Stagflation in der Wirtschaft und dein Geld
DIE 1970er Jahre haben für Menschen, die ihre Sicherheit im Geld suchen, nicht gerade beruhigend begonnen. Die internationalen Aktienmärkte mußten durchweg in der ersten Jahreshälfte 1970 große Kursrückschläge hinnehmen, und zwar an allen internationalen Börsenplätzen der Welt. Diese Tatsache, daß nämlich der Kursverfall fast gleichzeitig in allen Ländern auftrat, ist in der Wirtschaftsgeschichte ohne Beispiel. Was mag wohl die Ursache dieser lang anhaltenden Baisse gewesen sein? Sollte nicht der wahre Grund darin bestehen, daß das Vertrauen der Menschen zu den menschlichen Institutionen immer mehr schwindet, daß sie an der Zukunft der Unternehmen, ja selbst an der Zukunft der ganzen Weltwirtschaft zweifeln? Zu diesem Schluß wird man kommen, wenn man die wirtschaftlichen Geschehnisse und Vorgänge einer näheren Prüfung unterzieht und dann zu verstehen sucht, wie sich die Stagflation, eine neuartige Krisenerscheinung, auf die Wirtschaft und speziell auf dein Geld auswirkt.
Angesichts der drohenden Weltinflation ergriffen manche Länder Maßnahmen, um diese Gefahr zu bannen; diese führten jedoch dazu, daß die Zinsen in fast beispielloser Weise in die Höhe schnellten und eine regelrechte Geldverknappung auftrat, unter deren Auswirkungen in den Vereinigten Staaten selbst ein Konzern wie Chrysler unter Druck geriet.
Auch das Wirtschaftsgefüge Großbritanniens ist durch Schläge erschüttert worden. Dieses Land erlebte nacheinander den Konkurs eines der ältesten Konzerne: Rolls-Royce — ein Name, dessen Klang mit wahrer britischer Tradition verbunden ist — und des viertgrößten englischen Versicherungsunternehmens: Vehicle and General Insurance Co. Das bedeutete, daß mit einem Schlage 800 000 britische Autofahrer ohne Versicherungsschutz waren. Der frühere Labourabgeordnete Wyatte schrieb im Daily Mirror: „Ich habe das bestimmte Gefühl, daß das Land außer Kontrolle gerät.“
In Deutschland könnte die Vollbeschäftigung, die hier noch vorherrscht, den Eindruck vermitteln, daß die Verhältnisse noch gesund sind. Wie die Unternehmer die Situation jedoch selbst beurteilen, zeigt ein bekanntes Magazin, der Aktionär (Nr. 4, 1971):
„Zweifel, Unsicherheit und Angst kennzeichnen die Stimmung der Wirtschaft Anfang 1971. Die Unternehmer zweifeln an ihrer Zukunft, die Zahl der Konkurse steigt, viele denken an Verkauf.“
Stagflation
Immer häufiger hört man das Wort Stagflation. Was bedeutet dieser Ausdruck? In einem klassischen Wirtschaftswörterbuch wird man ihn wohl nicht finden; zergliedert man jedoch das Hauptwort in seine einzelnen Teile, so stellt man fest, daß es sich aus den Wörtern Stagnation und Inflation zusammensetzt, Begriffe, die augenscheinlich von gegensätzlicher Bedeutung sind. Stagnation bedeutet, daß ein wirtschaftliches Wachstum zum Erliegen kommt. Inflation hingegen kennzeichnet den Zustand einer sich vermehrenden Geldmenge, die nicht durch eine entsprechende Güterproduktion gedeckt ist. Da die Nachfrage das Angebot übersteigt, führt dieser Zustand zu sterilen Preissteigerungen und Geldentwertungen, die schließlich zu Währungszerrüttungen führen können.
