‘In günstiger Zeit und in unruhvoller Zeit predigen’
Von Harold E. Gill erzählt
ALS ich 19 Jahre alt war, lockte mich Australien. Der Erste Weltkrieg hatte England wirtschaftlich geschwächt. Millionen, darunter auch ich, konnten keine Arbeit finden. Eines Morgens zeigte mir mein Vater eine Zeitungsnotiz, die von einem Regierungsplan berichtete, mit dem Jugendlichen geholfen werden sollte, nach Queensland (Australien) auszuwandern. So reiste ich im Jahre 1922 mit 25 anderen per Schiff von London ab.
Zuerst arbeitete ich in einem Weingarten. Doch einige Monate später zog ich in die Nähe eines großen Grundstücks, das für den Anbau von Weizen gerodet wurde. Dort lernte ich vieles: Kühe melken, mit einer Axt und einer Schrotsäge umzugehen, mit einer Abweichung von höchstens 10 Minuten die Zeit nach dem Sonnenstand zu bestimmen, Giftschlangen sicher zu töten, mit einem Pferdegespann zu pflügen, Zäune zu bauen, einen Baum so zu fällen, daß er genau dorthin fällt, wo man es möchte, und viele andere Arbeiten, die zum Leben im australischen Outback gehören.
Ich erlebte auch eine Heuschreckenplage. Die Erde war von den Insekten dermaßen übersät, daß die Lastwagenfahrer Ketten an den Reifen anbringen mußten, um die Hügel hinauffahren zu können. Ein andermal richteten Tausende von Mäusen in der Scheune großen Schaden an. Eine Woche später zogen sie weiter, so plötzlich, wie sie gekommen waren. Auch blieben mir die entsetzlichen Schrecken einer Dürre nicht erspart. Tausende von toten Schafen lagen überall umher.
Im Jahre 1927 pachtete ich in der Nähe von Gympie (Südqueensland) ungepflügtes Land, rodete es und pflanzte Bananen an. Meine Nachbarn, Tom und Alec Dobson, waren Bibelforscher, wie Jehovas Zeugen damals genannt wurden. Eines Tages erwähnte ich, daß ich nach Brisbane, der Bundeshauptstadt, fahren werde, um einen kurzen Besuch zu machen. Sie ermunterten mich, bei ihren Eltern vorbeizuschauen. Das tat ich auch. Den ganzen Tag brachte ich damit zu, mit ihrem Vater über die Bibel zu diskutieren. Mich beeindruckte die Einfachheit des großartigen, immer wiederkehrenden Themas der Bibel — das Königreich Gottes. Auch gefiel mir der Name „Internationale Bibelforscher“. Er weckte in mir die Vorstellung von einer internationalen Familie, deren Glieder alle Bibelforscher sind und Gott in Harmonie anbeten. Als ich zur Plantage zurückkehrte, hatte ich das Buch Schöpfung von J. F. Rutherford bei mir. Beim Lesen erhielt ich endlich eine Antwort auf viele meiner Fragen, und ich bestellte daher weitere Literatur.
Je mehr ich las, um so stärker wurde mein Wunsch, anderen vom Königreich zu erzählen. Als Schriftführer des Klubs im Ort und des Kricketvereins hatte ich viele Freunde. Ich war sicher, daß auch sie von den Wahrheiten, die ich lernte, begeistert sein würden. Um sie zu besuchen, kaufte ich mir ein altes Motorrad. Zu meiner großen Überraschung stellte ich allerdings fest, daß die Erkenntnisse, die mich begeisterten, sie kalt ließen. Sie hielten mich für verrückt. Vielleicht war ich etwas zu hartnäckig, doch ich sprudelte über von dem, was ich lernte.
Offensichtlich brauchte ich Schulung und Anleitung von den Bibelforschern. Daher verkaufte ich die Bananenplantage und schloß mich einer Versammlung in Brisbane an. Sechs Monate später, am 2. April 1928, wurde ich getauft. Danach übernahm ich Arbeit auf einer Farm. Doch während die Monate verstrichen, wurde ich immer ruheloser. Das Leben im Outback, das mir anfänglich so sehr gefallen hatte, befriedigte mich nicht mehr. Der Wunsch, meine Zeit und Energie für eine andere Art der Ernte einzusetzen, wuchs zusehends in mir. Der Rat des Apostels Paulus an Timotheus beeindruckte mich: „Predige das Wort, halte dringend darauf in günstiger Zeit, in unruhvoller Zeit, ... verrichte das Werk eines Evangeliumsverkündigers“ (2. Timotheus 4:2, 5).
