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Das Problem des inneren GleichgewichtsErwachet! 1975 | 8. Oktober
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Das Problem des inneren Gleichgewichts
AM FRÜHEN Morgen des 7. August 1974 erlebten die New Yorker in Lower Manhattan eine Überraschung: Als sie zu den Zwillingstürmen des Welthandelszentrums aufblickten, sahen sie in einer Höhe von 412 m auf einem zwischen den beiden Türmen gespannten Drahtseil einen Artisten balancieren und dabei akrobatische Kunststücke ausführen. Was war die Voraussetzung für diese Balanceakte? Die Fähigkeit, das Körpergleichgewicht zu bewahren.
Heute wird es immer schwieriger, ein anderes Gleichgewicht zu bewahren. So, wie jener Akrobat durch einen starken Windstoß sein Gleichgewicht hätte verlieren können, so verlieren immer mehr Menschen durch Ereignisse, die in ihrem Leben eintreten, das innere oder seelische Gleichgewicht.
Die auslösenden Faktoren
Peter Sainsbury (Chichester, England), Professor der Psychiatrie, weist mit folgenden Worten auf einen Faktor hin, der in vielen Fällen eine Geisteskrankheit auszulösen vermag. Er schreibt, daß es zu einer geistigen Erkrankung komme, wenn „die sozialen Belastungen nicht mehr bewältigt werden“ könnten.
Sainsbury erklärt, daß in vielen Fällen dem Ausbruch einer Geisteskrankheit wie Depression und Schizophrenie Streßperioden — zum Beispiel Arbeitslosigkeit oder erzwungene Trennung — unmittelbar vorausgingen. Aus einem anderen Bericht geht hervor, daß Krankheit in der Familie zu psychischen Störungen führen kann. So benötigten mehr als 50 Prozent der Familien, in denen ein Kind an Leukämie starb, psychiatrische Behandlung.
Ein weiterer Faktor, der eine Geisteskrankheit auslösen kann, ist der Streß, im Rampenlicht der Öffentlichkeit leben zu müssen. So erlitt einer der ersten Astronauten, die den Mond betraten, kurz nach seinem Mondflug einen „Nervenzusammenbruch“. Nach seiner Genesung wurde er zum Präsidenten des US-Instituts für Psychohygiene gemacht. Aber er war auch dem Streß dieses Amtes nicht gewachsen. Als er im Mai 1974 eine Rede halten sollte, mußte er sie absagen, weil er erneut unter Depressionen litt.
Vor einiger Zeit machte die Frau eines Ministerpräsidenten aus einem ähnlichen Grund von sich reden. Sie habe sich in psychiatrische Behandlung begeben müssen, sagte sie, weil sie auf den Pomp und die Publizität, die mit einem so hohen Amt verbunden seien, schlecht vorbereitet gewesen sei. Dann bekannte sie: „Ich sehne mich nach dem Tag, an dem mein Mann nicht mehr Ministerpräsident sein wird.“
Auch das Kriegselend gehört zu den Faktoren, die psychische Störungen auslösen. Eine Schlagzeile, die in der New York Times vom 22. Januar 1975 erschien, lautete: „Verschleierte psychische Schäden — schwerer Tribut des langjährigen Krieges in Vietnam“. In Vietnam ist die Zahl der Mütter, die unter Depressionen leiden, enorm gestiegen, ebenso die Zahl ihrer minderjährigen Söhne, die an Schizophrenie leiden. Diese Geisteskrankheit findet ihren Niederschlag in einer erschreckend hohen Selbstmordrate und einer starken Zunahme an Gewaltverbrechen. Unter den Vietnamesen, die von klein auf dazu erzogen werden, aggressive Impulse im Umgang mit andern zu unterdrücken, sind diese Verbrechen bisher selten gewesen.
Der Umfang des Problems
Die Zahl der Kranken, die an irgendeiner der verschiedenen Geisteskrankheiten leiden, ist überall erschreckend hoch. In der Bundesrepublik sollen gegenwärtig rund sechs Millionen psychisch gestörte Menschen leben, und wie das US-Institut für Psychohygiene meldet, leidet wenigstens jeder zehnte Amerikaner an psychischen oder emotionellen Störungen. In jenem Land werden etwa eine halbe Million Patienten in psychiatrischen Kliniken betreut. Außerdem gibt es dort weitere zehn Millionen, die an einer Geisteskrankheit leiden, und jedes Jahr werden 250 000 neue Patienten in psychiatrische Kliniken eingewiesen.
Ungeheuer hoch sind auch die Kosten, die die psychiatrische Krankenversorgung verursacht. In den USA werden dafür jährlich rund 20 000 000 000 Dollar ausgegeben. Ein düsteres Bild ergibt außerdem die Selbstmordstatistik. In der Bundesrepublik nehmen sich jährlich über 22 000 Menschen das Leben. Auch in anderen europäischen Ländern ist die Zahl der Selbstmorde sehr hoch. In vielen Fällen ist eine Geisteskrankheit die Ursache. Dasselbe gilt für die Selbstmordversuche, deren Zahl um das Zehnfache höher ist als die der Selbstmorde.
Die Nationale Vereinigung für Psychohygiene in England berichtet, daß psychische Störungen die wichtigste Einzelursache für lange Arbeitsunfähigkeit seien; wegen solcher Störungen gingen der Wirtschaft jedes Jahr rund 32 Millionen Arbeitstage verloren. Die Vereinigung kritisiert auch, daß für psychisch Kranke nur ein Fünftel des Betrages aufgewendet werde, der für die Versorgung von körperlich Kranken ausgegeben werde, obschon die Hälfte aller Klinikbetten von psychisch Kranken belegt sei.
Bist du schon einmal so großen Belastungen ausgesetzt gewesen, daß du sie nicht mehr zu tragen vermochtest? Oder ist das einem deiner Angehörigen jemals widerfahren? Hast du schon einmal einen „Nervenzusammenbruch“ erlitten, oder hat sich bei dir schon je eine Geisteskrankheit bemerkbar gemacht? Wenn ja, dann weißt du, daß alles das sehr qualvoll sein kann, sowohl für den Patienten als auch für seine Angehörigen.
Welche Formen der Geisteskrankheit gibt es?
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Die verschiedenen Formen der GeisteskrankheitErwachet! 1975 | 8. Oktober
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Die verschiedenen Formen der Geisteskrankheit
ES GIBT viele verschiedene Formen der Geisteskrankheit. Man könnte sie mit einem Schauspieler vergleichen, der verschiedene Kostüme trägt oder sich verkleidet, je nach der Rolle, die er verkörpert.
Über diese Leidenszustände tappt man noch so sehr im dunkeln, daß bekannte Psychiater sogar behaupten, es gebe keine Geistes„krankheit“. Nach ihrer Meinung handelt es sich jeweils lediglich um ein abnormes Verhalten. Aber es ist nachgewiesen, daß jemand vorübergehend geisteskrank werden kann, wenn man ihm Blut eines Schizophrenen einspritzt. Das sowie die Tatsache, daß dieses Leiden erblich ist, widerlegt die Behauptung, es gebe keine Geisteskrankheit.
Es gibt aber auch Fachleute, die dagegen sind, daß man psychische Leidenszustände als „Schizophrenie“ und „manisch-depressive Krankheit“ bezeichnet. Sie sagen, die Verwendung dieser Bezeichnungen, die in vielen Menschen eine irrationale Furcht wecke, verschlimmere nur alles.
Aber ein Patient und seine Angehörigen sollten sich nicht durch eine Diagnose oder einen Namen, den man einer Krankheit gibt, angst machen oder sich entmutigen lassen. Die Symptome und die Ursachen der Geisteskrankheiten sind tatsächlich selten eindeutig zu bestimmen. Deshalb ist die Diagnose ungenau und keine gezielte Behandlung möglich. Das ist der Grund, warum die Meinungen der Fachärzte manchmal weit auseinandergehen. Sie stimmen nicht einmal darin überein, welche Bezeichnung man welcher Störung geben soll.
„Organische Krankheiten“
Es ist üblich, alle Geisteskrankheiten in zwei Gruppen zu unterteilen, in „organische“ und in „funktionelle“. Zu den organischen zählen alle Geisteskrankheiten, die angeboren sind oder kurz nach der Geburt entstehen, z. B. Gehirnlähmung, Mongolismus, Kretinismus und andere Formen geistiger Behinderung.
Andere organische Geisteskrankheiten treten erst später im Leben auf, z. B. Senilität, die mit verschiedenen Verhaltensstörungen — häufig einem kindischen Wesen — verbunden ist. Dieser Zustand erinnert an den Ausspruch Shakespeares, daß man nur einmal Mann, aber zweimal Kind sei.
Neurosen
Die zweite der beiden Gruppen von Geisteskrankheiten ist die der funktionellen Geisteskrankheiten. Eine weitverbreitete und milde Form einer solchen Geisteskrankheit ist die Neurose. Personen, die an dieser psychischen Störung leiden, nennt man „Neurotiker“, und gewöhnlich will man — allerdings irrtümlich — damit ausdrücken, der Betreffende sei kaum, wenn überhaupt, krank.
Ein Neurotiker ist noch in Kontakt mit der Realität, aber er wird durch mangelndes Vertrauen, durch Mißtrauen oder durch Spannungen behindert. Ein Neurotiker ist übertrieben ängstlich in bezug auf seine Arbeit, seine Familie oder seine Gesundheit. Er hat eine übermäßige Furcht vor Menschen oder vor Orten. Er mag sich zum Beispiel davor fürchten, einen Aufzug zu benutzen. Ferner mag ein Zwang zum Essen vorhanden sein; oder er mag ständig gereizt sein oder wegen der kleinsten Kleinigkeit „in die Luft gehen“. Ein Neurotiker ist sich im allgemeinen seines Problems bewußt, aber er kennt die Ursache nicht und scheint unfähig zu sein, seines Problems Herr zu werden.
Wer denkt, eine Neurose sei leicht zu erkennen, täuscht sich, denn Neurosen können unter verschiedenen Erscheinungsbildern auftreten. Wieso? Weil sie zufolge des psychosomatischen Prinzips häufig körperliche Krankheitszeichen auslösen. Man versucht dann, die körperliche Krankheit zu behandeln anstatt die eigentliche Ursache davon. Körperliche Symptome einer Neurose können Verdauungsstörungen, Herzbeschwerden, Atemnot und Hautausschläge sein.
