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Die mönchischen EssäerDer Wachtturm 1953 | 1. November
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Die mönchischen Essäer
HAST du je etwas von den Essäern gehört? Nein? Nun, das überrascht uns gar nicht. Obwohl sie zur Zeit Christi in Palästina lebten, waren sie eine so kleine, unbedeutende Sekte, daß sie kein einziges Mal in der Schrift erwähnt werden. Was wir von ihnen wissen, ist uns durch Josephus, Philo und Plinius den Älteren überliefert worden. Da die Zuverlässigkeit dieser Schriftsteller aber etwas zu wünschen übrig läßt, ist es nicht überraschend, zu finden, daß die Gelehrten unterschiedliche Dinge über diese Essäer berichten.
Wir sind in bezug auf das, was von ihnen bekannt ist, besonders von Josephus abhängig, der Informationen aus erster Hand von ihnen hatte. Obwohl Josephus selbst Pharisäer war, und obwohl die Essäer nur etwa viertausend Mitglieder zählten, finden wir doch, daß er den Essäern zehnmal mehr Raum einräumt als den Pharisäern und Sadduzäern. Warum dies, wenn doch die biblischen Schreiber sie ganz unbeachtet ließen? Weil die Bibelschreiber nur darum besorgt waren, einen genauen Bericht über die folgenschweren Ereignisse zu geben, die zu ihrer Zeit eintraten, während Josephus, ein Jude, der in dem mit griechischer Kultur gesättigten Rom lebte, ein besonderes Interesse hatte, einen guten Eindruck auf die Römer zu machen; und er fand die Essäer für diesen Zweck besonders geeignet, da sie mehr von der griechischen Philosophie angenommen hatten als irgendeine andere jüdische Sekte.
Es ist von Interesse, zu beachten, daß die Sektierer vom Toten Meer, die Schreiber der Toten-Meer-Rolle Jesajas und anderer Rollen, welche beim Toten Meer im Jahre 1947 gefunden wurden, Essäer gewesen zu sein scheinen, denn unter den vorgefundenen Rollen fand sich auch ein „Handbuch“ ihrer Bräuche und Tätigkeit, das eine auffallende Ähnlichkeit mit dem aufweist, was Josephus über die Essäer zu sagen hat. Wo ein gewisser Unterschied besteht, kann dieser auf Grund des Umstandes erklärt werden, daß Josephus seinen Bericht so färbte, daß die Essäer mehr griechische Kultur gehabt zu haben scheinen, als dies tatsächlich der Fall war.
Warum die Bezeichnung „mönchische“ Essäer? Weil sie eine „mönchische Organisation“ hatten, eine, die „ähnlich ist wie die Mönchseinrichtungen der späteren Zeit“. Sie waren eine Sekte mystischer Asketen, die ihr Fleisch streng danieder hielten und der Schrift einen mystischen oder allegorischen Sinn verliehen. Sie scheinen sich allmählich entwickelt zu haben, und ihr genauer Ursprung ist unbekannt. Sie werden erstmals zur Zeit der Makkabäer erwähnt, etwa 150 Jahre vor Christus. Ihre Religionsanschauungen waren entweder mit griechischer oder persischer Philosophie gefärbt, und so ist es nicht verwunderlich, daß sie an die Unsterblichkeit der Seele und die Vorherbestimmungslehre glaubten.
Einige, wie z. B. McClintock & Strong’s Cyclopaedia, sind der Ansicht, es seien extreme Pharisäer gewesen, solche, die meistens die Ehelosigkeit praktizierten und die die pharisäischen Lehren eher bis zu ihrem konsequenten Extrem verfolgten, als in spitzfindiger Weise ihre Lehren zurechtzustutzen, damit sie ihrem Belieben paßten, wie dies die Pharisäer im allgemeinen taten. Zu dem, was die Essäer und die Pharisäer gemein hatten, gehörte folgendes: das Betrachten eines gemeinsamen Mahles als ein Sakrament; das jedesmalige Baden, bevor sie daran teilnahmen; das jedesmalige Baden nach dem Befriedigen der natürlichen Bedürfnisse; das Bedecken des unteren Teils des Körpers beim Baden mit einem kleinen Schurz; vier Grade oder Klassen von Reinheit innerhalb der Sekte; das „Als-heilig-Betrachten“ einer Versammlung der Anbetung, wenn zehn Personen, eine vollständige Zahl, anwesend waren; ein Sichenthalten von Eiden; die Weigerung, am Sabbat ein Gefäß zu bewegen.
BRÄUCHE DER ESSÄER
Es bestehen viele widerspruchsvolle Meinungen über die Frage, warum diese Sekte der Juden „Essäer“ genannt wurde. Ja, es werden etwa zwanzig verschiedene Erklärungen hierfür gegeben, von denen die meisten auf ihre besonderen Bräuche Bezug nehmen, z. B. sie seien „Stumme“, „Seher“, „Fromme“, „Ärzte“, „Brüder“, „Zurückgezogene oder Abgeschlossene“.
