgen entfernten männliche Gefangene die Leichname der Kinder, die während der Nacht an den Folgen der Unterernährung oder der Folter gestorben waren. Einige starben auch, weil man sie buchstäblich ausbluten ließ, um Blutkonserven für verwundete Soldaten zu beschaffen. Es gab immer einen Haufen Leichname, die verbrannt werden sollten. Das Krematorium war überlastet.

Warum endete ich nicht im Krematorium? Nun, man beschloß, medizinische Experimente an mir durchzuführen. Zuerst injizierte man mir einen Krankheitserreger, dann das entsprechende Gegengift. Ich bereitete meinen sadistischen Peinigern jedoch nicht viel Vergnügen, denn man hatte mich als Kind gelehrt, niemals zu weinen oder irgendein Gefühl zu zeigen. Daher wandten sie ihre Aufmerksamkeit schließlich jemand anders zu.

Wer so etwas nie mitgemacht hat, kann unmöglich die Auswirkungen verstehen, die das auf uns Kinder hatte. Wir wußten nicht, ob wir sterben wollten oder nicht. Manchmal dachten wir, wir wären froh, wenn wir sterben könnten, doch als Kinder hatten wir andererseits auch Angst zu sterben, weil uns ja gemäß unserer früheren religiösen Erziehung eine Feuerhölle erwartete. Aber dann dachten wir uns: „Gewiß kann die Hölle nicht schlimmer sein als das hier!“

Von Zeit zu Zeit befahl man Häftlingen, in die Gemeinschaftsdusche zu gehen, wo sich das „Wasser“ als Gas erwies und so die ganze Gruppe hingerichtet wurde. Mir ist es bis heute unmöglich, mich zu duschen. Wenn ich es versuche, breche ich in Schweiß aus, und mein ganzer Körper fängt an, sich zu schütteln. Zeitweise sehnte ich den Tod so sehr herbei, daß ich tatsächlich vor anderen in die Dusche zu gelangen suchte. Doch es scheint, daß ich immer weggestoßen wurde, wenn Gas benutzt wurde.

„Empfinde keinen Haß gegen sie“

Zu dieser Zeit traf ich Else. Sie sprach mit mir über den Tod und sagte, man brauche sich wirklich nicht davor zu fürchten. Else erklärte mir, daß jemand beim Tod nicht in eine qualvolle Hölle kommt, sondern einfach einschläft. Später, sozusagen „am Morgen“, werde er aufwachen und die Erde sei dann ein Paradies (Lukas 23:43; Johannes 5:28, 29). Es gebe keinen Schmerz, keinen Haß und keine Rassendiskriminierung mehr — überall nur noch Freude und Glück (2. Petrus 3:13; Offenbarung 21:1-4). Ich glaubte ihr! Ihre Worte waren wie Sonnenschein in meinem finsteren Leben.

Else riskierte ihr Leben, um mit mir zu sprechen. Sie war sehr vorsichtig, damit uns die Wachen nicht beim Reden beobachten konnten. Sooft sich eine Gelegenheit bot, versteckten wir uns hinter einem Müllhaufen und unterhielten uns ein paar Minuten. Sie erzählte mir wunderbare Dinge aus der Bibel, was bewirkte, daß ich mich nach dem Paradies sehnte, das Gott in Aussicht stellt. Bald fürchtete ich den Tod nicht mehr, und es fiel mir leichter, mich mit den Umständen, in denen ich mich befand, abzufinden.

Else war mir ein besonders großer Trost, als meine Mutter starb. Meine Mutter war eine auffallend schöne Frau, nach der sich die Männer auf der Straße umdrehten. Die Versuchung war für die SS-Männer zu groß, und so mißbrauchten sie sie für die Befriedigung ihrer sinnlichen Begierden. Nacht für Nacht wurde ich gezwungen, zuzusehen, wie sie ihre sadistischen Begierden an ihr ausließen, bis man sie schließlich durch Folterung und mehrfache Vergewaltigung brutal umbrachte.

Das hinterließ bei mir als 14jährigem Mädchen tiefe Wunden. Meine natürliche Reaktion war Haß. Doch klingen mir noch Elses Worte im Ohr: „Empfinde keinen Haß gegen sie. Du wirst sie damit nicht verletzen. Du schadest dir nur selbst!“ Dieser Rat entsprach den Worten Jesu, ‘unsere Feinde zu lieben und für die zu beten, die uns verfolgen’ (Matthäus 5:44). Das heißt nicht, daß wir solchen Personen gegenüber herzliche Gefühle hegen sollten, sondern wir zeigen Liebe, indem wir ihnen das vergeben, was sie uns als unsere Verfolger antun.

