Die „gute Botschaft“ dringt in einen der ‘entferntesten Teile der Erde’ vor
DER „Inselkontinent“ Australien ist größer als irgendein westeuropäisches Land, doch er beheimatet nur 13 1⁄2 Millionen Menschen, die wiederum verschiedener nationaler Herkunft sind.
Landschaft und Klima dieses spärlich bewohnten Kontinents, der eine Fläche von 7 770 000 Quadratkilometern aufweist, sind äußerst unterschiedlich. Diese Kontraste zeigen sich vom tropischen Norden bis zum wüsten Innern, vom größten Korallenriff der Welt — dem Großen Barriereriff mit seiner Mannigfaltigkeit von Meeresgeschöpfen — bis zum Ayers Rock, dem riesigen kahlen Monolithen in öder Umgebung. Im östlichen Teil Australiens werden viele Feldfrüchte angebaut, zum Beispiel Zuckerrohr, Weizen und andere Getreidearten. Hier sind 61 % der Bevölkerung zu finden.
Überquert man aber die Ostaustralischen Kordilleren, die sich an der Ostküste von Norden bis Süden erstrecken, so wechselt das Landschaftsbild vom üppigen Küstengebiet zu sanften Hügeln und geht dann in Ebenen und Halbwüste über. Im Herzen Australiens, wo der Ayers Rock liegt, gibt es viele Salzseen und Wüstengebiete. Die großen trockenen Steppengebiete dieses Inselkontinents eignen sich vorzüglich für Schaf- und Rinderhaltung. Die im Busch gelegenen Besitzungen, Stationen genannt, schließen sehr große Gebiete ein.
Dem Gebot Jesu nachzukommen, ‘bis zum entferntesten Teil der Erde Zeugen von ihm zu sein’, stellt daher eine große Herausforderung dar (Apg. 1:8). Wir wollen nun ungefähr 70 Jahre zu den Anfängen zurückgehen und manches von dem an unseren Augen vorüberziehen lassen, was einige derer erlebt haben, die in diesem entfernten Teil der Erde die „gute Botschaft“ predigten.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts — die Besiedlung hatte erst 100 Jahre vorher begonnen — erhielten einige an der Bibel interessierte Personen von ihren Verwandten und Freunden aus Übersee Veröffentlichungen der Internationalen Bibelforscher, wie Jehovas Zeugen damals genannt wurden. Ungefähr zur gleichen Zeit wanderten auch Bibelforscher aus England ein und gründeten in Perth (Westaustralien) und in Brisbane (Queensland) Versammlungen.
ZWEIGBÜRO UND DRUCKEREI
Im Jahre 1904 wurde in Melbourne (Victoria) ein Zweigbüro der Bibelforscher eröffnet, das sich des Werkes in Australien und auf Neuseeland annehmen sollte. Auf einem Kongreß in Melbourne, der im Jahre 1915 stattfand, wurden von den 250 Anwesenden 14 Personen getauft. Bis zum Jahre 1935 drang die biblische Wahrheit mit Hilfe von 30 Radiostationen nicht nur in die Bevölkerungszentren, sondern auch in die abgelegenen Teile Australiens vor.
Im März 1929 wurde das Zweigbüro von Melbourne nach Sydney verlegt. Im Jahre 1932 wurde es erweitert, und 1972 errichtete man auf dem Grundstück eine große Druckerei, um die Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! herstellen zu können. Gegenwärtig werden die Gebäude weiter vergrößert. In diesem Zweigbüro dienen 60 Männer und Frauen.
Große Anstrengungen waren erforderlich und viele Mühsale mußten erduldet werden, um die Menschen in entlegenen Gebieten zu erreichen. Selbst heute noch verbindet nur eine einzige Straße den Osten des Landes mit dem Westen — über eine Entfernung von 4 000 Kilometern. Abgesehen von der stark bevölkerten Ostküste, sind die einzigen Verbindungen zwischen Nord und Süd eine Straße, die durch das Herz des Kontinents führt, und eine sehr einsame Straße entlang der an Bodenschätzen reichen Westküste.
