Griechenland ändert Gesetze über Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Griechenland
EIN neues Gesetz, das vom griechischen Parlament angenommen wurde, hat nun doch in diesem Land den Wehrdienstverweigerern aus Gewissensgründen Erleichterung verschafft. Bevor dieses Gesetz verabschiedet wurde, wurden alle, die es aus Gewissensgründen ablehnten, eine Kriegswaffe in die Hand zu nehmen, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, und das nicht nur einmal, sondern ein zweites, ein drittes und sogar ein viertes Mal aus dem gleichen Grund.
Das Problem betrifft hauptsächlich Jehovas Zeugen. Wegen ihres starken Glaubens an Gottes Gesetze und der Liebe zu ihren Mitmenschen nehmen sie keine Waffe in die Hand und beteiligen sich nicht an den Auseinandersetzungen der Nationen. Demzufolge mußten sie in Griechenland jahrelang eine unmenschliche Behandlung erdulden. Aber jetzt sind dank einer besonderen vom Parlament genehmigten Bestimmung alle, die den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigert haben und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden sind, nach ihrer Freilassung von jeder weiteren Wehrpflicht befreit.
Wie lange soll diese einmalige Gefängnisstrafe dauern? Nach dem neuen Gesetz sind es vier Jahre. Das ist zweimal soviel wie die vorgeschriebenen zwei Jahre des Wehrdienstes.
Was bewog die griechische Regierung, ihre Auffassung über diese Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen zu ändern? Ist diese Frage plötzlich aufgetaucht? Nein, das Problem hat eine jahrzehntelange Geschichte.
Keine neue Streitfrage
Obwohl Jehovas Zeugen in Griechenland schon immer aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigert haben, wurde diese Streitfrage am Anfang des Jahrhunderts nicht sehr publik gemacht. Das hatte mehrere Gründe. Zum einen gab es vor dem Ende des Ersten Weltkriegs in Griechenland verhältnismäßig wenig Zeugen Jehovas. Somit war das für die griechische Regierung keine große Streitfrage. Zum anderen bestand in den zwanziger und dreißiger Jahren in Europa noch eine heftige Abneigung gegen die Schrecken des großen Krieges. Somit wurde in Griechenland wenig über die Auffassung veröffentlicht, die die Zeugen über den Kriegsdienst haben.
Größer wurde das Problem in den Jahren 1940/41, als Griechenland in den Zweiten Weltkrieg eingriff, zuerst gegen Italien und dann gegen Deutschland. Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, wie die Zeugen Jehovas es waren, wurden damals von Militärgerichten zu Gefängnisstrafen von 15 Jahren bis lebenslänglich verurteilt. Aber als Griechenland von deutschen Truppen überrannt und eingenommen wurde, wurden sie freigelassen.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Griechenland befreit. Doch das Problem der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen wurde dringlicher. Das war auf den Bürgerkrieg zurückzuführen, der in Griechenland von 1947 bis 1950 wütete. Wegen der damals vorherrschenden Stimmung wurde eine Anzahl von Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen, die Zeugen Jehovas waren, von Militärgerichten zum Tode verurteilt. Zum Beispiel wurde im Gebiet von Larissa am 10. Februar 1948 John Tsukaris hingerichtet. Im Gebiet von Nauplia wurde am 11. Februar 1949 George Orphanidis hingerichtet.
Diese Hinrichtungen erregten in verschiedenen Teilen der Welt großes Mißfallen. Als Ergebnis dieser öffentlichen Meinung wurden andere Todesurteile in Gefängnisstrafen umgewandelt — von 20 Jahren bis lebenslänglich.
Am verwerflichsten in dieser Sache handelten die Geistlichen der griechisch-orthodoxen Kirche. Sie setzten ständig Regierungsbeamte unter Druck, für diese Zeugen Jehovas die Todesstrafe beizubehalten. Es war so, als ob sie ‘das Haupt von Johannes dem Täufer auf einer Platte’ forderten, denn sie wollten, daß die Regierenden für sie die schmutzige Arbeit übernahmen, diese Zeugen Jehovas hinzurichten.
