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  • Warum gibt es so viel Haß?
    Erwachet! 1985 | 22. April
    • Warum gibt es so viel Haß?

      EINE Woge des Hasses rollt gegenwärtig über die ganze Welt. Man hört von der brutalen Ermordung hilfloser Frauen und Kinder. Durch Bombenanschläge wird sinnlos Blut vergossen. Immer wieder liest man Berichte wie die folgenden:

      „Jeder haßt jeden, und jeder ist gewillt, den anderen zu töten. Ich fürchte, der Libanon steht symptomatisch für das, was vielleicht der ganzen Menschheit widerfährt“, klagte der Nobelpreisträger Isaac Bashevis Singer. „Ich bange angesichts des Tiefstands, den wir erreicht haben“ (U.S. News & World Report, 19. Dezember 1983).

      „Nach vier Jahren immer zahlreicher werdender Proteste und einem Monat sich mehrender Gewalttätigkeiten kam in dem ölreichen indischen Bundesstaat Assam der religiöse Haß der Bürger zum Ausbruch“ (Time, 7. März 1983).

      „West-Belfast ist das Kampfgebiet, durch das eine groteske „Friedenslinie“ aus Stahl und Beton verläuft, vorbei an einer unheimlichen Ruinenlandschaft ... In ihrem Schutz schöpfen die Terroristen [der verschiedenen politischen Richtungen] neuen Haß aus ein und derselben vergifteten Quelle — der irischen Geschichte“ (National Geographic, April 1981).

      Der Haß steckt wie ein Krebsgeschwür in der menschlichen Gesellschaft. Angeblich leben wir in einer aufgeklärten Welt, in der Grausamkeiten längst der Vergangenheit angehören sollten. Wir sehen jedoch in allen Gesellschaftsschichten immer wieder Beweise für die traurige Wahrheit, die ein Bibelschreiber einst in folgende Worte kleidete: „Haß weckt Streit“ (Sprüche 10:12, Einheitsübersetzung).

      Zank und Streit wird zumeist von Aufwieglern ausgelöst, die eine Flut von Falschinformationen verbreiten. Angestachelt von blindem Haß, lassen sich irregeleitete Personen dann zu abscheulichen Gewaltakten hinreißen. Bestehende Mißstände tragen oft dazu bei, daß weiteres Öl ins Feuer gegossen wird. Wenn man die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit und die Leiden der zahllosen Opfer haßbedingter Vorurteile und Gewalttaten in Betracht zieht, mag man sich besorgt fragen: „Warum gibt es so viel Haß? Besteht die Möglichkeit, ihn auszumerzen? Wird die Welt je völlig frei sein von Haß?“

  • Hoffnung für Opfer des Hasses!
    Erwachet! 1985 | 22. April
    • Hoffnung für Opfer des Hasses!

      DIE Welt wird eines Tages frei sein von Haß. Bevor wir jedoch erkennen können, wie das möglich ist, müssen wir zunächst wissen, wodurch Haß verursacht wird, und dann ergründen, was getan werden muß, um ihn auszumerzen.

      Das Wort „Haß“ wird oft ganz nach Belieben verwandt. Ein kleines Kind mag sein Gesicht verziehen und ausrufen: „Ich hasse Lebertran!“, doch niemand würde ihm das übelnehmen. Von dieser Art Haß ist hier offensichtlich nicht die Rede.

      Bei dem Haß, der in der heutigen Zeit so viel Kummer und Streit verursacht, handelt es sich um eine erbitterte, oft heimtückische Feindschaft. Haß kann bewirken, daß die Feindseligkeit gegenüber bestimmten Menschen aufrechterhalten wird. Diese Art von Haß ist wie ein verzehrendes Feuer. Wenn er außer Kontrolle gerät, kann er tödlich wirken, wie wir alle nur zu gut wissen.

      Was sind die Ursachen?

