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Der Präsident besucht Europa und den Nahen Osten — 2. TeilDer Wachtturm 1957 | 15. Juli
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Der Präsident besucht Europa und den Nahen Osten — 2. Teil
Fortsetzung des Berichts über die vor kurzem erfolgte Dienstreise des Präsidenten der Watch Tower Society, N. H. Knorr.
TÜRKEI
Am 8. Dezember, um zwei Uhr, kamen wir auf dem Flugplatz in Istanbul an und wurden von fünfzehn Brüdern empfangen. Einige dieser Brüder hatte ich schon vor fünf Jahren kennengelernt, und ich freute mich nun wirklich, sie wieder zu besuchen. Für Bruder Franz war diese Reise ganz neu; Bruder Hoffmann dagegen war schon vor einem Jahr hier gewesen. Istanbul (früher Konstantinopel) ist eine alte, interessante Stadt. Vom Flughafen fuhren wir auf neuen, breiten Autostraßen nach dem Hauptstadtteil, und es dauerte nicht lange, bis wir die alten Mauern erblickten, die die Stadt während der byzantinischen Glanzzeit vor Plünderern schützten. Wir bogen von der Autobahn ab und fuhren durch das Tor, durch das im Jahre 1453 Sultan Fatih einritt, als die Türken die Stadt einnahmen. Im Auto fuhren wir durch die Altstadt, überquerten dann das Goldene Horn und erreichten unser Hotel, von dem aus man den schönen Bosporus überblicken kann. Nachdem wir uns eingeschrieben hatten, begaben wir uns unverzüglich in die Wohnung eines Bruders, in der eine Zusammenkunft stattfand, die der Besprechung von Problemen diente, vor die sich die Brüder in der Türkei gestellt sehen. Unter anderem drehte es sich dabei um die neutrale Stellung, die Jehovas Zeugen in allen Ländern einnehmen müssen. Wachsame Christen mischen sich heute nicht in die Angelegenheiten der Nationen ein, und jeder muß sein Gewissen in Übereinstimmung mit den biblischen Wahrheiten schulen. Außerdem wurde darauf hingewiesen, daß sich ein Christ nicht in die Gewissensfragen anderer einmischen soll. Jeder muß selbst entscheiden, welchen Weg er einschlagen will. Jeder muß sich seiner Verantwortung Jehova gegenüber bewußt sein, muß sein Gewissen rein erhalten und seine Lauterkeit bewahren.
Am selben Abend waren wir bei jüdischen Freunden eingeladen, die vor kurzem die Wahrheit angenommen hatten. Ungefähr siebzehn Personen hatten sich um ihren Tisch versammelt, und wir verbrachten frohe Stunden miteinander. Bruder Franz und ich erhielten Gelegenheit, einige unserer Erfahrungen zu erzählen. Gleich nach dem Essen fand sich eine ganze Anzahl Verkündiger aus Istanbul in dieser Wohnung ein, und wir beide hielten ihnen Ansprachen. Bruder Franz sprach besonders darüber, daß Eltern ihre Kinder zur christlichen Anbetung erziehen sollten. Er zeigte, daß diese Pflicht selbst dann bestehe, wenn ein Elternteil nicht in der Wahrheit ist. Der Elternteil, der in der Wahrheit ist, sollte den Kindern den Weg weisen, damit sie Gelegenheit haben, die Wahrheit kennenzulernen. Ich erörterte die Eigenschaften, die die Diener in der Versammlung aufweisen sollen, und zeigte, welchen Beistand und welche Hilfe die Versammlung erwarten kann. Es war beinahe Mitternacht, als die Zusammenkunft endete.
