Händler auf Rädern
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Japan
BEIM Gehen ist er ein ganz klein wenig nach links geneigt, doch er hat zwei kräftige Beine. Sein Lächeln ist ansteckend, sein Benehmen freundlich, und jeder kennt seinen Ruf „Yakiimo!“ Er hat seinen Bauernhof auf dem Land verlassen und sich den vielen Händlern auf Rädern in einer großen Stadt, rund 300 Kilometer von seinem Wohnort entfernt, angeschlossen.
Yakiimo sind heiße Süßkartoffeln. In den Wintermonaten gibt es sie in großer Menge. Der Bauer verdient sich sein Brot den Winter über mit dem Verkauf heißer Kartoffeln, und im Frühjahr kehrt er wieder auf seine Reisfarm zurück. Sein „Laden“ ist ein riesiger komischer „Apparat“ aus Metall und Holz. Darin brennt ein Feuer, auf dem kleine glatte Steine, die in einem Metallbehälter liegen, erhitzt werden. Auf den heißen Steinen werden die Kartoffeln gebacken. Der Holzgeruch, der aus dem Abzug des Karrens entweicht, und der Duft der backenden Kartoffeln, der jedesmal aufsteigt, wenn der Händler den Deckel hochhebt, um zu sehen, ob sie gar sind, machen den Umstehenden den Mund wässerig. Bei Regen und Sonnenschein hört man ihn über ein Megaphon oder ein vorbereitetes Tonband seine Yakiimo anpreisen.
Ein anderer Händler verkauft Obst, ein anderer eßbare Meerestiere, ein anderer japanische Gemüsesuppe usw. Nicht zu übersehen ist der Laufbursche, der sich mit seinem Rad abstrampelt oder vielleicht mit seinem Motorrad davonknattert. Man kann ihn überall in großen und kleinen Städten sehen, wie er sich durch den dichtesten Verkehr schlängelt, auf der einen Schulter geschickt einen Turm von Leckerbissen in Schüsselchen und Schachteln balancierend. Wie schafft er es? Nun, manchmal schafft er es nicht, wie seine kummervolle Miene verrät, wenn er, vor einem Haufen Nudeln und Scherben kniend, zu den Vorübergehenden aufblickt.
Händler mit „Werbespot“
Der Maiskolbenverkäufer lockt durch seine ulkige Unterhaltung Kinder und Erwachsene an. Sein Live-„Werbespot“ ist ein Schlager. Er kommt mit einem ganz kleinen Pritschenwagen, auf dem er Maiskolben röstet, die er dann verkauft. Dieser Händler trägt bunte kurze Hosen, tabia und Sandalen, einen leichten Kittel und ein Tuch um die Stirn, das den Schweiß aufsaugt. Über sein vergnügtes Gesicht und sein lustiges Benehmen muß man schon lächeln, ehe er mit seiner Vorstellung beginnt. Nachdem er nochmals überprüft hat, ob die Maiskolben fertig geröstet sind, springt er von der Pritsche seines Wagens herunter und beginnt auf der Straße zu singen und zu tanzen. Er singt, daß sein Mais aus Hokkaido in Nordjapan stammt. Er besingt seine Köstlichkeit und Süße, und was er dann singt, singt er aus dem Stegreif, wobei er seine Zuhörer berücksichtigt. Den Hausfrauen, die ihre Arbeit unterbrochen haben, um ihm zuzuschauen, ruft er freundlich in höflichem Japanisch zu, sie seien so süß wie sein Mais. Sein Gekasper und Tanzen reißt die Kinder so mit, daß einige es riskieren mitzutanzen. Natürlich sind seine gerösteten Maiskolben im Nu ausverkauft. Danach macht er sich fertig, um weiterzuziehen; zurück bleibt eine fröhlich kauende Runde.
Sinn für das Schöne und das Praktische
Der Blumenhändler braucht nichts zu unternehmen, um Kunden anzulocken. Warum erübrigen sich Reklametricks bei ihm? Die Japaner lieben Blumen über alles, und wo immer möglich, schmücken sie ihre Wohnung damit; neben der Haustür darf der Blumenstrauß keinesfalls fehlen. Der Bevölkerung ist der Straßenhändler besonders sympathisch, weil man bei ihm die Blumen billiger kaufen kann als in den Blumenläden. Er kommt mit einem Moped, an das er einen Wagen angehängt hat. Die Blumentöpfe stehen auf einem treppenartigen Holzgestell. Der Wagen ist überdacht mit dickem durchsichtigem Kunststoff. Diesen schlägt er zurück, wenn er anfängt, die Kunden zu bedienen. Irgend jemand hat beobachtet, daß er gekommen ist, und nun sagt es einer dem andern. Das Angebot hängt natürlich von der Jahreszeit ab, doch im Augenblick bewundern und kaufen die Kunden bei ihm Alpenveilchen, Chrysanthemen, Nelken, blühende Kakteen und viele andere Pflanzen.
Was bietet der nächste fliegende Händler feil? Bambusstangen! Wozu werden sie gebraucht? Hier ist es Sitte, die Wäsche daran aufzuhängen. Hemden, Blusen und yukata (Baumwollkimonos), die bei der täglichen Wäsche auf die Stangen „aufgefädelt“ werden, sehen jeweils aus, als würden sie mit gestreckten Ärmeln dastehen. Auch die futon (Matratzen) werden zum Lüften auf Bambusstangen gehängt. Dieser fliegende Händler macht seine Runde gewöhnlich an Wochenenden, wenn es in den Straßen ruhiger ist. Dann hört man seinen Ruf „Bambusstangen!“ auch ohne Megaphon.