Else half mir auch, Gott besser kennenzulernen. Ich haßte ihn, weil auf den Koppelschlössern der SS-Männer „Gott mit uns“ stand. Ich dachte an die Quälereien, die schlaflosen Nächte, daran, daß man uns wöchentlich mit Insektenvertilgungsmittel einsprühte, an die Wanzen, die unser Blut saugten, an die Ratten, die uns nachts bei lebendigem Leibe annagten, an den Geruch des Todes, der immer stärker wurde, an das Krematorium, wo man Überstunden machte, an die Kälte, die fehlenden Decken und das offensichtliche Vergnügen, das unser Elend anderen bereitete. Wenn Gott mit ihnen war, dann wollte ich nichts mit ihm zu tun haben.

Leuchtender Glaube und der lila Winkel

Else half mir zu verstehen, daß Gott nicht für die Handlungen dieser sadistischen Männer verantwortlich war. Vielmehr würde Gott zu seiner bestimmten Zeit Rechenschaft fordern. Dann würde er die Unschuldigen wieder zum Leben bringen, ihre Gesundheit völlig wiederherstellen und all die belohnen, die ihre Hoffnung auf ihn gesetzt haben. Sie sagte, der Gott, von dem unsere Peiniger redeten, sei nicht der wahre Gott, sondern ein Gott, der nur in ihrer Vorstellung existiere, und sie würden sich selbst betrügen, wenn sie sich einbildeten, sie könnten irgendeinen Segen vom wahren Gott empfangen.

Else erklärte mir auch die Ursache für die Weltprobleme, indem sie mir sagte, daß Satan der Herrscher dieser Welt ist und daß Gott das Königreich in den Händen seines auferweckten, verherrlichten Sohnes Jesus Christus benutzen wird, um uns vom Teufel zu befreien (2. Korinther 4:4; Johannes 14:30; Offenbarung 20:1-6). All diese Worte waren in dieser schweren Zeit Musik in meinen Ohren und gaben mir Kraft und Mut. Elses Worte und ihre mütterliche Güte waren tatsächlich eine Erleuchtung für mich.

Die SS setzte ihr sehr zu, weil sie eine Deutsche war und sich dem Willen der Nationalsozialisten trotzdem nicht unterwarf. Die SS schien das als persönliche Beleidigung aufzufassen und versäumte nie eine Gelegenheit, sie irgendwie zu schikanieren, was sie jedoch geduldig ertrug. Ich bemerkte, daß auf dem Ärmel ihrer Sträflingskleidung ein lila Winkel aufgenäht war, und fragte mich, was es wohl bedeute. Nach dem Ende meiner Internierung in Dachau forschte ich nach und fand heraus, daß dieser Winkel Jehovas Zeugen vorbehalten war. Ja, Else war eine Zeugin Jehovas (Jesaja 43:10-12).

Arme Else! Sie war dürr wie ein Skelett. Doch sie hatte etwas ganz Besonderes an sich. Nie erfuhr ich ihren Familiennamen oder fand heraus, woher sie stammte, obwohl sie so gütig und besonders herzlich zu mir war. Ich dachte oft, wie schön es wäre, eine solche Mutter zu haben. Einige Zeit nachdem meine Mutter umgebracht worden war, verschwand Else ebenfalls, und ich sah sie nicht wieder. Aber ich vergaß ihre Worte und ihre innere Ruhe nie.

Leben in der Freiheit

Nach vier Jahren in Dachau kam meine Befreiung. Drei Tage vor Ankunft der amerikanischen Streitkräfte sperrte die SS uns alle im Lager ein und verschwand. Niemand konnte entkommen, da das Lager von elektrischen Zäunen umgeben war. Als die Amerikaner schließlich eintrafen, gaben sie uns etwas zu essen, doch für viele war es zu spät. Nach einem solch harten Überlebenskampf hatten traurigerweise jetzt anscheinend viele ihren Lebenswillen verloren und starben.

Wegen meiner russischen Staatsangehörigkeit übergab man mich den Russen. Da ich jetzt 17 Jahre alt war, sagte man mir, ich solle den Kommandanten des Hauptquartiers heiraten. Aber ein Oberst, der meinen Vater von der Universität her gekannt hatte, versteckte mich unter einer Decke im Rücksitz seines Autos und schmuggelte mich aus der Kaserne heraus. Ich reiste mit dem Zug zur russischen Grenze und fand eines Morgens kurz vor Anbruch der Dämmerung eine Stelle, an der die Wachen unaufmerksam waren. Über eineinhalb Kilometer kroch ich auf dem Bauch über das Niemandsland. Die amerikanischen Soldaten auf der anderen Seite sahen, wie ich auf sie zukroch. Sie hoben mich auf und setzten mich in einen Zug nach Heidelberg. Mir gegenüber saß ein Mann aus der Ukraine, den ich später heiratete.

