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Europas „Panamakanal“Erwachet! 1977 | 22. Mai
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Europas „Panamakanal“
Vom „Awake!“-Korrespondenten in der Bundesrepublik Deutschland
WENN dich jemand darum bitten würde, die wichtigsten Kanäle der Welt aufzuzählen, an welche würdest du dann denken? Wahrscheinlich würdest du den Panamakanal, ja, und ebenso den Suezkanal aufzählen. Bist du dagegen in Nordeuropa ansässig, dann würdest du auch den „Nord-Ostsee-Kanal“ nennen, der auch als „Kielkanal“ bekannt ist.
Hast du jemals von dieser Wasserstraße gehört? Sie ist von großer Bedeutung. Der Nord-Ostsee-Kanal zieht sich durch die Cimbrische Halbinsel, eine Landzunge von ungefähr 450 Kilometer Länge. Diese Landenge erstreckt sich von der Hafenstadt Hamburg aus in nördlicher Richtung bis zum Kap Skagen, dem nördlichsten Punkt Dänemarks. Sie trennt die Nordsee von der Ostsee.
Der Nord-Ostsee-Kanal bahnt sich durch diese Landmasse seinen Weg von Brunsbüttel an der Elbe in Richtung Nordost nach Kiel-Holtenau an der Kieler Förde, die in die Ostsee führt. Wenn dieser Kanal nicht da wäre, müßten die Schiffe von der einen See in die andere den ungefähr 460 Kilometer längeren Umweg um das Kap Skagen machen.
Wir könnten diesen künstlichen Wasserweg als „Panamakanal“ Europas bezeichnen. Er wird allerdings noch mehr befahren als jener bekanntere Kanal. Jährlich passieren bis zu 85 000 Schiffe den Nord-Ostsee-Kanal. Das sind ungefähr viermal soviel wie beim Suezkanal und fünfmal soviel wie beim Panamakanal. Würde man alle Schiffe, die jährlich den Nord-Ostsee-Kanal passieren, mit ausreichenden Zwischenabständen hintereinander anordnen, ergäbe sich, so errechnete ein Beamter der Kanalverwaltung, eine Kolonne von 44 000 Kilometer Länge, das entspricht ungefähr dem Umfang der Erde am Äquator. Obendrein sind in dieser Zahl nicht die Sportboote eingeschlossen, die diesen Wasserweg benutzen.
Die Notwendigkeit des Kanals
Der Nord-Ostsee-Kanal kann jetzt auf ein achtzigjähriges Bestehen zurückblicken. Es ist auf den Einfluß des deutschen Kanzlers Otto von Bismarck zurückzuführen, daß der Kanalbau in Angriff genommen wurde. Bismarck betrachtete ihn als ein Instrument der Politik. Da er erkannte, daß die deutsche Marine einen leistungsfähigen Wasserweg benötigte, um Flottenbewegungen zwischen der Nordsee und der Ostsee durchzuführen, gewann Bismarck für den Bau des Kanals die Unterstützung von Kaiser Wilhelm II.
Das Vorhaben glich einem militärischen Einsatz. Zeitweise arbeiteten sogar 8 900 Leute daran. Der Bau des Kanals mit seinen Schleusen, Brücken und Hafenanlagen erforderte, daß die Arbeiter ungefähr 80 Millionen Kubikmeter Erde bewegten. Die Arbeiten dauerten von 1888 bis 1895. Der „Kaiser-Wilhelm-Kanal“, wie er damals genannt wurde, kostete 156 Millionen Mark. Die offizielle Eröffnung am 20. Juni 1895 war eine wohldurchdachte Feierlichkeit.
Später erwies es sich als notwendig, den Kanal zu erweitern und zu modernisieren. Heute ist er 98 Kilometer lang und 11 Meter tief. Die Wasserspiegelbreite beträgt 162 Meter und die Sohlenbreite 90 Meter.
Um die unterschiedlichen Wasserstände der Nordsee und der Ostsee auszugleichen, wurde der Nord-Ostsee-Kanal an jedem Ende mit einer Doppelschleuse ausgestattet. Dadurch ist es möglich, Schiffe mit 310 Meter Länge aufzunehmen. Zwei Lenkungszentralen sorgen mit Hilfe von Lichtsignalen und Funk für eine sichere und schnelle Passage.
Eindrücke während einer Passage
Für die Fahrt von einem Ende des Kanals bis zum anderen benötigt man sieben bis neun Stunden, je nach Art des Schiffes. Auf der Reise hat man die Möglichkeit, sich einen Überblick über die malerische Landschaft des nördlichsten Staates der BRD, Schleswig-Holstein, zu verschaffen. Kürzlich unternahm ich eine solche Fahrt auf einem Frachter. Ich möchte gern einige meiner Reisebeobachtungen beschreiben.
