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Die verzweifelte Suche nach EnergiequellenErwachet! 1978 | 22. Mai
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Die verzweifelte Suche nach Energiequellen
„DAS Ausmaß ist für uns unvorstellbar. ... Es wird fast mit Sicherheit zu einem gewaltigen gesellschaftlichen Chaos führen, in den Industrieländern eher als irgendwo anders.“ Diese Worte äußerte der Ozeanograph Jacques Cousteau, als er kürzlich von einer „drastischen Energiekrise in den 1980er Jahren“ sprach.
So mancher andere hingegen ist in der Lage, auf Skizzen und Statistiken zu verweisen, denen man entnehmen kann, daß unserer Erde noch genügend Öl, Kohle und andere Bodenschätze verblieben sind, aus denen Energie, und zwar Energie in Fülle, gewonnen werden kann. Wenn man sich über die „Energiekrise“ informiert, wird man offensichtlich bald bemerken, daß Uneinigkeit und Verwirrung besteht.
Aber wieso diese Verwirrung?
Besteht eine echte Krise? Wir können doch mit Sicherheit feststellen, ob wir einer Energieknappheit entgegengehen, oder? Eine Hausfrau weiß, wann die Vorratskammer leer ist. Wieso ist es anscheinend unmöglich, auf die Frage nach den Energiereserven eine klare Antwort zu erhalten?
Der Grund: Es handelt sich nicht um ein einzelnes Problem, sondern um eine Kombination von Problemen. Die Lösungsvorschläge sind gleichermaßen zahlreich. Wie ein Energieexperte sagte, sind die Ursachen der Krise „teils materieller, teils politischer und teils wirtschaftlicher Natur“.
Obendrein hängen viele Lösungen von dem Wörtchen „wenn“ ab. Wenn die einzelnen Völker immer besser zusammenarbeiten, wenn der Mensch eine Lösung ausarbeiten kann, um aus dieser oder jener Quelle auf wirtschaftliche Weise Energie zu gewinnen, wenn sie transportiert und an die Verbraucher verteilt werden kann — dann haben wir die Lösung. Theoretisch ist vieles möglich; in der Praxis ist die Zahl der Möglichkeiten wahrscheinlich begrenzt.
In der bestehenden Weltsituation kann ein Land, das preisgünstig Energie bezieht, der Bevölkerung größere wirtschaftliche Sicherheit bieten. Viele Wissenschaftler glauben, daß der gesamte Lebensstandard von Hunderten von Millionen Menschen auf dem Spiel steht. Ein amerikanischer Sachbearbeiter für Energiefragen sagte es so: „Wenn kein Öl mehr da ist, wird man keine Zeit mehr zum Experimentieren haben.“
Außerdem kann ein Land, das über Energiequellen verfügt, über andere Länder politische und wirtschaftliche Macht ausüben. Hinter der verzweifelten Suche nach Energiequellen verbirgt sich mehr als nur ein einziger Beweggrund.
Um die Vielfältigkeit des Problems zu verstehen, brauchen wir nur eine einzige Energiequelle zu betrachten — Rohöl. Die Menschheit versprach sich vom Rohöl die Lösung der Energieprobleme auf unabsehbare Zeit. Heute nicht mehr. Wieso nicht? Zwar birgt die Erde noch viel Öl in sich, doch sind die Vorkommen ungleich verteilt. Die größten Ölvorkommen haben die arabische Halbinsel und die Sowjetunion. Demzufolge kann eine kleine Zahl von Ländern durch eine Änderung der Ölpreise das Gleichgewicht der Weltwirtschaft drastisch beeinflussen. Große und bedeutende Länder befürchten, daß sie aufgrund ihrer Abhängigkeit vom Öl wirtschaftlich manipuliert werden.