      Zum einen kann die Gestaltung des Geschichtsunterrichts dazu führen, daß junge Menschen bereits ein entstelltes Bild von ganzen Völkern und Nationen erhalten. Zum anderen muß man natürlich zugeben, daß auch der Einfluß des Elternhauses eine Rolle spielt. Kinder werden voreingenommene Bemerkungen über eine andere Rasse oder ein anderes Volk kaum ignorieren. Man bedenke nur, was manche Iren von den Engländern halten und umgekehrt.

      Auch Propagandisten spielen dabei eine gewisse Rolle. Die Denkweise der Menschen — ob jung oder alt — kann gleicherweise durch das, was sie hören, beeinflußt werden. Leiht man zum Beispiel politischer Propaganda sein Ohr, kann man veranlaßt werden, Menschen zu hassen, nur weil sie durch die raffinierte Propaganda gewisser Leute ständig falsch dargestellt werden. In Kriegszeiten wird das oft genug praktiziert. J. A. C. Brown schrieb diesbezüglich in seinem Buch Techniques of Persuasion: „Sehr oft versucht man — wie in der Kriegspropaganda —, starke Haßgefühle ... gegen eine andere Gruppe [hervorzurufen].“ Wie wirkt sich eine solche Propaganda aus? J. A. C. Brown sagte: „Sie führt nicht nur zu übertriebenem Haß gegenüber dem Feind, sondern vermindert auch unser eigenes Schuldgefühl, wenn wir uns ebenfalls brutal verhalten.“

      Es könnten noch viele andere Ursachen für Haß angeführt werden. Aber wie die meisten einsichtigen Menschen sind wir mehr daran interessiert, zu erfahren, was getan werden kann, damit diese Ursache von so viel Leid verschwindet. Wie ist das möglich?

      Was kann man dagegen tun?

      Natürlich kann man als einzelner die Welt nicht ändern. Mancher mag glauben, daß der positive Einfluß der Religion den verschiedenen Auswüchsen des Hasses entgegenwirken könnte. Denken wir einmal kurz darüber nach. Hat nicht gerade religiöser Fanatismus oft Haß erzeugt? Die Weltreligionen haben offensichtlich nicht vermocht, diesen schädlichen Einfluß auf die menschliche Gesellschaft einzudämmen. Denken wir doch nur an die kriegführenden Parteien im Libanon und in Nordirland, die verschiedenen Glaubensrichtungen angehören. Interessanterweise bemerkte der Schriftsteller Jonathan Swift bereits im 18. Jahrhundert: „Wir haben gerade genug Religion in uns, einander zu hassen, aber nicht genug, einander zu lieben.“

      Das heißt aber nicht, daß die Religion uns lehren sollte, überhaupt nicht zu hassen. Die Bibel sagt: „Für alles gibt es eine bestimmte Zeit ...; eine Zeit zum Lieben und eine Zeit zum Hassen“ (Prediger 3:1, 8). Dabei handelt es sich allerdings um einen gottgefälligen Haß. Diese Gefühlsregung dient, wenn sie richtig kontrolliert wird, zum Schutz. Gott haßt ganz offensichtlich schlechte Dinge, und seine Diener tun dies richtigerweise ebenfalls. Diese Ansicht vertrat auch der Psalmist, als er sagte: „O ihr, die ihr Jehova liebt, hasset das Böse“ (Psalm 97:10).

      Böswilliger Haß ist jedoch etwas ganz anderes. Wie kann man ihn ausmerzen bzw. ihm aus dem Wege gehen? Man sollte einmal über folgende Punkte nachdenken:

      Die Ursachen in Betracht ziehen. Grundlegend muß gesagt werden, daß blinder Haß letztlich auf unsere Unvollkommenheit zurückzuführen ist. Der christliche Apostel Paulus schrieb: „Nun sind die Werke des Fleisches offenbar, und sie sind: Hurerei, Unreinheit, zügelloser Wandel, Götzendienst, Ausübung von Spiritismus, Feindschaften [Haß, Authorized Version], Streit, Eifersucht, Wutausbrüche, Wortzänkereien, Spaltungen, Sekten, Neidereien, Trinkgelage, Schwelgereien und dergleichen Dinge. Vor diesen Dingen warne ich euch im voraus, so, wie ich euch im voraus gewarnt habe, daß die, die solche Dinge treiben, Gottes Königreich nicht ererben werden“ (Galater 5:19-21). Ja, Haß oder Feindschaften sind ebenso „Werke des Fleisches“ wie Streit und Wortzänkereien, und derjenige, der sie verübt, wird keinen Anteil an Gottes Königreich haben.

      Wer daher hofft, an den Segnungen des himmlischen Königreiches teilzuhaben, muß den unangebrachten Haß aus seinem Herzen verbannen. Aber wie ist das möglich?

      Unseren Sinn behüten. Wenn wir uns vor dieser zerstörerischen Gesinnung hüten oder sie aus unserem Leben verbannen wollen, müssen wir darauf achtgeben, womit wir unseren Sinn nähren. Das ist natürlich besonders schwer, wenn begründete Ursachen zur Klage bestehen, uns schweres Unrecht zugefügt worden ist oder wenn unsere Rechte mit Füßen getreten worden sind. Bedenken wir jedoch, daß die Dinge nur noch schlimmer werden, wenn wir beginnen, darüber nachzugrübeln, und zulassen, daß der Haß uns gleichsam wie ein Krebsgeschwür innerlich zerfrißt. Darüber zu wachen, womit wir unseren Sinn nähren, ist natürlich leichter gesagt als getan. Wir können aber positive Schritte unternehmen. Zum Beispiel brauchen wir den Gesprächen derjenigen, die voreingenommen sind und den Haß schüren, gar nicht zuzuhören. Was können wir sonst noch tun?

      Positiv denken. Dazu gehört, daß wir Verbitterung durch eine gute, positive Einstellung ersetzen. Der Apostel Paulus beschrieb es folgendermaßen: „Schließlich, Brüder, was irgend wahr, was irgend von ernsthaftem Interesse, was irgend gerecht, was irgend keusch, was irgend liebenswert ist, worüber irgend man wohlredet, wenn es irgendeine Tugend und irgend etwas Lobenswertes gibt, diese Dinge erwägt weiterhin“ (Philipper 4:8). Welch guter Rat! Das positive Denken allein genügt jedoch nicht. Wir müssen unser Vertrauen in etwas setzen, was sicher ist.

      Vertrauen in Gottes Güte. Ja, wir müssen darauf vertrauen, daß Gott in der Lage und willens ist, alle Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Dann werden uns unsere Gefühle nicht zu feindseligen Handlungen treiben. Statt dessen werden wir durch klares, vernünftiges Denken geleitet. Wahre Christen haben festgestellt, daß das Gebet eine große Hilfe ist. So sagte der Apostel Paulus: „Seid um nichts ängstlich besorgt, sondern laßt in allem durch Gebet und Flehen zusammen mit Danksagung eure Bitten bei Gott bekanntwerden; und der Friede Gottes, der alles Denken übertrifft, wird euer Herz und eure Denkkraft durch Christus Jesus behüten“ (Philipper 4:6, 7).

      Haß kann besiegt werden

      Natürlich entwickelt sich eine solche Denkweise und ein solches Gottvertrauen nicht über Nacht. Aber man kann es schaffen. Bereits Hunderttausende haben den weisen Rat Jesu Christi befolgt: „Ihr habt gehört, daß gesagt wurde: ,Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.‘ Doch ich sage euch: Fahrt fort, eure Feinde zu lieben und für die zu beten, die euch verfolgen“ (Matthäus 5:43, 44).