Im ersten Abschnitt unserer Fahrt dirigiert ein speziell ausgebildeter Lotse das Schiff um Minen herum, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg in der Nordsee befinden. Am anderen Ende des Kanals, an der Ostsee, sind ähnliche Minen vorhanden. Den Schiffen ist es nicht gestattet, ihren Kurs in diesem Gebiet selbst zu bestimmen, sondern sie müssen besonderen Routen folgen.
Nachdem wir die Nordsee verlassen haben, begeben wir uns ein kurzes Stück elbaufwärts zur Schleusenstadt Brunsbüttel. Ein grünes Licht sagt uns, daß wir in die Schleuse fahren können. Die kräftigen Hände der bereitstehenden Festmacher ergreifen die schweren Leinen und befestigen das Schiff an den Schleusenpollern.
Im Moment haben wir eine kurze Wartezeit, während deren sich der Kapitän der Formalitäten annimmt und das Schiff Wasser und Proviant übernimmt. Die Seeleute, die länge auf See waren, nehmen die Gelegenheit wahr, um nach Hause zu telefonieren oder an ihre Angehörigen zu schreiben. Einige Seeleute aus Europa treffen sich hier mit ihrer Frau und ihren Kindern und nehmen sie mit zur Kanalfahrt.
Schließlich wird es Zeit weiterzufahren. Unser Schiff wird mit Lotsenhilfe in den Kanal manövriert. Vor uns breitet sich eine flache, grüne Marsch aus, auf der verstreut einige Bauernhöfe liegen. Der Nord-Ostsee-Kanal durchschneidet anfangs auf einer Länge von 20 km ein Niederungsgebiet, das durch Meeresverlandung entstanden ist. An einigen Stellen liegt das Land drei Meter unter dem Kanalwasserspiegel. Aus diesem Grund ergibt sich vom Land aus für den Betrachter des Bildes ein eigenartiger Eindruck, es sieht so aus, als ob ein Ozeanschiff über Wiesen und Felder dahingleitet.
Am Mittelstück des Kanals bemerken wir, daß die Uferböschungen höher werden und mit Büschen und Sträuchern bepflanzt sind. Buschhecken, die auf kleinen Erdwällen wachsen, schützen die Felder und Wiesen vor den immer wehenden Winden. Durch vereinzelt wachsende Flieder wird die Atmosphäre verschönt und um einen süßen Duft bereichert. Der Lehmboden, den wir im östlichen Teil vorfinden, ist eine gute Erklärung für die Fruchtbarkeit dieses Anbaugebietes. Der Nord-Ostsee-Kanal zieht sich durch ein Anbaugebiet, das in seiner gesamtwirtschaftlichen Bedeutung die anderen Staaten der BRD übertrifft.
Die letzten paar Kilometer unserer Kanalfahrt sind wirklich malerisch. Kurz bevor wir die Schleuse erreichen, sehen wir große Güter mit Herrenhäusern, die in einer parkähnlichen Umgebung eingebettet sind. Sie sind eine Erinnerung an vergangene Zeiten, in denen dieses Land noch Rittergütern und Adelssitzen gehörte. Die bald darauf sichtbarwerdenden Ufermauern aus Backstein, die Silos, Kräne, Mineralöltanks und Brücken kündigen an, daß wir Kiel-Holtenau, das Ende unserer Kanalfahrt, erreicht haben.
Uns fallen Hunderte von Segelbooten auf, die ein unvergeßliches Bild zaubern, denn Kiel ist als das Mekka des Segelsports bekannt. Der Anblick der weißen Segel, unter die sich die bunten Vorwindsegel, Spinnaker genannt, mischen, bildet einen netten Abschluß unserer Fahrt auf Europas berühmtem „Panamakanal“.
[Karte auf Seite 10]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
DÄNEMARK
Schleswig
Rendsburg
Kieler Bucht
NORDSEE
OSTSEE
Kiel
NORD-OSTSEE-KANAL
Brunsbüttelkoog
Lübeck
Elbe
BRD
Hamburg
DDR
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Wann wurde bestimmt, was zur Bibel gehört?Erwachet! 1977 | 22. Mai
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Wann wurde bestimmt, was zur Bibel gehört?