Eine Lösung besteht in der Eröffnung anderer Energiequellen — innerhalb der Landesgrenzen. Allerdings muß die Technik noch vervollkommnet werden, damit man diese Energiequellen ausfindig machen und wirksam verwenden kann. Man wird feststellen, daß der Mensch in vielen Fällen trotz vorhandener Energiequellen jetzt noch nicht weiß, wie man sie nutzbar macht und auf wirtschaftliche Weise verwertet.
In welcher Richtung forscht man?
Hier sind nur einige Energiesysteme aufgeführt, die sich noch im Versuchsstadium befinden oder nur teilweise verwirklicht sind:
● Mehrere Länder befassen sich mit geothermischer Energie, also der Wärmeentwicklung im Erdinnern. (Siehe „Erwachet!“ vom 22. April 1978.)
● Kernfusion — im Unterschied zu den gegenwärtig bestehenden Atomkraftwerken, in denen Atome gespalten werden, werden die Kerne zweier Elemente miteinander verschmolzen, wodurch ein enormes Maß an Energie frei wird. Probleme: Die technische Ausführung ist extrem kompliziert; die Kosten sind gegenwärtig sehr hoch. Man hält es für möglich, daß es im Jahr 2000 „wirtschaftlich machbar“ sein könnte.
● Ein erneutes Interesse an Kohle, vor allem an der Umwandlung von Kohle in Gas- oder Flüssigbrennstoff.
● Windmühlen und Anlagen, die die Gezeiten nutzen, sind vielversprechend, bedürfen aber noch einer Weiterentwicklung, um rentabel zu werden.
Abgesehen von Obenerwähntem, gibt es noch zwei andere bedeutende Energiequellen, deren Entwicklung gegenwärtig in mehreren Ländern gefördert wird: Atomkraftwerke (Kernspaltung) und Sonnenenergie.
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Bundesrepublik: Dilemma mit der AtomenergieErwachet! 1978 | 22. Mai
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Bundesrepublik: Dilemma mit der Atomenergie
Vom „Awake!“-Korrespondenten in der Bundesrepublik Deutschland
ATOMKRIEG! Erschrickt man nicht bereits bei dem bloßen Gedanken daran? Der rasche Zusammenbruch der Hitlerarmee im Frühjahr 1945 hat Deutschland möglicherweise davor bewahrt, das erste Land zu sein, das von einem Atomkrieg betroffen wurde. Doch jetzt, nach mehr als dreißig Jahren, wird dieses Land von einer Auseinandersetzung heimgesucht, die führende deutsche Tageszeitungen und Zeitschriften als einen „Atomkrieg“ anderer Art bezeichnen — ein ernst zu nehmender Atomkrieg, der weitreichende Folgen nach sich ziehen könnte.
Alle Parteien stimmen höchstens darin überein, daß es bei diesem Krieg um den einen Streitpunkt geht: die Nutzung der Atomenergie für friedliche Zwecke. Somit handelt es sich um einen „friedlichen Atomkrieg“, wenn man das so sagen möchte. Doch damit hört schon die Einstimmigkeit auf, und die Meinungsverschiedenheiten setzen ein. Ist es ratsam und notwendig, vornehmlich Atomkraftwerke zu bauen? Wenn ja, sorgen die Bauvorschriften für eine genügend hohe Sicherheit? Wie steht es mit der Beseitigung radioaktiver Abfälle? Ist es weise und wünschenswert, anderen Ländern Atomkraftwerke zu verkaufen? Wie kann man wirksam verhindern, daß Terroristen eventuell Kenntnisse über atomare Vorgänge mißbrauchen?
Dem Menschen ist es gelungen, das Atom zu spalten, doch ist es ihm nicht gelungen, zu verhindern, daß durch seine Kenntnisse die Einheit der Gesellschaft und der Regierungen gespalten wird. „Die Kernkraft spaltet unser Land“, lautet die Warnung der Titelblatt-Schlagzeile in der Wochenzeitung Die Zeit vom 25. Februar 1977. Könnte es sein, daß das Atom jetzt Rache nimmt?
Bauen oder nicht bauen?