EIN KÄRGLICHES LEBEN IM BUSCH
Der verstorbene Bert Horton verband sich im Jahre 1921 in der Bergwerksstadt Kalgoorlie in Westaustralien mit den Bibelforschern. Horton berichtete: „Ich sandte meine Pionierbewerbung ein (als ,Pionier‘ wird ein Vollzeitprediger des Königreiches bezeichnet). Als Zuteilung erhielt ich den ganzen Gliedstaat Westaustralien.“ Horton stattete zusammen mit Frank Rice und zwei weiteren Männern ein mit zwei Betten ausgerüstetes Wohnmobil mit einer Kochvorrichtung und anderen für ein Leben auf Rädern notwendigen Dingen aus. Sie durchquerten mit ihrem Wohnmobil die riesige Nullarborebene und besuchten alle abseits gelegenen Orte des Staates. Einer der Männer erzählt: „Damals gab es keine Straßen. So ließen wir uns von einer Ölgesellschaft einige Zeichnungen geben und fuhren von Tank zu Tank (vereinzelte Stellen, wo es Wasser gab). Wir führten zwei Behälter mit, die je 44 Gallonen (200 Liter) Benzin enthielten, sowie Wasser- und Lebensmittelvorräte. Wir besuchten die Stationen, die auf unserem Weg lagen, und sprachen mit den Leuten über die Bibel.“
Ein anderer „Pionier“, der viel Zeit im Busch verbracht hat, ist Arthur Willis. Er machte sich im Jahre 1933 mit zwei Gefährten auf den Weg, um die entlegenen Gebiete Westaustraliens zu bearbeiten. Willis berichtet: „In jenen Tagen hatte ein Reisender das Recht, Fleisch umsonst zu bekommen. Auf jeder Station konnten wir haben, was wir wollten. Unter den Leuten auf den Stationen und in den Ortschaften fanden wir einige, die zuhörten und die Wahrheit annahmen.“ Von Darwin im äußersten Norden fuhren sie südwärts nach Katherine und wandten sich dann nach Osten in Richtung Queensland und Küste. Willis bemerkt weiter: „Damals gab es in der Gegend noch keine geteerten Straßen, und ich erinnere mich, daß wir nach Westqueensland kamen, wo wir in drei Tagen 100 Meilen [160 Kilometer] über schwarzen Boden fuhren. An den Rädern blieb so viel Dreck hängen, daß sie sich fast nicht mehr drehten. Wir mußten dann die Kotflügel abnehmen, damit wir überhaupt noch fahren konnten.“
Arthur Willis und Bill Newlands unternahmen 1936 eine noch längere Reise, um in Buschgebiete vorzudringen. Mit einem kleinen Lastwagen begaben sie sich von Sydney aus auf eine Reise, auf der sie 19 300 Kilometer zurücklegen sollten und die über ein Jahr dauerte. Sie fuhren genau westwärts, erreichten schließlich die Mitte des Landes, wandten sich nordwärts in Richtung Darwin und fuhren dann an der Westküste entlang nach Perth. Auf dieser Reise trafen sie 800 Kilometer landeinwärts nördlich von Adelaide in Südaustralien Charles Bernhardt. Dieser Mann war ungefähr drei Monate zuvor mit der Königreichsbotschaft in Berührung gekommen, als zwei „Pioniere“ in der Hitze und Einsamkeit eine Reise von Adelaide nach Alice Springs und zurück gemacht hatten. Als Willis und Newlands durchkamen, wollte Bernhardt getauft werden. Er besaß ein Hotel in Coward Springs und eines in William Creek. Durch ihn lernten danach viele die „gute Botschaft“ kennen. Im Alter von 85 Jahren dient Bernhardt immer noch als „Pionier“. Jedes Jahr reist er einige Male in einem Wagen mit Vierradantrieb in die abgelegenen Gebiete Südaustraliens.
