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  • Frieden nach 450 Jahren?
  • Erwachet! 1971
Erwachet! 1971
g71 22. 10. S. 3-6

Frieden nach 450 Jahren?

„WO HAT die Geschichte vielfältiger ihre Erscheinungen eingeprägt im deutschen Land? Es gibt große und berühmte Hauptstädte, in denen sich die Macht und das Geschick eines Säkulums entfaltete, aber fast ein Jahrtausend hindurch zogen Kaiser und Fürsten zu großen Reichstagen nach Worms. Das Reich von Gottes Gnaden wurde zum Inbegriff dieser Stadt. Die Spannungen der Weltpolitik zerbrachen sie, und eine Kette von Tragödien flammte über ihrem Untergang.“ So wird die Stadt Worms beschrieben. In der Broschüre für Touristen wird außerdem gesagt: „Worms ist die älteste Siedlung und geschichtlich wichtigster Rheinübergang inmitten all der Städte, die sich im Laufe der politischen Veränderungen zwischen Rhein, Main und Neckar auf beiden Seiten des Rheines gebildet haben.“

Unter den vielen Ereignissen, die sich in Worms abgespielt haben, sind die, die in Verbindung mit Dr. Martin Luther standen.

Hier stand Martin Luther 1521 vor Kaiser und Reich und weigerte sich, seine Schriften, die die Reformation auslösten, zu widerrufen. Die Kluft, die damals durch die Reformation entstand, versucht man heute zu schließen. Diese Bemühungen um religiöse Einheit gehen primär von seiten der katholischen Kirche aus. Die 450jährige Wiederkehr von Martin Luthers Auftreten vor dem Reichstag wird ebenfalls zur „Erneuerung der Kirche“ und zur Verständigung mit allen „Christen“ benutzt. Da man hier 1971 im Rahmen der 450-Jahr-Gedenkfeier zum Reichstag zu Worms über dieses Geschehen und seine weltweiten Folgen informiert wird, begab ich mich in das Wormser Museum. Hier fand ich viel Interessantes. In dem Buch Martin Luthers 95 Thesen mit den dazugehörigen Dokumenten aus der Geschichte der Reformation, herausgegeben von Kurt Aland, fand ich das, wonach ich gesucht hatte: den Inhalt der 95 Thesen. Anlaß zu diesen Ablaßthesen waren zunächst die propagandistischen Übertreibungen des Ablaßpredigers Tetzel. Sein Schlagwort: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt.“

Diese Thesen waren nicht für die Allgemeinheit, sondern für die gelehrte Öffentlichkeit, d. h. den kleinen Kreis der Fachleute, bestimmt. Luther wollte disputieren! Ein Thesenanschlag war in jener Zeit nichts Besonderes, sondern vielmehr etwas ganz Alltägliches. Wollte ein Professor seine Arbeit vortragen, so konnte er zu einer Disputation aufrufen — so, wie es Luther mit den 95 Thesen tat. Binnen vierzehn Tagen, sagte Luther, seien seine Thesen durch ganz Deutschland gelaufen. „Damit war der Ablaßstreit entfesselt, der zu einem fast vierjährigen Existenzkampf für Luther werden sollte, der ihn in wenigen Wochen zum bekanntesten Mann in Deutschland machte und in dem ein Jahr später angeblich drei Viertel und drei Jahre später sogar neun Zehntel aller Deutschen auf seiner Seite gestanden haben“ (Luther, Wege nach Worms — Wege aus Worms).

Bischof Albrecht von Mainz erstattete sogleich Anzeige gegen Luther in Rom, nachdem er Ende November 1517 die 95 Thesen zu Gesicht bekommen hatte. Aus seinem Brief ist zu erkennen, daß Luther den Erzbischof gebeten hatte, die Anweisung für die Ablaßkommissare zurückzuziehen und den Ablaßpredigern eine andere Weisung zu geben. Aber bald gingen Luthers Veröffentlichungen über den Bereich des Ablasses hinaus: 1518 greift er das Verhältnis des Papstes zur Kirche und seine Vollmachten an; 1519 geht es um den Primat des Papstes und die Irrtumsfähigkeit der Konzile, 1520 um die Sakramente; auch fordert er eine Reform der Kirche an Haupt und Gliedern.