Mit dem brennenden Wunsch, mit dieser Tätigkeit anzufangen, schrieb ich an die Watch Tower Society in Sydney und bat darum, zum Vollzeitprediger oder Pionier ernannt zu werden, um bei der geistigen Ernte mitzuhelfen. Man erfüllte meine Bitte und schickte mich im Jahre 1929 nach Toowoomba (Südqueensland).
Im Hinterland predigen
Einige Monate später wurde mir in einem Brief der Gesellschaft mitgeteilt, daß ein Wohnmobil zum Verkauf angeboten wurde. Man schlug mir vor, falls ich es kaufte, könne mich George Schuett beim Predigen begleiten. Und so geschah es dann auch. George hatte die 60 bereits überschritten und war sein Leben lang ein Erforscher der Bibel gewesen. Ich war erst Mitte 20 und sehr unerfahren. Seine Hilfe, sein Rat und seine Bibelkenntnis waren von unschätzbarem Wert für mich. Allerdings bin ich sicher, daß ich seine Geduld oftmals auf eine harte Probe stellte.
Unser Gebiet, weit im Westen von Queensland, war über 260 000 km2 groß. Wir arbeiteten es dreimal durch. Die Orte waren klein und lagen weit auseinander. Sogar Schaf- und Rinderfarmen waren 90 bis 110 Kilometer voneinander entfernt. Diese isolierten Menschen nahmen das Angebot von je 10 gebundenen Büchern bereitwillig entgegen, die wir für einen Beitrag von nur 10 Schilling (etwa 2 US-Dollar) anboten. Da sie überaus gastfreundlich waren, fehlte es uns nie an einer Mahlzeit und einer Schlafstätte.
Im Hinterland waren die Straßen nur Pfade. Das ganze Jahr über hatten wir Radketten für den Schlamm bei uns, Drahtgeflechte für den Sand und eine Winde, um uns herauszuziehen, falls wir steckenbleiben sollten. Einmal waren wir durch eine Überschwemmung eine Woche lang von der Außenwelt abgeschnitten. Lebensmittel und Wasser gingen zur Neige, aber wir überlebten. Ein andermal fuhren wir in der Nähe eines Buschfeuers einen holprigen Weg entlang. Plötzlich merkten wir, daß sich der Wind gedreht hatte und daß das Feuer auf uns zukam. Der Pfad war zu eng, um zu wenden. Wir konnten nur noch ein Gebet sprechen und Gas geben. Wir sind um Haaresbreite davongekommen. Es schaudert mich noch bei dem Gedanken daran, wie knapp wir dem Unglück entronnen sind.
Im australischen Zweigbüro
Im Jahre 1931 lud mich Alex MacGillivray, der Zweigaufseher, ein, mich der Bethelfamilie in Sydney anzuschließen. Ich freute mich zwar, konnte es aber nicht ganz fassen. Zu jener Zeit trug das australische Zweigbüro der Gesellschaft die Verantwortung für das Predigtwerk in China, in den meisten Ländern des Fernen Ostens und auf den Inseln des Südpazifiks — ein Gebiet, das sich über ein Viertel der Erdkugel erstreckt. Bruder J. F. Rutherford, dem damaligen Präsidenten der Gesellschaft, war sehr daran gelegen, daß die „gute Botschaft“ in diese Gebiete vordrang (Matthäus 24:14). Bruder Mac, wie wir alle den Zweigaufseher nannten, war ebenfalls von diesem Wunsch erfüllt. Als ich ins Bethel kam, hätte ich mir nie träumen lassen, daß ich bald selbst in einigen dieser Gebiete tätig sein würde.