Derselbe Geist kommt in der folgenden Erfahrung von Joe Bell zum Ausdruck, eines weiteren Pioniers, der im Busch tätig war. Bell hatte damals eine Zuteilung 480 Kilometer nordwestlich von Brisbane und fuhr mit dem Rad zu entlegenen „Stationen“. Das war Schwerarbeit, bei der der Schweiß rann. Bell berichtet: „An vielen Stellen mußte ich mein Rad tragen, weil ich immer wieder auf Sanddünen stieß, wo es praktisch keinen Weg gab. Einige dieser Reisen waren sehr gefährlich. Auf dem offenen Land war weiter kein Lebewesen zu sehen als umherstreifende Ochsenherden. Sie konnten unter Umständen gefährlich werden, da sie sehr neugierig waren und herbeikamen, um zu sehen, was sich ihnen näherte. Mehrere Male mußte ich mich auf einen Baum flüchten und stundenlang warten, bis sie weitergrasten und es mir ermöglichten, meine Reise fortzusetzen.“
Ein anderer „Pionier“, Aubrey Baxter, fuhr Tausende von Kilometern mit dem Rad durch Mittel- und Nordqueensland. Er erinnert sich an folgende Erfahrung: „Wir erlebten manch interessante Situation. Für eine Nacht war ich auf einer großen Rinderstation zu Gast, und die nächste Nacht verbrachte ich viele Kilometer weiter bei einem Känguruhjäger; umgeben von Hunderten duftenden Känguruhhäuten, schlief ich auf dem schmutzigen Boden seiner kleinen Hütte. Wenn eine Meute Dingos [australische Wildhunde] in der Nähe heult, ist es auch nicht einfach zu schlafen.“
MISSIONARE TREFFEN EIN
Ende der 1940er Jahre trafen einige Absolventen der Wachtturm-Bibelschule Gilead, einer Missionarschule, die von den Zeugen in den Vereinigten Staaten gegründet wurde, ein, um bei der Verbreitung der „guten Botschaft“ mitzuhelfen. Zwei dieser Absolventen waren John Cutforth und Donald MacLean aus Kanada. Beide dienten viele Jahre als reisende Kreisaufseher. MacLean erinnert sich: „Es war kein geringer Schock für mich, als ich erfuhr, daß mein erster Kreis, von Gilead aus gesehen, am anderen Ende der Erde lag: in Südwestaustralien. Ich wurde in den entferntesten Teil der Erde gesandt.“ Über eine seiner Erfahrungen berichtet MacLean: „Für uns Neuankömmlinge gab es einige faszinierende Augenblicke, während wir durch abgelegene Gegenden reisten. Meine erste Begegnung mit einer Gruppe Emus [riesige straußenähnliche Vögel] war interessant, aber beunruhigend. Ich befand mich mit dem Motorrad auf dem Weg durch ein Buschgebiet, als eine Emufamilie mir den Weg versperrte. Es sind außerordentlich neugierige Vögel. Das Blitzen des Chromspiegels und der Lenkstange in der Sonne faszinierte sie anscheinend. Da ich nicht wußte, wie man sich gegenüber Emus verhält, wollte ich nicht schnell durch die Schar fahren, um nicht mein Leben zu riskieren. So hielt ich an. Den großen Vögeln fiel es aber nicht ein, sich zu bewegen. Sie blieben eine ganze Zeit stehen, so daß ich mich entschloß anzufahren. Ich hupte und gab Gas. Die Emus kamen nur noch näher; ihre Neugierde stieg. Gelinde gesagt, war es ziemlich nervenaufreibend. Ich beschloß, mein Glück zu versuchen und mir einen Weg durch die Schar zu bahnen, die sich nur langsam teilte und mich durchließ. Dann fingen die Vögel an, neben der Straße herzulaufen. Als ich meine Geschwindigkeit auf 35 Meilen [56 Kilometer] erhöhte, stellte ich fest, daß mich die Emus noch überholten. Erst als ich 40 Meilen [64 Kilometer] erreichte, konnte ich sie abhängen. Wie froh ich doch war!“