Der Psychotiker, das heißt eine wirklich geisteskranke Person, hat mit weit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen als der Neurotiker. Er verliert den Kontakt mit der Realität. Er handelt und reagiert völlig anormal. Daher wurde der Satz geprägt: „Der Neurotiker baut Luftschlösser, der Psychotiker wohnt darin, und der Psychiater zieht die Miete ein.“
Depression
Der Neurotiker mag bis zu einem gewissen Grad schwermütig sein, doch der psychotisch depressive Patient leidet gewöhnlich an einer sehr schweren Depression — Symptom eines besonders ernsten psychischen Leidens. In den USA soll die Depression mit ihren verschiedenen Schweregraden die „hauptsächliche Geisteskrankheit“ sein. Die Weltgesundheitsorganisation der UN bezeichnete sie als Weltgesundheitsproblem Nr. 1. Das jetzige Jahrzehnt ist das „Zeitalter der Melancholie“ genannt worden, weil die Depression so verbreitet ist.
Verbunden mit der Depression ist das Gefühl des Einsamseins, vor allem aber das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und der Nutzlosigkeit. Zweifellos ist das die Ursache, warum unter diesen Patienten so viele ihrem Leben ein Ende machen. Die Zahl der Selbstmörder unter ihnen ist 36mal höher als unter der Bevölkerung im allgemeinen. Depressive Patienten glauben oft, völlig wertlos zu sein oder sich schwer verschuldet zu haben. Sie sind weder an Nahrung noch an Kleidung, noch an dem anderen Geschlecht interessiert. Oftmals sind das auch die Symptome eines Zustandes, der im Volksmund die Bezeichnung „Nervenzusammenbruch“a führt. Bei Frauen treten Depressionen häufiger auf als bei Männern.
Die schwerere Form der Depression wird „depressive Psychose“ genannt. Viele dieser Patienten wechseln zwischen Phasen, in denen sie in gehobener Stimmung und rastlos tätig sind, und Phasen tiefer Niedergeschlagenheit. Dieses „Auf und Ab“ nennt man „manisch-depressiv“. Die Patienten neigen dazu, aggressiv und zerstörungswütig zu sein. Während der „manischen Phase“ kommt es bei ihnen gelegentlich zu einer Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit.
Die Schizophrenien
Die Schizophrenie ist eine der schwersten und am weitesten verbreiteten Geisteskrankheiten. Auch von dieser Krankheit gibt es viele Formen. Deshalb sprechen die Psychiater oft von Schizophrenien. In den Vereinigten Staaten handelt es sich bei den hospitalisierten psychisch Kranken größtenteils um Schizophrene. Treffend hat jemand das Wort geprägt: „Herzversagen verursacht die meisten Todesfälle, die Schizophrenie das meiste Herzeleid.“
Etwa drei Prozent der Weltbevölkerung werden sich irgendeinmal während ihres Lebens — vorwiegend zwischen dem 16. und 30. Lebensjahr — mehr oder weniger schizophren verhalten. Mit Recht gilt die Schizophrenie als eine Krankheit, die wie kaum eine andere „den Zerfall der psychischen Persönlichkeit und Lebensuntauglichkeit zur Folge hat“. Auch soll sie „eines der fürchterlichsten Erlebnisse sein, die ein Mensch haben kann“.
Viele Schizophrene meiden die Umwelt und ziehen sich in eine innere Phantasiewelt zurück. Es treten Halluzinationen auf und/oder andere Täuschungen. Die Funktion ihrer Sinne und Gefühle sowie ihre Verhaltensweise verändern sich. Menschen und Gegenstände mögen dem Patienten merkwürdig erscheinen; die Nahrung mag komisch schmecken; Gerüche mögen ihn anwidern; Geräusche mögen ihm unerträglich laut oder kaum hörbar erscheinen. Der Schizophrene mag auch unter Depressionen, Spannungen und Müdigkeit leiden. Eine der schweren Formen von Schizophrenie ist die paranoide Schizophrenie. Diese Form von Geistesgestörtheit ist verbunden mit Wahnideen, wie Größenwahn und Verfolgungswahn, ferner ist der Patient oft feindselig. Eine weitere Form der Schizophrenie ist die Katatonie. Bei diesem Typ kommt es zu dem sogenannten Stupor: Der Patient kann nicht mehr sprechen und/oder seine Glieder nicht mehr bewegen.
Wer an einer Form von Schizophrenie leidet, ist gewöhnlich für die Menschen seiner Umgebung eine weit geringere Gefahr als für sich selbst. So erklärte ein Psychiater, daß es in einem Stadtviertel, in dem nur Schizophrene wohnen würden, zu weit weniger Gewalttätigkeiten kommen würde als in einem Wohnviertel mit „normaler“ Bevölkerung. Aber unter den Schizophrenen ist die Zahl der Selbstmorde zwanzigmal höher als unter der übrigen Bevölkerung. Schätzungsweise heilt bei einem Drittel der an Schizophrenie Leidenden die Krankheit spontan, bei einem Drittel bleibt der Zustand unverändert, und bei einem Drittel verschlimmert er sich.
Es muß jedoch erwähnt werden, daß der Schizophrene im allgemeinen während des größten Teils seines Lebens nicht wirklich geistesgestört ist. Schizophrene haben schon Hervorragendes geleistet.
Überaktive und autistische Kinder
Geistige und psychische Störungen treten auch schon bei kleinen Kindern auf. Ein modernes Leiden, von dem immer mehr Kinder befallen werden, ist die Hyperkinese (Überaktivität). Kinder, die daran leiden, wollen sich immer betätigen. Sie sind unstet, schwierig und können sich nur ganz kurze Zeit konzentrieren; sie springen immer von einer Sache zur anderen. Fünf Prozent der amerikanischen Kinder — über eineinhalb Millionen —, meist Knaben, leiden an dieser psychischen Störung.
Ganz gegenteilig verhalten sich autistische Kinder. Autismus wird wie folgt definiert: ein Zustand, bei dem durch Hingabe an die eigenen Phantasie- und Vorstellungsinhalte der Kontakt zur Umwelt gestört ist. Diese Störung tritt bei Jungen viermal so häufig auf wie bei Mädchen. Noch vor dreißig Jahren war der Autismus sowohl als Begriff als auch als Leiden verhältnismäßig unbekannt. Aber heute ist er ziemlich verbreitet. In Amerika, Großbritannien, Deutschland und Japan (alles hochindustrialisierte Länder, in denen die Menschen unter Streß und Belastungen leiden) gibt es sogar Gesellschaften für autistische Kinder.
Im vorliegenden Aufsatz sind nur die bekannteren und häufig vorkommenden Geisteskrankheiten behandelt worden. Es gibt tatsächlich viele verschiedene solche Leiden; außerdem gibt es noch zahlreiche Abstufungen davon — von einer ganz milden bis zu der schwersten Form. Und kein Fall gleicht genau dem anderen, ganz gleich, wie man diese Störungen und Leiden nennen mag.
Warum gibt es jedoch Menschen, die für Geisteskrankheiten oder psychische Störungen und Leiden anfälliger sind als andere? Was sind die eigentlichen Ursachen von Geisteskrankheiten?
[Fußnote]
a Eine Abhandlung über dieses Thema findet der Leser in Erwachet! vom 8. Dezember 1974.
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Wo liegen die Wurzeln des Problems?Erwachet! 1975 | 8. Oktober
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Wo liegen die Wurzeln des Problems?
ERFREUST du dich einer guten geistigen Gesundheit? Wenn ja, dann hast du Grund, dankbar zu sein. Dennoch wäre es für dich von Vorteil, einige der wichtigsten Faktoren kennenzulernen, die den Verlust dieses kostbaren Gutes bewirken können. Es genügt nicht, zu wissen, daß Belastungen wie ein Unglücksfall, eine schwere Krankheit und Arbeitslosigkeit eine Geisteskrankheit auszulösen vermögen. Solche Faktoren können das Auftreten einer Geisteskrankheit nur zur Folge haben, wenn eine Prädisposition vorhanden ist, die zur Störung des inneren Gleichgewichts beiträgt.
Die Faktoren, die die Menschen zu Geisteskrankheiten prädisponieren, können in drei hauptsächliche Kategorien aufgeteilt werden: 1. soziales Gefüge oder „Umwelt“ (Beziehungen zu den Mitmenschen, wirtschaftliche Verhältnisse usw.), 2. biologische Faktoren (Vererbung, Stoffwechsel usw.) und 3. Persönlichkeitsdefekte.
Der „Umwelt“-Faktor
Wegen des Stresses und der Belastungen des modernen Lebens kann von der Umwelt gesagt werden, sie spiele bei den geistigen Erkrankungen eine große Rolle. Diese Tatsache wird von vielen anerkannt. Das Buch Life Stress and Mental Health (Lebensstreß und geistige Gesundheit) von Langner und Michael setzt sich ausschließlich mit diesem Thema auseinander. Auch in einem Aufsatz von Dr. Karl Evang (früherer Generaldirektor des Gesundheitswesens in Norwegen) ist zu lesen: „Obwohl zahlreiche Menschen imstande sind, einigen der gefürchtetsten körperlichen Krankheiten zu widerstehen, scheint fast jeder Mensch geistigen Erkrankungen gegenüber empfänglich zu sein, falls die Belastung und der Druck stark genug und das soziale Klima entsprechend ungünstig ist.“
Auch in The Schizophrenias—Yours and Mine (Die Schizophrenie des einzelnen und der Allgemeinheit) wird diese Tatsache anerkannt. Wir lesen: „Was kann ein Schizophrener tun, um den Streß zu vermindern?“ Als Antwort heißt es: „Auf eine verlassene Insel ziehen oder Einsiedler werden!“ Aber dann wird weiter ausgeführt: „Allerdings wird es immer schwieriger ..., geeignete Orte dafür zu finden.“
Die Belegschaft der einsamen Wetterstation auf dem Mount Washington (New Hampshire), wo das schlechteste Wetter der Welt sein soll, ist ein Beweis dafür, daß es der geistigen Gesundheit förderlich ist, wenn man von dem Druck des modernen Lebens befreit ist. Einer der dort tätigen Männer erklärte, warum sie gern auf der Wetterstation sind. Er sagte: „Dort steht man nicht unter Druck; es gibt keinen Verkehr, keinen Chef, der einen ständig treibt. Jeder von uns hat eine besser bezahlte Stelle aufgegeben, um diese Arbeit hier anzunehmen. Die Leute denken, wir seien verrückt geworden, aber das stimmt nicht. ... Wir haben Frieden mit der Welt.“
Weitere Umwelteinflüsse, die die Menschen zu Geisteskrankheiten prädisponieren können, sind Feindseligkeit, zerrüttete Familienverhältnisse, Armut und Rassendiskriminierung. Ferner gehören in diese Kategorie Selbstsucht, Ambitionen und Habsucht der Eltern, Eigenschaften, die sich wahrscheinlich schädigend auf die Kinder auswirken.
