Da ist kein Ort, der Irland gleicht
Von einem Missionar der Watchtower Society in Irland
„UND was stellen Sie sich vor — hierher zu kommen und uns zu predigen? Ist dies nicht das Land der Heiligen und Gelehrten? Lieber Mann, wenn es Ihnen gelänge — gewiß würden Sie ein großes Dach über das ganze Land bauen und es in eine einzige Fabrik verwandeln.“ So sprach der Ire mit einem schelmischen Zwinkern seiner Augen, in seinem entzückenden irischen Dialekt, als er sich dem Königreichsverkündiger in einer der Straßen Dublins näherte.
Das erinnert mich an einen Witz, den die amerikanischen Soldaten machten, als sie im letzten Weltkrieg hier waren. Sie sagten, Irland würde vollkommen sein, wenn es nur ein Dach über sich hätte. Gewiß, es regnet hier eine ganze Menge; aber wäre das nicht der Fall, würde nicht alles so wundervoll grün sein, und dann — wäre es nicht Irland, die Emerald-Insel, bestimmt nicht! Wahrhaftig, diese winzige Insel ist ein einziger grüner Garten der Wonne. Dazu aber ist es ein Land der starken Gegensätze, nicht nur landschaftlich, sondern auch in den Verhältnissen und den Eigenarten seiner Menschen. Wir sind hier im Süden, und das bedeutet: wir sind in Eire. Die Leute hier sind reiner keltischer Abstammung, zuweilen flatterhaft und schwer zu deuten, aber von einem natürlichen Charme, der ihnen besonders eigentümlich ist.
Wie würde es dir gefallen, einmal für einen Tag mit mir zu kommen und einige ihrer Heime zu besuchen? Ich verspreche, daß du dich keinen Augenblick langweilen wirst, bis wir, spät am Abend, zurückkommen werden. Zunächst haben wir ein paar Meilen auf guter breiter Straße vor uns, die erst kürzlich erneuert wurde. Wir gehen an einigen verstreut liegenden Farmen und Hütten vorüber und kommen nun durch ein Dorf. Linker Hand liegt die Kirche. Das Haus des Geistlichen ist leicht zu erkennen: es ist das größte im Dorfe. Es ist fast so groß wie seine Kirche selbst, auf eigenem Grunde, mit seinen eitlen Pfauen, die auf dem Rasen einherstolzieren. Wir biegen hier vom Wege ab und gehen noch einige Meilen weiter, bevor wir unseren ersten Besuch machen.
Hier sind wir endlich. Ein langes, dunkelgetünchtes Haus mit einem Dach von Stroh. Indem wir uns der Pforte nähern, entsteht ein aufgeregtes Geschnatter, und Kindergesichter erscheinen am winzigen Fenster; eine Frau guckt über die halbe Tür (bei den meisten Hütten sind die Türen geteilt) und s o f o r t verschwindet sie wieder. Ich möchte wissen, was für einen Empfang wir hier haben werden? Man kann es nie wissen!
DAS ERSTE VORSPRECHEN
Wir klopfen an die Tür und blicken in einen etwas dunklen Raum, der schwach mit Torfrauch durchnebelt ist. Keine Antwort, also rufen wir laut: „Dürfen wir hineinkommen?“ „Gewiß,“ ruft die Hausfrau über die Schulter zurück und ist schon dabei, die Stühle vor das Feuer zu setzen und sie mit einem hastig ergriffenen Tuch abzuwischen. Sie hatte e r w a r t e t , daß wir ganz einfach hereinkommen würden, wie es in jener Gegend Sitte ist. „Ruhen Sie sich aus“, sagt sie mit einem freundlichen Lächeln, während sie uns prüfend anschaut. „Das ist ein wildes Bergauf hierher, nicht wahr?“ sagt sie von unserer langen Kletterei aus dem Dorf herauf. Sie ist ziemlich jung, wohl noch keine dreißig Jahre alt, hat schwarzes Haar und ist kräftig und muskulös, aber ihre Wangen sind ziemlich schmal, und ihr Blick ist müde. Großmutter sitzt am großen Herd beim bullernden Torffeuer und wacht über dem ungeheuer großen, schwarzen Topf voll Kartoffeln. Mit vielem Schelten und einem entschiedenen „Ruhig jetzt!“ sind die Kinder zum Schweigen gebracht, und die Unterhaltung kann beginnen. Es sind liebliche kleine Mädchen mit großen, fragenden Augen und kleinen, nackten Füßen. „Keine Jungen?“ fragen wir mit einem amüsierten Lächeln. „Stellen Sie sich vor, nicht einmal einen einzigen.“ Wir lachen alle recht herzlich, auch Oma, die ihr ganzes Zahnfleisch zeigt, denn sie hat nicht einen Zahn mehr im Munde.