Missionarische Tätigkeit ist immer mit Härten verbunden. In der damaligen Vorkriegszeit gab es allerdings keine Gileadschule für die Ausbildung von Missionaren und auch keine Missionarheime. Es war schwer, mit der Außenwelt in Verbindung zu treten, wodurch wir die Isolation nur noch stärker verspürten. Auch erhielten wir keine finanzielle Unterstützung, außer den geringen Beiträgen für Literatur, die wir aufgrund der Großzügigkeit der Brüder von der Gesellschaft weit unter dem eigentlichen Preis erhielten. Wer dem Ruf nach Evangeliumsverkündigern folgte, mußte ein Bahnbrecher sein, ein Pionier im wahrsten Sinne des Wortes. Dieses Werk bedeutete, daß man gewöhnlich zu zweit in die übervölkerten Städte des Ostens oder auf die abgeschiedenen Inseln des Pazifiks ging, um dort den Samen der biblischen Wahrheit auf „Neuland“ zu säen. Wir mußten uns mit völlig unterschiedlichen Glaubensrichtungen, Sprachen und Lebensweisen befassen, und das verlangte von uns völliges Vertrauen auf Jehova und ganzherzige Loyalität ihm gegenüber.
Nach Neuseeland
Meine erste Zuteilung nach Übersee war im Jahre 1932 Neuseeland. Ich sollte mein Augenmerk auf das Organisieren des Predigtwerkes, besonders des Pionierdienstes, richten. Ich besuchte also nicht nur Versammlungen, sondern arbeitete auch mit den Pionieren im Predigtdienst zusammen. Einige von ihnen hatten Gruppen gebildet, die mit Campingausrüstungen, Fahrzeugen und dem treuen alten Fahrrad umherreisten. Einige Zeit diente ich mit solch einer Gruppe auf der Südinsel.
Einmal mieteten wir das Stadttheater von Christchurch, um einen Vortrag von Bruder Rutherford auf Grammophon abzuspielen. Ein junger Mann namens Jim Tait kam und zeigte großes Interesse. Am nächsten Abend traf ich ihn wieder und war von seiner Begeisterung derart beeindruckt, daß ich im vorschlug, sich zu überlegen, ob er sich unserer Pioniergruppe anschließen wolle. Wie voreilig eine solche Einladung heute wäre, da er ja noch nicht einmal getauft war! Er ging jedoch nach Hause, packte seine wenigen Habseligkeiten auf ein Fahrrad, nahm von seinen Eltern Abschied und schloß sich unserer fröhlichen Gruppe an. Noch heute ist er ein treuer Zeuge Jehovas. Das waren wirklich ‘günstige Zeiten’.
Der Ferne Osten
Im Jahre 1936 kehrte ich nach Australien zurück, um Anweisungen für eine Reise nach Batavia (heute Jakarta) und Singapur zu erhalten. Ich sollte herausfinden, in welcher der beiden Städte es günstiger wäre, ein Büro einzurichten, wodurch ein engerer Kontakt mit unseren Missionaren im Fernen Osten möglich wäre. Ich wählte Singapur aus und blieb dort, um dem Büro vorzustehen und in der Stadt zu predigen. Jehova segnete das Werk, und nach 18 Monaten wurde die Versammlung Singapur gegründet.
Später legte das 16 m lange Schiff der Gesellschaft, Lichtträger genannt, in Singapur an. Die Mannschaft, alles Prediger, machte in vielen Häfen halt und predigte in den Hafenstädten des heutigen Indonesiens und Malaysias. Eine meiner Aufgaben bestand darin, die Brüder mit Literatur zu versorgen. Ich erinnere mich, daß sie allein im Jahre 1936 10 500 Publikationen in 10 Sprachen verbreiteten.
Die pazifischen Inseln
Im Juli 1937 wurde ich nach Sydney zurückgerufen und dann auf die Fidschiinseln gesandt. Da unsere Literatur dort verboten war, gebrauchten wir bei unserer Predigttätigkeit vorwiegend einen Lautsprecherwagen, wobei wir Vorträge von Bruder Rutherford hören ließen, die von Ted Heatley, einem Fidschianer, ins Fidschi übersetzt wurden. Er begleitete mich, um Bekanntmachungen über den Lautsprecher zu geben. Wir besuchten jedes Dorf auf der Hauptinsel Viti Levu (Großfidschi) und wurden freundlich aufgenommen. Wir halfen auch, die Versammlung Suva zu gründen und das Predigtwerk von Haus zu Haus auszudehnen.
Im Jahre 1938 kam Bruder Rutherford nach Australien und Neuseeland. Sein Besuch wurde von einer ungeheuren Propagandawoge begleitet. Obwohl ein Großteil dieser Propaganda eine feindliche Gesinnung offenbarte, diente sie doch dazu, die Neugier zu wecken. Ich ging nach Neuseeland, um dort Vorbereitungen für seinen Besuch zu treffen. Als ich ihn zur Zusammenkunft nach Auckland in die Stadthalle fuhr, lenkte ich seine Aufmerksamkeit auf ein Plakat, auf dem das Thema eines Vortrages, den er Jahre zuvor gehalten hatte, entstellt war. Auf dem Plakat stand: „Millionen jetzt Lebender würden lieber sterben, als Richter Rutherford zuzuhören“. Er lachte herzlich. Auch das diente dazu, den Vortrag anzukündigen. Die Stadthalle war nämlich zum Bersten voll.