Friedrich der Weise, Landesherr und zugleich Ratgeber Luthers, fragte bei einem Zusammentreffen mit Erasmus von Rotterdam (Humanist) vorsichtig und gewissenhaft nach seiner Meinung über den Fall Luther, und die Antwort war: „Zwei Verbrechen hat Luther begangen. Er hat die Krone des Papstes und die Bäuche der Mönche angetastet“ (Luther, Wege nach Worms — Wege aus Worms).

Am 3. Januar 1521 erließ Papst Leo X. gegen Luther die Bannbulle. Nach der Überlieferung soll Martin Luther vor dem Reichstag zu Worms erklärt haben: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen.“ Hier, im Museum, aber stieß ich auf die wirkliche, entscheidende Aussage des 38jährigen Luthers: „Wenn ich nicht durch das Zeugnis der Heiligen Schrift oder durch klare Vernunftsgründe überzeugt und überwunden werde, so bleibe ich überwunden durch die von mir angeführten Schriftstellen, und mein Gewissen bleibt im Worte Gottes gefangen, und ich kann und ich will nicht widerrufen, da es beschwerlich, ungut und gefährlich ist, gegen das Gewissen zu handeln, Gott helfe mir! Amen.“

Diese Worte sprach Luther auf dem Reichstag zu Worms am 18. April 1521 zu dem 21jährigen Kaiser Karl V., womit er den Widerruf seiner Schriften aus Gewissensgründen verweigerte. Dabei kam das eigentliche Anliegen Luthers, die religiösen und theologischen Fragen, in keiner Weise zur Debatte. Es war ein Verhör, bei dem er nur auf die ihm gestellten Fragen zu antworten hatte, die ihm von dem beauftragten Offizial des Trierer Erzbischofs, Dr. Johannes von Ecken, weisungsgemäß gestellt wurden. In der Beratung der Fürsten am folgenden Tag verlas dann Karl V. eine in der Nacht eigenhändig aufgesetzte Erklärung: „Wir bleiben auf dem festen Vorsatz, alles zu schützen und zu beschirmen, was sowohl unsere Vorfahren als ich bisher gehalten ... Ich habe fest beschlossen, gegen ihn als offenbaren Ketzer zu verfahren, und verlange von Euch, daß Ihr in dieser Sache beschließt, was rechten Christen gebührt und wie Ihr versprochen habt.“

Trotz dieser eindeutigen Willenserklärung baten aber die Stände am 20. April in einer dringlichen Eingabe um die Möglichkeit weiterer Verhandlungen mit Luther. Karl V. gab nach, und so fanden Verhandlungen einer Ständekommission unter der Leitung des Trierer Erzbischofs Reichard Greiffenklau mit Luther statt, um ihn doch noch zu einem Widerruf zu bewegen, durch den sich die Gefahr verhüten ließe, daß er zum Märtyrerhelden eines befürchteten Volksaufstandes würde. Die Kommission hatte jetzt auf einmal ausschließlich innenpolitische Interessen, wie man sogleich unumwunden zugab, indem praktisch ohne jede Beachtung des päpstlichen Ketzerurteils Luther offen zugestanden wurde, er habe durchaus recht mit seinem Kampf gegen die kirchlichen Mißbräuche wie den Ablaßhandel und die römische Korruption. Nur machte man ihm die Schrift Freiheit eines Christenmenschen zum Vorwurf, weil sie den gemeinen Mann dazu verleite, jede Autorität zu verneinen. Als Luther von der Kommission aufgefordert wurde, einen Richter für seine Sache zu benennen, antwortete er: „Der Papst ist kein Richter in Sachen, die Gottes Wort und Glauben angehen, vielmehr muß ein Christ für sich selbst prüfen und urteilen.“ Damit war Luthers Anliegen auf dem Wormser Reichstag endgültig gescheitert. Er reiste am 26. April 1521 wieder unter dem Schutz des freien kaiserlichen Geleites von Worms ab. Der Kaiser verhängte am 8. Mai 1521 die Reichsacht über Luther, die als „Wormser Edikt“ jedoch erst am 26. Mai publiziert wurde.

