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Sie sucht das Gespräch mit PassantenErwachet! 1977 | 8. Mai
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Sie sucht das Gespräch mit Passanten
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Kanada
VIELLEICHT hast du auch schon Leute auf der Straße stehen sehen, die die Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! angeboten haben, und hättest gern gewußt, warum sie da stehen. Hast du dir aber je die Mühe gemacht, sie zu fragen?
Einem Zeitungsreporter in Trois Rivières (Quebec, Kanada) fiel ein junges Mädchen, eine Zeugin Jehovas, auf, die bei jedem Wetter eifrig ihren Dienst verrichtete. Er interviewte sie, und sein Featureartikel „Sie spricht nur über das Königreich Gottes“ erschien in der französischsprachigen Zeitung Le Nouvelliste. Der Berichterstatter schrieb:
„Man kann die siebzehnjährige Sandra irgendwo in der Stadt Trois Rivières sehen. Immer macht sie ein heiteres Gesicht, mag es warmes oder kaltes Wetter sein. An dem einen Tag trifft man sie vielleicht im Geschäftsviertel, am nächsten Tag in Notre Dame an der Kreuzung St. Maurice und Laviolette. Aber wo sie auch immer stehen mag, sie spricht vom Königreich Gottes ...
Ich habe sie mehrmals an jener Straßenkreuzung stehen sehen — mit Zeitschriften in der Hand, sich unauffällig unter die Passanten mischend. Schließlich ging ich zu ihr hin und sprach mit ihr. ... Alles, was sie sagt, stammt aus der Bibel. Ganz gleich, über welches Thema ich eine Frage aufwarf, stets schlug sie die Bibel auf und wies als Antwort auf irgendeinen Text hin.
Sandra ist berufstätig, aber sie arbeitet nur halbtags. Sie verwendet den Vormittag, um mit den Menschen zu sprechen. Am Nachmittag arbeitet sie in einem Büro, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen, und am Vormittag verkündigt sie anderen die gute Botschaft, die in Gottes Wort enthalten ist. ...
Sprechen die Passanten sie an? Nein, ganz im Gegenteil. Wenn es ihr gelungen ist, mit jemandem ins Gespräch zu kommen, fällt es ihr leicht, sozusagen über jedes erdenkliche Thema zu sprechen, aber in erster Linie spricht sie über die einzige Lösung für die gegenwärtige chaotische Weltlage: das Königreich Gottes. Sandra sagte, daß die Menschen heute nicht mehr ein noch aus wüßten, und fügte dann hinzu (was ich bereits wußte): ,In der Welt gibt es so viel Brutalität. Eine Nation erhebt sich gegen die andere und ein Königreich gegen das andere ..., das Ende steht bevor!‘
Fast automatisch warf ich dazwischen: ,Das Ende der Welt.‘ Glücklicherweise entgegnete sie darauf, daß ich im Irrtum sei. Alle diese Zeichen würden in der Bibel erwähnt und ließen erkennen, daß das Ende nahe bevorstehe, aber nicht das Ende der Welt, sondern das Ende alles Bösen; dieses würde weggefegt.
Sandra erklärte weiter, man könne das gewissermaßen mit dem vergleichen, was Noah widerfahren sei. ,Damals wurden nur die gerettet, die Gott gehorchten, und die Bibel läßt erkennen, daß das auch jetzt wieder so sein wird.
Somit endet also nicht die Welt, sondern das verderbte System; dieses wird durch ein gutes ersetzt‘, erklärte Sandra.
Diese Zeit rücke immer näher, fügte sie hinzu. Die Zeichen, die in der Bibel erwähnt würden (Brutalität der Menschen, Kriege usw.), könne man besonders seit dem Ersten Weltkrieg beobachten ... Sie zeigte mir wieder einen Text in der Bibel, der deutlich sagt, daß die Generation, die diese Zeichen sieht, nicht vergeht, bis alle Bosheit beseitigt ist ... Es handelt sich um die Generation, die den Krieg, der 1914 ausbrach, erlebt hat.
Nachdem wir uns über die Zukunft unterhalten hatten, kehrten Sandra und ich wieder in unsere Zeit zurück und sprachen über die Lebensgewohnheiten der Zeugen Jehovas. Sie rauchen nicht, weil das dem biblischen Rat widerspricht: ‘Ihr sollt euren Körper rein erhalten.’