Wenn der Mensch älter wird, beginnt er in einer „Umwelt“ zu leben, die sehr wohl die Wurzel einer Geisteskrankheit werden kann. Wie die charakteristische „Umwelt“ älter werdender Menschen aussieht, die sich so schädigend auswirkt, wird von Dr. Evang wie folgt beschrieben: „Das Fehlen einer sinnvollen Tätigkeit, das Gefühl, vergessen zu sein, die Isolierung vom Rest der Gesellschaft in Altersheimen, das plötzliche Sinken des Einkommens — das sind nur einige der Belastungen, die das Älterwerden mit sich bringt.“ Ein bekannter amerikanischer Psychiater erklärte sogar, daß der „Altersverfall“ eher solchen Umwelteinflüssen zuzuschreiben sei als dem Verfall des Körpers.
Der biologische Faktor — Vererbung
Aber obschon viele Menschen unter ungünstigen Bedingungen leben, tritt doch nur bei einem verhältnismäßig kleinen Teil als Folge davon eine Geisteskrankheit auf. Warum tritt eine solche Krankheit als Folge dieser Umstände nur bei diesen wenigen und nicht auch bei anderen auf?
Das hängt sehr wahrscheinlich mit der Vererbung zusammen. Es gibt Menschen, die eine Anlage für eine Geisteskrankheit haben. Ihnen fehlen von Geburt an die nötigen Voraussetzungen, um mit diesen Belastungen fertig zu werden. Man könnte sie mit Personen vergleichen, die als Kind armer Eltern geboren wurden, im Vergleich zu solchen, die als Kind reicher Eltern zur Welt kamen. Bei Personen, die als Kind armer Eltern geboren wurden, ist die Gefahr, daß sie Schulden machen oder Wohlfahrtsempfänger werden, weit größer als bei Personen, die als Kind reicher Eltern geboren wurden. So gibt es auch Menschen, die in bezug auf die Psyche „arm“ geboren wurden und deshalb Gefahr laufen, in psychischer Hinsicht „Schulden“ zu machen und an irgendeiner Form von geistiger Störung zu erkranken.
Diese Veranschaulichung und diese Schlußfolgerung werden durch folgende Worte Dr. David Rosenthals gestützt: „Schizophrenie kann sich meist nur dann entwickeln, wenn eine ererbte Anlage dafür vorhanden ist. Doch ohne schwere Umweltbelastungen mag die Krankheit selbst bei Personen, die eine Anlage dafür haben, nicht zum Ausbruch kommen.“
Untersuchungen haben ergeben, daß die Gefahr, an Schizophrenie zu erkranken, größer ist, je näher man mit einem Schizophrenen verwandt ist. Wenn Vater oder Mutter schizophren ist, muß mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu sechs damit gerechnet werden, daß auch das Kind schizophren wird. Sind beide Elternteile schizophren, ist die Wahrscheinlichkeit, daß das Kind schizophren wird, vier zu sechs.
Einer Gruppe von Psychiatern gelang es, nachzuweisen, daß Schizophrenie eine biologische Ursache haben kann, indem sie zwei normalen Gefangenen, die sich freiwillig für diesen Versuch zur Verfügung gestellt hatten, Blut von Schizophrenen einspritzten. Kurz nach der Einspritzung verfiel der eine Gefangene in einen Zustand, den man als Stupor bezeichnet, und hatte Halluzinationen. Der andere wurde paranoid. Er glaubte, jeder spreche über ihn. Nach etwa zwei Stunden wurden sie wieder normal.
Zu ähnlichen Ergebnissen ist die psychiatrische Forschung in bezug auf die Depression gekommen. So wird berichtet, daß „sich die Beweise dafür häufen, daß einige Formen der Depression erblich sind und ... daß das Risiko, an ,primärer‘ Depression [die plötzlich auftritt] zu erkranken, bei Personen, die in der Familie jemand haben, der an dieser Krankheit leidet, zehnmal größer ist“. Es gibt Psychiater, die den Standpunkt vertreten, es liege an einer Abweichung in der Körperbiochemie oder an Störungen im Gehirnstoffwechsel.
Ein weiterer biologischer Faktor — der Stoffwechsel
Heute interessiert man sich immer mehr für die Rolle, die eine falsche Ernährung bei der Entstehung einer Geisteskrankheit spielt, weil sich eine falsche Ernährung schädlich auf den Stoffwechsel auswirken kann. Im vergangenen Jahr hat z. B. Dr. J. F. Greden in einem Krankenhaus in Washington, D. C. (Walter Reed Army Medical Center), psychiatrische Forschungen in dieser Richtung betrieben. Er vermutete, daß große Mengen Koffein, das in Kaffee, Tee, Kopfschmerztabletten und in anderen allgemein gebrauchten Erzeugnissen wie Kolagetränken enthalten ist, die Ursache gewisser Geisteskrankheiten sind. In einer Rede anläßlich der Jahresversammlung der Amerikanischen Gesellschaft für Psychiatrie sagte er:
„Bestimmten Patienten nützt es mehr, wenn ihnen eine Droge — Koffein — entzogen wird, als wenn man ihnen eine verabreicht.“ Er bezeichnete gewisse Fälle als „Koffeinismus“ und erklärte, daß er Ruhelosigkeit, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Halluzinationen, Muskelzuckungen, Erbrechen und Diarrhöe zur Folge haben könne. Er erwähnte jedoch, daß es Leute gebe, die täglich fünfzehn und mehr Tassen Kaffee trinken könnten, ohne daß es sich nachteilig auf ihre Gesundheit auswirke, während sich bei anderen schon zwei Tassen nachteilig bemerkbar machten.
Von ähnlicher Bedeutung sind die Forschungsergebnisse des britischen Psychiaters Richard Mackarness. Er ist der Ansicht, daß es sich in vielen Fällen um eine psychosomatische Erscheinung handelt, allerdings nicht in dem Sinne, daß der Geist körperliche Erkrankungen hervorruft, sondern der Körper geistige. Wie? Durch Allergie. Er berichtet von Patienten, die immer wieder in ein Krankenhaus oder in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden mußten, dann aber geheilt wurden, als sie ein gewisses Nahrungsmittel, gegen das sie allergisch waren, mieden. Die Allergie dieser Patienten betraf ganz verschiedene Nahrungsmittel.
Persönlichkeitsdefekte
Außer den Umweltfaktoren und den biologischen Faktoren gibt es noch den Faktor, den man als Persönlichkeitsdefekt bezeichnet. Solche Defekte entstehen meist, wenn die Eltern es bei der Kindererziehung an Liebe und Konsequenz fehlen lassen.
Welche Rolle die Eltern bei der Formung solch defekter Persönlichkeiten spielen können, wird in dem Buch Mental Health/Mental Illness (Geistige Gesundheit/Geisteskrankheit) von L. E. Martin hervorgehoben. Der Autor schreibt, daß in vielen Fällen die Eltern erst merken, in welcher Richtung sich ihre Kinder entwickelt haben, wenn diese mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Er schreibt ferner, daß die Eltern zur Entwicklung von Persönlichkeitsdefekten beitragen, wenn ihnen Äußerlichkeiten wichtiger sind als grundlegende Werte und wenn sie selbst schlechte charakterliche Eigenschaften aufweisen. Der Psychiater Dr. Robbins vom Hillside-Krankenhaus in New York teilt diesen Standpunkt. Auch er ist der Meinung, daß eine gute Kindererziehung eine wichtige Voraussetzung für geistige Gesundheit bildet; fehlt es an einer solchen Erziehung, sind psychiatrische Probleme die Folge. Er schreibt: „Die kleinen Patienten, die wir im Hillside-Krankenhaus haben, sind schnell frustriert und bestehen darauf, daß ihre Wünsche sofort befriedigt werden. Wenn sie ins Krankenhaus kommen, wollen sie sich nicht ändern, sondern sie versuchen, ihren Willen durchzusetzen.“ Diese Ausführungen schildern offensichtlich nichts anderes als das Verhalten total verwöhnter Kinder.
Es kann auch sein, daß sich Streß bei Erwachsenen schädlich auswirkt, weil bei ihnen Persönlichkeitsdefekte vorhanden sind. Die Depression ist ein Symptom, das besonders häufig in einer modernen Kultur auftritt, in der die Arbeit nicht mehr als etwas Ehrbares gilt, als etwas, was Zufriedenheit zur Folge hat. Nicht immer sind die Arbeitsbedingungen heutzutage belastender als früher, aber das Problem liegt oft darin, daß die Arbeitnehmer heute höhere Anforderungen an die Arbeit stellen. Die Arbeit soll nicht nur dazu dienen, sich sein Brot zu verdienen, sondern sie soll auch das Ego befriedigen.
Da die Geisteskrankheiten ein solch kompliziertes Gebiet sind, ist es verständlich, daß auch die Meinungen darüber, wie man sie behandeln sollte, weit auseinandergehen. Welche Methoden werden angewandt, und sind sie erfolgreich?
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Läßt sich das Problem durch Schocktherapie, Medikamente oder Leukotomie lösen?Erwachet! 1975 | 8. Oktober
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Läßt sich das Problem durch Schocktherapie, Medikamente oder Leukotomie lösen?
IN DEN meisten Ländern hat die Behandlung von Geisteskranken beachtliche Fortschritte gemacht. Wie sind die Geisteskranken früher behandelt worden? Wir lesen in einem einschlägigen Werk: „Man ließ sie hungern, verabreichte ihnen Spritzbäder mit eiskaltem Wasser, zwängte sie in ,Zwangsstühle‘ und peinigte sie auf andere furchtbare Weise. Diese ,Behandlungsmethoden‘ waren allgemein üblich. Zu den weniger grausamen Methoden zählten folgende: Die Kranken wurden verprügelt, mit Ochsenziemern gepeitscht, mit Ruten, Drähten und Ketten gestäupt und mit Fäusten traktiert.“
Besonders berüchtigt war die Londoner Irrenanstalt „Bedlam“ (korrumpiert aus Bethlehem; sie entstand aus dem Kloster „St. Mary of Bethlehem“). An gewissen Tagen konnte das Volk gegen Bezahlung eines Pennys zuschauen, wie die Geisteskranken mißhandelt wurden. Bis auf den heutigen Tag wird in der englischen Sprache mit dem Ausdruck „Bedlam“ ein Schauplatz oder Ort bezeichnet, an dem ein wildes Durcheinander herrscht. In diese Irrenanstalt kamen sogar Mitglieder des Königshauses, wenn sie geisteskrank wurden. Der englische König Georg III. war solch ein unglückliches Opfer.