Die Essäer lebten hauptsächlich in Landgemeinden und hatten einen Vorsitzenden, der auch als Richter amtete und von allen Gliedern der Gemeinde gewählt wurde. Sie betrieben verschiedene Arten von Landwirtschaft, pflanzten Getreide, hielten Herden, Bienen usw. und stellten ihre Kleider selbst her; denn sich von Außenstehenden etwas zu beschaffen, hätte sie verunreinigt. Sie hatten all ihren Besitz gemeinsam und waren gegen die Sklaverei und gegen den Krieg. Da sie keine eigenen Kinder hatten, adoptierten sie Kinder anderer.
Sie standen frühmorgens auf und begannen den Tag mit Gebet, wobei sie sich der Sonne zuwandten, trieben also eine Art Sonnenanbetung. Vor der Morgenandacht durfte kein weltliches Gespräch geführt werden. Dann begaben sie sich an die Erfüllung ihrer Pflichten. Um die fünfte Stunde, also etwa um 11 Uhr, badeten sie, legten weiße Gewänder an und versammelten sich in ihrem Refektorium oder dem heiligen Speisesaal zu ihrer Mahlzeit, die aus ganz einfacher Kost bestand. Der Priester amtete als Vorsitzender, und er brachte bei Beginn und am Ende der Mahlzeit Dank dar, und niemand sonst sprach ein Wort. Dann legten sie wieder ihre Arbeitskleider an und arbeiteten bis ans Ende des Tages.
Außer der Landwirtschaft und der damit verbundenen Tätigkeit widmeten sie sich den Heilkünsten und machten besonderen Gebrauch von Wurzeln für Medizin. Auch interessierten sie sich für Wohltätigkeit gegenüber anderen. Da sie alle ihre Mittel in den gemeinsamen Schatzkasten gelegt hatten, gerieten sie auf Reisen oft in Not, und so hatte jede Essäer-Gemeinde einen Verwalter, dessen Geschäft es war, bedürftige Essäer-Fremdlinge mit Nahrung und Kleidung zu versehen.
Am Sabbat versammelten sie sich in ihren Synagogen zum Gottesdienst, und dieser bestand vor allem im Lesen und Besprechen der Heiligen Schrift. Sie setzten sich nach dem Alter; und Lachen und Ausspucken wurde schwer bestraft, sowie Sprechen, wenn die Reihe nicht an ihnen war. Gemäß Josephus beobachteten sie den Sabbattag „strikter als irgend sonst jemand der Juden“. Nicht nur wiesen sie es zurück, irgendwelche Speise am Sabbat zu wärmen oder ein Gefäß am Sabbat zu heben, sondern sie gingen selbst so weit, daß sie nicht auf den Abort gingen, oder die natürlichen Bedürfnisse an jenem Tage befriedigten.
Die Essäer wiesen es von sich, sich zu salben, da sie ein Salböl oder irgendein Öl als unrein ansahen, während man doch in Anbetracht der Hitze fast gezwungen war, von solchem Gebrauch zu machen, um rein zu bleiben. Sie betrachteten es als etwas Gutes, verschwitzt zu sein. Leibesgerüche waren ihnen offenbar nicht unangenehm. Obwohl in Weiß gekleidet, wechselten sie ihre Kleider oder Schuhe nicht, ehe diese gänzlich ausgetragen oder zerfetzt waren.
Wer ein Mitglied der Essäer werden wollte, mußte in erster Linie all sein Besitztum der Sekte übergeben, worauf er einen kleinen Spaten erhielt, mit dem er ein Loch graben konnte, wenn er seine Notdurft befriedigen wollte, ferner einen kleinen Schurz zum Gebrauch beim Baden und das weiße Gewand. (5. Mose 23:13) Während des ersten Jahres mußte er getrennt von der Sekte wohnen, obwohl er ihre Regeln strikt zu beobachten hatte. Darauf wurde ihm erlaubt, sich beim Baden der Sekte anzuschließen, doch durfte er immer noch nicht mit ihren Mitgliedern essen, sondern konnte dies erst nach zwei weiteren Jahren der Bewährung tun. Wenn er sich drei Jahre lang streng an all die Regeln der Sekte hielt, dann erst, nachdem er „furchtbare Eidschwüre“ abgelegt hatte, wie Josephus sie nennt, furchtbar sowohl in dem, was verlangt wurde, als auch in den damit verbundenen Strafen, wurde er völlig in die Sekte eingeweiht.