      Im ersten Jahrhundert wurden Menschen aus der ganzen damals bekannten Welt Nachfolger Jesu Christi. Sie waren für ihre überströmende Liebe bekannt. Als Stephanus, ein Jünger Jesu, von haßerfüllten Männern gesteinigt wurde, waren seine letzten Worte: „Jehova, rechne ihnen diese Sünde nicht zu!“ Stephanus war bereit, ihnen zu vergeben. Er wünschte selbst denen, die ihn haßten, nur das Beste (Apostelgeschichte 7:54-60).

      Jehovas Diener in der Neuzeit haben den Rat, liebevoll zu sein, beherzigt. Sie lieben nicht nur ihresgleichen, ihre christlichen Brüder und Schwestern, sondern selbst diejenigen, die sie hassen. Sie sind eifrig bemüht, böswilligen Haß aus ihrem Leben völlig auszumerzen. Da sie die wirksamen Kräfte kennen, die Haß hervorrufen können, handeln sie positiv und ersetzen Haß durch Liebe. Ja, „Haß ist das, was Streitigkeiten erregt, aber Liebe deckt sogar alle Übertretungen zu“ (Sprüche 10:12).

      Der Apostel Johannes erklärte: „Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Totschläger, und ihr wißt, daß kein Totschläger ewiges Leben bleibend in sich hat“ (1. Johannes 3:15). Jehovas Zeugen glauben das. Obwohl sie aus allen ethnischen und kulturellen Gruppen stammen und früher den verschiedensten religiösen oder politischen Richtungen angehörten, haben sie sich zu einer vereinten Gesellschaft von Menschen, zu einer echten weltweiten Bruderschaft, zusammengeschlossen, die frei von Haß ist.

      Ein Ende des Hasses in Sicht!

      „Nun“, mag jemand sagen, „das ist für die Betreffenden zwar sehr schön, aber dadurch wird der Haß nicht von der ganzen Erde verschwinden.“ Das stimmt, denn selbst wenn wir in unserem Herzen keinen Haß hegen, können wir immer noch ein Opfer des Hasses werden. Daher können wir nur von Gott die vollständige Lösung dieses Problems erwarten.

      Fassen wir daher Mut, denn bald werden alle Spuren fehlgeleiteten, nicht gottgefälligen Hasses von der Erde verschwinden. Das wird binnen kurzem unter der Herrschaft der himmlischen Regierung geschehen, um die uns Jesus wie folgt beten lehrte: „Unser Vater in den Himmeln, dein Name werde geheiligt. Dein Königreich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auch auf der Erde“ (Matthäus 6:9, 10). Wenn sich dieses Gebet vollständig erfüllt hat, wird es die Zustände, die Haß begünstigen, nicht mehr geben. Es wird keine Situationen mehr geben, die ausgenutzt werden könnten, um Haß hervorzurufen. Anstelle von Unwissenheit, Lügen und Vorurteilen werden Aufklärung, Wahrheit und Gerechtigkeit treten. Dann wird Gott wirklich ‘jede Träne von unseren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch wird Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz mehr sein’ (Offenbarung 21:1-4).

      Die beste Nachricht kommt aber noch! Der nicht gottgefällige Haß wird bald von der Erde verschwinden, noch zu Lebzeiten der Generation, die den Ausbruch des Hasses in den verheerenden Weltkriegen gesehen hat und die Zeuge all der anderen Beweise geworden ist, die erkennen lassen, daß wir in den „letzten Tagen“ leben (2. Timotheus 3:1-5; Matthäus 24:3-14, 34). In Gottes verheißener neuer Ordnung wird ein echter brüderlicher Geist herrschen, da die Menschen Vollkommenheit erlangen werden. Jeder von uns kann dabeisein, wenn die Erde ein Paradies wird und alle ihre Bewohner Gottes hervorragende moralische Eigenschaften widerspiegeln (Lukas 23:43; 2. Petrus 3:13). Ja, auch du kannst die Zeit erleben, in der erdenweit die Liebe vorherrschen und der Haß der Vergangenheit angehören wird.