Da aber verschiedene Organisationen starken Protest erhoben und prominente Personen in der Welt einschritten, konnte die Geistlichkeit sich nicht durchsetzen. Besonders hilfreich war ein Brief vom englischen Oberhaus an den damaligen griechischen Verteidigungsminister P. Canellopulos. Diese Bemühungen trugen dazu bei, daß mit Jehovas Zeugen vor den Militärgerichten milder verfahren wurde.
Neue Art von Grausamkeit
In den 60er Jahren stellte sich bei den Gerichtsfällen der Zeugen Jehovas eine andersartige grausame Behandlung ein. Diese Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen wurden beim erstenmal zu einer Gefängnisstrafe von 4 Jahren bis zu 4 Jahren und 11 Monaten verurteilt. Nach Verbüßung der ersten Strafe wurden sie aus demselben Grund wieder verurteilt, und das Strafmaß war nahezu ebensohoch. War diese Zeit der Strafe abgebüßt, wurde der Prozeß ein drittes und sogar ein viertes Mal wiederholt. Diese Strafen könnte man mit Recht als „Kettenstrafen“ bezeichnen.
Dann wurde 1966 — es herrschte kein Kriegszustand — ein Zeuge Jehovas, Christus Kazanis, von einem Athener Kriegsgericht zum Tode verurteilt, weil er sich weigerte, Waffen zu tragen. Diese unerwartete Entscheidung rief in Griechenland und anderen Ländern eine große Empörung hervor. Die griechischen Botschaften wurden überall wegen dieses erstaunlichen Vorfalls mit Protestwellen überflutet. Bei der griechischen Regierung gingen unzählige Briefe und Beschwerdetelegramme ein. Demzufolge wurde der Fall Kazanis einer Revision unterzogen, und man wandelte das Todesurteil in eine viereinhalbjährige Gefängnisstrafe um.
Ein Wechsel
1974 ging in Griechenland ein Regierungswechsel vor sich. Es wurde eine demokratische Regierung gebildet. Zufolge dieser offeneren Regierungsform erreichten die Gerichtsfälle mit der Wiederholungsbestrafung von Jehovas Zeugen in der ganzen Welt eine größere Bekanntheit. Verschiedene Organisationen nahmen jetzt gegen diese unmenschlichen Bestrafungen den Kampf auf.
Dazu gehörten die Europäische Kommission für Menschenrechte, Amnesty International und der Europarat. Vertreter dieser Organisationen besuchten griechische Militärgefängnisse und inspizierten sie. Alle kompetenten Personen, die sich mit der Angelegenheit befaßten, stimmten darin überein, daß die Situation für ein demokratisches Land völlig untragbar war. Vor allem war es widersprüchlich, daß Griechenland, bekannt als „Wiege der Demokratie“, Gesetze haben sollte, die eine empörende Verletzung der Menschenrechte waren.
Die Abneigung gegen diese ungerechte Behandlung erreichte immer größere Ausmaße. Prominente Beamte der griechischen Regierung wie Journalisten begannen, die Situation öffentlich bekanntzumachen. Diese Leute wiesen auch darauf hin, daß sich eine solche Behandlung anständiger Bürger zum Schaden der nationalen Interessen Griechenlands auswirkte, da dadurch das Ansehen Griechenlands beeinträchtigt wurde.
Im Laufe des Jahres 1977 diskutierte man im Europarat, getragen von humanistischen Idealen, über die Behandlung der Zeugen Jehovas in Griechenland. In einem für die Parlamentssitzung zusammengestellten Bericht wurde Griechenland als das Land herausgestellt, das die Menschenrechte dieser Christen mehr verletzte als irgendein anderes Land.
Schließlich debattierte man darüber im griechischen Parlament. Eine Abgeordnete, Frau Virginia Tsuderos, schlug vor, das bestehende Gesetz durch Zusätze zu erweitern. Dadurch würde die Bestrafung für Kriegsdienstverweigerer auf nur eine Gefängnisstrafe beschränkt bleiben. Ein anderer Abgeordneter, Herr A. Kaklamanis, wies darauf hin, welch großer Schaden wegen dieser Streitfrage dem Ansehen Griechenlands zugefügt wurde. Er bemerkte, daß die Wiederholungsbestrafung die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verletzte. Verschiedene Abgeordnete betonten, daß nirgendwo in Europa Kriegsdienstverweigerern eine solche Behandlung widerfuhr. Man stellte fest, daß in vielen Ländern, einschließlich kommunistischer Länder, nur eine einmalige Gefängnisstrafe verhängt wurde.