Mein Leben wurde mit der Zeit unerträglich, weil die Russen mir immer noch auf den Fersen waren. Sie gaben sogar über Rundfunk bekannt, daß mein Vater mich suche. Doch ich hatte Angst, mich zu melden, weil ich dachte, es sei ein Trick. Vielleicht war es wirklich mein Vater; ich konnte jedoch nicht riskieren, darauf zu reagieren. Eines Tages wurde ich von zwei kommunistischen Agenten verfolgt. So ging ich in ein Kaufhaus und fuhr mit dem Aufzug bis ins oberste Stockwerk. Ich traf den Geschäftsführer, und als ich ihm erzählte, was vor sich ging, versteckte er mich in seinem Büro, bis die Agenten verschwunden waren. Danach entschlossen sich mein Mann und ich, nach Australien auszuwandern, wo wir im April 1949 ankamen.

Ein neues Leben und eine wiedererlangte Hoffnung

Ein neues Leben begann. Der örtliche Priester besuchte uns, doch wegen der Dinge, die ich religiöse Menschen in Europa hatte tun sehen, und weil Else mir gezeigt hatte, daß die Kirchen nicht von Gott stammen, weigerte ich mich, in die Kirche zu gehen. Ich fing an, zu Gott zu beten, um die Wahrheit zu finden, und ging zu allen religiösen Leuten am Ort, um sie zu fragen, wohin sie nach dem Tod kommen würden. Sie sagten alle: „In den Himmel.“ Darauf ging ich jeweils zur nächsten Religionsgemeinschaft.

Einige Tage nachdem ich begonnen hatte zu beten, klopfte ein junger Mann an meine Tür und bot mir die Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! an. Ich fragte ihn: „Kommen Sie in den Himmel?“ „Nein,“ erwiderte er. „Ich hoffe, für immer hier auf der Erde zu leben, wenn sie in ein Paradies umgewandelt sein wird.“ Hier hatte ich endlich einen von den Menschen gefunden, zu denen Else gehört hatte! Das war endlich die Wahrheit, nach der ich seit jenen Tagen in Dachau gesucht hatte. Ich war so begeistert, daß wir uns wohl zwei Stunden lang unterhielten.

Der Zeuge sandte am nächsten Tag seine Tante zu mir, die mir das Buch Vom verlorenen Paradies zum wiedererlangten Paradies gab, das ich in nur zwei Tagen förmlich verschlang. Dann begann ich die Christlichen Griechischen Schriften, das sogenannte Neue Testament, zu lesen und war in drei Tagen damit fertig. Wie wunderbar waren all diese Informationen! Das Paradies-Buch und die Bibel enthielten haargenau dasselbe, was Else mir gesagt hatte. Jetzt hatte ich nach langem Suchen endlich die Menschen gefunden, zu denen sie gehört hatte — 17 Jahre nach meiner Befreiung aus Dachau!

Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, betrachte ich die Tage, an denen mir die geliebte Else in Dachau von der wunderbaren Hoffnung aus der Bibel erzählte, als die wichtigsten. Ihren Bemühungen zufolge war es mir möglich, ‘aus dem Tod zum Leben hinüberzugehen’ (Johannes 5:24). Voll Wertschätzung denke ich jetzt an die inspirierten Worte aus Psalm 94:17, 18: „Wenn nicht Jehova mir zum Beistand gewesen wäre, hätte meine Seele über ein kleines im Schweigen geweilt. Als ich sprach: ,Mein Fuß wird bestimmt wanken‘, stützte mich deine eigene liebende Güte, o Jehova, fortwährend.“

Und im Hinblick auf die Zukunft stärken mich die Worte aus Jesaja 41:10: „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir. Blicke nicht gespannt umher, denn ich bin dein Gott. Ich will dich stärken. Ich will dir wirklich helfen. Ja, ich will dich festhalten mit meiner Rechten der Gerechtigkeit.“ Dank der Bemühungen der lieben Else und der Hilfe Jehovas war es mir möglich, in Dachau das Leben zu finden. (Eingesandt.)

[Herausgestellter Text auf Seite 17]

Mutter und ich wurden vier Tage lang in einen Viehwaggon gesperrt

[Herausgestellter Text auf Seite 17]

Man beschloß, medizinische Experimente an mir durchzuführen

[Herausgestellter Text auf Seite 19]

Else half mir zu verstehen, daß Gott nicht für die Handlungen dieser sadistischen Männer verantwortlich war

[Herausgestellter Text auf Seite 20]

Nach langem Suchen hatte ich endlich die Menschen gefunden, zu denen Else gehört hatte

[Bilder auf Seite 18]

Gaskammern und Krematorium in Dachau

    Deutsche Publikationen (1950-2025)
    Abmelden
    Anmelden
    • Deutsch
    • Teilen
    • Einstellungen
    • Copyright © 2025 Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania
    • Nutzungsbedingungen
    • Datenschutzerklärung
    • Datenschutzeinstellungen
    • JW.ORG
    • Anmelden
    Teilen