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Gibt es wirklich eine Bevölkerungskrise?Erwachet! 1974 | 8. September
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es sei denn, es gäbe ein „Wunder“ oder gar eine Katastrophe.
Gegenwärtig liegt die „Verdoppelungszeit“ der Weltbevölkerung unter fünfunddreißig Jahren, aber diese Zeit wird laufend kürzer. Die Encyclopædia Britannica weist in ihrer Ausgabe vom Jahre 1974 darauf hin, daß es gegenwärtig in einigen Teilen der Welt eine junge Bevölkerung gibt, „die sowohl eine hohe Geburtenziffer als auch eine niedrige Sterblichkeitsziffer aufweist. Wenn dieser Zustand sehr lange anhielte, würde sich die Weltbevölkerung in nur 500 Jahren 32 000fach vermehren“ (Bd. 14, S. 816).
Stell dir nur einmal vor! Seitdem du angefangen hast, diesen Artikel zu lesen, sind über 200 Menschen zur Welt gekommen, etwa 150 pro Minute. Eine Stadt mit etwa 200 000 Einwohnern könnte an einem Tag, eine Weltstadt mit über sechs Millionen Einwohnern jeden Monat oder ein Land von der Größe Westdeutschlands in einem Jahr bevölkert werden. Denke einmal darüber nach, was alles erforderlich ist, um 78 Millionen Menschen in einem Jahr Nahrung, Obdach, Kleidung, Schulbildung und Arbeit zu geben.
Kann die Erde sie aufnehmen?
Die Welt ist immer besser in der Lage, den Bedarf zu decken, aber nicht in dem Ausmaß, wie die Bevölkerung wächst. Die Knappheiten, von denen die Welt gegenwärtig heimgesucht wird, beweisen nach Ansicht der Wissenschaftler, daß die Menschheit in dem Wettlauf zurückfällt. Ein lawinenartig anwachsender Bedarf auf dem Gebiet der Landwirtschaft, der Erziehung und des Wohnungsbaus sowie andere Bedürfnisse haben die Welt innerhalb einiger weniger Jahre vom Überfluß in einen Mangel gestürzt. Die immer bedrohlicher werdende Inflation selbst in den wohlhabenden, „entwickelten“ Nationen zeugt von diesen Verknappungen.
Weiter erschwert wird diese Situation durch die Tatsache, daß die Bevölkerung in den armen, „unterentwickelten“ Nationen gegenwärtig doppelt so schnell wächst wie in den reichen Industrienationen. Da es in den armen Ländern bereits dreimal so viele Menschen gibt, müssen diese den größten Teil des Gesamtbevölkerungszuwachses aufnehmen. Die Hälfte aller Erdbewohner ist jünger als zwanzig Jahre, und der größte Teil davon lebt in diesen Ländern. Stell dir vor, welch ein Baby-Boom ihnen bevorstehen könnte!
Immer mehr Menschen müssen sich praktisch die gleichen begrenzten Vorräte teilen. Dadurch kommt es zu immer größeren Ungleichheiten. Dieser Prozeß wird „Polarisierung“ genannt. Darunter versteht man eine ständig größer werdende Kluft zwischen Gegensätzen. Einfacher ausgedrückt: Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer. Betrachte folgende Tatsachen:
● Im letzten Jahr war der Gesamtwert aller Güter und Dienstleistungen oder das Bruttosozialprodukt in den 128 ärmeren Ländern weit kleiner als allein die Zunahme in 21 wohlhabenden Nationen.
● Die Getreideproduktion der Welt müßte um das Achtfache steigen, wenn der Rest der Welt genauso gut essen sollte wie die Nordamerikaner.
● Es gibt jetzt 100 Millionen mehr Analphabeten in der Welt als 1950.
● Weniger als ein Drittel der Erdbevölkerung verbraucht über neun Zehntel der auf der ganzen Erde erzeugten Energie, während mehr als zwei Drittel mit den übrigen 8 Prozent auskommen müssen.
Wie erfolgreich sind die Bemühungen, diese Kluft zu überbrücken? In einem Bericht über die diesjährige Tagung der Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft hieß es, daß die Leistungsfähigkeit der unterentwickelten Länder gewöhnlich sinkt, wenn sie versuchen, den Bildungsstand ihrer Bürger zu heben und den Reichtum durch Bodenreformen neu zu verteilen, und daß sie noch weiter hinter den entwickelten Nationen zurückbleiben.