Als man aufhörte, die Geisteskranken in dieser Weise zu mißhandeln, überließ man sie ihrem Schicksal, indem man sie in unsagbar schmutzige und von Ungeziefer verseuchte Gefängnisse warf. Aber kurz vor Beginn des 19. Jahrhunderts traten Reformer auf, die ein Herz für diese Menschen hatten und anfingen, sie als Kranke und nicht als Personen, die von Teufeln besessen seien, zu behandeln. Sie sorgten dafür, daß die Geisteskranken etwas lernen konnten, daß sie Gelegenheit zur Erholung bekamen und daß man ihnen mit Güte begegnete. Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an sind viele neue Theorien und Methoden für die Behandlung von Geisteskranken entwickelt worden.
Einerseits wurden psychotherapeutische Verfahren geschaffen — z. B. die Psychoanalyse von S. Freud und später eine neue Form davon von C. G. Jung —, aber auch somatische Methoden sind entwickelt worden. Die bekanntesten davon sind die Schocktherapie und die Pharmakotherapie. Die Leukotomie oder „Psychochirurgie“, die einmal sehr populär war, dann aber in Verruf kam, feiert jetzt ihr Comeback, allerdings in einer stark veränderten Form. Gewöhnlich wird bei der Behandlung eines Patienten nicht nur eine dieser Methoden angewandt.
Die Schocktherapie
Man könnte sagen, daß die Entwicklung dieses Heilverfahrens in drei Phasen vor sich gegangen ist. Als erstes wurde der Insulinschock eingeführt, und zwar von dem österreichischen Nervenarzt M. Sakel. Aber dieses Verfahren hatte seine Nachteile. Der Insulinschock war am wirksamsten, wenn er wenigstens 30 bis 50 Stunden dauerte, und gelegentlich passierte es, daß der Patient nicht mehr aus der Bewußtlosigkeit erwachte. Dieses Verfahren war auch kostspielig, denn es waren viele Krankenschwestern oder Wärter zur Betreuung der Patienten erforderlich. Rund zehn Jahre nach der Einführung dieses Verfahrens hörte man damit auf (in den 1940er Jahren) und beschränkte sich auf andere Arten der Schockbehandlung.
Danach wurde der Cardiazolschock angewendet, und zwar erstmals von dem ungarischen Arzt L. v. Meduna. Er stellte fest, daß in die Vene eingespritztes Cardiazol einen Krampfanfall, ähnlich dem epileptischen Anfall, hervorruft. Er glaubte, dadurch Geisteskrankheiten heilen zu können. Aber auch dieses Verfahren erwies sich aus verschiedenen Gründen als unbefriedigend. Ein nicht unbedeutender Grund zum Beispiel war der Umstand, daß es während eines Krampfanfalls oft zu Knochenbrüchen kam.
Diese Schockbehandlungen sind im großen und ganzen durch die Elektroschockbehandlung ersetzt worden, die heute noch häufig verschrieben wird. Beim Elektroschock wird dem Gehirn elektrischer Strom zugeführt, wodurch Krampfanfälle ausgelöst werden; gewöhnlich wird dem Patienten ein Medikament verabreicht, damit er nichts spürt. Der Schock dauert etwa fünfzig Sekunden und hat einen verwirrten Geisteszustand zur Folge, der eine Stunde anhalten mag, oder Amnesie (Gedächtnisverlust), die Wochen dauern mag. Viele Psychiater und Patienten halten diese Schocktherapie für sehr wirksam. Aber sie wird auch kritisiert. Sollte sie wirklich so häufig angewandt werden, wie es geschieht? Dr. Perry C. Talkington, Präsident der Amerikanischen Gesellschaft für Psychiatrie, ist anderer Meinung. Er sagte (1972): „Die Elektroschocktherapie sollte nur bei schweren Depressionen angewandt werden, wenn andere Verfahren — Chemotherapie [Medikamente], Psychotherapie oder beide kombiniert — keinen Erfolg haben.“
Kein anderer als Professor Cerletti selbst, der die Elektroschocktherapie als erster anwandte, bezeichnete dieses Verfahren als „unästhetisch — häßlich ... grausig“ und erklärte, er bemühe sich intensiv, einen Ersatz zu finden. Die Ärzte F. G. Alexander und S. T. Selesnick schreiben in ihrem Werk The History of Psychiatry (Die Geschichte der Psychiatrie): „Die Schockbehandlungen bekämpfen nur die Symptome. Die eigentliche psychische Störung, die der Krankheit zugrunde liegt, bleibt davon unberührt, und bei Patienten, die mit Elektroschock behandelt werden, kommt es immer wieder zu Rückfällen, wenn nicht auch die Psychotherapie angewandt wird, die bis zur Wurzel der Krankheit vorstößt.“
In einer vielgelesenen Autobiographie eines Psychiaters schreibt der Verfasser, daß Elektroschockbehandlungen wahrscheinlich deshalb so populär seien, weil die Krankenkasse sie bezahle. Jedesmal, wenn der Psychiater auf den Knopf drücke, erhalte er 35 Dollar (1972).
Die Anwendung von Medikamenten
Anfang des 20. Jahrhunderts machte man Versuche mit Medikamenten, deren Wirkung beinahe an das Wunderbare grenzte — aber die Wirkung hielt nur einige Minuten oder Stunden an. Dann wurden Brompräparate populär. Doch auch sie enttäuschten die Erwartungen. Wir lesen darüber: „Obwohl der Traum, die psychischen Störungen des Menschen schließlich auf chemischem Wege beheben zu können, immer wieder zerstört wurde, haben die Ärzte die Hoffnung noch nicht aufgegeben.“
Am Anfang der fünfziger Jahre begann man im Westen mit der Anwendung psychotroper Medikamente. Einige sollen zur Behandlung von Schizophrenien von größtem Wert sein, andere, um die Kranken von ihren Depressionen oder ihrer Angst zu befreien.
Seitdem diese Medikamente verabreicht werden, sind die Patienten ruhiger, und sie brauchen nicht mehr so zu leiden. Aber offensichtlich wird zuviel davon verabreicht, insbesondere in Heimen für geistig Behinderte. Im National Observer vom 11. Januar 1975 wurden zum Beispiel viele Psychiater zitiert, die das Aufsichtspersonal heftig kritisierten. Sie warfen ihm vor, sich die Aufgabe dadurch zu erleichtern, daß es „die Patienten tyrannisiere, indem es diese in einen Dämmerzustand versetze“.
Zum Beispiel wurde Professor Dybwad von der Brandeis-Universität (USA) zitiert. Er sagte: „Wir haben mechanische Zwangsmittel [Zwangsjacken und Einsperrung] durch chemische Zwangsmittel ersetzt. Und das ist noch verwerflicher, weil man sie nicht sehen kann.“ Ein anderer Psychiater äußerte sich wie folgt: „Wir müssen mit der Methode brechen, die Leute in Institutionen einzuweisen und sie dann mit Medikamenten zu betäuben, damit sie ruhig sind, eine Methode, die akzeptabel geworden ist.“
Medikamente sind oft nur eine Krücke. Anstatt die Heilung zu beschleunigen, mögen sie sie verzögern, ja sie mögen sogar das Nervensystem schädigen. Ein Psychiater stellte fest, daß bei 20 bis 30 Prozent der stark erregten Patienten, denen solche Medikamente verabreicht wurden, um sie zu beruhigen, danach die Muskelkontrolle beeinträchtigt war.
In einem 1970 erschienenen Fachbuch wird über die psychotropen Medikamente gesagt: „Trotz des ermutigenden Fortschrittes ... müssen wir unsere Bemühungen fortsetzen. Wir sind immer noch jämmerlich unwissend über die Ursachen der meisten Krankheiten, die wir behandeln. Wir wissen wenig darüber, wie die Medikamente diese Zustände bessern oder warum damit keine Besserung erzielt wird. Zwar bessert sich der Zustand vieler Patienten, aber nur ganz wenige werden gesund.“
Die Leukotomie
Die Leukotomie oder das Verfahren, Geisteskranke durch eine Gehirnoperation zu heilen, ist seit 1936 bekannt. In jenem Jahr entdeckte der portugiesische Neurologe Egas Moniz, daß durch die operative Durchtrennung der vom Stirnhirn zu anderen Hirnteilen ziehenden Nervenbahnen die Krankheitssymptome bei schwer erregten Kranken behoben werden können. Aber nachdem er zwanzig Hirnschnitte durchgeführt hatte, wurde diese Operation von der portugiesischen Regierung verboten. In den Vereinigten Staaten fand sie jedoch Anklang. Walter Freeman, ihr Hauptbefürworter, führte 4 000 Hirnschnitte aus.
Diese Operation wurde mit dem Bearbeiten des Stirnhirns mit einem Stemmeisen in der Absicht, einige Teile davon zu zerstören, verglichen. In der Zeitschrift Science News wurde folgendes berichtet: „Nachdem man in den Vereinigten Staaten ungefähr 50 000 Lobotomien [Leukotomien] und in England 15 000 durchgeführt hatte, kam der Hirnschnitt aus der Mode, wahrscheinlich wegen der Fortschritte, die auf dem Gebiet der Elektroschock- und der Pharmakotherapie erzielt wurden.“
Durch eine Leukotomie kam es oft zu einer weit schlimmeren Persönlichkeitsveränderung. Selbst Freeman, der in den Vereinigten Staaten den Hirnschnitt als erster ausführte, bestätigte, daß ein Mensch dadurch seiner „Moral“ beraubt werde, seiner Vorstellungskraft, der Fähigkeit, etwas vorauszusehen und uneigennützig zu sein. Bei dem Leukotom-Patienten „nehmen das Einsichtsvermögen, das Einfühlungsvermögen, das Empfindungsvermögen, die Fähigkeit des Selbstbewußtseins, das Urteilsvermögen, das emotionelle Reaktionsvermögen usw. immer mehr ab“, sagte ein führender Psychiater aus Washington (D. C.).
Vor kurzem ist die Frage der Leukotomie oder „Psychochirurgie“ jedoch wieder in den Vordergrund getreten, da feinere Methoden angewandt werden, um Teile des Gehirns zu zerstören. In den Vereinigten Staaten werden jährlich 400 bis 600 solche Operationen durchgeführt, und es wird berichtet, daß „jeder Psychochirurg die Meinung vertrete, die Psychochirurgie werde sich noch gewaltig entwickeln“. Interessanterweise sind diese Operationen jedoch in der Sowjetunion wegen der schädlichen Nebenwirkungen verboten.
