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Was geschieht mit den Preisen?Erwachet! 1980 | 22. April
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Was geschieht mit den Preisen?
EIN Ehepaar ging kurz in ein Lebensmittelgeschäft, um ein paar Kleinigkeiten zu kaufen. Die Kassiererin nahm den 20-DM-Schein entgegen, gab aber lediglich 80 Pfennig zurück. Die Frau dagegen hatte mit viel mehr Wechselgeld gerechnet und rief aus: „O Fräulein, Sie haben uns zuwenig herausgegeben! Das war doch ein 20-DM-Schein!“ Die Kassiererin antwortete: „Nein, das stimmt schon. Diese Sachen kosten jetzt 19,20 DM.“
Der Mann nahm das Tütchen mit den Lebensmitteln in die Hand, schüttelte ungläubig den Kopf und murmelte vor sich hin: „Was ist denn nur mit den Preisen los?“
Wenn du öfter einkaufen gehst, wirst du nur zu gut wissen, was mit den Preisen geschehen ist: Sie sind unaufhaltsam gestiegen. Zugegeben, die Preise werden schon seit langem ständig erhöht, vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg. Doch sind sie noch nie so unerbittlich und so stark gestiegen wie gerade in letzter Zeit.
Auch beschränkt sich die Situation nicht auf einige wenige Länder. Unter dieser Erscheinung hat so gut wie die ganze Welt zu leiden, einschließlich der kommunistischen Länder mit ihrem streng kontrollierten Wirtschaftssystem. Das ist einzigartig, denn noch nie zuvor waren alle Länder gleichzeitig einer solchen Inflation ausgesetzt.
Wohlhabende Bürger sind von den meisten Preiserhöhungen natürlich nicht so hart betroffen. Sie können es sich leisten, mehr zu zahlen. Doch die überwältigende Mehrheit der Weltbevölkerung ist nicht wohlhabend, und vielen macht die gegenwärtige Situation schwer zu schaffen.
In einem Land nach dem anderen zeigen Meinungsumfragen, daß die Bevölkerung die Inflation als ihr größtes Problem betrachtet. Sie fühlt sich in einer Falle gefangen, die unweigerlich über ihr zuschnappt. In manchen Ländern machen viele Familienväter Überstunden oder haben einen zweiten Arbeitsplatz. Jetzt gehen auch viele Ehefrauen arbeiten; in einigen Ländern sind es mehr als 50 Prozent. Darunter hat das Familienleben zu leiden. Einer der Hauptgründe für Familienzerrüttung sind nämlich Geldstreitigkeiten.
Eine amerikanische Hausfrau klagte: „Ich möchte bloß wissen, wie wir jemals vorwärtskommen sollen.“ Doch während sie sich Gedanken darüber macht vorwärtszukommen, geht es anderen ums Überleben. Ein Lkw-Fahrer in Brasilien sagte: „Diese verrückten Preise treiben mich noch zum Wahnsinn. Es scheint keinen Ausweg zu geben.“ Die Situation eines anderen Brasilianers, der zwei Arbeitsplätze hat und an sechs Tagen in der Woche je 12 Stunden arbeitet, ist nichts Ungewöhnliches. Seine Frau erteilt Nähunterricht und arbeitet zu Hause noch als Näherin. Sie sagte: „Es wird immer schwieriger, für die Familie aufzukommen.“ Ein Hausmeister in Brasilien sagte sogar: „Wir sind uns nicht sicher, ob wir leben oder nur vegetieren.“
Man darf nicht denken, diese Situation bestehe nur in ärmeren Ländern. Eine Frau in Atlanta (USA) arbeitet 40 Stunden in der Woche als Damenfrisöse und an den Wochenenden als Serviererin. Sie sagte: „Wenn ich nicht zwei Arbeitsplätze hätte, würde ich verhungern; ich habe keine andere Möglichkeit, meine Miete zu bezahlen.“ Auch ihre Situation ist durchaus nicht ungewöhnlich.
Ein Bericht aus einem afrikanischen Land schreibt der dortigen Inflation folgende Erscheinungen zu: „Immer mehr Leute nehmen Zuflucht zu Diebstahl, Unterschlagung, zu Bestechung und anderen Methoden, um Geld für den Lebensunterhalt zu bekommen.“
Im hochindustrialisierten Japan nahmen sich innerhalb von sieben Monaten fast 100 Leute das Leben, weil sie von „Kredithaien“ in Schwierigkeiten gebracht worden waren. Sie hatten sich in Schulden gestürzt und zu hohen Zinsen Geld geborgt, das sie aber nicht zurückzahlen konnten. Unfähig, das Leben zu meistern, begingen sie Selbstmord.
Der Historiker Arthur M. Schlesinger jun. sagte über die Wirtschaftssituation: „Die besten Zeiten sind vorbei.“ Er meinte, der unvergleichliche Wohlstand, der bis vor kurzem manchenorts geherrscht habe, müsse nun gegen Disziplin, Opferbereitschaft und einen niedrigeren Lebensstandard eingetauscht werden.
