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Unaufhaltsamer Anstieg der KriminalitätErwachet! 1980 | 22. Januar
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wird der jährliche Verlust, der auf diese Weise der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland zugefügt wird, auf über eine Milliarde Mark geschätzt. Die Kriminalität ist kostspielig; sie kann es für den Täter sein, auf jeden Fall ist sie es für das Opfer, denn das Opfer zahlt immer.
Beunruhigende neue Trends
Die Kriminalität ist nichts Neues. Aber in jüngster Zeit zeigt sie ganz neue Dimensionen. Ihr unaufhaltsamer Anstieg — eine Erscheinung, die sich keineswegs auf ein bestimmtes Land oder ein bestimmtes Gebiet beschränkt — hat Polizei- und Justizbehörden sowie Leute, die nicht vom Fach sind, veranlaßt, der Kriminalität größere Aufmerksamkeit zu schenken und sich Gedanken darüber zu machen, wie sie erfolgreich zu bekämpfen ist.
Immer häufiger werden „sinnlose“ Straftaten, d. h. Straftaten ohne Motiv, verübt. Zum Beispiel werden öffentliche Gebäude beschmiert, und aus Telefonbüchern in Fernsprechzellen werden Seiten herausgerissen.
Oft handelt es sich jedoch um schwere Delikte, um Delikte, die eine unerhörte Brutalität verraten. Am Rande einer deutschen Großstadt zum Beispiel fielen zwei 17jährige Burschen über einen 33jährigen Passanten her und stachen abwechselnd auf ihn ein. Im Polizeibericht hieß es dann, der Tote habe mehr als 80 Messerstiche aufgewiesen. Nach dem Motiv befragt, antworteten die beiden Täter: „Wir wollten eben nur mal einen alle machen.“ In Cherbourg (Frankreich) schlugen junge Leute (19 bis 20 Jahre alt) einen Notar derart zusammen, daß er drei Tage im Koma lag und dann an seinen Verletzungen starb. Warum hatten sie das getan? „Aus Spaß.“
Ein weiterer beunruhigender Trend ist der Anstieg des weiblichen Anteils an der Kriminalität. Typisch dafür ist die deutsche Terroristenszene: Ein großer Teil der bekannten Mitglieder dieser Szene sind Frauen. Bei 13 der 18 im November 1979 dringend gesuchten Terroristen handelte es sich um Frauen.
Was Gerichte und Politiker jedoch am meisten beunruhigt, ist die stark ansteigende Kinder- und Jugendkriminalität. Über die Situation in den Vereinigten Staaten von Amerika konnte man in der Zeitschrift Time lesen: „Es hat schon immer geheißen: ,Kindern läßt man sogar einen Mord durchgehen.‘ Das ist jetzt buchstäblich so. Die Verbrechensszene im ganzen Land ist erschütternd, ja erschreckend. Viele Jugendliche rauben, vergewaltigen, verstümmeln und morden mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der sie ins Kino oder auf den Fußballplatz gehen.“
Dieser Trend unter den jungen Leuten läßt für die Zukunft nichts Gutes ahnen. Im Hamburger Abendblatt hieß es über die Lage in Deutschland: „Nach der neuen Kriminalstatistik ist die Zahl der tatverdächtigen Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren seit 1975 um 25,1 Prozent gestiegen. Bei Kindern bis zu 14 Jahren erhöhte sich diese Rate sogar um 30,8 Prozent ... Gleichzeitig weisen sie [die Experten der Bonner Parteien] darauf hin, daß ein Ende des Trends noch nicht abzusehen sei. Es müsse damit gerechnet werden, daß die Zahl straffälliger Jugendlicher und Kinder weiter zunimmt.“
Zweifelsohne ist die Kriminalität ein Problem, das wir sehr ernst nehmen sollten. Die französische Regierung hielt es für ratsam, eine Elferkommission mit der Untersuchung der Kriminalität zu beauftragen. Nach 16monatiger Tätigkeit unterbreitete das Expertengremium einen 700seitigen Bericht mit 103 Empfehlungen für die Lösung des Problems.
Die Vereinten Nationen maßen dem Kriminalitätsproblem ebenfalls eine so große Bedeutung bei, daß sie eine aus 15 Mitgliedern bestehende Expertenkommission für Verbrechensverhütung und -kontrolle bildeten, die alle fünf Jahre einen Weltkongreß veranstaltet, auf dem Methoden zur weltweiten Bekämpfung der Kriminalität besprochen werden. Das Hauptthema des Kongresses von 1975 lautete: „Verbrechensverhütung und -bekämpfung — die Herausforderung des letzten Viertels unseres Jahrhunderts“. Der sechste dieser Kongresse findet 1980 in Sydney (Australien) statt.