Beide Wirtschaftsabläufe, der eine deflatorisch, der andere inflatorisch, können zum wirtschaftlichen Ruin eines Landes führen. Daß sie jedoch beide gleichzeitig auftreten, ist besonders erschwerend für irgendeine Abhilfe, wie es der Geschäftsbericht des holländischen Investmentfonds „Rolinco“ für das Geschäftsjahr 1969/70 zum Ausdruck bringt:
„Die Kombination von Geldentwertung und Rezession ist möglicherweise nicht ganz neu, jedoch steckt in der Heftigkeit, womit beide Phänomene jetzt zusammen auftreten, ganz bestimmt ein neues Element. Die besondere Schwierigkeit dieser Kombination ist, daß es keine Medizin gegen das eine Übel zu geben scheint, die nicht das andere verschlimmert.“
Gefahr für Stabilität und Wachstum
Um der drohenden Inflation Herr zu werden, empfahl die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durch ihren Generalsekretär Emile van Lennep den Mitgliedsstaaten in einem 22-Punkte-Programm sogar eine freiwillige Inkaufnahme einer höheren Arbeitslosenrate. Das zeigt, wie sehr die Industriestaaten ihre Verantwortung erkennen, das Inflationsproblem zu lösen, und daß sie bereit wären, auf die Vollbeschäftigung zu verzichten, wenn damit eine Lösung des Problems gefunden würde. Aber werden diese noch so gut gemeinten Pläne von Wirtschaftsexperten auch durchführbar sein?
Würde nicht gerade eine Zunahme der Arbeitslosigkeit zu noch größeren sozialen Unruhen führen, als sie bereits jetzt bestehen? Zudem kommen immer neue Probleme, die nicht gelöst werden können, auf die Wirtschaft zu. So wird der Rückgang des Wirtschaftswachstums auch zwangsläufig eine Einbuße der Steuereinnahmen nach sich ziehen, wo doch gerade in Krisenzeiten höhere Mittel zur Verfügung stehen müßten. Zudem rechnet man bereits jetzt für die nächsten Jahre mit einem Haushaltsdefizit von 9,6 Milliarden DM, wobei man sicherlich von einem normalen Wachstum ausgegangen ist, das jedoch unerreicht bleibt.
Außerdem ist die Stabilität der Währung sehr in Gefahr, und zwar besonders durch den Zufluß von Devisen (Dollar) auf den Deutschland so gut wie keinen Einfluß hat. Besonders seit der Senkung des Zinssatzes in den USA suchen Kapitalanleger bessere Verzinsungen, indem sie ihre Gelder in den Hochzinsländern Europas anlegen. Dadurch entsteht ein massiver Zustrom von heißem Geld. Diese Devisenflut brachte Deutschland seit Jahresbeginn einen Zustrom von über 8 Milliarden DM, wodurch sich die Währungsreserven bis Mitte März auf die Rekordzahl von 57 Milliarden DM stellten. Kann sich Deutschland gegen diesen Zustrom von heißem Geld, das zweifellos Inflation bedeutet, wehren? Wirtschaftsexperten stehen vor einem Dilemma. Wenn sie den Zins senken, steigern sie die Binnenkonjunktur und fördern die Inflation. Senken sie den Zins nicht, dann importieren sie die Inflation durch den hohen Zinssatz.
Wir erkennen, wie es sich immer mehr als unmöglich erweist, gleichzeitig Stabilität, Wachstum, Vollbeschäftigung und außenwirtschaftliches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Ein namhafter deutscher Industrieller veranschaulichte dies mit folgendem Beispiel treffend:
„Vergleichen wir einmal die vier gleichzeitig zu verwirklichenden volkswirtschaftlichen Zielpunkte mit den vier Zipfeln einer Steppdecke, die einen Frierenden wärmen soll und so gearbeitet ist, daß sie diesen Zweck in einer idealen Benutzungsform auch wirklich erfüllen kann. Der Benutzer einer solchen Decke wird in der Regel zunächst unruhige und qualvolle Stunden verbringen, um — wenn überhaupt — so die richtige Lage für sich zu finden, daß es nirgends zieht. Anschließend wird er bemüht sein, sich nicht mehr zu rühren, um sich nicht erneut in Unbehagen zu begeben. Seit vielen Monaten zieht und zerrt man an dieser Steppdecke. ...“
Steigende Preise bringen Unbehagen
Mehr noch als eine Mitteilung über eine Krise wirken sich steigende Preise und die Tatsache aus, daß aus der Deutschen Mark innerhalb von 15 Jahren weniger als 50 Pfennig geworden sind. Machst du dir die Mühe, von Zeit zu Zeit mit deiner Frau die Lebensmittel einzukaufen? Wenn ja, dann wirst du feststellen, daß die Preise von Monat zu Monat, von Woche zu Woche und oft von Tag zu Tag steigen.