Ein Kommentator aus Frankreich erklärte: „Der Traum von einer ,neuen Überflußgesellschaft‘, die gegen Ende der 60er Jahre vorausgesagt und Anfang der 70er Jahre so gerühmt wurde, ist einer Inflation zum Opfer gefallen, die die Kaufkraft in Frankreich tödlich verwundet hat.“ In dem Jahrbuch Encyclopedia Americana Annual hieß es über das Jahr 1979: „Der Traum der Amerikaner — so sagte man — ist zum Alptraum geworden.“
Citicorp, eine große Bank in den Vereinigten Staaten, schlußfolgerte: „Unerfreulich ist, daß die in den meisten Ländern herrschende hartnäckige Inflation, wenn man sie weiter gewähren läßt, letztlich Folgen haben wird, die den Rahmen unserer wirtschaftlichen Vorstellung weit übersteigen.“
Ja, eine unkontrollierte Inflation muß nicht nur bedeuten, daß einige Leute weniger haben. Sie kann den ganzen Lebensstil einer Nation verändern. Dadurch sind in der Vergangenheit schon Wirtschaftssysteme vieler Nationen zerstört worden. Diesmal bedroht die Inflation die gesamte Welt, und das nicht nur in wirtschaftlicher, sondern zunehmend auch in politischer und sozialer Hinsicht.
Wie weit ist denn die Inflation bereits fortgeschritten? Wie ist sie zustande gekommen? Was kannst du dagegen tun? Und wohin wird das Ganze führen?
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Die Inflation verschärft sichErwachet! 1980 | 22. April
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Die Inflation verschärft sich
„WIR müssen einsehen, daß wir uns in einem Krieg ... gegen die Inflation befinden“, wurde in dem Wirtschaftsmagazin Business Week erklärt. Es hieß weiter: „Diesen Krieg verlieren wir.“
Der „Krieg“ gegen die Inflation ist insofern verloren, als sich die Inflation ungeachtet der bisher ergriffenen Maßnahmen weltweit verschärft hat.
Demzufolge ist das Vertrauen zum Geld — besser gesagt, zum Papiergeld — geschwunden. Schon immer galt Gold in Krisenzeiten als das „Geld“ der letzten Zuflucht. Es ist also eine Art „Barometer“ der Wirtschaftslage. Vor weniger als zehn Jahren betrug der Goldpreis 35 US-Dollar pro Unze. Anfang dieses Jahres stieg er auf über 600 Dollar. Das läßt auf einen großen Schwund an Vertrauen zum Papiergeld schließen und zeigt, wie tiefgreifend die Inflation ist.
Während des ganzen 19. Jahrhunderts waren die Preise verhältnismäßig stabil. Doch nach dem Ersten Weltkrieg kam Unruhe ins System. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Inflation zum Bestandteil des Alltags. In letzter Zeit gehört sie mehr als je zuvor zum Tagesgespräch, und sie hält sogar während einer Rezession an.
In einem Monat des Jahres 1979 betrug in den Vereinigten Staaten die Inflation gegenüber dem Vorjahr 12 Prozent, in Japan 15 Prozent, in Großbritannien 18 Prozent und in Frankreich über 10 Prozent. Selbst die verhältnismäßig stabile Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland erreichte in jenem Monat eine Inflation von 10 Prozent.
Auf den Philippinen haben sich die Preise für Nahrungsmittel, Kleidung und Brennstoff seit 1966 mehr als vervierfacht. In Japan ist der Preis für das Grundnahrungsmittel Reis in zwei Jahrzehnten um mehr als 500 Prozent gestiegen. Wie im Jahre 1978 erreichte in Brasilien die Inflation auch 1979 wieder 40 Prozent. In der brasilianischen Zeitschrift Administracão e Servicos hieß es, daß „68 Millionen Brasilianer nicht einmal daran denken können, sich ein einfaches elektrisches Bügeleisen zu kaufen“, weil sie ihr Geld für das Lebensnotwendige brauchen.
In einigen afrikanischen Ländern beläuft sich die Inflationsrate auf mehr als 100 Prozent innerhalb eines einzigen Jahres. Auch in Israel wurde im letzten Jahr dieser Wert fast erreicht, und seit der Staatsgründung vor mehr als 30 Jahren sind die Verbraucherpreise dort um mehr als 5 000 Prozent gestiegen.
Die Situation in den Vereinigten Staaten zeigt, wie sich die Inflation im Laufe der Jahre ausgewirkt hat. 1898 war der Dollar 100 Cent wert, 1979 nur noch 12 Cent.
Arbeitnehmer, deren Löhne mit der Inflation nur Schritt halten, erleiden einen doppelten Verlust.
Sind denn die Löhne nicht ebenfalls gestiegen? Ja, das stimmt. Bei vielen Arbeitnehmern waren die Lohnerhöhungen größer als die Inflationsrate, so daß sich ihr Lebensstandard verbessert hat.
Bei vielen anderen Arbeitnehmern dagegen war das nicht der Fall. In den Vereinigten Staaten beispielsweise haben mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer festgestellt, daß die Inflation schneller zunimmt als ihr Einkommen, ihr Lebensstandard also zurückgeht.