Was bedeutet der unaufhaltsame Anstieg der Kriminalität? Verschlimmert sich die Situation in einem solchen Maße, daß man mit einer Besserung nicht mehr rechnen kann? Oder wird das Problem übertrieben? Ist es wirklich so gravierend? Was ist deine Meinung?
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Ist die Kriminalität wirklich so gravierend?Erwachet! 1980 | 22. Januar
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Ist die Kriminalität wirklich so gravierend?
MANCHE Menschen sind von Natur aus solche Optimisten, daß sie selbst dann noch ein Lächeln zustande bringen, wenn die Lage aussichtslos zu sein scheint, und beschwichtigend sagen: „Es könnte ja noch viel schlimmer sein.“ Zugunsten des Optimismus gäbe es vieles zu sagen, aber er darf uns nicht daran hindern, die Tatsachen klar und deutlich zu sehen und realistisch zu beurteilen. Probleme werden nicht gelöst, indem man sie ignoriert. Vielmehr entsteht dadurch die Gefahr, daß man selbst zu Schaden kommt.
Ist die Kriminalität wirklich so gravierend?
Die Leute, die das bestreiten, beeilen sich zu erklären, die Kriminalität sei nichts Neues. Sogar in der Bibel, dem ältesten Geschichtsbuch der Welt, werde berichtet, daß es in der ersten menschlichen Familie zu einem Gewaltverbrechen, einer der gefährlichsten Formen des Verbrechens, gekommen sei: „So geschah es ..., daß Kain dann über Abel, seinen Bruder, herfiel und ihn tötete.“ Und heißt es nicht über die Verhältnisse, die zur Zeit Noahs vor über 4 000 Jahren herrschten: „Die Erde wurde mit Gewalttat erfüllt.“ (1. Mose 4:8; 6:11)?
„Das Ausmaß der Kriminalität ist größer, als die Statistik ausweist.“
Zugegeben, die Kriminalität ist nichts Neues. Die Kriminalstatistik läßt jedoch einen erheblichen Anstieg erkennen. Die Statistik? Jemand mag einwerfen, daß Oscar Wilde, der bekannte irische Dichter der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, einmal sagte: „Es gibt dreierlei Lügen: gewöhnliche Lügen, Notlügen und die Statistiken.“ Damit wollte er sagen, daß die Statistik irreführend sein kann. Sie läßt sich verschieden interpretieren, manchmal sogar widersprüchlich. Ihr häufiger Mißbrauch rechtfertigt ihre gänzliche Ablehnung jedoch nicht.
Nun wollen wir uns kurz mit einigen Einwänden von Personen befassen, die behaupten, die Kriminalität sei kein so gravierendes Problem. Dann können wir uns selbst ein Urteil bilden.
„Der Bevölkerungszuwachs ist für den Kriminalitätsanstieg verantwortlich.“
Kaum einer wird bestreiten, daß die vergangenen Jahrzehnte eine Bevölkerungsexplosion gebracht haben. Die Menschheit hat 4 200 Jahre — von der Sintflut bis zum Jahre 1830 — gebraucht, um es auf eine Milliarde zu bringen, aber schon hundert Jahre später (1930) war die zweite Milliarde voll. Die dritte Milliarde wurde in weiteren dreißig Jahren (1960) erreicht und die vierte in fünfzehn Jahren (1975). 1985 soll die Zahl der Erdbevölkerung fünf Milliarden betragen und im Jahr 2000 über sechs Milliarden.
Das Bevölkerungswachstum trägt zweifellos zum Anstieg der Kriminalität bei, aber es ist nicht die hauptsächliche oder die einzige Ursache. Wenn dem so wäre, würde jeder Bevölkerungszuwachs bzw. jede Bevölkerungsabnahme bedeuten, daß die Kriminalität zunimmt bzw. abnimmt. Doch das ist nicht immer so.