Nach einer eingehenden Diskussion stimmte das griechische Parlament für die Verabschiedung eines neuen Gesetzes, das der Mehrfachbestrafung von Jehovas Zeugen ein Ende setzen würde. Man beschloß, daß nur eine einzige Gefängnisstrafe verfügt werden sollte. Sie würde vier Jahre betragen, doppelt so lange wie der Wehrdienst. Obwohl das im Vergleich zu anderen Ländern noch eine harte Verfahrensweise ist, kann man es als große Verbesserung gegenüber der vorherigen Situation betrachten.
Geistlichkeit bloßgestellt
Diese humane Entscheidung wurde von den Vertretern der Orthodoxen Kirche Griechenlands scharf verurteilt. Die Maßnahme der Regierung wurde von hochgestellten Geistlichen heftig kritisiert. Die Geistlichkeit legte bei der Regierung Widerspruch ein, damit das neue vom Parlament verabschiedete Gesetz nicht angewandt werde.
Diese Bemühungen stellten wieder einmal die Heuchelei der Geistlichkeit bloß. Hier beanspruchte man, Christus, den „Fürst des Friedens“, zu vertreten, wollte aber gleichzeitig, daß friedliebende Christen wegen ihres Gehorsams gegenüber Christi Geboten weiterhin leiden müssen.
Diese Widersprüchlichkeit und Heuchelei blieb nicht unbemerkt. In der Ausgabe vom 22. Oktober 1977 der Zeitung Kathimerini schrieb der Fachjournalist für Religion einen Artikel, in dem er den Standpunkt der Geistlichkeit widerlegte. Da beispielsweise die Geistlichkeit protestierte, weil durch das neue Gesetz angeblich die Unterstützung der Wehrkraft der griechischen Armee geschwächt wird, argumentierte der Schriftsteller: „Das ist eine ziemlich unsinnige Annahme. Wir sind im Militär gewesen und wissen alle, daß wir sogar die Tage bis zur Entlassung zählten. Nur ein religiöser Fanatiker oder ein Narr würde sich einverstanden erklären, noch zwei Jahre mehr [im Gefängnis] zu dienen, damit er keine Waffe in die Hand nehmen muß.“
Der Journalist tadelte außerdem die Geistlichkeit, weil sie versuchte, sich als „Überparlament“ zu betätigen. Er sagte, daß es nicht ihre Aufgabe ist, die Regierung in einer Angelegenheit unter Druck zu setzen, über die ihr kein Urteil zusteht.
Sämtliche Versuche der Geistlichkeit, Druck auszuüben, blieben wirkungslos. Das neue Gesetz war in Kraft und wurde unverzüglich angewandt. Zweiundvierzig Zeugen Jehovas, die im Gefängnis bereits eine Wiederholungsstrafe verbüßten, wurden freigelassen. Vier von ihnen wurden frei, weil sie schon vier oder mehr Jahre im Gefängnis saßen, während die anderen 38 freigelassen wurden, um in einem neuen Verfahren vor Gericht zu kommen, da sie die vier Jahre noch nicht verbüßt hatten, die im neuen Gesetz vorgesehen sind. Die neue Bestrafung wird wahrscheinlich so gewählt werden, daß insgesamt die Vierjahresstrafe erreicht wird.
Auf diese Weise hat die griechische Regierung ihre Verfahrensweise mit Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen geändert. Die „Kettenbestrafungen“, die christliche Zeugen Jehovas für so viele Jahre erdulden mußten, haben aufgehört.
Für dieses neue Gesetz verdient die Regierung Griechenlands Anerkennung. Anerkennung gebührt aber auch den aufrichtigen Christen, die treu an dem festgehalten haben, was sie trotz schwerer Verfolgung als richtig betrachteten.