In den USA löste im Frühjahr 1973 der Plan, diesen chirurgischen Eingriff an kriminellen Geisteskranken — sofern sie damit einverstanden wären — auszuführen, einen Sturm der Entrüstung aus. Viele befürchten, daß diese Operationen den Weg dafür ebnen würden, Menschen durch die Gehirnchirurgie zu manipulieren. Ein entschiedener Gegner solcher operativen Eingriffe ist der Gehirnchirurg Dr. A. K. Ommaya. Er steht auf dem Standpunkt, daß Geisteskranken durch solche Eingriffe nicht geholfen wird, sondern daß man sie dadurch schädigt, weil „jeder Teil des Gehirns den andern benötigt, um funktionieren zu können“ (New York Times, 2. April 1973).
Das alles zeigt, daß die Elektroschocktherapie, die Pharmakotherapie und die Leukotomie oder „Psychochirurgie“ als Verfahren zur Behandlung von Geisteskranken viel zu wünschen übriglassen. Einige dieser Methoden sind sogar stark umstritten. Gibt es denn andere Möglichkeiten?
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Können Hormone, Vitamine und Mineralstoffe helfen?Erwachet! 1975 | 8. Oktober
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Können Hormone, Vitamine und Mineralstoffe helfen?
KANN zwischen der Ernährung und einer Geisteskrankheit oder einer emotionellen Störung ein Zusammenhang bestehen? Ist es möglich, durch eine Ernährungs- oder Hormontherapie bei Geisteskrankheiten eine Besserung zu erzielen?
Hippokrates, der im 5. Jahrhundert v. u. Z. lebte und „Vater der Medizin“ genannt wird, vermutete einen Zusammenhang zwischen schlechter Ernährung und Geisteskrankheiten. Und kein Geringerer als Sigmund Freud, der „Vater der Psychoanalyse“, schrieb in seinen späteren Jahren: „Ich bin fest davon überzeugt, daß alle diese Störungen, die zu erforschen wir bemüht sind, eines Tages mit Hormonen oder ähnlichen Stoffen behandelt werden.“
Die Anwendung von Hormonen
In den letzten Jahren ist eine ganze Anzahl von Geisteskranken erfolgreich mit Hormonen behandelt worden. Ein Psychiater am New Yorker „Medical College“ stellte zum Beispiel fest, daß synthetische Geschlechtshormone wirksamer und „weniger traumatisch sind als der Elektroschock und schneller zum Ziel führen als die konventionellen Medikamente“. Mit der Hormontherapie hat er depressive Patienten geheilt und bei anderen eine Besserung erzielt (Washington Star-News, 9. Mai 1974).
Noch ermutigender sind die Ergebnisse, die ein Forscherteam in Worcester (Massachusetts), bestehend aus Biochemikern und Psychiatern, durch die Anwendung ähnlicher Geschlechtshormone erzielt hat. Es gelang ihnen, bei 80 Prozent ihrer Patientinnen eine Besserung des Zustandes zu erreichen. Und sie erzielten diese Ergebnisse, obschon sie Patientinnen ausgesucht hatten, „die bis dahin stationär behandelt worden waren, und zwar mit verschiedenen konventionellen Therapien — Schocktherapie, Antidepressiva [Medikamente mit depressionslösender Wirkung] und Psychotherapie —, jedoch ohne Erfolg“ (The Boston Globe, 30. September 1974).
Die Ernährungstherapie
Von der als Pellagra bekannten Krankheit weiß man schon lange, daß sie die Folge einer Fehlernährung ist. Sie wird durch einen Mangel an Nikotinsäureamid verursacht und führt u. a. zu nervlichen und psychischen Störungen.
Zu den Befürwortern der Ernährungstherapie bei Geisteskrankheiten gehört George Watson; er war früher als Universitätsprofessor tätig, widmet sich aber jetzt ganz der psychochemischen Forschung. In seinem Buch Nutrition and Your Mind (Die Ernährung und dein Geist) schreibt er, daß einige Menschen die Nahrung besser verwerten würden als andere und die Ernährung entsprechend abgestimmt werden müsse. Er vertritt folgende Ansicht: „Was man ißt, bestimmt die geistige Verfassung und in einem gewissen Sinne auch, was für ein Mensch man ist.“ Watson behauptet ferner: „In den meisten Fällen werden Verhaltensstörungen durch ein ungenügend ernährtes Gehirn, ein erschöpftes Nervensystem oder durch eines der vielen anderen physischen Probleme, die in direktem Zusammenhang mit einem unrichtig funktionierenden Stoffwechsel stehen, verursacht.“ Er berichtet, daß es ihm gelungen sei, eine Patientin, die an einer extremen Form von Schizophrenie gelitten habe, dadurch zu heilen, daß er ihr die notwendigen oder die fehlenden Nährstoffe verabreicht habe.
Eine ähnliche Behandlungsmethode wenden die über 500 Ärzte und Psychiater der Stiftung zur Erforschung der Hypoglykämiea an. Sie sind der Meinung, daß ein niedriger Blutzuckerspiegel Depressionen, Angst, Vergeßlichkeit, Zittern, Alpdrücken und einen Nervenzusammenbruch hervorrufen könne.
In der Ernährungstherapie für Geisteskranke spielen auch die Spurenelemente eine wichtige Rolle. So wird allgemein die Bedeutung von Lithium anerkannt. In Texas stellte ein Biochemiker fest, daß in Städten, in denen der Lithiumgehalt des Trinkwassers höher war als in anderen, die Zahl der Geisteskranken niedriger war. Dr. Leon Eisenberg, Professor für Psychiatrie an der Medizinischen Fakultät der Harvarduniversität, schrieb: „Wir können bereits manisch-depressiven Patienten helfen, nach einer Krankheitsepisode gesund zu bleiben, indem wir das Element Lithium prophylaktisch verabreichen“ (Weltgesundheit, Oktober 1974)b.
Außer Lithium mögen auch andere Spurenelemente, die in gewissen Nahrungsmitteln vorhanden sind — zum Beispiel Zink, Calcium, Mangan, Magnesium, Eisen, Kupfer, Kobalt, Chrom, Selen und Molybdän —, bei Geisteskrankheiten eine wichtige Rolle spielen. Tatsächlich erkennen immer mehr Psychiater die Bedeutung der Spurenelemente an.
„Orthomolekulare Psychiatrie“
Der Ausdruck „orthomolekulare Psychiatrie“ wurde von dem Nobelpreisträger Dr. Linus Pauling geprägt. Damit bezeichnete er eine Therapie, bei der Wert darauf gelegt wird, daß „an den richtigen Stellen die richtige Konzentration der richtigen Substanzen vorhanden ist“. Der Ausdruck ist aus ortho, was „gerade“, „aufrecht“, „richtig“ oder „recht“ bedeutet (wie in dem Wort „orthodox“), und molekular, abgeleitet von dem Wort „Molekül“, zusammengesetzt.
Pauling schreibt: „Es ist bekannt, daß das Gehirn nur richtig funktionieren kann, wenn Moleküle vieler verschiedener Substanzen darin vorhanden sind“, die dem Gehirn durch das Blut zugeführt werden. Er ist der Meinung, daß es bei gewissen Geisteskrankheiten dem Organismus nicht möglich ist, die Vitamine und Spurenmineralien, die in der Nahrung vorhanden sind, richtig zu verwerten. Um diesen genetischen Defekt zu kompensieren, empfiehlt er die Einnahme hoher Dosen von Vitaminen und/oder die Ernährung des Patienten auf andere Weise auf ihn abzustimmen. Das Schwergewicht sollte auf die Einnahme der Vitamine B1, B5 (Nikotinsäureamid), B6, B12, C und H gelegt werden.
Es tobt ein heftiger Streit der Meinungen über den Nutzen der „orthomolekularen Psychiatrie“. Professor Carlos A. León (Ecuador) sagte zum Beispiel, es gebe noch keinen überzeugenden Beweis für ihre Nützlichkeit. Ähnlich äußerte sich auch die Amerikanische Gesellschaft für Psychiatrie. Ihr Sprecher erklärte, die Verfechter der Megavitamin-Therapie hätten aufsehenerregende, aber in vielen Fällen haltlose Behauptungen über ihre Wirkung erhoben. Und Dr. S. Kety, Professor für Psychiatrie an der Medizinischen Fakultät der Harvarduniversität, behauptete, bei dieser Methode handle es sich um eine „verfrühte Anwendung unvollständiger Kenntnisse“.
Dr. David Hawkins (Manhasset, New York) dagegen berichtet, er habe auf diese Weise 5 000 Schizophrene behandelt und bei mehr als 4 000 von ihnen sei eine Besserung eingetreten. Er hat sogar die Erfahrung gemacht, daß er die Heilungsrate fast verdoppeln, die Zahl der Dauerpatienten auf die Hälfte vermindern und Selbstmorde völlig ausschalten kann — die Zahl ist unter Schizophrenen sonst sehr hoch —, wenn er bei seinen Patienten nicht nur die übliche Psychotherapie und Chemotherapie anwendet, sondern sie auch mit Vitaminen behandelt.
Dr. Abram Hoffer, Präsident der Kanadischen Stiftung zur Erforschung der Schizophrenien sowie der entsprechenden Stiftung in Amerika, sagte: „Meine Patienten halten mich für einen verrückten Psychiater, weil ich ihnen, wenn sie mit psychischen Problemen zu mir kommen, einen Ernährungsplan mit nach Hause gebe. Aber schließlich kommen auch sie zu der Überzeugung, daß die Ernährung wichtig ist.“
Gegenwärtig wenden in den USA über 300 Psychiater — und ihre Zahl wächst ständig — die „orthomolekulare“ Methode an. Sie behaupten, damit bei rund 30 000 Patienten eine Besserung erzielt zu haben. Nicht unbeachtet lassen sollte man auch die Tatsache, daß dieses Heilverfahren weit billiger ist als andere Heilverfahren.
Was man tun kann
Vielleicht leidet jemand in deiner Familie — du oder ein anderes Familienglied — an einer Geisteskrankheit oder an einer psychischen Störung. Wie wir nun gesehen haben, kann man manches tun, um eine Heilung zu erzielen.