Zurück auf die Fidschiinseln
Als ich 1940 im Büro in Sydney arbeitete, fragte mich Bruder Mac eines Tages: „Ist dein Paß in Ordnung?“ Ich bejahte es. „In drei Tagen fährt ein Schiff zu den Fidschiinseln. Ich möchte, daß du dort das Verbot unserer Literatur, das die Regierung erlassen hat, vor Gericht anfichtst.“ So packte ich die Anstoß erregende Literatur in einen Karton und fuhr zu den Fidschiinseln. Da der empfohlene Anwalt ängstlich war, lehnte ich ihn ab und suchte einen anderen, der weniger Furcht hatte. Dieser sagte, er werde die Klage vorbereiten, aber nicht vor Gericht vortragen. Die Folge war, daß ich mich selbst im Gerichtssaal mit dem Generalstaatsanwalt als der Gegenseite wiederfand. Wie sich herausstellte, unterlagen wir wegen der Formalität eines Fristversäumnisses zufolge des Zauderns des ersten Anwalts.
Nach diesem Rückschlag bat ich um eine Unterredung mit dem Gouverneur, Sir Harry Charles Luke, die auch gewährt wurde. Außer ihm waren der Premierminister und der Polizeipräsident anwesend. Ich flehte Jehova an, mir beizustehen. Als ich unsere Situation schilderte, führte ich Beweise an, die zeigten, daß hauptsächlich die römisch-katholische Kirche für das Verbot verantwortlich war. Am Schluß der Unterredung kam der Gouverneur auf mich zu, gab mir die verbotenen Bücher zurück, die ich als Beweismittel vorgelegt hatte, und sagte mit ruhiger Stimme: „Wissen Sie, Herr Gill, ich bin über die Machenschaften der römisch-katholischen Hierarchie nicht so unwissend, wie Sie denken. Ich gebe Ihnen den Rat, Ihr Evangelisierungswerk fortzusetzen.“ Ich dankte ihm und machte mich auf den Weg, um nach Sydney zu telegrafieren, daß sie mir Literatur senden sollten.
Amerikanisch-Samoa
Als nächstes wurde ich nach Amerikanisch-Samoa gesandt. Während meines dreimonatigen Aufenthalts wohnte ich beim Oberhäuptling Taliu Taffa, der zugleich der wichtigste Dolmetscher der Regierung war und in hohem Ansehen stand. Seine Nichte, eine Zeugin Jehovas auf den Fidschiinseln, hatte meine Ankunft angekündigt. Daher begrüßte er mich mit einem freundlichen Lächeln, als ich von Bord ging. Er war überaus gastfreundlich. Natürlich lebte seine Hausgemeinschaft von der Kost der Eingeborenen, die hauptsächlich aus rohem Fisch und Jamswurzeln bestand. Die Einheimischen gediehen dabei, doch nach einer Weile vertrug ich sie nicht mehr. Ich bekam eine Furunkulose und hatte einen Heißhunger auf europäisches Essen, hatte aber kein Geld, es mir zu kaufen. Damals war ich es immerhin gewohnt, ‘unruhvolle Zeiten’ durchzumachen.
Meine Aufgabe auf Amerikanisch-Samoa bestand darin, 3 500 Exemplare der gerade übersetzten Broschüre Wo sind die Toten? zu verbreiten. Nach meiner Ankunft stattete ich dem Gouverneur einen Höflichkeitsbesuch ab und gab ihm die Broschüre, damit er sie kennenlerne. Er meinte, es gebe auf der Insel bereits genügend religiöse Vertretungen — der Marinegeistliche, die Londoner Mission, die Siebenten-Tags-Adventisten und die römisch-katholische Kirche. Dennoch schlug er vor, ich solle die Broschüre allen Religionsgemeinschaften vorlegen, und diese sollten dann den Generalstaatsanwalt unterrichten, ob sie sie für die Verbreitung als geeignet betrachteten. Der Marinegeistliche war sarkastisch, aber nicht feindselig. Den Adventisten war es völlig gleich, was ich tat, solange ich ihnen kein Schäflein wegnahm. Der Pfarrer der Londoner Mission wurde zugänglich, als wir eine Gemeinsamkeit entdeckten — unsere Ansicht über das Papsttum. Der Besuch beim katholischen Priester erübrigte sich, weil etwas Lustiges geschah.