Welche Einstellung vertrat Luther gegenüber der Obrigkeit? Der einzelne sollte der Obrigkeit untertan sein. Durch Luther endete die Vorherrschaft von Papst und Kirche, aber an deren Stelle trat der jeweilige Landesfürst. Die Landeskirche war mit der Landesherrschaft eng verbunden. Wer sich gegen die Herrschaft erhob, konnte nicht mit dem Beistand der Kirche rechnen. Im Einverständnis mit den Kirchen schlugen „die Herrschaften“ blutig die Rebellion der Bauern nieder.

Warum wandte sich Luther von den Ärmsten der Gesellschaft, den Bauern, ab? In dem Buch Die Glaubensentscheidung Luthers und ihre Folgen von Dieter Stoodt finden wir eine Stellungnahme dazu: „Aber man darf nicht unterschlagen, daß er die Fürsten aufforderte, hart zurückzuschlagen; was diese denn auch prompt taten. Jahre später sprach Luther davon, daß er selber mit den Schriften und Predigten die Massen der Bauern erschlagen habe ... Wieder andere bemerken, daß Luther sich, um die Reformation zu retten, von den revolutionären Bauern lossagen mußte; er habe eben nur die Wahl gehabt, entweder mit den Bauern zusammen unterzugehen oder aber die Reformation ohne die Bauern zu retten. Endlich macht mancher zugunsten Luthers geltend, daß Luther sich von den Bauern trennen mußte, weil sie ihre politischen und sozialen Forderungen mit dem Evangelium begründeten und dann in der Form der Gegengewalt durchzusetzen suchten ... Und als die Bauern losschlugen, schoben die Herrschaften Luther die Mitschuld in die Schuhe. Luther selbst beurteilte die Dinge dagegen anders ... Es sollte eine ‚Revolution der Überzeugungen‘ werden, eine Wandlung des Sinnes bei den Herrschenden wie bei den Massen — durch den Glauben“ (Seite 10, 11). Wir wissen, daß allen Vorläufern Luthers der Durchbruch nicht beschieden war. Sie wurden, wenn sie nicht widerriefen, blutig niedergeschlagen oder mußten auf dem Scheiterhaufen sterben.

Heute, 450 Jahre später, schaltet man einen versöhnlichen Kurs ein, da man sich um den Zusammenschluß aller Religionen bemüht. Auch hier in Worms kam dies im Jahre 1971, anläßlich der 450-Jahr-Gedenkfeier des Auftretens Martin Luthers vor dem Reichstag zu Worms 1521, zum Ausdruck. Ein ökumenischer Gottesdienst fand im Wormser Dom statt, was vor Jahren dergestalt kaum möglich gewesen wäre. Bundespräsident Dr. Heinemann hielt zum Gedenken an diesen Tag am 17. April 1971 im Städtischen Festspielhaus in Worms in Anwesenheit hoher Persönlichkeiten beider Konfessionen eine Ansprache, in der er mit der Reformation und deren Erben hart ins Gericht ging, indem er die oft allzu selbstverständliche Verflechtung der Kirche mit dem Staat kritisierte und nahelegte, „daß die Spaltung der Kirche Christi ein Ausdruck des Ungehorsams der Christen ist, ein Beweis, daß es in der Vergangenheit und Gegenwart auch in der Kirche oft mehr um die Fragen der Macht und der falschen Autorität als um das Hören auf Gottes Wort geht“.