Viele Minderbemittelte und auch Personen mit festgelegten Bezügen sind weit ins Hintertreffen geraten. Als Beispiel möge der Fall eines pensionierten Lehrers in der Stadt New York gelten, der berichtete:
„Meine gegenwärtige jährliche Pension, die ich von der Stadt beziehe, beträgt 4 439 Dollar [weniger als der Betrag, der in den USA als Existenzminimum gilt]. Daß es uns trotz unserer verzweifelten Bemühungen, sparsam zu sein, schwerfällt zurechtzukommen, wird Sie sicher nicht überraschen.
Wir haben kein Auto. Wir haben kein Eigenheim. Schon seit 35 Jahren wohnen wir in derselben kleinen Wohnung zur Miete. Urlaub und Verreisen kennen wir nicht. Wir gehen nicht zum Essen aus. Eingekauft wird nur bei Schlußverkäufen und dann nur das Notwendigste.
Wir rauchen nicht und leisten uns nie alkoholische Getränke — nicht einmal gelegentlich ein Bier. Seit meiner Pensionierung vor mehr als 21 Jahren waren wir noch nie im Theater, auch nicht im Kino nebenan.
Wir gönnen uns kein Vergnügen. Wir geben kein Geld für Geschenke an Freunde oder Verwandte aus. Wir begnügen uns damit, bei wichtigen Anlässen eine Glückwunschkarte zu schreiben. Die Tageszeitung wird nicht mehr regelmäßig gekauft.
Meine Frau und ich sind Mitte Siebzig. Wir sind beide weder gesund, noch können wir arbeiten.“
Arbeiter, deren Lohn mit der Inflation nur Schritt hält, sind ebenfalls im Nachteil. Warum? Weil die Inflation in zweifacher Hinsicht „zuschlägt“. Der Wert des schwerverdienten Geldes wird durch die Teuerungswelle gemindert, und durch die Lohnerhöhungen geraten die Arbeitnehmer in eine höhere Steuerklasse. Das hat eine Minderung der Kaufkraft zur Folge.
Häufig werden durch die Inflation auch die sparsamen Bürger bestraft, die ihr Geld „auf die hohe Kante legen“. In einem Land war der Sparzins nur halb so hoch wie die Inflationsrate. Also war das Sparguthaben am Jahresende trotz der Zinsen weniger wert als am Jahresanfang. Vergrößert wurde die Wertminderung noch dadurch, daß die Zinsen steuerpflichtig waren.
Die Leute machen immer mehr Schulden.
Die Preisschraube hat zu einer enormen Verschuldung des einzelnen Bürgers geführt. Ein Grund dafür ist, daß viele gar nicht versuchen, für eine Anschaffung Geld zu sparen. Also machen sie Schulden.
Ein anderer Grund besteht darin, daß jetzt wegen der Inflation immer mehr Leute Geld aufnehmen, nur um sich ihr gegenwärtiges Eigentum zu erhalten. In dem Jahrbuch Americana Annual für 1979 wurde erwähnt: „Diejenigen, die früher selten und nur für große Anschaffungen Geld borgten, haben manchmal festgestellt, daß sie das Darlehen jetzt für das Lebensnotwendige brauchen.“
Andere haben keine Hoffnung für die Zukunft und leben nach der Devise: „Iß, trink und sei fröhlich, um noch einmal alles zu genießen, bevor es zu spät ist.“ Jemand sagte einmal: „Ich bin in einer Art Weltuntergangsstimmung.“ Andere nehmen Unmengen von Geld auf, ohne daran zu denken, es zurückzuzahlen. Das grenzt schon an Diebstahl.
In U.S. News & World Report wurde der Trend des Schuldenmachens als „eine Flutwelle“ bezeichnet, die „die Wirtschaftswissenschaftler in Schrecken versetzt“. Dem wurde hinzugefügt: „Nie zuvor waren die Leute so von geliehenem Geld abhängig.“ Schon beim nächsten schweren wirtschaftlichen Rückschlag könnten Millionen dieser Leute bankrott gehen.
Warum ist die Inflation heute so hoch?
Wodurch wird die Inflation verursacht, die jetzt weltweit wütet? Die Experten vertreten nicht in allen Punkten die gleiche Ansicht. Doch eine der Hauptursachen, so sagen fast alle übereinstimmend, besteht darin, daß die Leute mehr Geld ausgeben, als sie verdienen, und Schulden machen, um die Ausgaben zu decken. In der Londoner Times wurde erklärt: „Was ist eigentlich Inflation? ... Der Volkswirtschaftler will damit sagen, daß man übermäßig viel verbraucht, daß man über seine Verhältnisse lebt, daß man mehr aus der Kasse nimmt, als man hineinlegt.“
Die Regierungen, die mehr Geld ausgeben, als sie durch die Steuern einnehmen, müssen, um das Defizit auszugleichen, Geld „produzieren“. In dem Magazin Harper’s wurde das folgendermaßen ausgedrückt: „Die Schulden, die der Regierung durch ihre Ausgaben entstehen und die nicht aus den Steuereinnahmen bezahlt werden können, werden gedeckt, indem sie neue Dollars drucken läßt.“ Im Wall Street Journal hieß es:
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