Ich hatte dem samoanischen Polizisten, der mich zum Gouverneur begleitet hatte, eine Broschüre gegeben. Als ich den Polizisten einige Tage später wiedersah, fragte ich ihn, ob sie ihm gefallen habe. Er antwortete: „Mein Boß [der Generalstaatsanwalt] sagt zu mir: ,Geh zu deinem Priester und frag ihn, ob das gutes Buch ist.‘ Ich lege mich unter Baum und lese Buch. Ich sage zu mir: ,Das sehr gutes Buch, aber wenn ich Priester zeige, er sagt: „Kein gutes Buch.“‘ Ich sage zu meinem Boß: ,Boß, mein Priester sagt: „Sehr gutes Buch.“‘“
Später, als ich im Hafengebiet Zeugnis gab, kam der Generalstaatsanwalt auf mich zu und lud mich ein, in sein Büro zu kommen. Dort gab ich ihm einen Überblick über den Inhalt der Broschüre, während er sie durchsah. Darauf nahm er den Telefonhörer ab und ordnete die Freigabe der Broschüre an. Die Zeit war wirklich ‘günstig’ geworden. Ich kaufte ein Fahrrad und fing an, die Broschüren zu verbreiten. Innerhalb von drei Monaten hatte ich bis auf einen Karton mit 350 Broschüren alle abgegeben.
Westsamoa
Die übrigen Broschüren nahm ich nach Westsamoa mit, das mit dem Schiff einige Stunden entfernt war. Meiner Ankunft muß eine Nachricht vorausgeeilt sein, denn als ich das Schiff verlassen wollte, teilte mir ein Polizist mit, ich dürfe nicht an Land gehen. Darauf zog ich meinen Paß hervor und las das recht eindrucksvolle Vorwort, durch das alle Betroffenen ersucht wurden, den Untertanen seiner Königlichen Hoheit „völlig unbehindert passieren zu lassen und ihm allen Beistand und Schutz zu gewähren“. Dadurch wurde mir eine Unterredung mit dem Gouverneur ermöglicht, der mir gestattete, zu bleiben, bis in fünf Tagen das nächste Schiff abfuhr. Ich mietete ein Fahrrad, fuhr auf der Insel umher und gab überall, wo es möglich war, Broschüren ab.
Dann hieß es: Zurück nach Amerikanisch-Samoa! Der Krieg tobte im pazifischen Raum, und patriotische Gefühle waren aufgewallt. Da die Behörden unseren streng neutralen Stand nicht verstehen konnten, verboten sie unser Werk vielerorts (Johannes 15:19). Sie baten mich indes höflich, Samoa zu verlassen, und so kehrte ich nach Australien zurück.
Zurück nach Neuseeland
Zu jener Zeit erlebten die Brüder in Neuseeland eine ‘unruhvolle Zeit’. Genau dorthin führte mich meine nächste Zuteilung. Im Oktober 1940, nicht lange nach meiner Ankunft, war das Werk auch dort verboten. Die vielen Briefe und Telegramme an die Regierung brachten kein positives Ergebnis. Eines der Telegramme an den Generalstaatsanwalt lautete: „VERWEIGERT IHRE REGIERUNG UNS DAS RECHT, UNS ALS CHRISTEN ZU VERSAMMELN UND MIT LIED, GEBET UND BIBELSTUDIUM UNSEREN GOTTESDIENST ZU VERRICHTEN? BITTE ANTWORTEN SIE MIT JA ODER NEIN.“
Am folgenden Tag rief der Sekretär des Premierministers an und lud uns zu einer Unterredung ein. Bruder Robert Lazenby und ich nahmen die Einladung an. Außer dem Premierminister, Peter Fraser, waren der Generalstaatsanwalt und ein hoher Polizeibeamter zugegen. Sie waren sehr freundlich und höflich, vermittelten uns aber den Eindruck, als seien ihnen die Hände gebunden. Doch am 8. Mai 1941 änderte die Regierung das Verbot, so daß wir Zusammenkünfte abhalten durften. Allerdings hatten wir uns bis dahin in kleinen Gruppen in Privatwohnungen versammelt. Es war uns auch möglich gewesen, ungehindert zu predigen, solange wir keine Literatur verbreiteten. Einige Zeit später, im März 1945, während im pazifischen Raum noch der Krieg tobte, wurde das Verbot völlig aufgehoben.