Als Beispiel sei die Bundesrepublik Deutschland erwähnt. Sie zählt zu den wenigen Ländern, die in jüngster Zeit einen Bevölkerungsrückgang aufweisen. In der Zeit von 1975 bis 1977 ist die Bevölkerungszahl um über 600 000 gesunken. Somit müßte jetzt ein entsprechender Rückgang der Kriminalität zu verzeichnen sein. Laut dem Bericht des Innenministeriums wurden 1975 2 919 390 Straftaten registriert, 1977 dagegen 3 287 642 — ein Anstieg von über 12 %. Das zeigt, daß die Kriminalität selbst in Ländern zunimmt, in denen die Bevölkerung abgenommen hat.
Und diejenigen, die behaupten, der Kriminalitätsanstieg sei eine natürliche Folge der Bevölkerungsexplosion, haben allen Grund, besorgt in die Zukunft zu blicken. Wie sie ja selbst sagen, wird die Kriminalität entsprechend dem Wachstum der Weltbevölkerung weiter zunehmen. Wie schlimm muß die Situation werden, bis zugegeben wird, daß sie „wirklich so gravierend“ ist?
„Die heutigen Kriminalstatistiken sind genauer.“
Sicherlich trifft es zu, daß man heute genauere Kriminalstatistiken führt als vor hundert Jahren. Deshalb kann man keinen zutreffenden Vergleich zwischen der Zahl der Verbrechen, die damals begangen wurden, und der Zahl der Verbrechen, die jetzt verübt werden, anstellen. Wird aber dieses Argument nicht unhaltbar, wenn man die Kriminalstatistik des Jahres 1977 mit der des Jahres 1975 oder auch mit der des Jahres 1970 vergleicht? Und wenn, wie behauptet wird, die Kriminalstatistik jetzt genauer ist, sollten wir uns dann nicht fragen: „Warum?“? Zeigt nicht die Notwendigkeit für eine genauere Kriminalstatistik bzw. für eine Aufhellung der Dunkelziffern bei den Straftaten, daß sich die Situation verschlimmert hat?
Wie kommen die Polizeistatistiken zustande? Die meisten Straftaten werden nicht von der Polizei ermittelt und angezeigt. Eine von der Forschungsgruppe Kriminologie am Max-Planck-Institut durchgeführte Untersuchung ergab, daß bis zu 90 % aller Anzeigen von Opfern oder von Zeugen krimineller Handlungen erstattet werden. Die Führung genauer Kriminalstatistiken hängt somit weniger von der Polizei ab als von der Bereitschaft der Bevölkerung, Anzeige zu erstatten.
Nimmt es die Bevölkerung heute mit der Anzeigenerstattung genauer als früher? Ist man heute darin gewissenhafter? Die Ergebnisse der Befragung zeigen, daß dem nicht so ist: Es wurde festgestellt, daß nur 46 % aller selbst erlittenen Straftaten, von denen die Opfer in dieser Untersuchung berichteten, der Polizei gemeldet wurden. Mehr als die Hälfte wurde nicht gemeldet, entweder weil das Opfer den Schaden für zu geringfügig hielt oder weil es annahm, daß eine Anzeige doch keinen Erfolg habe, oder aus anderen, persönlichen Gründen.
Diese Zahlen, die vergleichbaren Daten aus der Schweiz, den USA, Kanada, Australien und Finnland entsprechen, lassen erkennen, daß die Kriminalität noch gravierender ist, als die Statistik zeigt. Das geht auch aus einem Bericht der Zeitschrift Der Spiegel hervor, in dem es hieß: „Fast zwei Millionen Diebstähle weist die jüngste Kriminalstatistik für die Bundesrepublik (1974) aus, aber in Wahrheit ist die Ziffer zehn- oder zwölfmal so groß.“ In diesem Bericht wird Werner Hamacher, Chef des Landeskriminalamtes von Nordrhein-Westfalen, zitiert. Er erklärte, daß die registrierten Verbrechen („Hellfeld“) für die Gesamtkriminalität kaum mehr als ein „knapper Bikini“ seien.
Zu welchem Schluß kommen wir deshalb? Daß die Kriminalstatistiken immer noch außerordentlich unvollständig sind und im besten Fall nur gewisse Trends erkennen lassen. Es ist keine Übertreibung der Tatsachen, wenn gesagt wird, daß die Statistiken nur ein unvollständiges Bild der Gesamtkriminalität vermitteln. Was meinst du? Ist das Problem wirklich so gravierend?
„Mancherorts mag die Kriminalität gravierend sein, nicht aber da, wo ich wohne.“
Wenn das der Fall ist, solltest du dankbar sein. In Landgebieten ist die Kriminalitätsrate vielfach niedriger als in Großstädten, und in den Städten ist sie in bestimmten Vierteln höher als
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