Die Befürworter der Atomkraftwerke argumentieren, daß zusätzliche Energiequellen unerläßlich sind, um die industrielle Kapazität des Landes aufrechtzuerhalten. Sie sagen, daß es im Moment zur Atomenergie keine Alternative gibt. Während sie zugeben, daß gewisse Gefahren bestehen, betonen sie, daß die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen worden sind, um das Risiko zu verringern.
Andererseits sagte Horst-Ludwig Riemer, Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen: „Ich halte nichts von den Prognosen, die immer vorgetragen werden: Nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung könne nur einmal in 10 000 Jahren ein Reaktor kaputtgehen. Niemand kann mir sagen, ob das nicht im ersten Jahr nach Aufnahme des Betriebes passiert.“ In Übereinstimmung damit hieß es in der Süddeutschen Zeitung: „Was prinzipiell irgendwann einmal passieren kann, das kann auch sofort geschehen.“
Die Namen von 3 der über 20 jetzt im Betrieb oder im Bau befindlichen Atomkraftwerke sind schon fast Synonyme für die Protestbewegungen geworden — Wyhl, Grohnde und Brokdorf. Für die bewaffneten Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizisten bei Brokdorf im November 1976 prägte die Hamburger Morgenpost den Ausdruck „kriegsmäßiger Einsatz“. Die Zeitschrift Stern sprach vom „Bürgerkrieg in Brokdorf“ und führte weiter aus: „Der Atomkrieg findet auf der grünen Wiese statt — mit konventionellen Waffen. Seine Strahlung bringt niemanden um, aber die Ausstrahlung der brutalsten Knüppeleien seit den Studentenunruhen 1968 sind auch Gift — Gift für die Politiker. Denn wenn sie es sich weiterhin leisten, kritische Bürger niederknüppeln zu lassen, statt sie anzuhören, wird der Rechtsstaat zum Polizeistaat.“
Bürgerinitiativen, die organisiert wurden, um dem Bau weiterer Atomkraftwerke Einhalt zu gebieten, stehen auf dem Standpunkt, daß es ungefährlichere Alternativen gibt, die eine ausreichende Energieversorgung gewährleisten. Sie protestieren mit eingängigen Parolen wie „Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv“ oder „Atomenergie, um todsicher zu sein“. Sie werfen auch die Frage auf, wo die radioaktiven Abfälle dieser Kraftwerke sicher aufbewahrt werden können.
In einem demokratischen Staat haben die Bürger das Recht, friedlich zu protestieren. Regierungsvertreter sagen, daß sie mit den Bürgerinitiativen an sich keine Kontroverse haben, ja, sie geben sogar zu, daß die Regierung aufgrund der von diesen Gruppen vorgetragenen Argumente es für angebracht hielt, das Energieprogramm und die Baubestimmungen neu zu überdenken. Doch haben radikale und kriminelle Elemente in diese Bürgerbewegungen Eingang gefunden und haben die Protestmärsche, hinter denen ursprünglich eine friedliche Absicht stand, zu gewalttätigen Aufständen gemacht. Einige Führer dieser Bürgerbewegungen gestehen sich die Gefahr der Infiltration durch Extremisten ein, doch wehren sie sich dagegen, mit Terroristen, Radikalen und kriminellen Elementen gleichgestellt zu werden. Ihrer Meinung nach können sie nicht für Personen verantwortlich gemacht werden, die die Protestmärsche für ihre eigenen politischen Ziele mißbrauchen; ebensowenig könne man von ihnen erwarten, daß sie auf ihr Recht auf friedlichen Protest verzichten, nur um einen derartigen Mißbrauch zu vermeiden. Zudem vertreten sie den Standpunkt, daß die Polizei manchmal zu weit gegangen ist und autoritäre Maßnahmen ergriffen hat.