Der Präsident der Weltbank, Robert S. McNamara, erklärte, die Erde sei dadurch wie ein Schiff geworden, auf dem ein Viertel der Passagiere in Luxuskabinen untergebracht wäre und die anderen drei Viertel im Zwischendeck, in der billigsten Klasse. Er sagte, bei solchen Ungleichheiten könne die Erde kein „glückliches Schiff“ sein. Statt dessen ist sie zu einem Nährboden für Hunger und Elend, für wirtschaftliches Chaos und politische Unruhen geworden. Werden die Weltführer eine Lösung finden? Einige Sachverständige glauben, es sei bereits zu spät.
Düstere Voraussagen
Immer mehr Experten glauben, daß die Krise schnell einem Höhepunkt zusteuere. Einige nehmen sogar eine fatalistische Einstellung an und sehen als Lösung für das Problem der Geburtenziffer nur eine Erhöhung der Sterblichkeitsziffer. Nach einer Vorhersage, die sich auf die Schätzungen der „meisten Experten auf dem Gebiet der Energieversorgung, der Landwirtschaft, der Bevölkerungspolitik und der Weltwirtschaft“ stützt, „muß eine Milliarde Menschen oder ein ganzes Viertel der Erdbevölkerung innerhalb der nächsten zwölf Monate mit Bankrott, gesellschaftlichem Zusammenbruch und großen Hungersnöten rechnen“ (The Denver Post, 3. März 1974).
Ob solche Voraussagen nun eintreffen oder nicht — die wachsende Beunruhigung über die Lebensmittelknappheit und die hohen Preise in Indien sowie die immer noch andauernde Hungersnot in Afrika bilden dafür einen düsteren Hintergrund. Ein Regierungsbeamter in Bangladesch, das mit 75 Millionen Einwohnern dreimal so dicht bevölkert ist wie Indien, sagte: „Wenn wir hier nicht die Bevölkerungszunahme schnell unter Kontrolle bekommen, können wir überhaupt nichts mehr unter Kontrolle bekommen. Unsere Existenz hängt davon ab, ja unser Überleben als Nation.“
In Südasien und in Teilen Lateinamerikas bürgern sich unsoziale Gewohnheiten ein. Nachrichtenberichte sprechen davon, daß Farmer unerwartet Vorräte horten und daß der Schwarzhandel weit verbreitet ist. „Noch nie wurden so oft Nahrungsmittel von Kaufleuten verfälscht“, um sie zu strecken, „manchmal sogar mit ... [giftigen] Verfälschungsmitteln.“ In einem anderen Bericht hieß es: „Banden Jugendlicher streifen — mit Pistolen, die aus dem Krieg von 1971 übriggeblieben sind, bewaffnet — durch die Städte und Landgebiete von Bangladesch und begehen Verbrechen gegen die Gesellschaft, die für das feinfühlige bengalische Volk völlig ungewohnt sind.“ Ähnlich streifen jetzt „Banden herumstromernder Kinder, ,abandonados‘ genannt, durch die Straßen einiger lateinamerikanischer Städte wie ... Rudel verlassener Hunde“.
Einige Sachverständige glauben, daß Südasien im Hinblick auf das Bevölkerungsproblem wahrscheinlich zu einem Testfall wird. Einer von ihnen sagte: „Die Lebensqualität in diesem Teil der Welt sinkt bereits, und das Gesellschaftsgefüge löst sich auf. Und keiner ist vernünftig genug gewesen, an eine Lösung zu denken.“
Das liegt gewiß nicht daran, daß man sich keine Mühe gegeben hätte. Man hat es schon mit verschiedenen Lösungen versucht und versucht es auch immer noch. Doch welche Erfolge hat man erreicht?
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Die Welt versucht, ihrer Bevölkerung Herr zu werdenErwachet! 1974 | 8. September
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Die Welt versucht, ihrer Bevölkerung Herr zu werden
WOHLMEINENDE Männer und Organisationen arbeiten schon lange an Programmen, durch die die Probleme, die in Verbindung mit dem Bevölkerungswachstum entstanden sind, allmählich gelöst werden sollen. Es sind schon viele „Lösungen“ ausprobiert worden — Maßnahmen auf landwirtschaftlichem, wirtschaftlichem oder politischem Gebiet.