Nachdem die Atmosphäre jetzt etwas freundlich gestimmt ist, und nachdem das Wetter heilig und einstimmig als „mächtig“, „entsetzlich“ und dergleichen angeklagt ist, fangen wir an, unseren Besuch zu erklären. Nun aber kommt der Herr des Hauses herein, um zu sehen, warum der Hund so gebellt hatte. Wieder muß das Wetter besprochen werden, diesmal aber kurz, und dann kommen wir zur Sache. All das hat Zeit in Anspruch genommen, und der Städter möchte ungeduldig geworden sein, aber dieses sind einfach lebende Landleute, die selten Fremde sehen. Die kurz angebundene städtische Art würde sie abstoßen.
Aber jetzt haben wir ihre Aufmerksamkeit; so beginnen wir nun damit, zu zeigen, daß unsere Mission eine heilige ist. Dann weisen wir darauf hin, daß sie weltumfassend ist. Die Erwähnung, daß dieses Werk in über 120 Ländern durchgeführt wird, löst eine Lieblingsphrase aus: „Mann, das ist ja eine tolle Zahl Länder“; und wenn ihnen gesagt wird, daß ungefähr eine halbe Million Missionare in diesem weltweiten Werk tätig ist, rufen sie aus: „Junge, Junge, das ist aber eine gewaltige Menge Menschen.“
Wir nehmen die Douay-Bibel heraus und öffnen sie bei Jesaja 7:14, die Prophezeiung über die Geburt unseres Herrn von einer Jungfrau betreffend, und reichen sie herum, damit jeder sie lese. Die Frau sagt, daß sie dies oft gehört, aber selbst noch nicht gelesen habe. Der Mann grunzt nur ein wenig vor sich hin; aber später stellt sich heraus, daß er gar nicht lesen kann, und natürlich lesen wir es ihm vor. Jetzt zeigen wir ihnen Matthäus 24 und Lukas 21, und sie können sehen, was die Ereignisse in unserer Generation bedeuten. Nun kommt die Probe: Die Bücher werden gezeigt und herumgereicht. Großmama fällt mißtrauisch ein: „Wir sind Katholiken hier; wir brauchen keine Bücher zu lesen; wir werden alles gelehrt, was wir wissen müssen.“ Doch die junge Frau ist interessiert. Sie sehnt sich nach Güte und nach Freiheit von Not.
Der Mann geht hinaus. Weitere Punkte über das Königreich, für das wir gebetet und nach dem wir uns gesehnt haben, werden erklärt. Ja, sie würde liebend gern dort sein, um auf der Erde unter Christus, dem König, für ewig zu leben. „Gott sei gepriesen!“, rief sie aus, nicht geringschätzig, sondern aus reiner Angewohnheit. „Würde das nicht großartig sein? Ach, ich habe so etwas noch nie gehört.“ Sie hat kein Kleingeld, was bedeutet. daß sie überhaupt kein Geld hat; aber sie findet drei oder vier pence, um ein wenig zu den Kosten beizusteuern. Es wird eine Freude sein, wieder vorzusprechen und zu versuchen, ihre Vision vom Königreich zu vergrößern. Während wir sie mit ihrem „Gott segne Sie“ verlassen, dürfen die kleinen Mädchen uns scheu Aufwiedersehen winken.