Die führenden Politiker sind sich nicht darin einig, wie das Problem des Protests zu lösen ist. In der Wochenzeitung Die Zeit erschien darüber ein Artikel mit der Überschrift „Das Kabinett ist gespalten“. Das gleiche trifft auf die Gerichte zu. Während ein Gericht entschied, daß der Bau eines Reaktors gestoppt werden sollte, entschied weniger als einen Monat später ein anderes Gericht, daß die Arbeiten an einem anderen Kraftwerk weitergeführt werden könnten. In beiden Fällen ging es im wesentlichen um die gleichen Streitpunkte. Die Frage „Bauen oder nicht bauen?“ bleibt somit bestehen.
Verkaufen oder nicht verkaufen?
Im Jahre 1975 erklärte sich die Bundesrepublik Deutschland bereit, an Brasilien acht Atomreaktoren, eine Fabrik zur Urananreicherung und eine Anlage zur Wiederaufbereitung nuklearer Brennstoffe zu verkaufen. Dieses Projekt stieß auf starke Opposition von seiten der USA. Trotz Widerstands schritt die Bundesregierung zur Ausführung der Pläne und vollendete sie im April 1977. Das Ergebnis ist eine Spannung zwischen zwei mächtigen Mitgliedern der NATO. Wie paradox, daß der Einsatz der Atomkraft in Friedenszeiten die Einheit einer Organisation bedrohen sollte, die gegründet wurde, um den möglichen Mißbrauch der Atomkraft im Kriegszustand zu verhindern!
Der Terroristengefahr entgegentreten
Ein anderer Faktor, der noch hinzukommt, ist die Gefahr, daß Atomenergie von Terroristen mißbraucht werden kann. In der Bundesrepublik Deutschland sind in den vergangenen Jahren schon wiederholt Terroranschläge verübt worden. Folglich besteht ständig die Befürchtung, Terroristen könnten irgendwie in den Besitz von Atombrennstoffen gelangen und daraus eine Atombombe herstellen. Obwohl das zugegebenermaßen nicht ohne Schwierigkeiten geht, ist es doch keineswegs unmöglich. Freilich, wie weit sollte die Regierung gehen dürfen, um dem vorzubeugen? Wäre es gerechtfertigt, sich sogar ungesetzlicher und verfassungswidriger Methoden zu bedienen?
Daß diese Fragen nicht ohne Bedeutung sind, kann man Zeitungsberichten vom März des vergangenen Jahres entnehmen, wonach der Atomwissenschaftler Klaus Traube Opfer illegaler Abhörmaßnahmen wurde. Man verdächtigte ihn, mit Terroristen in Verbindung zu stehen, und aus Furcht, Terroristen könnten sich durch ihn Kenntnisse über die Kernspaltung aneignen, mißachtete ein Bundesamt die Vorschriften über Abhörmaßnahmen.
Diese Offenbarung löste eine Kettenreaktion aus und brachte einen ähnlichen Vorfall ans Tageslicht. Die Regierung gab zu, in den Jahren 1975 und 1976 Privatgespräche zwischen den jetzt für schuldig erklärten Rädelsführern der Baader-Meinhof-Bande und deren Rechtsanwälten ebenfalls ungesetzlicherweise aufgezeichnet zu haben. Ulrike Meinhof, die im Verlauf der zwei Jahre langen Verhandlungen Selbstmord beging, hatte befürchtet, daß ihre Unterhaltungen aufgezeichnet würden, weshalb sie sich gelegentlich geweigert hatte, mit ihren Rechtsanwälten zu sprechen, und darauf bestanden hatte, mit ihnen schriftlich zu verkehren. Obwohl zwischen diesem Vorfall und dem Atomenergieproblem keine direkte Verbindung besteht, ist er aufgrund der Befürchtung an die Öffentlichkeit gelangt, Terroristen könnten Kenntnisse über die Kernspaltung mißbrauchen. Zweifellos ist dadurch zwischen der Regierung und der Bevölkerung ein Vertrauensbruch entstanden, der eine Einigung in der Frage der Atomenergie zusätzlich erschwert.