Bezogen auf die Erzeugerpreise industrieller Produkte, wurden in den letzten zwei Jahren Steigerungen von 10 % festgestellt, das ist soviel wie in den vorangegangenen zwölf Jahren zusammen (1957—1968). Steigende Preise treffen den Verbraucher hart. Die häufig genannte Inflationsrate von 4 % scheint das wirkliche Bild zu verharmlosen, wenn man die einzelnen Preise und ihre Steigerungsraten unter die Lupe nimmt. Zudem hat sich das Jahr 1971 gerade mit einer regelrechten Preisexplosion angesagt, da schon in den ersten zwei Monaten eine Preissteigerung von 4,1 Prozent erreicht wurde.
Betrachten wir einige Beispiele: Leitungswasser, zum täglichen Leben unerläßlich, stieg im Durchschnitt um 11 %. Kohle erfordert einen 16 %igen Preisaufschlag, und bei Heizöl vermerken wir sogar eine Steigerungsrate von 27,2 %, obwohl hier in den nächsten Wochen schon mit einer weiteren, kräftigen Preiswelle zu rechnen ist.
Auch die Mieten stehen nicht still. Abgesehen von Auswüchsen in Großstädten können wir einen Preisauftrieb von bis zu 11 % vermerken. Solche Daten lassen deutlich die Inflation erkennen, und sie mögen einem Mieter Anlaß sein, zu überlegen, statt eine teure Miete zu zahlen, ein Eigenheim zu bauen. Wieder trifft die Inflation den Verbraucher hart. Auf keinem Sektor ist die Geldentwertung so spürbar wie auf dem Baulandsektor, und das besonders in Städten und Randgebieten. Würde man die Preise für baureifes Land im Jahre 1950 mit 100 DM ansetzen, müßten dafür heute fast 1 300 DM gezahlt werden. Mit anderen Worten: Die Preise für baureifes Land sind von 1950 bis einschließlich 1969 um über 1 100 % gestiegen. Damit wird das Bauen für den kleinen Mann zu einer unerträglichen Last, zumal auch die Zinsen für Hypotheken um 10 % betragen.
Auch die Preise für Kraftfahrzeuge sind im Steigen begriffen. Für die Bundesrepublik Deutschland mag der Volkswagen den besten Vergleich erbringen. Drei Preissteigerungen im Jahre 1970 haben eine Erhöhung von 6 % gebracht, und der Pegel zeigt weiter auf steigende Tendenz. Die Erhöhung der Autoversicherung zum 1. Januar 1971 schlägt ebenfalls heftig zu Buch. Obwohl diese Erhöhung im Schnitt „nur“ 22 % betrug, liegen doch für den einzelnen Steigerungsraten bis zu 79 % vor.
Keineswegs ist damit die Frage der Erhöhung von Autoversicherungen für das Jahr 1971 beseitigt. Schon melden Versicherungsgesellschaften neue Forderungen an, und es kann bis Juli 1971 mit einer weiteren, kräftigen Erhöhung gerechnet werden. Bis zum Ende des Jahres 1971 wird eine Steigerungsrate von 35 % bis 40 % angestrebt.
