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Wie entsteht Kriminalität?Erwachet! 1985 | 8. September
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Wie entsteht Kriminalität?
„ICH glaubte, daß kriminelles Verhalten ein Symptom latenter Konflikte war, die durch traumatische Kindheitserlebnisse und Entbehrungen entstanden ... Wie ich dachte, waren Menschen, die kriminell wurden, entweder psychisch gestört oder das Opfer einer bedrückenden Umwelt oder beides. ... Ich betrachtete das Verbrechen als eine nahezu normale, wenn nicht sogar entschuldbare Reaktion auf bedrückende Armut, auf zermürbende Unsicherheit oder auf ein von Verzweiflung erfülltes Leben“ (Kursivschrift von uns) (Inside the Criminal Mind). Diese Ansicht vertrat Psychiater Stanton E. Samenow, bevor er mit der Befragung von Hunderten von Kriminellen begann.
In dem Bestreben, zu erklären, warum jemand kriminell wird, führen Psychiater und andere Fachleute verschiedene Gründe an wie Arbeitslosigkeit, mangelnde Bildung, bedrückende Familienverhältnisse, unausgewogene Ernährung und psychische Belastungen. Diese Faktoren können zwar eine Rolle spielen, aber eine andere Tatsache ist nicht zu übersehen: Millionen Menschen sind täglich den gleichen Bedingungen unterworfen, ohne dem Verbrechen als Ausweg zu verfallen.
Kriminelle — Opfer oder Verbrecher?
Nach ausgedehnten Untersuchungen gelangte Dr. Samenow zu einer anderen Auffassung. Er schreibt: „Der Kernpunkt dieser Auffassung besteht darin, daß Kriminelle Verbrechen verüben wollen. Die Neigung zur Kriminalität ist ein Charaktermerkmal und wird nicht durch Umweltbedingungen, sondern durch die Denkweise ‚verursacht‘“ (Kursivschrift von uns). „Die Ursachen für die Kriminalität sind die Verbrecher selbst — nicht eine schlechte Wohngegend, nicht die Unzulänglichkeit der Eltern, nicht das Fernsehen, die Schule, Drogen oder Arbeitslosigkeit.“
Aufgrund dieser Erkenntnis änderte er seine Ansicht über die Gesinnung des Kriminellen. Er fährt fort: „Wir erkannten, daß Kriminelle nicht als Opfer zu betrachten sind, sondern als Verbrecher, die bewußt ein solches Leben führen wollen.“ Daher, so schlußfolgerte er, sollte man dem Kriminellen vor Augen führen, daß die Verantwortung für seine Handlungsweise bei ihm liegt, statt ihn mit Entschuldigungen geistig zu bevormunden. (Siehe Seite 9: „Persönlichkeitsbild eines Schwerverbrechers“.)
Lois Forer, ein Richter in Pennsylvanien, der für Reformen im Strafvollzug in den Vereinigten Staaten eintritt, schreibt: „Meine Schlußfolgerungen stützen sich auf die Ansicht, daß jeder Mensch für seine Handlungen verantwortlich ist“ (Criminals and Victims, Seite 14).
Warum sich überhaupt für Unrechttun entscheiden?
Hinsichtlich dieser Frage kommt Dr. Samenow zu einer einleuchtenden Schlußfolgerung: „Das Verhalten wird weitgehend vom Denken bestimmt. Allem, was wir tun, gehen Gedanken voraus, es ist mit Gedanken verbunden und läßt uns nachdenken.“ Wie kann demnach kriminelles Verhalten geändert werden? Er antwortet: „Der Kriminelle muß lernen, Denkmuster, die jahrelang sein Verhalten bestimmt haben, zu erkennen und dann zu verwerfen“ (Kursivschrift von uns). Diese einfache Schlußfolgerung stimmt mit dem Rat der Bibel überein.
Der Bibelschreiber Jakobus erklärte zum Beispiel: „Jeder wird versucht, wenn er von seiner eigenen Begierde fortgezogen und gelockt wird. Wenn dann die Begierde befruchtet ist, gebiert sie Sünde“ (Jakobus 1:14, 15). Mit anderen Worten: Unser Handeln hängt von unserem Denken ab. Eine falsche Begierde wird durch einen Denkprozeß hervorgerufen. Eine Sünde oder ein Verbrechen ist die Folge einer unrechten Begierde und einer falschen Entscheidung.
Paulus lenkte die Aufmerksamkeit darauf, daß zur Veränderung der Persönlichkeit der Denkprozeß von grundlegender Bedeutung ist, indem er sich auf ‘die Kraft, die den Sinn antreibt’, bezog (Epheser 4:23). Die Jerusalemer Bibel gibt diese Passage wie folgt wieder: „Erneuert euch vielmehr durch den Geist eures Denkens.“ Ebenso muß heute ein radikaler Wechsel in der Denkweise erfolgen, da „Verbrechen die Folge von jemandes Denkweise sind“ (Inside the Criminal Mind).
Dadurch ist aber immer noch nicht die Frage beantwortet, wie der Kriminelle seine gesellschaftsfeindlichen Denkmuster überhaupt erwirbt.