Da eine Geisteskrankheit oft durch übermäßige Belastung ausgelöst wird, sollte man alles daransetzen, die Streßursache zu beseitigen oder zu vermindern. Das Verhältnis zu einem unserer Mitmenschen mag uns Kummer bereiten, oder wir mögen Eheprobleme haben oder in Verbindung mit unserer Arbeit eine Entscheidung treffen müssen oder sonst irgendein Lebensproblem haben. Dann sollte man das Problem lösen oder sich bemühen, es aus dem Sinn zu verbannen.
Bei schweren psychischen Störungen bestehen Möglichkeiten wie die Anwendung von Medikamenten oder der Elektroschocktherapie, um der Krankheit Herr zu werden. Allerdings dürfen solche Verfahren nur unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden, und im allgemeinen sollten sie als allerletztes Mittel angewandt werden. In den vergangenen Jahren hat man auch mit der Anwendung von Vitaminen und Hormonen vorzügliche Ergebnisse erzielt. Es mag sich als nützlich erweisen, sich mit diesen Möglichkeiten näher zu befassen.
Grundlegend muß dem Geisteskranken jedoch geholfen werden, sein Denken zu beherrschen. Viele wenden sich deshalb der allbekannten Psychotherapie zu, um in einem solchen Fall Hilfe zu bekommen. Was ist Psychotherapie? Verhilft sie einem wieder zum inneren oder seelischen Gleichgewicht?
[Fußnoten]
a Hypoglykämie bedeutet Erniedrigung des Blutzuckergehaltes.
b In der Zeitschrift The Medical Letter (Ausgabe vom 3. Januar 1975) konnte man lesen, daß Lithium wegen möglicher nachteiliger Nebenwirkungen nur unter sorgfältiger Überwachung genommen werden darf.
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Ist die Psychotherapie erfolgreich?Erwachet! 1975 | 8. Oktober
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Ist die Psychotherapie erfolgreich?
DER Psychotherapeut ist bemüht, psychisch oder emotionell gestörten Personen zu helfen, indem er sich ihre Probleme anhört und versucht, die Einsicht in die Ursachen ihrer Probleme zu fördern, damit sie sie dann lösen können. In den Vereinigten Staaten hat sich die Zahl der Psychotherapeuten in den vergangenen 25 Jahren versiebenfacht.
Das bekannteste Behandlungsverfahren des Psychotherapeuten ist die Freudsche Psychoanalyse. Dieses Verfahren, auch „Couch“-Theorie genannt, hat besonders in den Vereinigten Staaten viele Anhänger gefunden. In der Stadt New York, die 9 Millionen Einwohner zählt, gibt es fast 1 000 Psychoanalytiker, während es in Tokio mit seinen 11 Millionen Einwohnern nur 3 gibt.
Die Psychotherapie wird keineswegs allgemein anerkannt. Selbst der Leiter des US-Instituts für Psychotherapie sprach vor kurzem von der „Kontroverse und den häufigen Enttäuschungen, die das Gebiet der Psychotherapie charakterisieren“. Auch der bekannte amerikanische Psychiater Karl Menninger erklärte: „Neun Zehntel der Menschen, die an der sogenannten Schizophrenie leiden, werden ohne Krankenhaus wieder gesund.“
In einer sehr scharfen Anklage schrieb Dr. H. J. Eysenck vom Institut für Psychiatrie der Universität London in der Zeitschrift Medical Tribune (Ausgabe vom 4. April 1973), daß „die Zahl der Heilungen, die angeblich durch verschiedene Methoden der Psychotherapie, einschließlich der Psychoanalyse, erzielt werden, fast genau gleich groß ist wie die Zahl der Fälle, die spontan abklingen“. Anders ausgedrückt: Gemäß Dr. Eysenck ist die Zahl der Patienten, denen die Psychotherapie geholfen hat, ungefähr gleich groß wie die Zahl der Patienten, die ohne eine solche Behandlung gesund geworden sind.
Erfolge
Es kann jedoch nicht bestritten werden, daß es Leute gibt, denen die Psychotherapie wirklich geholfen hat. Aus Kalifornien schreibt ein Mann: „Jener gütige Mann hat mir viel geholfen, und mein Problem hat sich schnell gelöst.“ Er wirft dann die Frage auf: „Was hat der Psychotherapeut für mich getan?“ Seine Antwort: „Er hat mir zugehört. Er hat mir wirklich zugehört. ... er hat mir geholfen zu erkennen, daß es mir möglich ist, Selbstbeherrschung zu entwickeln.“
Dieser Mann litt an einer Verhaltensstörung, die sich durch Perversität äußerte. Aber der Psychotherapeut half ihm durch Güte und Ermunterung, seine Schwäche zu überwinden. Dieses Behandlungsverfahren ist sogar in schweren Fällen erfolgreich gewesen. Ein einschlägiger Beweis dafür ist eine Krankengeschichte, die in dem Buch The Vital Balance (Die große Bedeutung des inneren Gleichgewichts), herausgegeben von einem Spezialistenteam unter Karl Menninger, berichtet wird.
Es handelt sich um die Patientin „Mary Smith“, die im Alter von 63 Jahren in ein staatliches Krankenhaus eingewiesen wurde. Sie glaubte, ihr Mann — ein gütiger, sanfter Mensch, ein typischer Farmer — habe sich am illegalen Handel mit alkoholischen Getränken beteiligt und er habe wiederholt versucht, sie zu vergiften. Daher ging sie, während er schlief, mit einem Hammer auf ihn los.
Die Diagnose lautete: „Gestört, ruhelos und verwirrt.“ Sechs Jahre nach ihrer Einlieferung erklärte man sie für unheilbar geisteskrank. Weitere sieben Jahre vergingen, dann kam ein neuer Arzt, der sich für sie interessierte. Er hörte ihrem Gezeter geduldig zu, zeigte Verständnis und gab ihr immer, wenn es ihm möglich war, recht. Er ging mit ihr spazieren und half ihr taktvoll, von einigen ihrer Täuschungen frei zu werden. Er ließ für sie eine Brille anfertigen und sagte der Schwester, sie solle dieser Patientin etwas zum Lesen geben und sich auch mit ihr unterhalten.
Allmählich änderte sich der Ton ihrer Stimme; dann begann sie mitzuarbeiten, indem sie Betten machte. Darauf durfte sie allein im Garten spazierengehen. Es dauerte nicht lange, und man erlaubte ihr sogar, das Krankenhaus für einige Tage zu verlassen. Im Alter von 76 Jahren nahm sie eine Stelle als Pflegerin an. Sie betreute eine ältere Frau. Jahre später berichtete ihre Tochter über sie: „Sie leistet ausgezeichnete Arbeit, sie ist hilfsbereit und gefällig ..., sie gehört zu den bestorganisierten Frauen, die ich je kennengelernt habe.“
Diese erfolgreiche Behandlung psychisch Gestörter zeigt, was solchen Menschen besonders fehlt. Sir Geoffrey Vickers erklärte vor Jahren, als er noch für den Fonds zur Psychohygiene-Forschung verantwortlich war: „Die weitaus wichtigste Entdeckung der Psychiatrie ist die Entdeckung, daß die Liebe die geistige Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen vermag.“
Jetzt wird allgemein anerkannt, daß Liebe, Güte, Geduld und Verständnis die wichtigsten Faktoren für eine erfolgreiche Behandlung von Geisteskranken sind. Aber wie bereits erwähnt, gelingt es Psychotherapeuten in vielen Fällen nicht, eine Heilung zu erzielen. Gibt es dafür einen wesentlichen Grund?
Der grundlegende Fehler in der Methode
Es ist bekannt, daß der Mensch wissen muß, warum er da ist, worin der Sinn seines Lebens besteht, damit er nicht verzweifelt, wenn ihn ein Unglück trifft. Kann der Psychotherapeut diesbezüglich eine Hilfe sein? Kann er Personen helfen, eine Antwort auf wichtige Fragen zu erhalten wie: „Warum bin ich hier?“ „Was ist der Sinn des Lebens?“ „Was ist meine Bestimmung?“
Tatsächlich kann kein Mensch, sondern nur der Schöpfer des Menschen, Gott, der Allmächtige, diese Fragen vernünftig und zufriedenstellend beantworten. Er hat das in seinem Wort, der Bibel, auch getan, um uns Hoffnung und Trost zu geben. Aber wie denken die Psychotherapeuten im allgemeinen über Gott?
Eine im Jahre 1970 in den USA durchgeführte Umfrage zeigt, wie sie denken. Fünfundfünfzig Prozent der befragten Psychotherapeuten hielten den Glauben an Gott für „infantil“ und für „unvereinbar mit der Wirklichkeit“.
Welch unvernünftige, unlogische Schlußfolgerung! Denn man überlege einmal: Wie könnte man die Entstehung des Lebens erklären, wenn es keinen höchsten Gott gäbe? Oder woher würde dann die wunderbare Eigenschaft der Liebe, die eine so wichtige Rolle für die Erhaltung der geistigen Gesundheit spielt, stammen? Nur die Erklärung der Bibel ist sowohl vernünftig als auch einleuchtend. Und sie sagt, daß ein allmächtiger und liebevoller Schöpfer für all das verantwortlich ist (Ps. 36:9; 1. Joh. 4:8-11). Bekannte Wissenschaftler, die keineswegs „infantil“ waren, machten keinen Hehl daraus, daß sie an einen solchen Gott glaubten.
In der Zeitschrift Science Digest wird über einen solchen Wissenschaftler wie folgt berichtet: „Die meisten Verfasser einer Geschichte der Naturwissenschaft wären sofort bereit, zu erklären, daß Isaac Newton der größte Wissenschaftler war, der je gelebt hat.“ In seinem Meisterwerk Principia schrieb Newton: „Aus seiner zuverlässigen Herrschaft ergibt sich, daß der wahre Gott ein lebendiges, intelligentes und mächtiges Wesen ist; und aus seinen übrigen vortrefflichen Eigenschaften, daß er hoch erhaben oder absolut vollkommen ist. Er ist ewig und unendlich, allmächtig und allwissend.“
Im allgemeinen machen die weltlichgesinnten Psychotherapeuten den großen Fehler, daß sie bei der Behandlung emotionell und geistig Gestörter die Weisheit und Führung des wahren Gottes außer acht lassen. Auf diese Einstellung ist zweifellos auch die Tatsache zurückzuführen, daß die Zahl der Selbstmorde unter ihnen größer ist als unter allen übrigen, die sich mit der Heilkunst befassen. Darüber schreibt einer aus ihren eigenen Reihen: „Solange die Psychotherapeuten eine so hohe Selbstmordrate haben, geben ihre Methoden Anlaß zu Argwohn“ (Journal of the American Medical Association).