Eins war von herausragender Bedeutung: das Memorandum der Wormser Katholiken und Geistlichen an Papst Paul VI. um „ein klärendes Wort des Papstes zur Person und zur Lehre Martin Luthers aus heutiger katholischer Sicht im Interesse der Vertiefung ökumenischer Arbeit“. Ferner schloß dieses Memorandum noch die Bitte um Rücknahme des Kirchenbannes ein. Dies alles geschah unter Bezugnahme auf nachstehende Anregungen: Worte Papst Pauls VI.: „Wenn uns eine Schuld an dieser Trennung zuzuschreiben ist, so bitten wir Gott demütig um Verzeihung und bitten auch die Brüder um Vergebung ...“ (Eröffnungsrede zur 2. Sitzung des II. Vatikanischen Konzils, 29. 9. 63). Nachkonziliare Erklärung der römischen Kongregationen: „Der Geist des Herrn ist in der ökumenischen Bewegung unserer Zeit am Werk, damit durch Überwindung der Hindernisse, die sich der völligen kirchlichen Gemeinschaft entgegenstellen, die Einheit aller Christen schließlich wiederhergestellt und sichtbar wird“ (Ökumenisches Direktorium, Rom, 16. 4. 70). Kardinal Willebrands (Vorsitzender des Sekretariats für die Einheit der Christen): „Mit Kardinal Bea möchte ich betonen, daß es im folgenden nicht darum gehen soll, die Schuld an der unglücklichen Spaltung gegeneinander aufzurechnen, sondern gemeinsam wollen wir nach Wegen suchen, um die verlorengegangene Einheit wiederherzustellen. Wer würde nicht einsehen, daß dazu eine gerechtere Beurteilung der Person und des Werkes Martin Luthers gehört?“ (Rede vor der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Evian-les-Bains, 15. 7. 70). Der Sprecher des vatikanischen Presseamtes, Prof. Federico Alessandrini, bestätigte den Eingang dieses Briefes und erklärte, daß diese Bitte geprüft werde.

Im Anschluß an diese Feierlichkeiten in Worms fand ein ökumenischer Kirchentag in Augsburg statt. Das Thema „Glaubensnot“ fesselte das Interesse der rund 7 000 Dauerteilnehmer. Alle Sprecher hoben die Bedeutung dieser Begegnung als einen Beginn zu intensiverer ökumenischer Zusammenarbeit hervor. Kardinal Döpfner, Vorsitzender der deutschen katholischen Bischofskonferenz, sagte, daß die Christen wieder eins werden könnten, dazu habe das ökumenische Pfingsttreffen sicher auch einen Beitrag geleistet. Vor dem eigentlichen Schlußgottesdienst waren in einer Zusammenfassung die Ergebnisse und Resolutionen aus den Arbeitskreisen dieses Treffens vorgetragen worden: ein neues ökumenisches Treffen in zwei Jahren, Teilnahme auch für evangelische Christen an der Eucharistie, Verzicht auf moralischen Druck bei Taufe und Kindererziehung. Ferner wurde den Kirchen vorgehalten, sie seien in ihrer Tendenz zur Selbstbewahrung zum Selbstzweck geworden. Eingeleitete Reformen seien oft nur bloße „Schönheitsoperationen“. Andererseits wurde aber auch gefragt, ob den Kirchen nicht zuviel Falsches aufgebürdet werde. Ein Dominikaner aus München stellte fest, daß es nur noch e i n kirchentrennendes Hindernis gebe: den Primat des Papstes als zentralisierte Herrschaftsgewalt.

Interessant wird es sein, zu beobachten, ob sich alle „christlichen“ Religionsgemeinschaften im Schoße der katholischen Kirche wiedervereinigen lassen. Sind die Bemühungen um eine Zusammenarbeit oder eine ökumenische Bewegung nicht etwas Gutes in Gottes Augen?

Als Jesus Christus, der Sohn Gottes, auf Erden war, bemühte er sich nicht, mit den verschiedenen Sekten des Judentums in religiöser Hinsicht zusammenzuarbeiten. Im Gegenteil, er verurteilte sie. Wahre Christen blicken nicht auf die ökumenischen Bewegungen in der Hoffnung, sie würden zwischen den Religionsgemeinschaften Frieden stiften. Gottes Wort, die Bibel, prophezeit eindeutig, daß es keinen Frieden durch Kompromisse in bezug auf die göttliche Wahrheit geben wird. Christus hat seinen Jüngern bereits seinen Frieden gegeben, und sie brauchen keine Kluft zu beseitigen, die vor 450 Jahren entstand. Sein Frieden ist anders als der Frieden dieser Welt. „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Ich gebe ihn euch nicht so, wie die Welt ihn gibt. Euer Herz werde nicht beunruhigt noch vor Furcht verzagt.“ — Joh. 14:27.

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