Rückkehr nach England
Ich kehrte im Jahre 1941 nach Sydney zurück. Zu jener Zeit war das Werk auch in Australien verboten. Nach einigen Gesprächen war Bruder Mac damit einverstanden, daß ich nach London fuhr, um von dort aus etwas gegen die Verbote zu unternehmen. Ich reiste am 2. Oktober 1941 ab. Doch wegen der Kriegsgefahren kam ich erst am 22. Dezember in Liverpool an — fast drei Monate später als vorgesehen.
In London versuchte ich, bei Lord Alexander, dem Marineminister, vorzusprechen, der ein Freund meines Vaters war. Aber wegen der Hitze des Krieges war das nicht möglich. Tatsächlich betrachtete London unsere Probleme einzig und allein als Angelegenheit der betreffenden Regierungen.
Nach einer Reise zum Hauptbüro der Gesellschaft in New York fuhr ich wieder nach England und erhielt die Genehmigung, nach Australien zurückzukehren. Nachdem mein Gepäck in London durchsucht und versiegelt worden war, ging ich zum Schiff. Die Brüder, bei denen ich gewohnt hatte, hatten mir einiges für die Reise mitgegeben, und ich hatte es in meine Reisetasche gepackt. Als ich an Bord ging, fragte ein Zollbeamter: „Warum ist das nicht versiegelt?“ Meine einfache Erklärung stellte ihn nicht zufrieden; daher verhaftete man mich, und ich mußte mich ausziehen. Obwohl nichts Belastendes gefunden wurde, beschuldigte man mich, ich hätte mich einer Kontrolle entzogen. Ich brachte einen Monat im Waltongefängnis zu. Heute bin ich sicher, daß man mir eine Falle gestellt hatte, um mich an der Rückreise nach Australien zu hindern.
Danach war es unmöglich, eine Reiseerlaubnis zu erhalten. Daher ließ ich mich in England nieder. Zunächst erfreute ich mich eines gesegneten Dienstes in Alfreton (Derbyshire). Später besuchte ich Versammlungen als Kreisaufseher. Dann ging ich nach Malta, um dort zu dienen, wo Hilfe dringend not tat. Nun bin ich wieder in Sheffield, der Stadt, die ich als junger Mann vor 62 Jahren verlassen hatte. Ich habe das Vorrecht, als Sekretär in der Versammlung Ecclesall zu dienen — eine der 15 Versammlungen in dieser Stadt. Und in den vergangenen Jahren habe ich mich der ausgezeichneten Unterstützung meiner Frau Joan erfreut. Sie stammt aus einer Familie, mit der ich vor 35 Jahren studiert hatte.
Ich kann nun auf über ein halbes Jahrhundert des Dienstes als Evangeliumsverkündiger sowohl „in günstiger Zeit“ als auch „in unruhvoller Zeit“ zurückblicken. Wie sehr ich doch die beiden Eigenschaften — Vertrauen und Loyalität — geschätzt habe! Ja vertraue auf Jehova, ganz gleich unter welchen Umständen! Vertraue darauf, daß er und sein großes Engelheer mit dir sind! Du stehst nie allein da.
Bleibe loyal! Bewahre deine Loyalität nicht nur gegenüber Jehova und Jesus Christus, sondern auch gegenüber Gottes irdischer Organisation, die uns geistig ernährt und für uns sorgt. Natürlich wird unsere Loyalität durch Veränderungen innerhalb der Organisation, durch Probleme, die sich einstellen, oder durch unser eigenes Verschulden geprüft. Doch die kostbaren Eigenschaften Loyalität und Vertrauen werden uns helfen, bis zum Ende durchzuhalten — „in günstiger Zeit“ und auch „in unruhvoller Zeit“.
[Bild auf Seite 26]
„Pionierdienst“ im Outback in Queensland (Australien)
[Bild auf Seite 28]
Mit der Mannschaft des Lichtträgers in Singapur
[Bild auf Seite 29]
Mein samoanischer Gastgeber, Oberhäuptling Taliu Taffa