Wie es mit dem Alkohol stehe? Er sei ihnen nicht verboten, sagte sie ohne Zögern, sie dürften sich nur nicht betrinken. Sie müßten maßhalten. Was auch nicht mehr als recht sei. Wie sie zum Dating und zum Sex eingestellt seien, wollte ich wissen. Das sei ganz einfach. Es müsse so sein, wie es im Anfang gewesen sei. Sandra erklärte anhand der Bibel, daß nur Verheiratete Geschlechtsbeziehungen haben dürfen. ,Man wird dadurch e i n Fleisch‘, erklärte sie.
Auch sollten zwei junge Leute nur miteinander gehen, wenn sie die Absicht hätten zu heiraten, und bis zu ihrem Hochzeitstag sollten sie keusch bleiben. In anderen Worten: ,Dating ist kein Freizeitvergnügen.‘ ,Können Jehovas Zeugen, wenn sie verheiratet sind, Kinder haben?‘ ,Natürlich, denn die Ehepartner werden ja e i n Fleisch ...‘
Unsere Zeit war um, und ich mußte mich von meinem Gast verabschieden.
Noch eine letzte Frage:
,Was für Menschen lassen sich am ehesten auf ein Gespräch mit Ihnen ein?‘
,Junge Leute. Vor allem von ihnen kann man sagen, ihr Leben habe keinen Sinn. Sie suchen danach. Deshalb sind sie eher geneigt, sich informieren zu lassen, zu erforschen, was die Wahrheit ist.‘
Morgen kann man Sandra Bouchard vielleicht irgendwo in Trois Rivières sehen. Bei jedem Wetter — es sei denn, daß es in Strömen regnet oder ein Schneesturm tobt — steht sie Morgen für Morgen da, so heiter wie das erstemal, als ich sie traf, und bemüht, mit den Passanten ins Gespräch zu kommen.“
Die Leser reagierten sehr gut auf diesen Artikel. In der Firma Westinghouse, wo Sandras Vater arbeitet, hefteten Angestellte diesen Zeitungsausschnitt an das Schwarze Brett. Viele kamen zu Sandras Vater und gratulierten ihm zu seiner Tochter. Die Eltern einiger junger Leute, die unter der Anleitung von Zeugen Jehovas die Bibel studierten, hatten von ihren Kindern verlangt, mit dem Studium aufzuhören. Aber als sie den Artikel gelesen hatten, erlaubten sie ihnen, in den Königreichssaal zu gehen, um Nutzen aus der vorzüglichen christlichen Belehrung zu ziehen, die dort geboten wird.
Sandra ging nach dem Erscheinen dieses Artikels wie immer ihrer Predigttätigkeit auf der Straße nach. Doch nun waren die Leute anders. Viele sprachen sie an, und ein Mann, der im Auto vorbeifuhr, hielt an und ließ sich je ein Exemplar der Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! geben.
Einige Monate zuvor, im Sommer, hatte Sandra mit einer sechzigjährigen Frau angefangen, die Bibel zu studieren. Doch der Mann dieser Frau hatte an dem Studium nicht teilgenommen. Aber nachdem er den Artikel gelesen hatte, beteiligte er sich ebenfalls an den biblischen Gesprächen.
Ein junger Mann, der den Artikel las, konnte nicht glauben, was er las. Er rief einen ihm bekannten Zeugen Jehovas an und fragte: „Heutzutage vertritt doch niemand mehr solche Ansichten. Hat jemand ihr die Antworten vorgesagt, oder ist das wirklich eure Überzeugung?“ Der Zeuge Jehovas konnte lange mit diesem jungen Mann sprechen, und kurz danach besuchte dieser zum erstenmal eine Zusammenkunft im Königreichssaal.
Jesus Christus zog, wie die Bibel berichtet, „von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf ..., wobei er predigte und die gute Botschaft vom Königreich Gottes verkündete“ (Luk. 8:1). Seine Nachfolger im ersten Jahrhundert taten dasselbe. So wird von dem Apostel Paulus berichtet, daß er sich „jeden Tag auf dem Marktplatz“ mit den Menschen unterredete (Apg. 17:17). Bis heute ist das Gespräch die wirksamste Kommunikationsmethode, insbesondere wenn man die „gute Botschaft vom Königreich“ bekanntmacht (Matth. 24:14).