Doch wie bei den meisten „Heilmitteln“, die die Symptome statt die Ursache einer Krankheit bekämpfen, sind die Ergebnisse enttäuschend gewesen. Die meisten Programme hatten entweder wenig oder gar keinen Erfolg, oder sie verschlimmerten die Sachlage nur noch mehr. Eine Untersuchung einiger dieser „Lösungen“ läßt uns den Grund dafür erkennen.
Kostenlose Nahrung
Eine wachsende Bevölkerung kann überleben, selbst wenn sie vieles nicht besitzt, nicht aber ohne Nahrung. Jahrelang waren die ertragreichen großen Ebenen in Nordamerika für hungernde Nationen ein „Kornspeicher der letzten Zuflucht“. Wenn es in einem Land, dessen Bevölkerung sich auf das Existenzminimum beschränken muß, früher eine Mißernte gab, konnte es sich immer darauf verlassen, daß die Länder, die reich an Getreide sind, Millionen Tonnen überschüssiges Getreide schickten, um ihm aus der Not zu helfen.
Jetzt ist der Überschuß fast erschöpft. Wie berichtet wird, sind die Nahrungsmittelreserven der Welt die geringsten seit vielen Jahren. Ob es während des Jahres genug zu essen geben wird, hängt von dem Wetter in der Wachstumszeit ab. „Die Welt ist von den jeweiligen Ernteerträgen und damit von den Wetterbedingungen gefährlich abhängig geworden“, sagte der Generaldirektor der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, A. H. Boerma.
Glaubst du wirklich, daß die Menschen ihre eigenen zusammengeschrumpften Nahrungsvorräte angreifen, um hungernden Völkern zu helfen, falls es schlechtes Wetter geben sollte? Oder werden sie — da die heutige Nahrungsmittelproduktion von Energie abhängig ist — ihre Energievorräte opfern, um diesen Völkern zu helfen? In einem Leitartikel der New York Times hieß es kürzlich: „Wohlhabende Amerikaner könnten bald vor der Wahl stehen, entweder auf Autobahnen und in klimatisierten Zimmern Energie zu verbrauchen oder die Nahrungsmittelproduktion für ganze Völker in Afrika und Asien zu ermöglichen“ (25. März 1974).
Landwirtschaftliche Unabhängigkeit
Hilfsprogramme, die es den armen Nationen ermöglichen sollen, sich selbst zu ernähren, sind mit großem Tamtam in Gang gesetzt worden. Als Dr. Norman Borlaug 1970 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, schrieb man ihm einen „technologischen Durchbruch“ zu, der es möglich mache, „den Hunger in den Entwicklungsländern im Laufe weniger Jahre auszumerzen“. Und dennoch sagte Dr. Borlaug, seine Grüne Revolution sei „nicht die Lösung“. Sie könne nur die Ernährungskrise hinauszögern, während die Nationen bevölkerungspolitische Maßnahmen zur Geburtenregelung träfen. „Wenn sich die Weltbevölkerung in der gleichen Rate weitervermehrt, werden wir die Spezies vernichten“, sagte er.
Jetzt machen sich die Ergebnisse bemerkbar. Unter anderem verlangt die Technik der Grünen Revolution große Mengen Energie, Düngemittel und Schädlingsbekämpfungsmittel, die immer teurer werden. So kommt es, daß die armen Bauern gegenüber den reichen benachteiligt sind, da sie sich diese Mittel oft nicht leisten können. Reiche Familien kaufen dann das Land der armen Bauern auf, und dadurch wird das Problem der Arbeitslosigkeit weiter verschlimmert.
Aus den eben genannten Gründen heißt es in einem Bericht über die intensiven Bemühungen einer Nation, die Technik der Grünen Revolution anzuwenden: „Sie scheitern. Die optimistischen Pläne und Programme haben die Leiden der Menschen nur noch vermehrt und werden es auch weiterhin tun“ (Natural History, Januar 1974).