EIN Priester schrieb an eine Frau, die unter der Anleitung der christlichen Zeugen Jehovas die Bibel erforschte: „Die katholische Kirche hat ein für allemal entschieden, was zum Wort Gottes gehört und wie es auszulegen ist.“ Seine Äußerung stimmte völlig mit dem überein, was in dem Werk New Catholic Encyclopedia gesagt wird: „Nach katholischer Lehre ist für den Bibelkanon in erster Linie die unfehlbare Entscheidung der Kirche maßgebend. Diese Entscheidung wurde ziemlich spät in der Geschichte der Kirche gefällt (auf dem Konzil zu Trient)“ (Bd. 3, S. 29).
Das Konzil zu Trient fand im 16. Jahrhundert statt. Mußten so viele Jahre vergehen, bis klar war, was zum Bibelkanon gehört?
Jesus Christus und seine Jünger, die im ersten Jahrhundert lebten, hatten keine Schwierigkeit zu entscheiden, welche Bücher von Gott inspiriert waren. Wie seine Landsleute, so erkannte auch Jesus Christus die drei Teile, in die sich das sogenannte „Alte Testament“ gliedert — das Gesetz, die Propheten und die Psalmen —, als das Wort seines Vaters an. Zum Beispiel sagte er nach seiner Auferstehung zu zwei seiner Jünger: „Dies sind meine Worte, die ich zu euch redete, als ich noch bei euch war, daß sich alle Dinge, die im Gesetz Mose und in den Propheten und Psalmen über mich geschrieben stehen, erfüllen müssen“ (Luk. 24:44). In den Christlichen Griechischen Schriften (auch „Neues Testament“ genannt) werden Ausdrücke verwendet wie „Schriften“ und „heilige Schriften“ (Apg. 18:24; Röm. 1:2; 2. Tim. 3:15). Das waren offensichtlich Bezeichnungen, die für die damals lebenden Menschen eine spezielle Bedeutung hatten. Man war sich nicht im unklaren darüber, worum es sich bei diesen „heiligen Schriften“ handelte, bis sich Geistliche im 16. Jahrhundert das Recht herausnahmen, zu bestimmen, was dazugehört.
Beachtenswert ist, daß das Konzil zu Trient nicht gleicher Meinung war wie Jesus Christus und die Jünger des ersten Jahrhunderts, die nur die Bücher des überlieferten Kanons der Hebräischen Schriften anerkannten. Jenes Konzil wertete auch apokryphische Bücher als kanonisch. Der Gelehrte Hieronymus, Übersetzer der Vulgata, schrieb an eine gewisse Frau in Verbindung mit Ratschlägen, die er ihr für die Erziehung ihrer Tochter gab, über diese Bücher: „Alle apokryphischen Bücher sollten gemieden werden; möchte sie sie aber lesen, ... sollte man ihr sagen, daß es nicht die Werke der Verfasser sind, deren Namen sie tragen, daß sie viel Fehlerhaftes enthalten und daß viel Umsicht erforderlich ist, das Gold in all dem Schlamm zu finden.“
Das Konzil von Trient, das gewisse apokryphische oder deuterokanonische Bücher für kanonisch erklärte, setzte sich dadurch auch über folgende Worte des Apostels Paulus hinweg: „Vor allem sind ihnen [den Juden] die Worte Gottes anvertraut“ (Röm. 3:2, Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, kath.).
Wie steht es mit den Christlichen Griechischen Schriften? Die Schriften, aus denen sich dieser Teil der Bibel zusammensetzt, wurden von Anfang an als inspiriert anerkannt. Damals besaßen einige Christen die Wundergabe der „Unterscheidung inspirierter Äußerungen“ (1. Kor. 12:10). Daher konnte der Apostel Petrus die Briefe des Apostels Paulus zu den übrigen inspirierten Schriften zählen. Wir lesen: „Wie euch unser geliebter Bruder Paulus nach der ihm verliehenen Weisheit ebenfalls schrieb, indem er von diesen Dingen redete, wie er das auch in all seinen Briefen tut. Darin sind jedoch einige Dinge schwer zu verstehen, die die Ungelehrten und Unbefestigten verdrehen, wie sie es auch, zu ihrer eigenen Vernichtung, mit den übrigen Schriften tun“ (2. Petr. 3:15, 16).
Ferner wird durch die aus der Zeit vom 2. bis 4. Jahrhundert u. Z. stammenden Verzeichnisse der inspirierten Bücher bestätigt, daß der Kanon der Christlichen Griechischen Schriften schon sehr früh festgelegt worden ist.
Die Gläubigen haben also jedes Buch der Bibel von Anfang an als inspiriert anerkannt. Nachdem die Niederschrift der Bibel im ersten Jahrhundert u. Z. vollendet worden war, gab es in den späteren Jahrhunderten nichts mehr über die Kanonizität zu entscheiden.
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