Fieber — Anlaß zur Sorge?
WENN der Säugling oder das Kleinkind Fieber hat, macht sich die liebevolle Mutter große Sorgen. Doch wie die folgenden Darlegungen zeigen werden, ist diese Gesundheitsstörung nicht unbedingt ein Grund zu schlimmen Befürchtungen.
Aus der Geschichte der Medizin erfahren wir, daß Fieber schon seit der Zeit des Hippokrates, des „Vaters der Medizin“ (460—377 v. u. Z.), als ein Krankheitszeichen angesehen wird. Auch Moses erwähnte mehr als tausend Jahre früher in den göttlichen Gesetzen, die er unter Inspiration niederschrieb und dann dem Volk Israel gab, „hitziges Fieber“ (3. Mose 26:16; 5. Mose 28:22). Viele Jahrhunderte nach Moses schilderten die Evangelisten in ihrem Bericht über Jesus Christus, den Sohn Gottes, wie er die Schwiegermutter des Apostels Petrus von einem „hohen Fieber“ heilte; auch von dem Apostel Paulus wird berichtet, daß er als Schiffbrüchiger den Vater des Publius, des „Prominenten“ der Insel Malta, von seinem Fieber heilte (Luk. 4:38, 39; Apg. 28:7, 8).
Fortschritte in der Fieberforschung
Seit der Zeit des Hippokrates hat man viel Neues über das Fieber hinzugelernt. Ein großer Fortschritt wurde 1714 erzielt, als D. G. Fahrenheit das erste Quecksilberthermometer anfertigte. Vor rund hundert Jahren hat man entdeckt, daß zwischen Fieber und dem Anheben des Wärmereglers des Körpers ein direkter Zusammenhang besteht. Noch heute gilt Fieber als ein so zuverlässiges Krankheitszeichen, daß die Messung der Körpertemperatur wahrscheinlich immer noch eine der bekanntesten diagnostischen Maßnahmen ist.
Erst in den vergangenen zwanzig Jahren hat der Mensch erforscht, wie Fieber zustande kommt. Man wußte, daß der Hypothalamus, eine kleine Drüse im Zwischenhirn, die Körpertemperatur regelt. Aber wie?
Man entdeckte, daß die weißen Blutkörperchen beim Bekämpfen einer Infektion Pyrogene (wärmeerzeugende Stoffe) freisetzen. Diese gelangen über den Blutkreislauf ins Gehirn und wirken auf den Hypothalamus ein, was zur Folge hat, daß dessen „Thermostat“ oder Wärmeregler höher eingestellt wird. Deshalb heißt es, Fieber sei eine Temperaturregelung auf einem höheren Niveau. Es ist die Auswirkung einer Störung des Temperaturreglers im Gehirn. Als Folge der Temperaturregelung auf einem höheren Niveau beginnt der Körper zu frieren und reagiert darauf mit Schüttelfrost, obschon die Körpertemperatur höher als normal ist.
Forschungen, die in jüngerer Zeit durchgeführt wurden, ergaben, daß das Gleichgewicht von Natrium und Kalzium im Hypothalamus damit zu tun hat, daß die Körperwärme konstant bleibt. Kalzium wirkt offenbar als eine Art „Bremse“, die verhindert, daß die Natriumionen die Körperwärme zu sehr anheben. Die Pyrogene der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) lösen offenbar die Kalziumbremse.
Auf einem internationalen Fieber-Symposium, das 1970 in London stattfand, wurden u. a. folgende Fragen aufgeworfen: Warum bekommt man Fieber? Woraus bestehen die Pyrogene? Sind es Hormone? Warum ist die durchschnittliche Körpertemperatur des gesunden Menschen 37 ° und nicht 32 ° oder 42 ° Celsius? Einige haben auch gefragt: Warum wirkt Aspirin nicht auf die Körperwärme, wenn sie normal ist, wirkt aber entsprechend stärker, je mehr die Körperwärme steigta?
Normaltemperatur relativ
Es ist in der Tat interessant, daß sich die Körpertemperatur von 37 ° Celsius — die als „Normal“temperatur gilt — beständig auf dieser Höhe hält, obschon der Unterschied in der Umwelttemperatur 50 ° Celsius betragen mag. Rasse, Kost, Klima und Geschlecht haben wenig mit der Körpertemperatur zu tun; doch gibt es andere Faktoren, die Abweichungen bewirken. Beispielsweise schwankt die Temperatur im Laufe eines Tages. Am tiefsten ist sie zwischen 3 und 6 Uhr und am höchsten zwischen 16 und 17 Uhr. Auch ist die Temperatur nicht überall im Körper dieselbe. Die rektale (im Mastdarm gemessene) Temperatur ist einen halben Grad höher als die im Mund gemessene; die Hände und Füße haben eine niedrigere Temperatur als das Innere des Körpers; am kühlsten sind Nase und Ohren.