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Der Gefängnisaufenthalt war mir zum SegenErwachet! 1977 | 8. Mai
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Der Gefängnisaufenthalt war mir zum Segen
NACH dem Abitur erhielt ich bei der Nationalbank von Äthiopien eine Stelle, und in der koptischen Kirche wurde ich Diakon. Ich war stolz auf meine Bibelkenntnisse. Im Jahre 1972 besuchten mich zwei Zeugen Jehovas, um mit mir und meiner Frau zu sprechen. Wir baten sie, einzutreten, damit wir uns über die Bibel unterhalten könnten. Sie gaben mir ein Exemplar des Buches Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt. Ich muß jedoch gestehen, daß ich das Buch nicht las.
Als sie wiederkamen, boten sie uns an, mit uns die Bibel zu studieren. Ich lehnte ab, denn ich diskutierte lieber über bestimmte Themen, die mich interessierten, zum Beispiel über die Taufe und die Dreieinigkeit. Bei uns in der Kirche war es üblich, Kinder zu taufen — Jungen, wenn sie vierzig, und Mädchen, wenn sie achtzig Tage alt waren. Ich war überzeugt, daß die Auffassung der Zeugen Jehovas, daß die Kindertaufe unbiblisch sei, nicht stimmte. Aber trotz all meiner Bibelkenntnisse konnte ich ihnen das nicht beweisen.
Als wir über die Dreieinigkeit sprachen, zeigten mir die Zeugen 1. Korinther 15:28, wo gesagt wird, daß Jesus die Herrschaft seinem Vater übergeben würde. Ich konnte nicht erklären, wie das vor sich gehen sollte, wenn es eine Dreieinigkeit gäbe. Ich dachte, ich würde die Lehre vielleicht nicht richtig verstehen. Deshalb suchte ich den Vertreter der Kirche, den Priester, auf und unterbreitete ihm diesen Bibeltext sowie andere. Sofort fragte er, ob ich mit Zeugen Jehovas gesprochen hätte.
„Ja, das habe ich getan“, antwortete ich.
Darauf entgegnete er, daß die Zeugen Jehovas lediglich die Lehren des Arius, eines Gegners der Trinitätslehre, wiederbelebt hätten. Als ich ihn dringend ersuchte, mir eine Erklärung der vorgelegten Bibeltexte zu geben, sagte er, er sei sehr beschäftigt, ich solle später nochmals vorsprechen. Als ich wiederkam, wurde mir erklärt, daß ich an einem anderen Tag kommen solle. Jedesmal, wenn ich in seinem Büro vorsprach, wurde ich auf eine andere Zeit vertröstet.
Da sich die Wartezeit in die Länge zog, beschloß ich, die Zusammenkünfte der Zeugen Jehovas zu besuchen, in der Annahme, das könne nicht schaden. Nachdem ich etwa einen Monat lang die Zusammenkünfte besucht hatte, erschien bei einer Zusammenkunft im August 1972 die Polizei, nahm alle Anwesenden mit und steckte sie ins Gefängnis. Die Geistlichkeit am Ort hatte die Polizei dazu angestiftet.
Im Gefängnis, wo wir etwa zwei Wochen zubringen mußten, lernte ich die tiefe Liebe dieser Jünger Christi kennen — eine Liebe, die von Herzen kam. Alle Zeugen verteilten gleichmäßig, was sie hatten, und jeder nahm Rücksicht auf den anderen. Man schor uns das Haar, was mich an die demütigende Behandlung erinnerte, die den Israeliten widerfuhr, die König David zu den Ammonitern gesandt hatte (2. Sam. 10:1-5).
In den beiden Wochen, die ich im Gefängnis zubringen mußte, erhielt ich Gelegenheit, mehr über die Vorsätze Jehovas zu erfahren. Ich dachte auch über den Haß nach (ähnlich dem Haß, mit dem Christus und seine ersten Jünger verfolgt wurden), der die Geistlichen veranlaßt hatte, die Polizei dazu anzustiften, uns einzusperren. Im Mai 1973, einige Monate nachdem wir auf freien Fuß gesetzt worden waren, ließen wir uns, meine Frau und ich, als Zeugen Jehovas taufen. Voller Freude dienen wir nun unserem Gott hier in Äthiopien. (Eingesandt.)
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