      Man muß aber gar nicht so lange warten, bis man sich einer echten brüderlichen Gemeinschaft erfreuen kann. Wie der folgende Bericht zeigt, hat die christliche Liebe bereits heute ihren Platz im Herzen vieler gefunden, die früher von Haß erfüllt waren.

      [Herausgestellter Text auf Seite 5]

      Man kann veranlaßt werden, Menschen zu hassen, nur weil sie durch die raffinierte Propaganda gewisser Leute ständig falsch dargestellt werden

      [Herausgestellter Text auf Seite 5]

      „Wir haben gerade genug Religion in uns, einander zu hassen, aber nicht genug, einander zu lieben“ (Jonathan Swift)

      [Herausgestellter Text auf Seite 6]

      „Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Totschläger“

      [Bild auf Seite 7]

      Bald werden auf der Erde Liebe und Einheit vorherrschen

  • Haß erfüllte mein Herz
    Erwachet! 1985 | 22. April
    • Haß erfüllte mein Herz

      ICH erinnere mich so genau, als wäre es erst gestern geschehen. Der junge Soldat war von seiner Patrouille zurückgelassen worden, als sie das Gebiet verließ. Eine Gruppe spottender und drohender Frauen umringte ihn. Plötzlich teilten sich ihre Reihen, und ein bewaffneter Mann trat vor. Er feuerte und verschwand sofort wieder. Der junge Soldat war tot.

      Ich hatte einen bitteren Haß auf alles Britische und verspürte daher kaum Trauer oder Mitleid, als der junge Mann, dessen Arm von der Trage herabhing, weggetragen wurde. Er war unser Feind. Seine Uniform kennzeichnete ihn in meinen Augen als einen Unterdrücker meines Volkes. Er war Soldat, und wir befanden uns im Krieg.

      Dieser Vorfall ereignete sich vor einigen Jahren in dem von Unruhen erschütterten Belfast (Nordirland). Ich möchte einmal erzählen, wie es dazu kam, daß ich von Haß erfüllt wurde, und — was noch weit wichtiger ist — wie ich lernte, ihn wieder aus meinem Herzen zu verbannen.

      Eine haßerfüllte Atmosphäre

      Als ich noch ein kleines Mädchen war, wohnten wir in einem Stadtviertel von Belfast, wo protestantische und katholische Familien noch friedlich nebeneinander lebten und arbeiteten. Die Spannungen zwischen Protestanten und Katholiken verschärften sich jedoch, als auf die Bürgerrechtsproteste Gewalt und Mord folgten. Meine Brüder wurden mehrmals von Banden protestantischer Jugendlicher gejagt und mit metallbesetzten Gürteln furchtbar geschlagen. Solche Banden wüteten in unserem Stadtviertel, bedrohten die Einwohner und beschädigten ihr Eigentum. Wir sahen uns wegen der vielen Einschüchterungen — die ihren Höhepunkt erreichten, als man eine Bombe auf ein Fenstersims unseres Hauses legte — gezwungen, die Gegend zu verlassen und in ein Viertel zu ziehen, das schließlich zu einem republikanisch-katholischen Ghetto wurde.

      Es war eine Zeit, in der brutale, religiös motivierte Morde an der Tagesordnung waren, eine Zeit, in der das Motto galt: Wie du mir, so ich dir. Der Bruder einer meiner Schulfreundinnen wurde zum Beispiel auf offener Straße ermordet. Solche erschütternden Gewaltakte und die meiner Meinung nach bestehende Benachteiligung von Katholiken in bezug auf Wohnung und Arbeit weckten in mir das Verlangen, mein möglichstes zu tun, um die Zustände zu ändern.