Der Sonntag sollte unser großer Tag werden. Doch vorerst möchte ich noch einige Begebenheiten schildern, die zu diesem so wichtigen Tag im Leben unserer Brüder in Istanbul führten. Vor fünf Jahren hatte ich in Istanbul in einer armenischen Kirche zu den Brüdern gesprochen. Vor einem Jahr mieteten die Brüder für die Gedächtnisfeier eine holländische Kapelle. Doch diesmal war es schwierig, eine Stätte zu finden, wo sich alle Brüder versammeln konnten. In der Türkei, dürfen nämlich religiöse Zusammenkünfte nur in religiösen Gebäuden stattfinden. So fragten sich denn die Brüder, welche Möglichkeiten für eine solche Zusammenkunft wohl noch beständen. Da anerbot sich ein Interessierter, Mitbesitzer eines großen Kasinos, den Brüdern den Gesellschaftsraum für den ganzen Sonntag zu vermieten. Dort konnten sie eine Art Festessen veranstalten, und zugleich konnte jemandem die Gelegenheit geboten werden, eine Ansprache zu halten. Darauf traf man unverzüglich Vorbereitungen, um die Zusammenkunft in diesem Kasino durchzuführen. Es wurden außer den Brüdern nur solche Personen eingeladen, die beabsichtigten, sich in nächster Zeit taufen zu lassen. Daraus geht hervor, daß der größte Teil der Menschen guten Willens keine Gelegenheit hatte, anwesend zu sein. Das Programm begann früh am Vormittag.
Das Thema der ersten Ansprache, die um 8.30 Uhr begann, lautete „Die von Jehova kommende Wohlfahrt“. Danach folgten verschiedene Ansprachen, die von Brüdern gehalten wurden, die in der Türkei auf Besuch weilten. Nach den sehr schönen Vormittagsversammlungen folgte eine Pause, in der als Mittagessen ein Imbiß serviert wurde. Während dieser Zeit nahmen alle freudig die Gelegenheit wahr, sich mit den Brüdern Knorr, Franz und Hoffmann persönlich zu unterhalten. Es wurde mir gesagt, daß etliche Menschen guten Willens beobachtet hätten, wie ungezwungen sich die Brüder Knorr, Franz und Hoffmann mit den Freunden unterhielten, und daß sie überrascht gewesen seien, daß man keine großen Umstände gemacht und daß sie nicht pompös und unnahbar auf der Bühne gesessen und sich nicht von anderen hätten bedienen lassen. Auf viele machte das an diesem Tage den tiefsten Eindruck. Demut gehört nicht zu den Eigenschaften, die die Bevölkerung von Istanbul besonders auszeichnen. Die Tatsache, daß die östliche Etikette von den Gliedern der Neuen-Welt-Gesellschaft nicht beachtet wurde, wirkte daher für viele Anwesende geradezu revolutionär, besonders für jene, die an dem Werk der Verkündigung dieser guten Botschaft vom Königreich noch nicht lange interessiert waren. Von einigen Kellnern, die am Büfett servierten, hörte man Äußerungen, wie: „Schaut, wie sich diese Leute für Gott interessieren. Sie speisen ihren Sinn gerne mit Gedanken über sein Vorhaben, während wir — Tieren gleich — niemals an ihn denken.“ Die Brüder hinterließen beim Bedienungspersonal einen guten Eindruck; und alle freuten sich, rings um die Tische sitzend, sich miteinander angenehm zu unterhalten und sich so kennenzulernen. Um 13.30 Uhr gab man mir Gelegenheit, über das Thema „Warum bleibender Friede in unseren Tagen kommen wird!“ zu sprechen. Alle Anwesenden hörten aufmerksam zu; es waren zu dieser Ansprache noch viele weitere Besucher erschienen, so daß nun 270 Personen zugegen waren.
Ohne Zweifel wurden alle Anwesenden geistig erfrischt und gestärkt und waren hocherfreut über den erfolgreichen Verlauf dieser überaus schönen theokratischen Versammlung in Istanbul. Der Besitzer des Kasinos war höchst zufrieden und brachte seine Wertschätzung für die Veranstaltung dadurch zum Ausdruck, daß er sogar die Miete herabsetzte, wobei er zu einigen Brüdern sagte: „Das ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich einen ganzen Tag lang nichts als Wahrheiten zu hören bekommen habe.“
An jenem Abend kamen 53 Brüder zusammen — alles Diener oder Brüder, die in nächster Zeit Diener werden mögen. Es wurden dabei von uns allen viele Probleme bezüglich der Durcharbeitung der Gebiete und der Ausbreitung der guten Botschaft vom Königreich erörtert. Der Montag diente ausschließlich Besprechungen und Zusammenkünften, die an verschiedenen Orten stattfanden. Die Zeugen Jehovas in der Türkei haben den einen Wunsch, als Bewegung anerkannt zu werden, und es ist uns sehr daran gelegen, wenn möglich, eine lokale Organisation zu gründen. Die Angelegenheit wurde mit Rechtsanwälten und mit den Personen besprochen, die an der Entwicklung einer solchen Organisation interessiert sind. Ferner traf man Vorkehrungen zur Errichtung eines neuen Zweiges, damit das Werk dort noch besser durchgeführt werden kann. Ein ansässiger Bruder, der seit zehn Jahren in der Wahrheit ist, wurde als Zweigdiener eingesetzt. Am Nachmittag und Abend besuchten wir einige Gruppen von Freunden, die in verschiedenen Wohnungen zusammengekommen waren. Auf diese Weise hatten wir Gelegenheit, zu 188 Personen in acht verschiedenen Wohnungen zu sprechen.