Nun, hat es dir Spaß gemacht? Das lange Klettern war es wert, jemand zu finden, der so sanftmütig war, um den Samen des Trostes in sein Herz säen zu lassen. Durch den freundlichen Empfang ermutigt, gehen wir voller Vertrauen in das nächste Haus. Es sieht sehr schlecht aus. Gras wächst üppig auf dem Strohdach, die Scheunen sind fast ohne Dach, das Haus ist schmutzig, überall liegt Unrat umher. Der Mann, der im Türeingang erscheint, ist nicht gekämmt, scheint sich mehrere Tage nicht rasiert zu haben und steckt in recht unsauberen Kleidern. Er betrachtet uns mit finsterem Blick, während wir ihm freundlich Guten Morgen wünschen. Schon bei den Einführungsworten jedoch schimpft er: „Machen Sie, daß Sie hier ’rauskommen!“ Er wirft die Halbtür auf, ergreift eine nahestehende Mistforke und brüllt, indem er damit herumfuchtelt: „Machen Sie, daß Sie auf die Straße kommen, oder ich renne sie Ihnen in den Bauch!“
Welch ein Kontrast! Wir gehen weiter, zum nächsten Besuch. Ah, hier steht eine nette kleine Hütte. Eine freundliche Frau antwortet auf unser Klopfen, aber sie bittet uns nicht herein. Sie hat hellblaue blitzende Augen und ein launiges Lächeln auf den Lippen. Nach einigen Worten zeigen wir ihr die Literatur und sie ruft aus: „Ach gewiß, sind Sie nicht Jehovas Zeugen?“ „Das sind wir,“ ist unsere Antwort. „Ihr glaubt doch nicht an die Hölle“. Eine Diskussion beginnt, und der Fall mit Jona in dem Fisch wird angeführt, wobei wir wieder die Douay-Bibel benutzen. „Nun“, fragen wir, „was hat er damit gemeint, wenn er sagt, daß er in der Hölle war?“ „Der Fisch konnte gewiß nicht über dem Feuer gewesen sein?“ Ziemlich verwirrt liest sie den Bericht noch einmal über, dann kommt ihr der irische Mutterwitz zu Hilfe: „Ach gewiß“, sagt sie, „hat er nicht gemeint, daß er eine Höllenzeit verbracht hätte?“ Nachdem viel gelacht wurde, setzten wir die Broschüre Hoffnung, die über die Hölle Aufklärung gibt, ab. Weiter geht es.
Im nächsten Haus sehen wir die üblichen Symbole und Bilder an den Wänden hängen und an der Tür den Behälter mit dem heiligen Wasser. Kein Fortschritt hier. Der Mann liest tatsächlich eine Zeitung, sagt uns aber ganz ohne Scham, daß er gar nicht lesen könne. Er stößt hervor, daß er nichts verstünde von dem, was wir sagen. Ein klein wenig taktvolles Vorgehen, und er sagt uns, daß er voller Haß über den politischen Streit sei, der seit vielen Jahrhunderten dieses Land zerrissen habe, und er bringt sein Gespräch zum Schluß, indem er uns ohne Umstände auffordert, uns „hinauszuscheren“. Die Frau des Hauses wirft uns hinaus und greift zum heiligen Wasser, um damit den Vorraum, die Tür und sogar den Pfad zu besprengen, auf dem wir gegangen waren, während sie alle Heiligen und besonders die „Mutter Gottes“ anruft, sie von solchen „Heiden“ und dieser Art ihres Predigens zu bewahren.
IRISCHE GASTFREUNDLICHKEIT
Nun ist es Zeit, unseren Weg über die Hügelspitze fortzusetzen, da wir eine Familie kennen, mit der wir mehrere Male gesprochen haben, und wir müssen sehen, welche Fortschritte sie macht. Es ist auch Zeit, zu essen. Aber hier oben fällt ein leichter nebliger Sprühregen, und es ist kalt; vielleicht können wir unsere Butterbrote essen, wenn wir zur Farm von O’Neill kommen. Hier sind wir nun, ja — und was für eine Begrüßung! Diese Menschen würden wer weiß was tun für ein bißchen Herzenswärme. Solch ein Fegen und Abstauben der Stühle und Aufräumen des Tisches und das Anfachen des Feuers und das Beruhigen der Kinder, alles auf einmal. Binnen kurzem schieben wir unsere Stühle zurück, denn der schwarze Torf strahlt eine erschreckende Hitze aus. Der Farmer und seine zwei Jungen kommen vom nahegelegenen Felde herein. Die Mädchen, alle lächelnd, sitzen in einer Reihe auf der langen Wandbank, und die Unterhaltung ist im Gange.
Frau O’Neill ist sehr darauf bedacht, alle Anforderungen ihrer Religion, nämlich Gebete, Messen, Fasten und Feste, zu beobachten, aber dennoch sagt sie, daß sie fühlt, etwas fehle. Sie ist immer noch geistig hungrig. Ein Bibelstudium über die „Neue Erde“ wird abgehalten, wobei die Douay-Bibel benutzt wird. Sie ist erfreut über alles, was sie hört. Herr O’Neill lächelt zustimmend, während die Jungen einige gute Fragen stellen. Sie hatten niemals eine Bibel gesehen, bevor wir sie aufsuchten, und sie behandeln sie mit großer Ehrfurcht. Herr O’Neill und die Jungen nehmen sofort ihre Mützen ab.