Durch diese Eidschwüre, die einzigen, die den Essäern erlaubt waren, gelobten sie der Sekte gegenüber Ehrlichkeit, Reinheit, Loyalität und Geheimhaltung gewisser Dinge derselben. Zu den Dingen, die geheim zu halten waren, gehörten „die Namen der Engel“, und das schloß die Geheimnisse über das Tetragrammaton ein (die vier hebräischen Buchstaben, die Gottes Namen bilden, deren verdeutschte Form „Jehova“ ist) sowie andere Namen Gottes und der Engel. Eine Verletzung irgendeiner der Vorschriften wurde bestraft, indem die Speise für den Betreffenden vermindert wurde, und im Falle des Ausschlusses wurde sie ihm gänzlich entzogen. Da die Essäer alle Nahrung als unrein betrachteten, die nicht von ihnen selbst zubereitet war, starben wegen solcher Strafen gewisse Übertreter sogar eines Hungertodes. Wenn sie bereuten, sollte ihnen vergeben werden, und sie sollten wieder in die Gemeinschaft aufgenommen werden und wieder Nahrung erhalten.
DIE SCHMUTZIGEN LUMPEN DER SELBSTGERECHTIGKEIT
Josephus preist die Essäer höchlich wegen ihrer Frömmigkeit und Wohltätigkeit und führt verschiedene Fälle an, wo von ihnen gesagt wird, sie hätten gewisse Ereignisse genau vorausgesagt. Er lobt sie wegen der großen Anhänglichkeit, die sie zueinander hatten, ferner weil sie alle Vergnügungen als böse mieden und Enthaltsamkeit sowie Beherrschung des Fleisches als große Tugend ansahen. „Indem sie gerechten Zorn zurückhalten, meistern sie ihr Temperament, treten für Treue ein und sind direkt Friedensstifter.“
Gottes Wort sagt uns, daß unsere eigene Gerechtigkeit oder die eigenen guten Werke so seien wie schmutzige Lumpen oder wie ein unflätiges Kleid. (Jes. 64:6) Im Grunde genommen setzten die Essäer gerade in solch schmutzige Lumpen ihr ganzes Vertrauen. Das von Mose gegebene Gesetz Gottes überzeugte sie nicht von ihrem Bedürfnis nach einem sündensühnenden Opfer. Sie übersahen seine Vorkehrungen, zur vorbildlichen Reinigung durch Schuld- und Sündopfer und den Tag der Sühnopfer. Als Johannes der Täufer kam, ließen sie seine Botschaft ebenfalls außer acht sowie die Vorkehrung zu einer sinnbildlichen Reinigung durch Untertauchen im Jordan, und als Christus Jesus kam, ließen sie ihn wie auch sein Opfer außer acht, das allein den Menschen in einen Zustand versetzen konnte, wo er von Gott gerechtgesprochen wird.
Gewisse Leute behaupten, eine Beziehung zu sehen zwischen den Essäern und dem Lauf der Enthaltsamkeit Johannes des Täufers, der in der Wüste wohnte, keinen Wein trank und ein eheloses Leben führte; doch im Hinblick auf das Vorangegangene könnte bemerkt werden, daß die Ähnlichkeit zwischen Johannes dem Täufer und den Essäern gleich groß ist wie diejenige zwischen einem lebenden Menschenkindlein und einer Zelluloidpuppe. Andere möchten uns glauben machen, daß, wenn Jesus von Leuten redete, die sich um des Königreiches der Himmel willen selbst zu Eunuchen machen, und wenn Paulus von der Gabe des Ledigseins sprach, sie an die Essäer gedacht hätten. (Matth. 19:11, 12; 1. Kor. 7:37) Eine solche Schlußfolgerung ist ebenfalls darauf zurückzuführen, daß man den Unterschied des Zieles und Zweckes nicht erkennt, der zwischen einem Handeln gemäß der Schrift und dem Handeln der Essäer bestand. Die wichtigsten Wahrheiten, wonach die Hoffnung der Menschheit in Gottes Königreich und im Messias beruht, übersahen die Essäer völlig.
Während es unter den Essäern eine Gruppe gab, deren Mitglieder heirateten, betrachtete sich die große Mehrheit — im Abscheu gegen die Wechselzeiten der Frau — als zu gerecht, um ein Weib zu berühren; und um sich ihren unnatürlichen Lauf zu erleichtern, redeten sie sich ein, daß die Frauen sie zu Wollust verleiteten und daß keine Frau einem einzigen Manne die Treue bewahre.
Für jeden vernünftigen Sinn müssen die Anstrengungen der Essäer, allzu gerecht zu sein, lächerlich erscheinen. (Pred. 7:6) Welchen Unterschied macht es denn für Jehova Gott, den Allmächtigen, ob sie jedesmal, da sie einem Rufe der Natur folgten, ihr Bedürfnis zu befriedigen, ein Bad nahmen oder nicht? oder ob sie ihre Bedürfnisse am Sabbat stillten oder nicht? oder ob sie zur Rechten oder zur Linken ausspuckten? oder ob sie ihre Kleider und Schuhe trugen, bis sie ganz zerfetzt waren oder nicht?