Tiere für Kinder
Wenn die Kinder aus der Schule kommen, taucht gewöhnlich ein fliegender Händler auf, der bei ihnen sehr beliebt ist. Was gefällt den Kleinen so sehr an ihm? Er handelt mit Goldfischen. Man wundert sich, daß er die Kraft hat, die Pedale seines Fahrrades zu treten, obschon er so viel Wasser „an Bord“ hat. Er fährt ganz vorsichtig; und das muß er auch. Denn welch ein Unglück wäre es, wenn er einen Sturzflug machte! Sobald er singend das Wort „Goldfische“ ausruft, beginnen sich die Kinder um ihn zu scharen. Auch Erwachsene umringen ihn. Es stehen kleine, flache Netze zur Verfügung, mit denen die Fische herausgeholt werden dürfen. Sobald das Vergnügen beginnt, brechen alle Umstehenden in lautes Lachen aus, denn gerade wenn ein „Angler“ glaubt, einen Fisch erwischt zu haben, macht dieser einen Sprung und schießt wie ein Pfeil zum anderen Ende des Behälters.
In den japanischen Wohnungen ist gewöhnlich wenig Platz für Heimtiere vorhanden, deshalb wird die Bitte eines Kindes, ein kleines Goldfischglas kaufen zu dürfen, selten abgeschlagen. Der Handel mit Goldfischen ist das ganze Jahr hindurch ein einträgliches Geschäft. Es hat etwas Beruhigendes an sich, Fische zu beobachten, und das gefällt dem Japaner.
Handel mit Suppe und Brot
Ein anderer Händler klingelt lediglich; doch die Liebhaber von genmai pan kennen den Laut. „Es ist weniger der Klang der Glocke, als wie er läutet“, sagen einige. Genmai bedeutet „Vollreis“, und das japanische Wort pan (ein Lehnwort aus dem Portugiesischen) bedeutet „Brot“. Genmai pan wird im Gegensatz zu gewöhnlichem Brot nicht gebacken. Es handelt sich um Hefeteig, der zu kleinen Brötchen geformt und dann gedämpft wird. Manchmal werden die Brötchen noch mit einer Fruchtpaste gefüllt. Auch Lakritzensaft wird gelegentlich unter den Teig gemischt. Am beliebtesten aber ist offenbar das gewöhnliche genmai pan. Dieses Brot ist etwas schwer, doch zufolge seines milden Aromas schmeckt es vorzüglich.
Der alte Mann, der genmai pan verkauft, trägt einen hohen, blendendweißen Zuckerbäckerhut, und auch seine weiße Jacke zeugt von seiner peinlichen Sauberkeit. Das Klingeln des Genmai-pan-Verkäufers, sein strahlendes Lächeln und sein sauberes Äußeres tragen dazu bei, daß manche es sich zur Gewohnheit gemacht haben, zu Mittag solches Brot zu kaufen.
Spät am Abend, wenn die meisten Leute schlafen gegangen sind, ertönen zwei lange dunkle Hornstöße. Nun weiß jeder, ohne aufstehen und nachschauen zu müssen, wer gekommen ist. Dieser Händler bemüht sich, möglichst wenig Lärm zu machen, um nicht unnötig zu stören. Der Kleinlastwagen fährt im Schneckentempo, und die rote Lampe, die ihm als Rücklicht dient, sowie seine Fahne, die hinten heraushängt, kann man noch lange sehen. Der Nudelsuppenverkäufer fährt eine Straße nach der anderen ab. Wir nennen seine Nudeln „ramen“. Es sind feine Nudeln, die in kochendheißer Suppe mit in feine Scheiben geschnittenen Schalotten serviert werden. Die Studenten „büffeln“ oft bis spät in die Nacht hinein, und eine heiße Nudelsuppe, die in einer Wegwerfschüssel verkauft wird, stillt den Hunger, bevor sie sich schließlich schlafen legen. Diese Nudeln sollen auch nach einer großen Zecherei den Magen beruhigen.
Ein weiterer Händler auf Rädern ist der tofu-Hersteller. Als tofu wird ein aus Sojabohnenmilch gewonnener Käse oder Quark bezeichnet. Die ersten, die dieses Nahrungsmittel hergestellt haben, sollen die Chinesen gewesen sein. Mit der Zubereitung der Sojabohnenquarkkuchen wird begonnen, wenn die meisten Leute noch schlafen. Die Herstellung dieser Kuchen, die etwa 350 Gramm wiegen, ist harte Arbeit.
Als nächstes macht der tofu-Händler eine große Holzkiste fertig und schnallt sie hinten auf dem Gepäckträger des Fahrrades fest. Die Holzkiste besteht aus zwei Abteilen. Das untere Abteil ist mit rostfreiem Metall ausgekleidet, weil Wasser hineingefüllt wird. Der gewöhnliche und der getoastete tofu wird ins Wasser gelegt. Im oberen Abteil der Kiste liegen die dünnen Scheiben des in Fett gebackenen tofu. Der tofu-Händler hängt sich ein kleines Horn um den Hals, besteigt sein Fahrrad und fährt nun langsam durch irgendeines der Wohnviertel. Seine Hornstöße kündigen seine Ankunft an, und kurz danach beginnt er schon, seine ersten Kunden zu bedienen. Für viele ist der tofu ein unentbehrlicher Bestandteil der miso shiru, der Suppe, die jeden Morgen zum Frühstück gegessen wird.
Jeder dieser Händler hat eine bestimmte Eigenart, doch weisen sie auch gewisse Ähnlichkeiten auf: Es sind alles freundliche Menschen, die die Straßen Japans beleben, leckere Düfte verbreiten und charakteristische Geräusche er zeugen.
[Fußnote]
a Fausthandschuhähnliche Socken, bei denen die große Zehe von den übrigen getrennt wird, um den Riemen der Sandalen dazwischen durchführen zu können.