Opfer
In Kriegszeiten zählt man die Opfer gewöhnlich in Tausenden oder Millionen von Toten, Verletzten und Vermißten, und ein Krieg ohne Tote wird als unbedeutend angesehen. Obwohl es bei dem bisher friedlichen „Atomkrieg“ in der Bundesrepublik noch keine Toten gegeben hat, besteht die Möglichkeit, daß sich in Zukunft Todesfälle ereignen. Bei Grohnde bekämpften sich 20 000 Atomkraftgegner und 4 000 Polizisten mit Schlagstöcken, Ketten, Eisenstangen, Molotowcocktails, Tränengas und Wasserwerfern, wobei 300 Personen schwer verletzt wurden. Bei solchen Auseinandersetzungen könnten leicht mehrere ums Leben kommen. Wie die Demonstranten befürchten, könnte ein Entweichen radioaktiven Materials aufgrund eines technischen Versagens viele Opfer zur Folge haben.
In einem gewissen Sinne ist sogar die Regierung ein Opfer geworden. Die zunehmende Spannung läuft auf eine Schwächung der demokratischen Abläufe im Lande und der internationalen Beziehungen hinaus. Die vor Gericht errungenen Siege und die Popularität dieser Bürgerinitiativen haben viel zur Zunahme ihrer Macht und Ausdehnung ihres Tätigkeitsfeldes beigetragen. Zum Beispiel wurde weniger als drei Monate nach den Demonstrationen bei Grohnde ein vorübergehender Stopp der dortigen Bauarbeiten erwirkt. Das hat zu der Befürchtung Anlaß gegeben, daß die zunehmende Macht der Bürgerinitiativen die ordnungsgemäße Funktion der Regierung beeinträchtigen könnte. Würde das eintreten, wäre ein Chaos die Folge.
Nicht umsonst ist der Durchschnittsbürger beunruhigt. Der Gedanke an eine Einbuße seiner Freiheit und an einen Regierungszusammenbruch erfüllt ihn mit Sorge. Andererseits macht er sich Gedanken über die zunehmende Nutzung der Atomkraft, die radioaktive Verseuchung und den möglichen Mißbrauch der Atomkraft durch Terroristen.
Dieses Dilemma ist nur eines der vielen, mit denen sich Menschen heute in verschiedenen Teilen der Welt auseinandersetzen müssen. Offensichtlich sind neue Lösungen gefragt. Gehört dazu die Sonnenenergie?
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Ist das „Sonnenhaus“ eine Lösung?Erwachet! 1978 | 22. Mai
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Ist das „Sonnenhaus“ eine Lösung?
Vom „Awake“-Korrespondenten in Japan
DIE hellrote Scheibe auf weißem Untergrund ist das japanische Nationalsymbol und erinnert auch insgeheim an die Zeit, in der die Sonne in diesem Land als die Göttin Amaterasu Omikami angebetet wurde. Seit einiger Zeit richtet sich die Aufmerksamkeit der Japaner wieder „gen Himmel“, doch geht es diesmal um die Suche nach einer preisgünstigen Energiequelle.
In Wirklichkeit kann man in Japan bereits seit Jahren auf Zehntausenden von Hausdächern Sonnenkollektoren für die Hausheizung sehen. Aber erst seit der Ölkrise von 1973 und der damit verbundenen Gefahr der Energierationierung macht man sich ernsthaft Gedanken darüber, die Verwendung von Sonnenkollektoren auch auf öffentliche Gebäude auszudehnen.
Einen bemerkenswerten Schritt in diese Richtung unternahm man in der Stadt Numasu (Japan), die mehr als 203 000 Einwohner hat und zwischen dem Fudschijama und dem Meer liegt. Beamte und Ingenieure entschieden sich dafür, durch Nutzbarmachung der Sonnenenergie den Ölverbrauch der Stadt zu senken. Das erste praktische Ergebnis war die Errichtung des neuen Gebäudes, das die Kanaoka-Halle und die Stadtverwaltung faßt und passenderweise als Taiyo no Ie, „Haus der Sonne“ oder „Sonnenhaus“, bezeichnet wird. Dadurch, daß die Sonnenstrahlen, die auf das Dach treffen, nutzbar gemacht werden, sparte die Stadt Numasu bereits im ersten Jahr Ausgaben in Höhe von 5 000 Dollar. Würdest du gern mehr über die Einzelheiten kennenlernen, durch die das „Sonnenhaus“ zum Erfolg wurde?