Wirtschaftliche Entwicklung
Andere Bemühungen bestehen darin, das Bevölkerungswachstum einzudämmen, statt zu versuchen, alle, die geboren werden, mit Nahrung zu versorgen. Wohlhabende Industrienationen haben im allgemeinen eine niedrigere Wachstumsrate, und einige haben sogar fast das vielgepriesene Ziel erreicht, nämlich die „Wachstumsrate Null“. Die Bevölkerung dieser Länder scheint den natürlichen Wunsch zu haben, weniger Kinder zu haben, die dafür besser versorgt werden können. Andererseits werden in den weniger entwickelten Ländern mit einer großen Landbevölkerung Kinder selbst als eine Form des Reichtums angesehen. Eltern möchten, daß sie in der Landwirtschaft mithelfen, und betrachten sie als eine Art „Sozialversicherung“, da sie erwarten, daß die Kinder im Alter für sie sorgen.
So kommt es, daß die Familien in diesen Ländern durchschnittlich fast doppelt so viele Kinder haben wie die Familien in den Industrienationen. „Die Leute haben sechs oder mehr Kinder, weil sie wissen, daß zwei oder drei sterben werden“, bemerkte ein Regierungsbeamter in Bangladesch. Und Nachforschungen haben gezeigt, daß Familien, die Kinder verlieren, oft überkompensieren, indem sie mehr Kinder zur Welt bringen als Familien, deren Kinder alle am Leben bleiben.
Viele kommen daher zu dem Schluß, daß das Problem der Übervölkerung durch wirtschaftliche Entwicklung und Industrialisierung zu lösen sei zusammen mit angemessenen Maßnahmen, die Kinder am Leben zu erhalten, damit die Eltern nicht überkompensieren. Allerdings heißt es in dem Werk The Encyclopædia Britannica: „Überschnelles Bevölkerungswachstum bedingt einen zusätzlichen Bedarf an [wirtschaftlichen] Investitionen ..., nur um Schritt zu halten mit den zusätzlichen Mündern, die gespeist werden wollen, und den Körpern, die Kleidung und Obdach benötigen.“ Auf diese Weise bleibt wenig oder gar nichts übrig, um den Lebensstandard zu verbessern (Bd. 14, S. 823).
In Anbetracht dieser Tatsache stimmen jetzt die meisten Experten darin überein, daß einfach nicht genug Zeit und Energie sowie genügend andere Mittel zur Verfügung stehen, um den armen Nationen so weit zu helfen, daß ihre Geburtenziffern von allein anfangen zu sinken. Selbst wenn sie jetzt ausreichend Entwicklungshilfe erhielten, würde mindestens eine Generation vergehen, bevor die ersten Ergebnisse spürbar wären. Die Experten sagen daher, zuerst müsse das Bevölkerungswachstum reduziert werden, bevor eine wirtschaftliche Entwicklung erfolgreich sein könne. Das bringt uns zu dem Thema der
Geburtenkontrolle
Viele glauben, Bevölkerungspolitik könne nur dann erfolgreich sein, wenn es irgendeine Form der Geburtenkontrolle gebe. Daher stecken einige Nationen sehr viel Geld in die Familienplanung und leisten weniger Hilfe auf anderen Gebieten. Was ist von dieser „Lösung“ zu erwarten? Enttäuschung.
„Radikale“ Maßnahmen zur Geburtenbeschränkung, wie Abtreibung und Sterilisation, haben schwerwiegende moralische Nebenwirkungen. Japan legalisierte im Jahre 1948 die Abtreibung. Professor T. S. Ueno von der Nihon-Universität in Tokio sagte: „Wir können jetzt sagen, daß das Gesetz schlecht ist.“ Ungebundene Geschlechtsbeziehungen und ein Mangel an Achtung vor dem Leben des Ungeborenen sind einige der sittlichen Probleme, die er anführte. „Die Abtreibung ist ein Ersatz für Empfängnisverhütung geworden“, denn 1972 wurden 1,5 Millionen Abtreibungen vorgenommen. Er glaubt, daß dort, wo das Leben so wenig geachtet werde, der nächste Schritt die Euthanasie sein könne, das heißt, daß Personen, die ein bestimmtes Alter überschritten hätten, zu Tode gebracht würden.
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