Weitere Auswirkungen des grundlegenden Fehlers
Da die Psychotherapeuten die vernünftigen Belehrungen des Wortes Gottes außer acht lassen, wenden sie auch selten das Prinzip der ausgewogenen Liebe an. Ein Vater, dem es nicht gelang, seinen minderjährigen Sohn vom Drogengenuß abzubringen, sandte ihn zu einem Psychotherapeuten. Was war das Ergebnis? Der Vater war um 2 000 Dollar ärmer, und der Sohn hatte sich nicht im geringsten geändert.
Doch der Vater wollte seinem Sohn helfen. Aber weder er noch der Psychotherapeut würdigten die Lehre des Wortes Gottes, wonach Entschiedenheit, gepaart mit Güte, ein wichtiger Bestandteil einer liebevollen Erziehung ist (Hebr. 12:6-9; Spr. 23:13, 14). Schließlich befolgte der Vater einen weisen Rat und erklärte seinem Sohn, solange er nicht bereit sei, sich in einer psychiatrischen Klinik einer Entziehungskur zu unterziehen, dürfe er das Elternhaus nicht mehr betreten. Später sagte der Sohn zu seinem Vater: „Als ihr, du und Mutti, mich hinauswarft, wußte ich, daß ihr mir wirklich helfen wolltet.“ Der Sohn ist jetzt von seiner Rauschmittelsucht geheilt.
Es kann sich auch außerordentlich unheilvoll auswirken, daß die Psychotherapeuten im großen und ganzen nicht an Gott glauben und seine Lehren über die Sittlichkeit nicht respektieren. In der Zeitung Long Island Press konnte man zum Beispiel vor kurzem folgende Schlagzeile lesen: „Ring Homosexueller aufgeflogen. Der Gruppe wird vorgeworfen, sich an Jugendlichen vergangen zu haben“. In dem Artikel wurde ausgeführt: „Gestern wurde gegen vier Männer, darunter ein international bekannter Kinderpsychotherapeut, ... Klage erhoben wegen homosexueller Handlungen, wegen Mißbrauchs zur Unzucht und wegen Rechtswidrigkeit in Verbindung mit Jugendlichen.“
Dieser Fall mag vereinzelt dastehen, doch Fälle, in denen Psychotherapeuten mit ihren Patientinnen Geschlechtsbeziehungen haben, sind nicht selten. Als eine christliche Frau wegen Eheproblemen zum Psychotherapeuten ging, sagte er ihr, sie habe drei Möglichkeiten: ihren Mann zum Besuch eines Psychotherapeuten zu überreden, sich scheiden zu lassen oder mit einem „Freund“ ein Verhältnis zu unterhalten; und er erbot sich an, ihr „Freund“ zu sein.
In der Zeitung New York Daily News wurde berichtet, daß ein Psychotherapeut strafrechtlich verfolgt wurde, weil er als Therapie verschrieb, Geschlechtsverkehr mit ihm zu haben, und sich diese „Behandlungen“ dann noch honorieren ließ. Ein anderer Psychotherapeut mußte sich vor dem Obersten Gerichtshof des Staates New York verantworten, weil er mit seinen Patientinnen unter dem Vorwand, sie psychotherapeutisch zu behandeln, Geschlechtsverkehr pflegte. Diese forderten von ihm Schadenersatz in Höhe von 1 250 000 Dollar. Ein Psychotherapeut schrieb sogar ein Buch, in dem er den Therapeuten empfahl, sich den Patientinnen als „Geschlechtspartner zur Verfügung zu stellen, aber nicht darauf zu ,beharren‘“. Der Titel des Buches lautet The Love Treatment (Die Behandlung durch Liebe).
Zwei Kliniker, die Amerikas bekannteste Sexklinik führen, sagten, daß ein großer Prozentsatz der 800 Patientinnen, die sie behandelten, zugegeben hätten, mit ihrem Psychotherapeuten oder Berater Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Ein Teil dieser Patientinnen mag sich das nur eingebildet haben, oder der Wunsch mag der Vater des Gedankens gewesen sein, oder es mag Angeberei gewesen sein, dennoch meinte einer der Ärzte: „Wenn nur 25 Prozent dieser Aussagen stimmen, ist es dennoch ein großes Problem, vor das sich die Fachleute dieses Gebietes gestellt sehen.“
Das alles zeigt, daß man mit Recht weltlichgesinnten Psychotherapeuten gegenüber Vorsicht walten lassen sollte. Denn obwohl sie einem vielleicht helfen können, besteht doch auch die Gefahr, von ihnen ermuntert zu werden, die gerechten Grundsätze Gottes zu verletzen. Aber selbst wenn die Psychotherapeuten das nicht tun, mag doch die Unkenntnis vieler über die Anwendung der besten Arznei für Geisteskrankheiten — die göttliche Eigenschaft der Liebe — zur Folge haben, daß ihre Behandlungen nichts nützen.
Bedeutet das, daß es kein zuverlässiges psychotherapeutisches Verfahren in dem Sinne gibt, daß Menschen mit psychischen Problemen geholfen werden kann, die Ursachen ihrer Probleme zu erkennen, damit sie sie dann lösen können? Glücklicherweise gibt es das. Und schon vielen Menschen ist es auf diese Weise gelungen, in unserer aus den Fugen geratenen Welt ihre geistige Gesundheit wiederzugewinnen.
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Wie man die geistige Gesundheit wiedergewinnen kannErwachet! 1975 | 8. Oktober
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Wie man die geistige Gesundheit wiedergewinnen kann
WENN ein Familienglied geisteskrank wird, sind die Angehörigen gewöhnlich tief traurig. Sie haben jedoch keinen Grund, sich wegen einer solchen Krankheit zu schämen. So, wie jemand an Grippe erkranken oder ein Herzleiden bekommen kann, so kann jemand an einem geistigen Leiden erkranken. Und selbst wenn körperliche Ursachen nicht hauptsächlich dafür verantwortlich sind, darf man dennoch die Hoffnung nicht aufgeben, und man sollte positiv denken. Es erhebt sich dann die Frage: Welches ist in einem solchen Fall die beste Therapie?
In vielen Fällen ist es am besten, mehrere Therapien gleichzeitig anzuwenden. Das wichtigste ist die Betreuung des Kranken durch verständnisvolle Angehörige oder Freunde, die ihm eine echte Hoffnung einflößen und ihn ermuntern können. Sie sollten zuversichtlich sein, denn tatsächlich kommt es wie bei anderen Krankheiten oft auch bei Geisteskrankheiten vor, daß der Kranke „von allein“ wieder gesund wird, indem der Körper mit der Zeit einen Ausgleich schafft und sich selbst heilt. Sollte das jedoch nicht geschehen, kann man vieles tun, um dem Leidenden zu helfen.
Was er am meisten benötigt, ist Liebe. Im medizinischen Schrifttum wird jetzt die Wichtigkeit der Liebe immer und immer wieder hervorgehoben. Das bedeutet, daß die Angehörigen und Freunde eines Kranken geduldig sein müssen, daß sie sich damit abfinden müssen, wenn er sich abwegig oder verantwortungslos verhält oder wenn er etwas Unvernünftiges tut oder wenn es aus anderen Gründen schwierig ist, mit ihm zusammen zu leben.
Wo kann ein Geisteskranker diese Hilfe am besten erhalten? In einer psychiatrischen Klinik oder einer Nervenheilstätte? Ziemlich sicher nicht. Wir lesen sogar in einem Buch, das von vier Ärzten verfaßt wurde, folgendes: „Ein wichtiges Ziel besteht darin, wenn immer möglich zu verhindern, daß Patienten in ein Krankenhaus eingewiesen werden müssen. Manchmal ist das schon ein Sieg, denn wenn man an unsere heutigen psychiatrischen Kliniken denkt, ist es für den Patienten wahrscheinlich besser, zu Hause zu sein.“
Zu Hause ist der Patient in seiner gewohnten Umgebung. Er wird von Personen betreut, die an ihm interessiert sind. Sie können ihn pflegen mit dem Ziel, eine Gesundung oder wenigstens eine Besserung zu erreichen. Muß man jedoch eine besondere Ausbildung haben, um einem solchen Kranken helfen zu können?
Ist eine besondere Ausbildung erforderlich?
Interessanterweise geben die Psychotherapeuten selbst zu, daß ihre Ausbildung Schwächen aufweist. David S. Viscott schreibt zum Beispiel, daß bei den Prüfungsanforderungen „viele der wichtigsten Eigenschaften, die einen guten Therapeuten ausmachen, wie Anteilnahme, Ehrlichkeit, Wißbegier, Offenheit, Menschlichkeit und Bereitwilligkeit zu helfen, gar nicht beachtet werden. Die Mehrzahl dieser Eigenschaften wird in der Schule nicht behandelt.“
Noch einen Schritt weiter geht Dr. J. D. Frank, Verfasser des Buches Persuasion and Healing und Mitverfasser des Werkes Group Psychotherapy, indem er schreibt, daß eine psychotherapeutische Ausbildung nicht erforderlich sei, um Geisteskranken zu helfen. In der Zeitschrift Psychology Today (April 1973) heißt es: „Frank ist der Meinung, daß man auch ohne Ausbildung ein ebenso erfolgreicher Kliniker sein könne wie ein gelernter Psychotherapeut. ,Die charakterlichen Eigenschaften des Therapeuten‘, erklärt er, ,mögen mit seinem Erfolg mehr zu tun haben als seine Ausbildung in einem bestimmten Verfahren.‘“
Es gibt Fachleute auf diesem Gebiet, die anerkennen, daß die in Gottes Wort, der Bibel, enthaltene Weisheit und Einsicht bei der Behandlung Geisteskranker von größerem Wert ist als eine weltliche Ausbildung. Am Ende einer langen und erfolgreichen Berufslaufbahn schrieb der inzwischen verstorbene Psychiater Dr. James T. Fisher in seinem Buch A Few Buttons Missing: the Case Book of a Psychiatrist (Ein paar Schrauben locker: Fallstudien eines Psychiaters):
„Wenn man alle Artikel, die schon von tüchtigen Psychologen und Psychiatern über das Thema ,Geisteshygiene‘ geschrieben worden sind, zusammentragen, in gute Form kleiden und alles Überflüssige streichen würde, wenn man nur das Wesentliche ohne Beiwerk nähme und diese unverfälschten Teile reiner wissenschaftlicher Erkenntnisse vom begabtesten Poeten mit knappen Worten wiedergeben ließe, dann hätte man eine ziemlich unbeholfene und unvollständige Zusammenfassung der Bergpredigt.“ Bei der Bergpredigt handelt es sich um eine Predigt von Jesus, die man in der Bibel in Matthäus, Kapitel 5 bis 7 nachlesen kann.
