Drogenmißbrauch verschlimmert sich weltweit
JAHRELANG galten die Vereinigten Staaten als das Industrieland, das die größten Drogenprobleme hat. Jetzt nicht mehr. „Die Polizei vertritt gegenwärtig die Auffassung, daß Europa von einer Heroinepidemie heimgesucht wird“, berichtet das belgische Nachrichtenmagazin To the Point International (21. März 1977).
Im vergangenen Jahr beschlagnahmten die Polizisten Europas mehr Heroin als die amerikanischen Gesetzeshüter. In den Ländern der Europäischen Gemeinschaft beträgt die bekannte Zahl der Drogenabhängigen 100 000, und im letzten Jahr bezahlten laut Berichten 2 000 ihre Gewohnheit mit dem Leben.
In Portugal geben die Beamten zu, daß der Drogenmißbrauch das „Ausmaß einer nationalen Katastrophe“ erreicht. Wie man sagt, gehört Portugal zu den europäischen Ländern, die den höchsten Drogenkonsum pro Person haben.
„Wir kämpfen einen aussichtslosen Kampf“, sagte ein Chirurg einer französischen Drogenklinik. „Immer wenn wir einen Zentimeter vorwärtskommen, passiert etwas, was uns eine Meile zurückwirft.“
Der plötzliche Anstieg des Drogenmißbrauchs in Europa kommt in der Zahl der Todesfälle zum Ausdruck. In Frankreich beispielsweise stieg die Zahl solcher Todesfälle von 13 im Jahre 1973 auf 59 im Jahre 1976, in Deutschland von 104 im Jahre 1973 auf 156 allein während der ersten Hälfte von 1976 und in Italien von 1 im Jahre 1973 auf 30 während der ersten sechs Monate von 1976.
Aber Europa ist nicht der einzige Teil der Welt, der zunehmend vom Drogenmißbrauch erfaßt wird. In der Publikation Far Eastern Economic Review wird berichtet:
„In Südostasien haben die harten Drogen sowohl im Handel als auch in der Drogenabhängigkeit ein erschreckendes Ausmaß erreicht. Gemäß zuverlässigen Schätzungen ist in Hongkong jeder dreiundvierzigste Bürger opium- oder heroinabhängig. In Thailand, wo man Rauschmittel bisher als ein ,europäisches Problem‘ betrachtete, wächst der heroinabhängige Teil der Bevölkerung zusehends und wird auf 300 000 bis 600 000 geschätzt. Berichte aus Singapur und Malaysia sind gleichermaßen alarmierend“ (30. April 1976).
Trotz harter Strafen hat sich die bekannte Zahl der Drogenabhängigen in Singapur verachtfacht und die Zahl von Rauschmittelhändlern von 1974 bis 1975 verdreifacht. In Japan vervierfachten sich die „Drogen“-Verhaftungen von 1971 bis 1975. In Australien nahmen im Gebiet von Melbourne die „Marihuana“-Verhaftungen von 1974 bis 1975 um 60 Prozent zu. „Der Marihuanakonsum ist unter allen australischen Bevölkerungsschichten weit verbreitet“, berichtet die Zeitschrift Age von Melbourne.
Der afrikanische Kontinent ist von der Verschlimmerung des Drogenmißbrauchs ebensowenig verschont geblieben. Die UN-Kommission für Rauschmittel bezeichnete kürzlich die Drogensituation südlich der Sahara als „bedenklich“.
Auch in den Vereinigten Staaten ist das Drogenproblem nicht beseitigt worden. Wie einer vor kurzem vom Verteidigungsministerium veröffentlichten Studie zu entnehmen ist, konsumiert in der Armee fast die Hälfte aller Soldaten (mit Mannschaftsdienstgrad) regelmäßig Drogen. Das ist nahezu das Doppelte des Ergebnisses, das eine ähnliche, fünf Jahre zuvor durchgeführte Studie ergab. Aber der tragischste Aspekt des Problems ist der Drogenkonsum unter der Jugend.