Wann der Samen gesät wird
„Erzieh einen Knaben gemäß dem Weg für ihn; auch wenn er alt wird, wird er nicht davon abweichen“ (Sprüche 22:6). Dieser biblische Grundsatz dringt zum Kern der Sache vor. Der Schlüssel liegt darin, den „Knaben“ zu erziehen, nicht erst den jungen Mann. Warum ist es erforderlich, so früh mit der Erziehung zu beginnen? Weil Denk- und Verhaltensmuster im Säuglingsalter und in der Kindheit entstehen.
Natürlich sind einige negative Eigenschaften von Geburt an vorhanden, da wir alle in Unvollkommenheit geboren wurden (Römer 5:12). Treffend sagt die Bibel: „Torheit ist an das Herz eines Knaben geknüpft.“ Doch in dem Schrifttext heißt es weiter: „Die Rute der Zucht ist das, was sie von ihm entfernen wird“ (Sprüche 22:15).
Viele Kriminelle versuchen ihr Verhalten zu rechtfertigen, indem sie auf Einflüsse in ihrer Kindheit verweisen und ihren Eltern, Lehrern oder anderen die Schuld geben. Dr. Samenow kommt zu einem anderen Schluß: „Kriminelle behaupten, Eltern, Nachbarn, Lehrer oder Arbeitgeber hätten sie schlecht behandelt, aber selten sagt ein Verbrecher, warum er schlecht behandelt worden ist. Der Kriminelle war schon als Kind hinterlistig und widerspenstig, und je älter er wurde, um so häufiger belog er seine Eltern, bestahl sie und zerstörte ihr Eigentum oder bedrohte sie. Er machte das Leben zu Hause unerträglich ... Der Kriminelle selbst behandelte seine Eltern schlecht, nicht umgekehrt.“ (Siehe Seite 8: „Persönlichkeitsbild eines angehenden Berufsverbrechers“.)
Ja, der Samen kriminellen Verhaltens wird oft in der Kindheit gesät und gelegentlich unwissentlich von zu nachsichtigen Eltern bewässert. Dr. Patterson, Psychologe am Oregon Social Learning Center, glaubt, daß sich „der größte Teil der Kriminalität zufolge mangelnder elterlicher Erziehung entwickelt“. Er bezieht sich auf Eltern, „die unfähig sind, klare Regeln aufzustellen, deren Befolgung zu überwachen und geringfügige Übertretungen ohne körperliche Bestrafung unter Kontrolle zu bringen“.
Dr. Samenow folgert daraus: „Das Abweichen des kriminellen Kindes von den Erwartungen der Eltern und der Gesellschaft schließt mehr als nur Einzelhandlungen ein. Bereits in den Vorschuljahren prägen sich Muster aus, die Teil einer kriminellen Lebensführung werden“ (Kursivschrift von uns). Die Folge davon ist, daß Psychologen ihre Aufmerksamkeit nun dem Gebiet der Verhütung von Verbrechen in der Kindheit widmen, indem sie solchen Eltern und Kindern helfen, die möglicherweise Probleme auf diesem Gebiet haben.
Das Thema Kriminalität — ihre Ursachen und die Möglichkeiten zur Lösung des Problems — ist vielschichtig. Würde sich durch einen erhöhten Beschäftigungsstand und eine verbesserte Umwelt für manche das Blatt wenden? Wären mehr und größere Gefängnisse der Ausweg? Würde der Einsatz von mehr Polizisten die Kriminalität eindämmen? Ja gibt es irgendeine brauchbare Lösung des Problems in unserer gegenwärtigen Gesellschaftsordnung?
[Kasten/Bilder auf Seite 8]
Persönlichkeitsbild eines angehenden Berufsverbrechers
Als Kind ist der Kriminelle ein Wesen mit einem eisernen Willen und erwartet, daß andere seinen Launen nachgeben. Er geht Risiken ein, verfängt sich in Schwierigkeiten und verlangt, daraus befreit zu werden und auch, daß man ihm nichts nachträgt.
Die ersten in der langen Reihe der Opfer des Kriminellen sind die Eltern.
Als Kind baut er eine unüberwindbare Kommunikationssperre auf. Er führt ein Leben, in das seine Eltern keinen Einblick haben sollen. Er ist der Meinung, das gehe seine Eltern nichts an.
Der Delinquent lügt so oft und so viel, daß man meint, er könne nicht anders. Wenn er lügt, weiß er jedoch genau, was er tut.
Er mißachtet nicht nur den Rat und die Autorität der Eltern, sondern verachtet auch, ungeachtet ihrer sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, ihre Lebensweise. Für ihn ist das Vergnügen alles im Leben.
Gehören auch andere Kinder zur Familie, so haben sie unter ihm zu leiden, weil er sie quält, sich an ihren Sachen vergreift und ihnen die Schuld gibt, wenn eine Strafmaßnahme bevorsteht.
Der Übeltäter schließt sich Jugendlichen an, die vieles riskieren und Verbotenes tun.