Die Sonnenenergie nutzbar machen
Man sagt, daß die Erde 20 000mal soviel Sonnenenergie auffängt, wie der Mensch nutzbar macht. Somit ist das große Potential dieser Energiequelle offensichtlich. Bei der Verwertung der Sonnenenergie stößt man auf zwei Hauptschwierigkeiten: 1. ist sie nicht gleichbleibend (Erdumdrehung und Bewölkung bewirken Unterbrechungen), und 2. erfordert die geringe Intensität große Kollektorflächen, damit man die Energie nutzbar machen kann.
Die vielen verschiedenen Systeme, die man sich ausgedacht hat, um sich die Sonnenenergie dienstbar zu machen, reichen von einfachen Reflektorkochern, die innerhalb von zwanzig Minuten einen Liter Wasser zum Sieden bringen können, bis zu Solarzellen (gewöhnlich aus Silizium hergestellt), die die Sonnenenergie direkt in Elektrizität umwandeln. Ein großer Sonnenofen in Südfrankreich, der mit 3 500 kleinen Spiegeln arbeitet, die auf einen zentralen Punkt gerichtet sind, erzeugt Temperaturen bis zu 2 980 °C. Einige Wissenschaftler treten für ein Sonnenkraftwerk ein, das im Weltraum stationiert werden und die Energie (in Form von Mikrowellen) zu einem großen Empfänger auf der Erde schicken soll. Andere meinen, daß man den Strombedarf der Vereinigten Staaten decken könnte, wenn man in einem großen Wüstengebiet Sonnenkollektoren aufstellen und diese Energie verwenden würde, um für den Antrieb von Turbinen Dampf zu erzeugen.
Obwohl es viele Möglichkeiten gibt, die Sonnenenergie nutzbar zu machen, bedürfen die meisten dieser Systeme noch intensiver Forschungsarbeit, bevor man sie in großem Umfang einsetzen kann. Doch das System auf dem „Haus der Sonne“ ist bereits in Betrieb und spart dank der verschmutzungsfreien Sonnenenergie Kosten und Bodenschätze. Diese Methode hat sich als so erfolgreich erwiesen, daß Kyohiko Watenabe, der in Numasus Umweltschutzbüro stellvertretender Leiter der Abteilung für Neubauten und Restaurationen ist, die Meinung vertritt, man sollte innerhalb von drei Jahren für alle Regierungsneubauten ähnliche Systeme vorschreiben.
Statt zu warten, bis ein umfassendes Sonnenenergiesystem vollkommen entwickelt wäre, entschieden die Beamten der Stadt Numasu, das zu verwenden, was bereits entwickelt war. Das System ist einfach, hat aber einen Wirkungsgrad von 30 Prozent. An einem sonnigen Tag fängt es genügend Energie auf, um das zweistöckige Gebäude mit 716 Quadratmeter Bodenfläche zu heizen oder zu kühlen und mit Heißwasser zu versorgen, das man zum Waschen oder zur Teezubereitung verwenden kann. Ist es regnerisch oder bewölkt, kann es notwendig werden, daß an einem von drei Tagen ein Zusatzboiler aushilft. Doch daß in einem Land, das 98 Prozent seines Ölbedarfs mit Importen decken muß, zwei Drittel der Heizenergie durch die Sonnenstrahlung gedeckt werden, ist sicherlich ein bemerkenswerter Fortschritt. Wie macht das „Haus der Sonne“ diese Energie nutzbar?