Die Aufseher, die das Werk in Istanbul betreuen, sind sehr glücklich. Es befinden sich auch einige Gilead-Absolventen dort, und es war eine wahre Freude, mit ihnen und den anderen Brüdern zusammenzusein und zu sehen, welche Fortschritte das Werk in den letzten paar Jahren gemacht hat. Wie überall, so war auch in der Türkei die Zeit, die wir mit den Brüdern verbringen durften, zu kurz, aber wir hatten noch in anderen Ländern zu tun. So verließen wir am 11. Dezember die Türkei, um als nächstes in Beirut, Libanon, haltzumachen. (Wir kehrten nicht nach Athen zurück, weil uns die Nachricht erreicht hatte, daß uns das britische Konsulat in Athen keine Visa für Zypern ausstelle, und so flogen wir direkt weiter.) Als wir drei um Mitternacht in Beirut ankamen, wurden wir von etwa dreißig Brüdern und Schwestern empfangen.
LIBANON
In Beirut gab es eine Anzahl Probleme zu erledigen. Einige Monate vorher war ein neuer Zweigdiener ernannt worden; und es gab manches in Verbindung mit dem Zweigbüro zu tun, auch mußte dem Zweigdiener die Leitung des Büros erklärt werden. Eine weitere Angelegenheit, die der Aufmerksamkeit bedurfte, war das Verbot des Wachtturms, das etwa sechs Monate zuvor erlassen worden war. Überdies nahm natürlich der Kongreß einen Teil unserer Zeit in Anspruch.
Der Kongreß der Zeugen Jehovas in Beirut begann am Freitag. Ich hatte eine Zusammenkunft mit den Missionaren. Außerdem hatte ich das Vorrecht, während meines Besuchs zu sämtlichen Pionieren und Sonderpionieren zu sprechen und mich während des Kongresses selbst mit vielen Brüdern zu unterhalten. Am Sonnabend waren 331 Personen anwesend, und am Sonntag erschienen 551 zum öffentlichen Vortrag, zwanzig wurden getauft. Darüber freuten sich die Kongreßbesucher, denn sie konnten darin nun die Früchte ihrer Zeugnistätigkeit sehen. Der Kongreß in Beirut war für alle Versammlungen in Libanon vorgesehen; doch es kamen auch viele Besucher aus Syrien, Jordanien und anderen arabischen Staaten. Den Brüdern in Tripolis jedoch war sehr daran gelegen, daß wir dort hinauf kämen; so reservierten wir den Montag hierfür. Zu unserer Überraschung hatten sich 291 Personen im Königreichssaal eingefunden, so daß er zum Überfließen voll war.