Körperliche Tätigkeit und Emotionen führen zu einem Temperaturanstieg. Doch das ist kein echtes Fieber, denn sobald man aufhört, sich zu betätigen, kehrt die normale Körpertemperatur zurück — es war kein Pyrogen vorhanden, das auf den Hypothalamus eingewirkt hätte.
Somit kann eine Körpertemperatur von 36,7 ° bis 37,8 ° Celsius als normal gelten, und bei Kindern mag eine Temperatur von 38,3 ° Celsius lediglich eine Folge von körperlicher Bewegung und Emotionen sein. Als hohes Fieber gilt bei Kindern gewöhnlich eine Temperatur von 39,4 ° bis 40,5 ° Celsius. Steigt die Temperatur höher, droht Gefahr. Als höchste Temperatur, die ein Mensch ohne Hirnschädigung überlebt hat, werden 46 ° Celsius angegeben.
Was veranlaßt den Hypothalamus, den Temperaturregler höher einzustellen? Die häufigste Ursache sind zweifellos Infektionen. Es gibt allerdings auch andere Fieberursachen, zum Beispiel der Gebrauch von Arzneimitteln, Gifteinwirkungen, schwere Unfälle, besonders wenn dabei das Zentralnervensystem geschädigt wird, und verschiedene Gehirnstörungen. Aber auch lediglich eine extreme Überwärmung des Körpers kann Fieber verursachen, zum Beispiel bei einem Sonnenstich oder einem Hitzschlag. In einem solchen Fall scheint das Kühlsystem des Körpers plötzlich zu versagen. Der Betroffene schwitzt dann nicht, obwohl seine Körpertemperatur steigt.
Welchen Zweck hat das Fieber?
Dient das Fieber einem guten Zweck? Ist es für den Körper nützlich? Über dieses Thema besteht eine gewisse Uneinigkeit. Es gibt zeitgenössische Fachleute, die die Fragen bejahen, während andere sie verneinen. Ein englischer Professor schrieb zum Beispiel in einem Fachbuch über die Physiologie des Menschen, das 1973 erschienen ist: „Die Funktion des Fiebers ist unbekannt; es scheint die Fähigkeit des Körpers, mit Krankheiten fertig zu werden, nicht zu steigern.“ Und in einem amerikanischen Fachbuch wird gesagt, daß die Experimentaluntersuchungen, die beweisen sollten, daß Fieber nützlich sei, „keine überzeugenden Beweise“ geliefert hätten.
Der Vorsitzende des bereits erwähnten internationalen Fieber-Symposiums vertritt jedoch eine andere Meinung, denn er erklärte: „Es erscheint uns unwahrscheinlich, daß diese Reaktion, die man überall bei den Warmblütern beobachten kann, überdauert hätte ..., wenn sie nicht eine essentielle Abwehr gegen Krankheit wäre.“ In einem anderen Fachbuch wird gesagt: „Fieber, wenn es nicht zu hoch ist, kann als eine Maßnahme der Natur gelten, durch die eine Infektion bekämpft und die Genesung begünstigt wird.“ Versuche haben ergeben, daß die Tiere, denen man Bakterien übertrug und die danach bei einer Körpertemperatur von 40,5 ° Celsius gehalten wurden, die Infektion besser überstanden als die Tiere, die nicht auf einer so hohen Temperatur gehalten wurden.
Daher hat man früher, als die Chemotherapie (Behandlung mit chemotherapeutischen Mitteln) noch nicht so weit entwickelt war, Krankheiten wie Syphilis, Asthma und Arthritis mit künstlich erzeugtem Fieber (Heilfieber) behandelt. Man hat beobachtet, daß sich akute Krankheiten (wie Masern), mit denen Fieber einhergeht, günstig auf andere vorhandene Krankheiten auswirkten. Pasteur soll die Mitglieder der Medizinischen Fakultät der Académie Française aufgefordert haben, ein Huhn mit einer tödlichen Dosis Milzbranderregern zu impfen. Das Huhn wurde nicht krank, weil die normale Temperatur eines Huhnes 41,7 ° Celsius beträgt, und bei dieser Temperatur können Milzbranderreger nicht existieren.