Anerkannte Gott die feinen Unterschiede der vier Klassen oder Grade unter ihnen, wodurch einer von einem höheren Grade einen anderen von einer niedrigeren Klasse nicht berühren durfte, ohne unrein zu werden? Betrachtete er auch alle Essäer als so viel besser als die übrigen Menschen, daß ihre Berührung eines Fremdlings sie unrein gemacht hätte? Hätte er sie lieber verhungern lassen, als ihnen zu gestatten, etwas zu essen, was Hände von Nicht-Essäern zubereitet hatten und was daher angeblich unrein war?
Ist all dies nicht ein auffallendes Beispiel dessen, was Jehova in Jesaja 65:5, 6 verurteilt hat: „[Der] da spricht: Bleibe für dich und nahe mir nicht, denn ich bin dir heilig [damit ich dich nicht „tabu“ mache, AÜ]: diese sind ein Rauch in meiner Nase, ein Feuer, das den ganzen Tag brennt. Siehe, das ist vor mir aufgeschrieben: Ich werde nicht schweigen, ich habe denn vergolten; und in ihren Busen werde ich vergelten ihre Missetaten.“ Oder wie die van Eß-Übersetzung sich ausdrückt: „Bleibe du für dich und komme mir nicht näher! denn heiliger bin ich als du.“ Josephus und andere mögen die Essäer preisen, aber Jesu Worte an die Pharisäer können richtigerweise auch an sie gerichtet worden sein, besonders weil sie tatsächlich zu den Pharisäern gehört haben mögen: „Ihr seid es, die sich selbst gerechtsprechen vor Menschen, doch Gott kennt eure Herzen; denn was erhaben ist unter Menschen, ist ein Abscheu in Gottes Augen.“ — Luk. 16:15, NW.
Josephus wußte etwa hundertmal soviel über die Essäer zu sagen als über Christus und die Christen. Was aber hat die Geschichte von jenem ersten Jahrhundert nach Christus als von größerer Wichtigkeit dargetan, die Handlungen der Sekte der Essäer oder etwa das, was Christus und seine Nachfolger taten?
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Es gibt keine General Motors der Religion!Der Wachtturm 1953 | 1. November
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Es gibt keine General Motors der Religion!
● Der erstaunlichste Einblick in die Glaubensverschmelzung wurde von Dr. Norman Vincent Peale der New Yorker Marble Collegiate Church gegeben und in der Zeitschrift American vom Juni 1948 veröffentlicht. Er gebrauchte das folgende Beispiel: „In der vorigen Generation wurden eine Anzahl verschiedener Gesellschaften, die viele verschiedene Arten von Kraftwagen herstellten, zu einer großen Korporation zusammengeschlossen. Diese Korporation verschrottete nicht all die alten Modelle, um fortan nur noch eine Wagenart herzustellen, sondern gab weiter viele verschiedene Modelle heraus, um den Ansprüchen der Kunden gewachsen zu sein. Durch die Zusammenlegung der Gesellschaften wurde die Leistungsfähigkeit bedeutend gesteigert, und so sind mehr Wagen für mehr Menschen als jemals zuvor erhältlich geworden.“ Das ist sein Vorschlag für die Glaubensverschmelzung; man solle also alle Sorten von Ideen behalten, um die Kunden zu befriedigen. Reine Anbetung und rechte Lehren sind damit auf den zweiten Platz verwiesen worden. Solche Befürworter der Glaubensverschmelzung möchten die Leute befriedigen, nicht Gott. Sie möchten ihren Gehaltszahlern gefallen; die Kunden sagen lassen, was sie von ihrer Religion erwarten, statt sich erzählen zu lassen, was Gott von ihnen erwartet. Sie machen sich mehr Sorge um die Glaubensverschmelzung als um den wahren Glauben, und jeden, der ihren breiten religiösen Kurs nicht gutheißt, betrachten sie als „engstirnig“. Christi Abgesondertsein hätte ihnen sicherlich nicht gefallen. Im Gegensatz zu ihrer Theorie sagte er: „Schmal ist die Pforte und eingeengt der Weg, der hinüberführt ins Leben, und wenige sind es, die ihn finden.“ Der Weise wird seiner Warnung folgen und die Ursache für seinen Glauben untersuchen, studieren und erkennen. Er wird nur das annehmen, was vollständig zu beweisen ist, und wird sich eng an die reine Lehre halten — der einzige Lauf, der wirklich zum Leben führt! — Matth. 7:13, 14, NW; 1. Thess. 5:21.
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