MacLean weiß noch, wie er das erstemal den Laden und das Hotel des bereits erwähnten Charles Bernhardt betrat: „Als wir in William Creek ankamen, stellte ich fest, daß der Zug ziemlich lange hielt, während die Männer wie verrückt in die Bar rannten, um sich kaltes Bier zu besorgen. Als ich die Bar betrat, bemerkte ich an der Wand mit Erstaunen ein Schild, das die Aufforderung trug: ,Lies den Wachtturm‘ er verkündet Jehovas Königreich, die Hoffnung der Welt.’ Ein zweites Schild trug die Aufschrift: ,Lies Erwachet!‘ An der Theke waren Zeitschriften, Broschüren und gebundene Bücher zu haben. Als schließlich alle bedient und zufrieden waren, wandte sich Bernhardt an die Männer mit den Worten: ,Meine Herren, darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten? Ich lade Sie ein, die besten Zeitschriften der Welt zu lesen.‘ Jeder von den Männern nahm daraufhin Ausgaben der Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! und bezahlte dafür, steckte sie in die Tasche, warf einen Sack voll Dosenbier über die Schulter und kehrte zum Zug zurück. Aus Achtung vor dem Ruf, den Bernhardt als Christ genoß, nahm keiner der Männer, während sie in der Bar etwas tranken, ein gemeines oder schmutziges Wort in den Mund. Bernhardt sprach damals mit allen Reisenden, angefangen vom Lokführer, über die ,gute Botschaft‘.“
Heute vernimmt ganz Australien durch die Bemühungen von 525 Versammlungen regelmäßig die „gute Botschaft“. Reisende Aufseher besuchen alle Teile des Landes, in dem mehr als 28 000 Zeugen Jehovas tätig sind.
UREINWOHNER HÖREN DIE „GUTE BOTSCHAFT“
Gemäß einer Volkszählung aus dem Jahre 1971 gibt es nur noch 106 000 Ureinwohner, die hauptsächlich auf dem Land und im Busch leben. Es wurden große Anstrengungen unternommen, um sie zu erreichen. Ben Brickell, der bis zu seinem Tod vor einigen Jahren insgesamt 44 Jahre im Vollzeitdienst stand, legte mit dem Fahrrad, dem Motorrad und dem Auto Hunderttausende von Kilometern zurück und predigte Ureinwohnern auf Stationen und in Siedlungen. Um die Botschaft verständlich zu machen, verwendete er Illustrationen und Karten. Bei einem Besuch im Gebiet von Wave Hill im Nordterritorium saß Brickell mit überkreuzten Beinen auf dem Boden und sprach eine Stunde lang zu 80 Ureinwohnern über Gottes Vorsatz mit den Menschen. Dabei bediente er sich einiger Zeichnungen, die biblische Ereignisse und Verheißungen darstellten. Brickell wurde in Australien bekannt durch seine Tätigkeit unter den Ureinwohnern und im Busch. Ein andermal sprach er einige Kilometer von Alice Springs entfernt, im Herzen des Landes, zu einer Gruppe von über 100 Ureinwohnern. Einige dieser Eingeborenen sind treue Königreichsverkündiger geworden.
Australien stellt mit seinen weiten Entfernungen, dem größtenteils unwirtlichen Inneren und seiner spärlichen Bevölkerung eine Herausforderung dar. Aber der Same des Wortes Gottes ist unter seinen Einwohnern im Laufe der Jahre ausgestreut worden und hat mitunter auf erstaunliche Weise Frucht getragen.
Von den stark bevölkerten und industrialisierten Städten an der Küste bis zum „roten Herzen“ des Kontinents wird die gute Botschaft von Gottes herannahender Weltregierung gepredigt. Im Jahre 1940 betrug das Verhältnis der Zeugen Jehovas zur Bevölkerung 1 zu 2 764. Aber heute ist einer von 483 Australiern ein tätiger Zeuge Jehovas. Jesu Auftrag wird also hier, in einem der ‘entferntesten Teile der Erde’, ausgeführt.