Es ist schon häufig vorgekommen, daß psychisch gestörte Personen gesund geworden sind, nachdem sie von qualifizierten Unterweisern Rat und Führung sowie Belehrung, gestützt auf dieses göttliche Buch, erhalten hatten. Es folgen einige Beispiele.
Erstaunliche Heilungen — Wie?
Nach der Diagnose des Psychiaters litt der Patient an paranoider Schizophrenie. Zehn Jahre später galt er für unheilbar. Er mußte täglich 33 Pillen schlucken, wollte er vermeiden, wieder in die psychiatrische Klinik eingewiesen zu werden. Sein Aussehen war ihm gleichgültig, und auch am Leben im allgemeinen nahm er keinen Anteil. Dann kam ein Zeuge Jehovas, der von Haus zu Haus ging, an seine Tür, und diesem gelang es, mit ihm ein Bibelstudium zu beginnen. Geduldig unterwies er ihn in den gerechten göttlichen Forderungen und belehrte ihn über die verheißenen Segnungen, die die Menschheit unter Gottes Königreich empfangen wird. Nach acht Monaten mußte der Mann keine Pillen mehr einnehmen, und vier Monate später wurde er für völlig geheilt erklärt.
Eine Frau in Michigan war jahrelang regelmäßig zum Psychotherapeuten gegangen, ferner hatte sie Schockbehandlungen bekommen, und für Psychopharmaka hatte sie bereits 5 000 Dollar ausgegeben. Dennoch drohte sie immer wieder damit, sich das Leben zu nehmen. Nachdem sie jedoch mit Jehovas Zeugen die Bibel studiert hatte, mußte sie keine Medikamente mehr nehmen, auch hörte sie auf zu rauchen. Sie rief ihren Psychiater an, um ihm zu sagen, daß es ihr bessergehe denn je; sie sagte ihm auch, warum. Er entgegnete, daß er wünsche, alle seine Patienten würden auf diese Art gesund.
Was änderte sich bei diesen Personen? In welcher Weise half ihnen die biblische Unterweisung?
Durch das Studium lernten sie Jehova Gott, den Schöpfer, als einen persönlichen Gott und einen wirklichen Helfer kennen, und sie entwickelten einen starken Glauben an ihn (Jes. 50:7; Dan. 6:27). Sie lernten verstehen, warum Gott bis heute das Böse und die menschlichen Leiden zugelassen hat und daß Gottes Regierung bald die Ursachen der Weltprobleme beseitigen wird. Dadurch, daß sie an die göttliche Verheißung, bald gerechte Verhältnisse auf der Erde herbeizuführen, zu glauben begannen, änderte sich ihre ganze Lebensanschauung. Sie hatten nun eine Hoffnung! (Dan. 2:44; 1. Joh. 2:17; Offb. 21:3, 4).
Aber das ist nicht alles. Sie lernten auch, nach den biblischen Grundsätzen zu leben, sie lernten, Liebe zu üben, Freude zu bereiten, Frieden zu halten und sich zu beherrschen (Gal. 5:22, 23). Bestimmte Personen sind ihnen dabei besonders behilflich gewesen.
Qualifiziert zu helfen
Viele christliche Älteste der Zeugen Jehovas verfügen zufolge ihres jahrelangen Studiums des Wortes Gottes und ihrer Erfahrung im Lösen persönlicher Probleme über das nötige Rüstzeug, psychisch oder emotionell Gestörten zu helfen. Diesen Männern gelten passenderweise die Worte: „Redet bekümmerten Seelen tröstend zu, steht den Schwachen bei, seid langmütig gegen alle“ (1. Thess. 5:14).
Die christlichen Ältesten, die sich von diesem göttlichen Rat leiten lassen, sind besser in der Lage, Personen gegenüber, die sie um Hilfe bitten, mitfühlend zu sein und sie innerlich zu stärken. Sie bekunden ihnen gegenüber aufrichtiges Interesse, indem sie sie geduldig anhören, wenn sie sich den Kummer vom Herzen reden möchten. Sie wissen, wie wichtig es ist, nicht vorschnell zu tadeln, sondern, wenn immer möglich, die Meinung des Kranken zu teilen und Verständnis für seine psychische Störung zu haben. Das ermöglicht es ihnen dann, den Kranken zu trösten und ihm zu helfen, gesund zu werden. Auf diese Weise haben gütige und verständnisvolle Älteste vielen Menschen geholfen, in unserer aus den Fugen geratenen Welt das innere Gleichgewicht zu erlangen und zu bewahren.
Die erforderliche Hilfe leisten
Wenn christliche Älteste einem psychisch Gestörten helfen möchten, sollten sie sich bemühen, herauszufinden, was die Störung ausgelöst hat. Sind es tiefsitzende Schuldgefühle? Wenn ja, dann können sie besonders auf die göttliche Barmherzigkeit hinweisen, über die wir in der Bibel lesen: „Wenn jemand eine Sünde begeht, so haben wir einen Helfer beim Vater, Jesus Christus, einen Gerechten“ (1. Joh. 2:1, 2). Und die Ältesten können auf den Weg, den die Bibel weist, aufmerksam machen, nämlich: „Dem, der sie [die Sünden] bekennt und läßt, wird Barmherzigkeit erwiesen werden“ (Spr. 28:13; Ps. 32:1-5).
Oder vielleicht zeigt es sich, daß Angst das Problem ist. In einem solchen Fall muß dem Betreffenden nachdrücklich vor Augen geführt werden, wie wichtig es ist, an Jehova Gott zu glauben, und auch die Gründe dafür müssen ihm klargemacht werden. Jehova fordert uns auf, ‘unsere Bürde auf ihn zu werfen’. Das können wir zum Beispiel tun, indem wir innig zu ihm beten. Wenn die Ältesten in Anwesenheit des Kranken für ihn beten, können sie in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel vorangehen (Ps. 55:22).
Natürlich kann nicht jeder Geisteskranke nur dadurch geheilt werden, daß man ihm hilft, die in der Bibel enthaltene göttliche Weisheit in seinem Leben anzuwenden. Es mögen auch andere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Eine sehr wichtige, die sofort ergriffen werden sollte, ist zum Beispiel, den Kranken von einem Arzt gründlich untersuchen zu lassen. Es ist schon vorgekommen, daß sich ein eingekeilter Zahn auf das Gehirn ausgewirkt und Gemütsstörungen hervorgerufen hat, obwohl der Patient keine Schmerzen verspürte. Als der Zahn entfernt wurde und der Druck nachließ, verschwanden die Gemütsstörungen.
In schweren Fällen mag nur durch ärztlich verschriebene Medikamente eine Besserung erzielt werden. Und nicht übersehen sollte man, was mit Hilfe der Ernährung getan werden kann, um die geistige Gesundheit wiederherzustellen.
Aufgrund vieler Erfahrungen können wir jedoch vertrauensvoll sagen, daß der Rat und die Führung des Wortes Gottes psychisch oder emotionell Gestörten eine ganz besondere Hilfe sein können. Jehovas Zeugen haben den Wunsch, möglichst vielen Gliedern unserer unglücklichen Menschheit zu helfen. Wenn du möchtest, daß dir geholfen wird, oder wenn du jemand kennst, der diesen Wunsch hat, dann setze dich bitte mit Jehovas Zeugen in Verbindung. Sie werden sich freuen, solche Personen zu besuchen und ihnen behilflich zu sein, die heilsamen, die Sittlichkeit festigenden Grundsätze der Bibel in ihrem Leben anzuwenden.
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Erstaunliche Vorgänge hinter GitternErwachet! 1975 | 8. Oktober
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Erstaunliche Vorgänge hinter Gittern
ORT: Landesgefängnis von Louisiana in Angola, mit über 4 000 Insassen das zweitgrößte Landesgefängnis in den USA. Zeit: Samstag abend, 5. Oktober 1974. Anlaß: Die Gefängnisbehörden nannten es „Taufveranstaltung der Zeugen Jehovas“.
An jenem Abend sollten acht Strafgefangene getauft werden, die wegen der auffallenden Änderungen in ihrer Lebensweise einen tiefen Eindruck auf die Strafvollzugsbeamten gemacht hatten. Sowohl von außerhalb als auch von innerhalb des Gefängnisses waren Freunde und Verwandte eingeladen worden.
Einen ungewöhnlichen Anblick bildeten die Gäste von außerhalb. Insgesamt fanden sich 337 Personen am Gefängnistor ein, alles gutgekleidete Männer, Frauen und Kinder, sowohl Schwarze wie Weiße. Einige waren sogar mehr als 1 100 Kilometer gefahren.
Man hakte die Namen in der Liste ab, und dann wurden die Besucher eingelassen. Busse brachten sie zum drei Kilometer weit einwärts gelegenen riesigen Gebäudekomplex der Strafanstalt. Durch Stahltore gelangten sie in einen großen Vortragssaal.
Programmablauf und lohnendes Beisammensein
Schon bald merkte man nicht mehr, daß man im Gefängnis war. Die anwesenden 95 Insassen trugen statt der grauen Gefangenenkleidung zumeist blaue Drillichanzüge und ein kurzärmeliges Hemd. Frei von Distanzgefühlen, freuten sich alle Anwesenden, einander kennenzulernen.
Eine Anzahl Eltern hatte ihr Baby dabei. Eine Mutter erwiderte auf die Frage, warum sie ihr Baby mitgebracht habe: „Ich glaubte nicht, daß irgendeine Gefahr bestehen würde. Ich sagte mir, ich würde ja bei meinen Brüdern und Schwestern sein und es wäre wie bei anderen christlichen Kongressen.“ Und das war es auch!
Das Programm begann um 18.30 Uhr mit Lied und Gebet. Darauf folgte eine halbstündige Ansprache über die biblische Bedeutung der Taufe, die ein Ältester der nahe gelegenen Versammlung New Roads (Louisiana) der Zeugen Jehovas hielt. Der Redner zeigte, daß die Wassertaufe ein sichtbares Symbol dafür sei, daß sich jemand dem allmächtigen Gott hingegeben habe, um ihm zu dienen.
Am Schluß seiner Ansprache bat der Redner die acht Taufbewerber, die in der vordersten Reihe saßen, aufzustehen. Dann stellte er ihnen zwei Fragen. Bei der einen Frage ging es darum,
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