Wie erwähnt, war eines der Probleme das Verbot des Wachtturms sowie die Frage, wie wir die freie Veröffentlichung dieser Zeitschrift in Libanon wieder erwirken könnten. Einer der Brüder gab sich alle erdenkliche Mühe, um für mich einen Besuch beim Ministerpräsidenten zu vereinbaren, und so begaben wir uns — drei Brüder aus Libanon, ein Missionar und ich — am Dienstagvormittag, um 10.30 Uhr, zum Ministerpräsidenten und hatten eine vorzügliche Unterredung mit ihm. Wir legten Herrn Sami Solh den Zweck unseres Besuches klar und deutlich dar und machten ihn darauf aufmerksam, daß die einzigen bedeutenden Länder in der Welt, die den Wachtturm verboten hätten, Rußland und die Länder hinter dem Eisernen Vorhang sind und daß wir sehr überrascht seien, festzustellen, daß ein freies Land, wie Libanon, diese Publikation verbiete und so die Pressefreiheit unterdrücke. In dem Verbot hieß es auch unter anderem, die Zeugen Jehovas unterstützten den Zionismus und seien Pro-Zionisten, doch konnten wir ihm bald klarmachen, daß Jehovas Zeugen und der Zionismus nichts miteinander zu tun haben. In der Tat nehmen die nach Palästina zurückkehrenden Juden den Namen Jehova nicht an, noch sprechen sie ihn aus. Ja, sie sprechen das Wort nicht einmal gemäß der hebräischen Aussprache aus, wogegen Jehovas Zeugen den Namen des allein wahren Gottes in der ganzen Welt freimütig und freudig verkündigen. Die Juden verbieten es, den heiligen Namen auszusprechen; wie könnten sie also in irgendeiner Weise mit Jehovas Zeugen, die diesen Namen bis an die Enden der Erde bekanntgemacht haben, in Verbindung stehen?
Der Ministerpräsident rief dann seinen Sekretär und bat ihn, das Gesetz, durch das die Zeitschrift Der Wachtturm verboten wurde, vorzulegen. Dieses wurde in den nächsten paar Minuten gründlich durchgesprochen. Dann ließ er auch den Chef des Informationsamtes kommen, der das Gesetz abgefaßt hatte, und es folgte eine weitere Besprechung mit diesem. Am Schluß der halbstündigen Unterredung wies der Ministerpräsident den Chef des Informationsamtes an, alles zu tun, was er für Jehovas Zeugen tun könne. Dann bat er uns alle, diesem in sein Büro zu folgen, wo weitere Besprechungen stattfanden. Es war ein vielversprechender Besuch, und wir hoffen aufrichtig und beten, daß das Verbot aufgehoben werde und die Zeitschrift Der Wachtturm wieder frei zirkulieren kann. Der Chef des Informationsamtes hatte persönlich eigentlich nichts gegen die Zeitschrift oder das Werk der Zeugen Jehovas einzuwenden. Er sagte, es sei ihm bekannt, daß wir über das Wochenende einen sehr großen Kongreß in Beirut veranstalteten, daß wir immer noch von Haus zu Haus gingen, um die gute Botschaft von Gottes Königreich zu verkündigen, und daß wir unsere Bibelstudien durchführten, und weder er noch irgend jemand anders in Beirut hege die Absicht, uns an unserem Werk zu hindern. Es sei besonders von der katholischen Kirche ein gewisser Druck ausgeübt worden, ja, es seien von katholischer Seite so viele Proteste gegen die Zeitschrift Der Wachtturm eingegangen, daß man es für ratsam gehalten habe, ein Verbot zu erlassen, um diese Seite zu beruhigen. Eigentümlich ist jedoch, daß in dem Gesetz nichts von den Katholiken gesagt wurde, sondern daß es darin lediglich hieß, wir seien Pro-Zionisten. Das zeigt, daß die Katholiken froh waren, jemand anders die Schuld für das Verbot des Wachtturms zuzuschieben, und daß sie darauf ausgingen, die Zeugen Jehovas mit den israelitisch-arabischen Streitigkeiten in Zusammenhang zu bringen und sie so in Libanon in ein schlechtes Licht zu stellen. Wir konnten den Regierungsbeamten dieses Landes jedoch ein gutes Zeugnis geben. Sie waren alle Moslems, waren sehr höflich und gaben uns hinreichend Gelegenheit, unsere Gedanken zu äußern und für unsere Sache einzutreten.
Ich hatte die Absicht, von Libanon aus nach Bagdad und Teheran weiterzureisen, aber wegen der Schwierigkeiten in Syrien und den anderen arabischen Staaten flogen von Beirut aus keine Flugzeuge direkt dorthin, und es blieb, um nach dem Osten zu gelangen, nur der Rückweg nach Istanbul offen. In Beirut trennte sich Bruder Hoffmann gemäß seinem Reiseprogramm von uns, da seine Reise nach Kairo, Ägypten, weiterging. Erst wenige Tage vor unserer Ankunft war der Flugverkehr zwischen Beirut und Kairo wieder aufgenommen worden.