Zunahme unter der Jugend
Eine Regierungsumfrage brachte zutage, daß in den USA 1976 mehr als die Hälfte aller Schüler in den High-School-Abschlußklassen Marihuana probiert hatten, und fast ein Drittel dieser Schüler gab zu, die Droge regelmäßig zu konsumieren — jeder zwölfte täglich. In anderen Ländern zeichnet sich ebenfalls ein Trend zum Konsum dieser und anderer, gefährlicherer Drogen ab.
„Heroin kann man an allen höheren Schulen, Universitäten und in Jugendzentren finden“, klagt ein Drogenberater in der Bundesrepublik Deutschland. „Die Situation ist katastrophal.“
„Die Drogenabhängigkeit unter Jugendlichen ist auch ein wachsendes Problem in Hongkong“, heißt es in der Publikation Far Eastern Economic Review. Ein italienischer Beamter bemerkte, daß es in seinem Land „anscheinend von Tag zu Tag jüngere Opfer gibt“.
Wegen der großen Gewinne, die erzielt werden, sorgen die Drogenverteilersysteme dafür, daß die Rauschmittel für die Jugendlichen in der Schule leicht erhältlich sind. „In der Schule kommt man an Drogen ebenso leicht heran wie an Notizpapier“, berichtet ein Komitee des amerikanischen Kongresses.
Dasselbe Regierungskomitee sagte auch, daß Schüler, die unter Drogeneinfluß stehen, häufig während des Unterrichts schlafen, ohne von den Lehrkräften daran gehindert zu werden. Wieso? „Die Lehrer gaben uns zu verstehen, daß sie es nicht wagen, in Verbindung mit den Drogen irgend etwas zu unternehmen“, hieß es in dem Bericht, „da sie nicht von der Schulleitung oder den Eltern der Kinder unterstützt werden würden.“ Jugendliche, die lernbereit sind, müssen sich damit abfinden, ständig von dieser zersetzenden und verderbten Atmosphäre umgeben zu sein.
Behörden hilflos
Als der Bürgermeister der Stadt New York und andere städtische Beamte von einem getarnten Polizeiauto aus die Transaktion von Rauschmitteln mit eigenen Augen beobachteten, war der Bürgermeister „über das, was er sah, gewissermaßen erschüttert“, sagte sein Pressesprecher. „Er war erstaunt darüber, wie offen es durchgeführt wurde und wie hilflos das gegenwärtige System gegenüber diesem Problem ist.“
In To the Point International wird erklärt: „Das Problem kann sich nur verschlimmern, da die Nachfrage ständig da ist und die Lieferanten die skrupellosesten Anbauer, Verarbeiter und Händler der Welt sind.“
Eine Behörde der US-Regierung beantragte kürzlich, daß sich das Militär am „Krieg“ gegen die Drogen beteiligen sollte. Das Permanent Investigations Subcommittee des Senats sagte, daß allein die Wehrmacht über „die Luft- und Landfahrzeuge verfügt, die zum Verfolgen und Einholen der Drogenhändler erforderlich sind“.
In Wirklichkeit ist aber eine verstärkte Strafverfolgung nicht die Lösung. Wie der Vorstand des französischen Drogenausschusses, Francois Le Mouel, bemerkt, scheint der Drogenmißbrauch „ein allgemeines Zivilisationsproblem zu sein“. Der Lebensstil, die Weltanschauung und die Zielsetzungen in der heutigen „Zivilisation“ bewirken eine Leere, die viele durch Drogen zu füllen suchen.
„Und warum nicht?“ denken sie. „Selbst die Gefährlichkeit des Drogenkonsums ist von den Behörden übertrieben worden. Einige Drogen sind so harmlos wie ein Drink.“ Stimmt das? Wollen wir sehen, was der nächste Artikel dazu sagt.