      Paramilitärische Aktivitäten

      Als ich meine Freundinnen in Uniform sah, wollte ich es ihnen natürlich gleichtun. Daher schloß ich mich schon als Schülerin der Jugendgruppe einer katholischen paramilitärischen Organisation an. Die Propaganda, mit der ich dort überschüttet wurde, erfüllte mein junges Herz mit Haß gegen diejenigen, die ich als Feinde meines Volkes ansah. Durch das Zusammenkommen mit Gleichgesinnten wurde ich von einem wahren Feuereifer für „die Sache“ durchdrungen — Freiheit für die Iren! Meine Aufgabe? Nach Armeepatrouillen Ausschau zu halten, Propagandamaterial zu verteilen und Personen ausfindig zu machen, die den Sicherheitskräften freundlich gesinnt waren.

      Später wurde ich in die Frauengruppe der Organisation aufgenommen. Dort konnte ich meinen Haß auf alles Britische noch mehr zum Ausdruck bringen. Mit anderen zusammen belästigte ich Armee- und Polizeipatrouillen, schrie und spuckte Mitglieder der Sicherheitskräfte an und beteiligte mich an Demonstrationen für die republikanische Sache. Manchmal trug ich auch Waffen der männlichen Mitglieder unserer Gruppe, wenn sie sich an einer Schießerei oder an einem Überfall beteiligten, da es für ein junges Mädchen leichter war, einer Durchsuchung zu entgehen, wenn man von einer Armeepatrouille angehalten wurde.

      Ich dachte nie ernsthaft über die Dinge nach, darüber, was wirklich hinter der Absicht stand, die Briten aus Irland zu vertreiben. Ich war überzeugt, daß ich im Recht war und sie im Unrecht. Ich unterdrückte jegliches Mitgefühl für die Opfer der terroristischen Gewaltakte. Wir betrachteten uns als Freiheitskämpfer, die gegen den Feind unseres Volkes kämpften, und unsere grundlegende Philosophie war, daß Krieg jede Art von Gewaltanwendung rechtfertige. Wenn die aufgrund von Haß verübten Terrorakte unschuldige Opfer forderten, so war dies eben nicht zu ändern.

      Einmal wurde ich sogar verhaftet und angeklagt, weil ich die Waffen trug, die bei einem „kneecapping“ gebraucht werden sollten. Zwei Mitglieder unserer Gruppe sollten in dem betreffenden Fall die Bestrafung des Verräters vornehmen, die darin bestand, ihm die Knie zu durchschießen. Wegen meiner Jugend kam ich mit einer auf Bewährung ausgesetzten Strafe davon. Aber mein Haß auf die Polizei, das Gefängnissystem und die Justiz, die in meinen Augen nur zur Unterdrückung meines Volkes dienten, steigerte sich noch während der kurzen Zeit, die ich vor meiner Gerichtsverhandlung im Gefängnis von Armagh verbrachte.

      Religiöse Erziehung

      Meine religiöse Erziehung trug in keiner Weise dazu bei, den wachsenden Haß in meinem Herzen einzudämmen. Mein Glaube war sogar unlösbar mit meinem Nationalgefühl verbunden. Ich wuchs mit der Ansicht auf, daß die Protestanten eine Bedrohung und eine Gefahr für mich und meine Angehörigen seien. Mein Haß war genauso groß wie der, den die Fanatiker von der anderen Seite gegenüber uns Katholiken zum Ausdruck brachten.

      Mir kam niemals der Gedanke, daß es doch eigentlich widersinnig war, die Messe zu besuchen und als Katholikin zu Gott zu beten, während ich gleichzeitig einen tiefverwurzelten Haß gegen britische Soldaten hegte, die ebenfalls Katholiken sein mochten. Wenn es je einen Konflikt zwischen meinem Nationalgefühl und meiner Religion gab, dann gewann stets das Nationalgefühl die Oberhand. So konnte ich auch die Vorstellung eines Kameraden akzeptieren, daß man einen katholischen Mitchristen, der eine britische Uniform trägt, ohne weiteres erschießen dürfe.