Bilden die öffentlichen Verkehrs- und Versorgungsbetriebe eine Ausnahme in diesem Preissteigerungsreigen? Nein, denn die Preise für Fahrten mit Bus und Straßenbahn steigen. Auch die Bundesbahn hat ihre Tarife ab 1. Februar um rund 15 % erhöht. Überdies ist auf keinem Gebiet ein Ende abzusehen. Ist es da verwunderlich, daß der Verbraucher in steigendem Maße von einem gewissen Unbehagen erfaßt wird und die Sorge um die Zukunft die Menschen immer mehr bewegt? Können Lohnerhöhungen hierfür einen Ausgleich bieten?
Höhere Löhne
Für die steigenden Preise suchen die Gewerkschaften einen Ausgleich in höheren Löhnen. Doch wird der Kleinverdiener wirklich durch höhere Löhne entschädigt? Sind nicht die Lohnerhöhungen bereits durch Preissteigerungen vorweggenommen? Bedeutet das nicht, daß selbst unter der Annahme gleicher Steigerungsraten der Verbraucher immer eine gewisse Zeit hinterherhinkt? Ja, der Unternehmer kann die Preissteigerungsrate jeweils als willkommenes Mittel für Investitionen benutzen, der Verbraucher hat für diese Zeit das Nachsehen. So setzt sich das Spiel mit der Preis-Lohn-Spirale fort, und je weiter die Spirale emporschnellt, um so ungünstiger werden die Verhältnisse für den Verbraucher. Die Gewerkschaften haben daher in letzter Zeit erhebliche Forderungen angemeldet, und obwohl die Regierung versucht, die Parteien zum Maßhalten zu bewegen, spricht man von einer wahren Explosion von Lohnforderungen.
Geringere Investition, Rückgang der Auftragseingänge
Wie reagieren die Unternehmer? Sie argumentieren, daß der Lohnaufwand und die Soziallasten zu stark gestiegen seien und daß ihnen daher Neuinvestitionen nicht mehr rentabel erschienen. Auch die hohen Zinsen lassen es ihnen ratsam erscheinen, auf Erweiterungen und Vergrößerungen ihrer Anlagen zu verzichten. Das wiederum hat zur Folge, daß weniger Investitionsgüter (=Produktionsgüter) umgesetzt werden und dadurch gewisse Industriezweige in Mitleidenschaft gezogen werden. Der Auftragseingang stagniert, ja geht zurück.
Die Folge davon ist, daß sich die Furcht vor der Arbeitslosigkeit breitmacht. Bereits im Jahre 1970 legten Betriebe Feierschichten ein und versuchten, des Problems durch Kurzarbeit Herr zu werden. Umfragen für das Jahr 1971 haben ergeben, daß die Unternehmer selbst die Zukunft nicht rosig beurteilen. Bereits jetzt sind gewisse Industriezweige besonders hart betroffen, so zum Beispiel der Maschinenbau.
Ohne Hoffnung?
Die Ratlosigkeit der Wirtschaftsführer angesichts all der Wirtschaftsprobleme, die immer heftiger und immer unlösbarer auftreten, läßt bei dem Verbraucher ein Bangen um die Zukunft aufkommen. Ein zunehmendes Mißtrauen in die wirtschaftliche Führung dieses Systems macht sich breit. Sollten wir aus all diesen Gründen ohne Hoffnung sein?
Nein, so sicher, wie die Bibel die Schwierigkeiten unserer Zeit voraussagt, so sicher zeigt sie auch den Weg in eine bessere Zukunft, in eine Zukunft ohne Wirtschaftsprobleme, in eine Zukunft ohne Stagflation, in eine Zukunft, in der es keine Krisen geben wird. Du kannst deine Zukunftshoffnungen auf eine feste Grundlage bauen, indem du Gottes zuverlässiges Wort studierst und Reichtum erwirbst, der nicht vergehen wird.
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ZU VERKAUFEN
[Bilder auf Seite 9]
GEFAHR FÜR DEN ARBEITSPLATZ
VOLKSWAGEN 1970 = 6 %
LEBENSHALTUNG STEIGT STÄNDIG
JAN./FEBR. 4,1 %
BÖRSE
BERLIN 1970 −25 %