Auf dem Dach sind 224 Kollektoren in Reihen angeordnet, und zwar in einem Winkel von 25 °, damit sie die Sonnenstrahlen direkt einfangen können. Jeder Kollektor ist mit Glas abgedeckt, so daß die Sonnenstrahlen durchscheinen können. Das Wasser durchströmt kleine schwarze Röhren und wird dadurch aufgeheizt. Dieses aufgeheizte Wasser fließt in einen 20-Tonnen-Vorratstank, wo es Siedetemperatur erreichen kann. Wird dieses aufgespeicherte Wasser kühler als das Wasser in den Dachkollektoren, treibt es eine kleine Pumpe durch die Heizkörper im Gebäude, und Ventilatoren verteilen die Wärme. Das Wasser ist nicht trinkbar, da es mit Chemikalien durchsetzt ist, die Rost- und Schlammbildung verhindern sollen. Allerdings wird im Innern des großen Vorratsbehälters ein getrennter 5-Tonnen-Behälter aufgeheizt, damit zum Waschen und für die Teezubereitung Wasser vorhanden ist.
Nach dem Prinzip, das in gasbetriebenen Kühlanlagen verwirklicht ist, kann die Sonnenenergie auch zum Kühlen des Gebäudes verwendet werden. Je heißer es also draußen wird, um so mehr Kühlenergie steht zur Verfügung. Wenn man sich an einem sehr heißen Sommertag im „Sonnenhaus“ aufhält und dabei feststellt, daß die Innentemperatur 25 °C beträgt, hat man einen überzeugenden Beweis dafür, daß die Sonnenenergie auf sehr nutzbringende Weise eingesetzt werden kann.
Das „Sonnenhaus“ in Numasu ist ein praktisches Beispiel für die Nutzung einer Super-Energiequelle, von der man am besten zwischen dem 35. Grad nördlicher und dem 35. Grad südlicher Breite Gebrauch machen kann. Die Stadtverwaltung von Numasu ist so davon überzeugt, sich für das Richtige entschieden zu haben, daß in einem neuen Altersheim in dem Stadtviertel Ashitaka ebenfalls ein Sonnen-Heiz-Kühl-System installiert wurde.
Dieses neue Gebäude hat eine doppelt so große Bodenfläche wie das „Sonnenhaus“, und somit ist die Kapazität seines Sonnenenergiesystems doppelt so groß. Auf dem Dach sorgen 522 Kollektoren für Energie, die zum Heizen und Kühlen des Hauses und auch für das Heißwasser ausreicht, das man für die Teezubereitung und zum Baden braucht. Da man für eine eventuelle Gebäudeerweiterung zusätzlich eine Kollektorenfläche von 100 Quadratmetern gebaut hat, hat diese Anlage einen Wirkungsgrad von 37 Prozent und kann noch für späteren Gebrauch Energie aufspeichern.
Lösung künftiger Energieprobleme?
Sind die Sonnenenergiesysteme mit Schwierigkeiten oder Nachteilen verbunden? Ja. Das größte Problem bestand darin, für eine geregelte Strömung des Wassers innerhalb der Röhren der zwei Quadratmeter großen Kollektoren zu sorgen. Doch das wurde überwunden, und das System des „Sonnenhauses“ hat bisher relativ wenige Instandhaltungsarbeiten erfordert. Was wahrscheinlich die meisten zurückhält, sind die Anschaffungskosten, die die eines herkömmlichen Gas- oder Ölheizungssystems bei weitem überschreiten. Aber dank der Energieeinsparungen werden die zusätzlichen Kosten für das System des „Sonnenhauses“ in sieben Jahren abbezahlt sein oder sogar noch eher, sofern die Ölpreise weiterhin steigen. Das Altersheim in Ashitaka hatte zusätzliche Baukosten in Höhe von 61 667 Dollar, doch schätzt man, daß diese Aufwendungen nach 4,2 Jahren Betriebszeit gedeckt sein werden. Wie kommt das? Für das Heizen und Kühlen des Gebäudes müssen jährlich 2 500 Dollar ausgegeben werden, wogegen eine vergleichbare Einrichtung, die ebenfalls fünfzig Personen beherbergt und herkömmliche Heizungssysteme hat, jährlich 17 333 Dollar erfordert.