      Einige aufrichtige Priester hielten zwar Predigten, in denen sie die Gewalt verurteilten. Aber sie bewirkten so gut wie gar nichts, da sie selten wirklich etwas gegen Terroristen unternahmen. Welcher Eindruck wurde einem jungen, leicht zu beeinflussenden Menschen denn vermittelt, wenn er sah, daß ein Terrorist mit allen kirchlichen Ehren beerdigt wurde? Ich hatte selbst einmal an der Begräbnisfeier für einen getöteten Kameraden teilgenommen. Über seinem mit einer Fahne geschmückten Sarg wurden Schüsse abgefeuert. Ich ging in Uniform in die Kirche und nahm an der Messe teil. In meinen Augen war es ein militärisches Begräbnis, und die Beteiligung des Priesters bedeutete für mich, daß Gott unsere Sache guthieß.

      Was ich auch tat, ich hatte keinerlei Schuldgefühle. Mir gab auch kein Priester jemals den Rat, mich nicht an paramilitärischen Aktivitäten zu beteiligen.

      Ich lerne die Wahrheit kennen

      Inzwischen hatte ich mich unserer Sache völlig verschrieben und glaubte fest an ihre Rechtmäßigkeit. Ich sah die von der anderen Seite verübte Ungerechtigkeit und war in meiner Leichtgläubigkeit gern bereit, alle Berichte über Greueltaten und über Grausamkeiten zu glauben. Die brutalen Ausschreitungen, deren sich unsere Seite im Kampf schuldig machte, ignorierte ich einfach. Allerdings begannen mir mein gesunder Menschenverstand und mein Gefühl für Anstand allmählich zu sagen, daß bei der ganzen Sache etwas nicht stimmen konnte.

      Während ich noch darum kämpfte, mir Klarheit über das Dilemma zu verschaffen, in das ich durch die nationalistischen Auseinandersetzungen und das Bemühen, Unrecht durch Gewalt zu beseitigen, geraten war, kam ich mit Jehovas Zeugen in Berührung. Sie sprachen über genau das, wofür ich zu kämpfen glaubte — Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit! Aber waren sie nicht vielleicht auch nur eine Art Protestanten? Nein! Anfänglich war ich zwar etwas mißtrauisch, mußte dann aber feststellen, daß sie tatsächlich ganz anders waren. Sie hielten sich wirklich aus der Politik heraus und beriefen sich stets auf die Bibel.

      Ein Beispiel: In einem meiner ersten Gespräche mit der Zeugin, die uns besuchte, fragte ich sie nach ihrer Ansicht über den Protestantenführer, der meiner Meinung nach die treibende Kraft hinter den antikatholischen und antirepublikanischen Aktionen war. Statt Stellung für irgendeine Seite zu beziehen, fragte sie: „Was hätte wohl Jesus unter diesen Umständen getan? Wessen Partei hätte er ergriffen?“

      Die Frage: „Was hätte wohl Jesus ... getan?“ half mir immer wieder, die richtige Antwort auf viele Fragen zu finden, die während meines Bibelstudiums in mir aufstiegen. Als ich zum Beispiel über meine Beteiligung an gewalttätigen Protestaktionen gegen die nach meiner Meinung herrschende Ungerechtigkeit nachdachte, fragte ich mich, ob Jesus wohl so etwas getan hätte. Zunächst glich ich noch ein wenig den jüdischen Nationalisten in den Tagen Jesu, die die Römer aus Judäa zu vertreiben suchten. Aber ich erkannte, daß sich Jesus stets neutral verhalten hatte und auch seine Nachfolger anwies, ebenfalls neutral zu sein. Sein Königreich ist kein Teil dieser Welt (Johannes 15:19; 17:16; 18:36).

      Mit der Zeit wurde mir klar, daß Gottes Königreich in den Händen Jesu Christi einem weit größeren Vorsatz dient. Es wird alle Formen bedrückender Regierungen und alle Arten der Ungerechtigkeit beseitigen (Daniel 2:44). Dabei wird es kein einziges unschuldiges Opfer geben, und ich könnte das alles sogar erleben!