Und was ist das jetzt? Wir werden zu einer Mahlzeit eingeladen. Aber unsere Brote? „Auf gar keinen Fall! Lieber Mann, haben Sie jemals von einem gehört, der sein eigenes Essen mitbrachte? Wir könnten Sie doch nicht an einem solchen Tag wie heute ohne eine warme Mahlzeit gehen lassen, nicht wahr?“ Die Kartoffeln sind mit ihrer Schale gekocht worden und eine große Schüssel wird mitten auf den Tisch gestellt. Jeder bedient sich selbst mit Kartoffeln und fängt an, flink die Schale abzuziehen, ein bißchen Butter darauf zu tun und mit einem Napf Buttermilch nach Herzenslust zu essen. Es gibt kein Fleisch, aber du würdest erstaunt sein, festzustellen, wie befriedigend und nahrhaft das Mahl ist. Nach dem Essen singen wir zehn Minuten lang Königreichslieder und hierbei helfen uns die natürlichen Gaben unserer Gastgeber, denn obwohl sie nicht eine Note lesen können, begleiten sie uns doch auf dem Akkordeon. Nun müssen wir unsere Freunde verlassen und weitere Besuche machen.
Zuerst, ein Stückchen weiter, kommen wir zu einer Hütte und einer netten kleinen Frau, deren Gatte die Broschüren, die sie von uns genommen hatte, verbrannte, bevor sie sie lesen konnte. Ah, er ist von seiner Arbeit heimgekommen; also laßt uns sehen, wo seine Schwierigkeit ist. Er sieht nicht wie ein hoffnungsvoller Anwärter aus, aber laßt uns hören. Sein Name ist O’Donovan. Er weiß offensichtlich, wer wir sind; deshalb kommen wir gleich zur Sache. Wir erzählen ihm von dem Leiden unserer Missionare unter der russischen Herrschaft, um damit zu zeigen, daß wir keine Kommunisten sind, wie manche irrtümlicherweise annehmen. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen, was stets ein schlechtes Zeichen ist, und er unterbricht uns mit einem schrillen Wutschrei. Schaum vor dem Munde und Drohungen ausstoßend, ergreift er ein Torfstück und mit bleichem Gesicht sagt er uns, was er mit uns tun wird, bis wir das Gartentor sicher zwischen ihm und uns haben.
Nur noch ein Besuch, und damit laß dann den Tag beendet sein. Dies ist eine Bergfarm, zu der wir hinaufsteigen. Es ist das letzte Haus in den Bergen, und dahinter liegt weiter nichts als nur das Torfmoor, soweit das Auge sehen kann, und bis zu zweitausend Fuß weit. „Old Tom“ hört unsere Stimmen und kommt mit einem Licht heraus. „Ach, er ist es selbst“, sagt er, „kommen Sie gleich herein und wärmen Sie sich; ’s ist wirklich ein kalter Abend, nicht wahr?“ Tom ist Witwer, und um sein Feuer herum wirst du immer einen Kreis von Nachbarsleuten finden, wenn es gegen Abend dunkel wird. Es ist das einzige gesellige Beisammensein, was sie haben.
Nach der allgemeinen Begrüßung und nachdem alle zugestimmt haben, daß es draußen kalt ist, beginnt eine Diskussion über Hölle und Fegefeuer. Während der Diskussion zündet Tom sich eine Stummelpfeife an und nach einigen nachdenklichen Zügen reicht er sie zum Nächsten weiter. Jeder nimmt feierlich einige Züge und gibt die Pfeife weiter. Da wir keinen Tabak genießen, lehnen wir ab. Es ist eine seltsame Gesellschaft, die um das flackernde Herdfeuer sitzt. Es gibt mehr Bärte hier als in einer Synagoge. Sie sehen fast wie Banditen aus, aber sie sind trotz ihrer rauhen Erscheinung ganz harmlose, grundehrliche, hart arbeitende Hirten. Am Schluß der Diskussion wird Tee serviert mit Salzbrot und Butter, und dann geht’s nach Hause ins Bett, womit ein weiterer ermüdender Tag im Königreichsdienst zu Ende geht.
In unserem Zimmer nach einem langen und harten Tag über die rauhen Straßen Irlands angelangt und auf das Abendessen wartend, das in Vorbereitung ist und ungefähr eine Stunde Verspätung hat, hören wir das Grammophon folgende Worte schnarren: „Wenn Irland nicht der Himmel ist, dann ist er nur gleich rechts nebenan.“ Das ist Irland, und so eigenartig es scheint: wir beginnen es immer mehr zu lieben; dieses winzige Inselchen, ein Land des Kontrastes, des Lachens und der Tränen, hat doch viele Menschen guten Willens, die Paddys und die Mikes, die Sammies und die Johnnies, die derben blonden irischen Mädchen mit ihrem Hang zum Spaß, mit ihrem lebhaften Temperament, die noch aus der alten Welt des Hasses und Aberglaubens herauskommen zu der Freiheit der neuen Welt.