Er sträubt sich gegen jegliche Art von Autorität. Statt dessen bevorzugt er es, sich mit aufregenden, häufig verbotenen Dingen zu beschäftigen.
Die Eltern dieser Kinder wissen oft nicht, wo sich ihr Sprößling aufhält, und zwar nicht aufgrund von Nachlässigkeit, sondern wegen der Raffinesse ihres Sprößlings, der seine Aktivitäten verheimlicht.
Der Missetäter hat ein „einnehmendes“ Wesen, teilt aber selten mit anderen. Er weiß nicht, was Freundschaft bedeutet, weil Vertrauen, Loyalität und das Teilen mit anderen nicht zu seiner Lebensweise passen.
Noch bevor er das Jugendalter erreicht, zählt der Genuß von Alkohol zum sozialen Umfeld des jungen Missetäters.
Lange bevor die Schule den Kriminellen abweist, hat er sich von ihr abgewandt. Er benutzt die Schule für seine eigenen Zwecke: als ein Betätigungsfeld oder als Deckmantel für seine Verbrechen.
Das, was nach der Meinung anderer zu Unannehmlichkeiten führt, hält er für ein Mittel zur Selbstverwirklichung.
(Man beachte, daß ein oder zwei dieser Faktoren an und für sich noch nicht anzeigen, daß ein Kind möglicherweise ein Berufsverbrecher wird. Treten aber viele davon auf, besteht Grund zu echter Sorge.)
[Kasten auf Seite 9]
Persönlichkeitsbild eines Schwerverbrechers
Kriminelle wollen absolut nicht arbeiten.
Die wichtigste Beschäftigung für den Kriminellen ist das Verbrechen, nicht die regelmäßige Arbeit.
Er ist davon überzeugt, daß er sich durch seine Sachkenntnisse und seine einzigartige Begabung vom Durchschnittsmenschen unterscheidet.
Er schätzt nur jemanden, der sich seinem Willen unterwirft. Selbst in seiner Mutter sieht er eine Heilige oder einen Satan, je nachdem wie bereitwillig sie das tut, was er will.
Ein Krimineller fühlt sich nie jemandem verpflichtet und gibt selten Rechenschaft über das, was er tut.
Wegen seines Stolzes weigert er sich unnachgiebig, seine eigene Fehlerhaftigkeit zuzugeben.
Der Kriminelle möchte nicht, daß seine Angehörigen sein Verhalten in Zweifel ziehen.
Er weiß, was richtig oder falsch ist. Wenn es ihm zusagt, hält er sich an das Gesetz.
Wie bei allem anderen auch, bedient sich der Kriminelle der Religion in selbstsüchtiger Weise.
Er denkt sich sorgfältig eine Geschichte aus, um einen nach seiner Meinung überzeugenden Bericht darüber abzugeben, warum er etwas getan hat.
Der Kriminelle betrachtet das Opfer überhaupt nicht als solches. Er betrachtet sich selbst als Opfer, wenn er gefaßt wird.
(Die Beschreibungen auf Seite 8 und 9 stützen sich auf die Veröffentlichung Inside the Criminal Mind).
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Kriminalität – Gibt es einen Ausweg?Erwachet! 1985 | 8. September
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Kriminalität – Gibt es einen Ausweg?
DA WIR alle direkt oder indirekt von der Kriminalität betroffen sind, lautet die ungelöste Frage: Gibt es einen Ausweg? Richard Neely, Richter am Obersten Berufungsgericht in West Virginia (USA), meint: „Das Kriminalitätsproblem bei der Wurzel zu fassen läuft auf eine Neuordnung der Gesellschaft in einem Ausmaß hinaus, das vielen zu weit gehen würde“ (Kursivschrift von uns). Er führt ins Feld, daß „weder der wissenschaftliche Kenntnisstand noch die politische Absicht vorhanden ist, die Hauptursachen der Kriminalität auszumerzen“.
Warum ist das so? Als Begründung führt er an, daß die Menschen, die von der Kriminalität am meisten betroffen sind und „in Ghettos leben oder unteren Arbeiterschichten angehören“, den geringsten unmittelbaren politischen Einfluß ausüben. Richter Neely stellt fest: „Verbrechensopfer sind, und das sollte nicht übersehen werden, keine organisierte Interessengruppe.“ Aus diesem Grund haben sie nur wenig oder gar keinen politischen Einfluß. Politisch einflußreiche Personen wohnen meist außerhalb des Bereichs allgemeiner krimineller Aktivitäten — sie fahren nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln und wohnen nicht in Slums. Und in einigen Fällen, so argumentiert er, würden verstärkte Anstrengungen zur Durchsetzung der Gesetze ihre eigene gesetzwidrige Weiße-Kragen-Kriminalität aufdecken. Dies trifft auf die meisten Länder der Erde zu. Somit fallen Personen der unteren Einkommensgruppen weit häufiger der Kriminalität und der politischen Heuchelei zum Opfer.
Im Kampf gegen die Kriminalität steht noch ein anderer wichtiger Faktor dem Fortschritt im Wege — die menschliche Natur selbst. „Gelüste,
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