Welchen Eindruck haben wir also vom „Haus der Sonne“? Erstens hilft es uns, die Sonnenenergie realistischer einzuschätzen. Es ist kein umfassendes Energiesystem. Für Leuchtkörper und Büromaschinen ist Strom erforderlich, ebenso für die Pumpen und Ventilatoren, die zum Sonnenheizsystem gehören. Außerdem muß man, wenn es regnet oder bewölkt ist, den Zusatzboiler einschalten. (Es handelt sich dabei nicht um ein unabhängiges System, sondern er heizt nur das im Sonnenheizsystem befindliche Wasser auf.) Scheint aber die Sonne, was ungefähr während zwei Drittel der Tageslichtdauer der Fall ist, dann wird die Energie, die sonst in die Atmosphäre reflektiert oder vom Dach aufgenommen wird, durch ein praktisch verschmutzungsfreies System genutzt.
Zweitens wird uns durch die Tatsache, daß eine Stadt bereit war, den üblichen Heiz- und Kühlsystemen den Rücken zu kehren, die Notwendigkeit vor Augen geführt, die Verwendung unserer Bodenschätze zu überdenken. Viele Leute befürchten, daß beim gegenwärtigen Verbrauch das Erdöl in verhältnismäßig kurzer Zeit versiegt sein wird. Freilich, wegen der bequemeren Handhabung der daraus gewonnenen Brennstoffe zögern die Leute, neue Methoden zu übernehmen, die eine Umstellung in ihrem Energieverbrauch oder höhere Ausgaben für die Anschaffung erfordern könnten, obwohl diese Verfahren, auf lange Sicht gesehen, überlegen sind.
Drittens fördert die Abhängigkeit von der Sonnenenergie die Wertschätzung für Alltagserscheinungen und für vieles, was wir vielleicht als selbstverständlich hingenommen haben. Der Ingenieur von der Stadtverwaltung, der uns das „Sonnenhaus“ zeigte, machte interessanterweise die Bemerkung, daß er vor dem Bau dieses Gebäudes nie echte Wertschätzung dafür hatte, daß jeden Morgen die Sonne aufgeht. Denke nur einen Augenblick darüber nach. Wenn die Sonne nicht scheinen würde, würde überall auf der Erde eine Temperatur von minus 240 °C herrschen.
Auch ohne Sonnenkollektoren auf dem Dach beeinflußt die Sonnenenergie unser Leben auf vielfältige Weise. Durch das Sonnenlicht können die Pflanzen das Kohlendioxyd aus der Luft und den Wasserstoff aus dem Grundwasser in Kohlenhydrate verwandeln, die wir durch die Nahrung zu uns nehmen. Ebenfalls eine Wirkung der Sonnenenergie ist der Wind, da er durch das Aufheizen und Abkühlen der Landmassen und der Atmosphäre verursacht wird. Die Sonnenwärme läßt auf der Erde jeden Tag Mengen von Wasser verdampfen, das später als Regen oder Schnee niedergeht. Durch das fließende Wasser in Flüssen oder in Staubecken kann sich der Mensch indirekt die durch die Sonne entstandene Energie mit Hilfe von Wasserrädern und Wasserkraftwerken dienstbar machen.
Die Sonne „schickt“ jedes Jahr eine Energie von 700 Billiarden Kilowattstunden auf die Erde. Allerdings ist dieser phantastische Betrag nur ein winziger Bruchteil der gesamten Energie, die die Sonne ringsherum in alle Richtungen abstrahlt. Bis zu welchem Umfang der Mensch künftig diese praktisch unbegrenzten Energievorräte nutzen kann, wird sich noch herausstellen. Doch daß er — wenn er sich dazu entschließt — sich die Sonnenenergie dienstbar machen kann, wird offenkundig, wenn wir an moderne Gebäude wie das „Haus der Sonne“ denken.
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