Ferner führen Personen, die den Standpunkt verfechten, daß das Fieber einem nützlichen Zweck dient, folgende Gründe an: Das Fieber bewirkt, daß der Körper Interferon, einen erst vor kurzem entdeckten Stoff, erzeugt, und dieser hilft mit, Viren zu bekämpfen. Außerdem regt das Fieber die Produktion von Enzymen und weißen Blutkörperchen an. Andererseits hat das Fieber natürlich auch Nachteile. Es bewirkt Pulsbeschleunigung und Gewichtsverlust, ferner einen Verlust an Körperflüssigkeit und Salz und ist von Kopfschmerzen und anderen unangenehmen Wirkungen begleitet.
Behandlung
Es gab einmal eine Zeit, da man Fieber allgemein als ein Erzübel ansah und bemüht war, es durch fiebersenkende Mittel, ein abkühlendes Bad, eine Eispackung oder kalte Wickel zu bekämpfen. In gewissen Fällen ist das immer noch zu empfehlen, aber heute wird mehr und mehr der Standpunkt vertreten, daß man nur etwas gegen Fieber unternehmen sollte, wenn es sehr hoch steigt oder von Komplikationen begleitet ist wie Übelkeit, Durchfall oder Atembeschwerden. Manche vergleichen Fieber mit einem Feueralarm und sagen, daß es wichtig sei, nicht den Alarm zu unterdrücken, sondern das Feuer zu löschen. Es ist also sinnlos, Maßnahmen zu ergreifen, um das Fieber zu senken, ohne die ursächliche Krankheit zu ermitteln und zu behandeln.
Natürlich ist es vernünftig, sich zu bemühen, einem Fieberkranken Linderung zu verschaffen. Manchmal mag das bedeuten, daß man das Fieber etwas senkt. Es wird angeregt, dem Kranken zu diesem Zweck Wickel oder ein kühles Klistier zu machen oder ihm einen Eisbeutel auf die Stirn zu legen. Da Fieber zehrt, ist es erforderlich, bei lang anhaltendem Fieber auf eine ausreichende Ernährung zu achten. In den Fällen, in denen das Fieber nur kurze Zeit anhält, hat der Patient gewöhnlich keinen Appetit, und es mag besser sein, ihm wenig zu essen zu geben. Es besteht keine Einigkeit in der Frage, ob man das Fieber „aushungern“ soll oder nicht, doch steht eindeutig fest, daß Fieberpatienten viel trinken sollten. Jeder halbe Grad zunehmende Körpertemperatur steigert den Stoffwechsel um etwa sieben Prozent; und ein Erwachsener soll durch Schwitzen fast ein Liter Wasser verlieren. Daher fühlt sich der Kranke nicht nur besser, wenn er zusätzlich trinkt, sondern das ist auch unerläßlich. Von einigen wird empfohlen, Fieberkranken Obstsäfte und Gemüsebrühe zu geben. Natürlich sollte der Arzt herbeigerufen werden, wenn das Fieber außerordentlich hoch steigt oder lange andauert.
Am meisten Sorgen wegen Fieber machen sich wahrscheinlich Mütter von Kleinkindern oder Säuglingen. Bei Kindern kann die Temperatur plötzlich ansteigen, und es können alarmierende Symptome auftreten; daher machen sich die Mütter dann große Sorgen und sind beunruhigt, wenn der Kinderarzt nichts gegen das Fieber unternimmt. Aber die Zahl der Ärzte wird immer größer, die den Müttern empfehlen, sich zu beruhigen. So erklärte ein Kinderarzt: „Das Thermometer ist häufig eine Ursache unnötiger mütterlicher Sorge. Oft wird der Arzt gebeten, das Fieber zu ,behandeln‘, aber wer das fordert, sollte bedenken, daß Fieber in den meisten Fällen lediglich eine Abwehr des Körpers gegen eingedrungene oder in ihm entstandene Schädlichkeiten ist.“ (Das würde, nebenbei bemerkt, beweisen, daß Fieber nützlich ist!) Auch ein anderer Kinderarzt gab die Empfehlung, „das Kind und nicht das Fieberthermometer zu behandeln“. Und das ist auch für Erwachsene ein guter Rat!
[Fußnote]
a Es scheint, daß Aspirin die Pyrogenmenge reduziert, aber das erklärt seine Wirkung nicht völlig.