      Da ich mich nicht noch einmal verführen lassen wollte, prüfte ich alles in meiner katholischen Bibel nach. Ich erkannte, daß der Name Gottes Jehova lautet. Ich war begeistert, zu erfahren, daß Gottes Vorsatz darin besteht, die ganze Erde in ein Paradies zu verwandeln, in dem sich die Sanftmütigen an der Fülle des Friedens erfreuen werden (Psalm 37:10, 11; Lukas 23:43). Konnte ich Jehovas Zeugen aber wirklich trauen? Ich begann ihre Zusammenkünfte im Königreichssaal zu besuchen. Die Gemeinschaft mit den Zeugen stärkte mein Vertrauen zu ihnen. Es waren Menschen, die sich wirklich neutral verhielten und die auch selbst gemäß dem handelten, was sie predigten.

      Einige der Zeugen, die ich dort traf, hatten in der Vergangenheit protestantischen paramilitärischen Gruppen angehört. Auch sie hatten aufgehört, in der Gewalt ein Mittel zu sehen, durch das Frieden und Gerechtigkeit herbeigeführt werden kann. Anfangs waren sie von der Rechtmäßigkeit ihrer Sache genauso überzeugt gewesen, wie ich es in meinem Fall gewesen war, und sie hatten früher einen bitteren Haß auf alles gehabt, was katholisch oder republikanisch war. Aber sie hatten sich von allen nationalistischen Ideen und dem dadurch hervorgerufenen Haß frei gemacht. Das half mir, die Worte Jesu richtig zu verstehen: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Johannes 8:32).

      Frei von Haß

      In meinem Herzen wußte ich genau, daß sich Jesus Christus niemals in politische Streitigkeiten und in den Terrorismus hätte verwickeln lassen. Dennoch schien ich wie in einer Falle gefangen zu sein, aus der ich mich nur sehr schwer befreien konnte. Außerdem hörten einige meiner Angehörigen nach einiger Zeit auf, mit Jehovas Zeugen Gemeinschaft zu pflegen. Um das Bibelstudium fortführen zu können, mußten meine Schwester und ich die „Friedenslinie“ überqueren, die die katholischen und die protestantischen Viertel von Belfast voneinander trennt. Zuerst fürchteten wir jedesmal um unsere Sicherheit, wenn wir sie passierten. Doch während unser biblisches Verständnis zunahm, wich diese Furcht allmählich einem echten Vertrauen in den Schutz Jehovas.

      Als ich die biblische Wahrheit gerade kennengelernt hatte, saß ich einmal mit anderen in einem republikanischen Klub zusammen. Dort erfuhren wir von einem Anschlag, der hier in Nordirland verübt worden war und dem besonders viele britische Soldaten zum Opfer gefallen waren. Mir wurde bewußt, daß ich solche Berichte nicht länger mit Jubel begrüßen konnte wie die anderen. Jesus hätte ganz bestimmt nicht gejubelt. Sein Rat lautet: „Alles daher, was ihr wollt, daß euch die Menschen tun, sollt auch ihr ihnen ebenso tun“ (Matthäus 7:12). Ich wußte, daß es falsch war, sich darüber zu freuen, daß Menschen in Stücke gerissen worden waren.

      Diese Begebenheit zeigte mir ganz deutlich, was blinder Haß bewirken kann, und bestärkte mich in meinem Wunsch, nicht länger zu solchen von Haß erfüllten Menschen zu gehören. Wenn ich jetzt zurückschaue, wird mir klar, wie froh ich sein kann, unseren liebevollen Schöpfer kennengelernt zu haben, der einen so wunderbaren Vorsatz mit der Erde und der Menschheit hat! Heute freue ich mich sehr, meine ganze Zeit dafür einsetzen zu können, anderen zu helfen, die gleiche biblisch begründete Hoffnung zu erlangen. Und ich bin wirklich dankbar, daß mein Herz nicht mehr von Haß erfüllt ist. (Eingesandt.)

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