Am Mittwoch, dem 19. Dezember, reisten Bruder Franz und ich nach Istanbul ab, um von dort mit einem Anschlußflugzeug nach Pakistan zu fliegen. Es stellte sich aber heraus, daß wegen des dichten Nebels über dem ganzen europäischen Kontinent und besonders über England der gesamte Luftverkehr über Europa lahmgelegt war. Die schlechten Wetterverhältnisse dauerten zwei Tage an, und es trafen in Istanbul keine Flugzeuge vom europäischen Kontinent ein. Wir mußten deshalb in Istanbul warten, und wir freuten uns, noch ein wenig mit unseren Freunden zusammenzusein und die Gelegenheit zu haben, einige der interessanten Sehenswürdigkeiten der Stadt zu besichtigen, wie den Palast des Sultans, das Museum und einige der sehr interessanten Moscheen; auch machten wir eine Fahrt im Auto den Bosporus entlang. Von der nördlichsten Stelle des Bosporus aus sieht man, nordwärts blickend, über das Schwarze Meer hinüber — nach Rußland. Unwillkürlich mußten wir an unsere Brüder denken, die wegen ihrer Treue und Standhaftigkeit in jenem Lande, das an die Türkei angrenzt, in Konzentrationslagern und Gefängnissen zurückgehalten werden. Nach zwei Tagen der Spannung und des Wartens konnten Bruder Franz und ich spät am Freitagnachmittag, dem 21., schließlich weiterreisen. Wir hofften, daß unser Flugzeug in Teheran haltmachen würde, denn ich hatte den Brüdern dort mitgeteilt, daß wir mit einem Flugzeug der Pan American Airways reisten und daß sie zum Flugzeug kommen sollten, das dort eine Stunde Aufenthalt hätte, um Brennstoff aufzunehmen, und ich sie so wenigstens während dieser kurzen Zeit sehen könnte. Als sich unser Flugzeug jedoch über Teheran befand, traf die Nachricht ein, daß bei der tiefen Wolkendecke und dem Schneetreiben eine Landung sehr gefährlich wäre. So beschloß der Flugkapitän, umzukehren Und südwärts in Richtung Bagdad zu fliegen. Hier landeten wir in den frühen Morgenstunden, aber da wegen der Suezkrise die Lage gespannt war, durfte außer dem Flugkapitän niemand das Flugzeug verlassen. Während getankt wurde, umstellten Soldaten das Flugzeug, und dann mußten wir gleich nach unserem Bestimmungsort, nach Karatschi, weiterfliegen.
QUARANTÄNE
Wir hatten erwartet, zwei Tage früher als geplant in Karatschi einzutreffen; aber da das schlechte Wetter in Europa den Flugverkehr beeinträchtigt hatte, trafen wir zwei Tage später ein. Niemand erwartete uns im Flughafen. Ich hatte einen Platz reservieren lassen, um nach Lahore weiterzufliegen, wo der Kongreß stattfinden sollte und wo ich auch mit den Brüdern zusammenkommen, das Zweigbüro inspizieren und mit den Missionaren sprechen konnte. Bruder Franz hätte nach Delhi, Indien, weiterreisen sollen, aber bei unserer Ankunft in Karatschi erlebten wir etwas, was uns nicht gerade angenehm war. Alle Passagiere stiegen aus und begaben sich in das Flughafengebäude, um sich den Formalitäten der Gesundheits-, Einwanderungs- und Zollbehörde zu unterziehen. Vor allem ließ man uns etwa eine Stunde warten. Dann wurde uns mitgeteilt, daß wir uns in die Quarantäne-Station begeben sollten, wo wir alle — die durchreisenden Passagiere und jene, die ihren Bestimmungsort erreicht hatten — etwa eine weitere Stunde warten mußten. Schließlich erfuhren wir, daß der Gesundheitsbeamte der Meinung war, es seien nicht die nötigen Formalitäten beobachtet worden, das heißt, daß für das Flugzeug, mit dem wir flogen, beim Abflug in Prestwick, Schottland, kein für Gelbfieber gültiger Gesundheitspaß ausgestellt worden sei. Deshalb wurden wir alle unter Quarantäne gestellt. Man kann sich denken, wie aufgeregt alle waren, denn viele hatten Verabredungen in Karatschi und wollten Anschlußflugzeuge erreichen. Schon zwei Tage Verspätung und jetzt noch unter Quarantäne!
Schließlich entschied der Gesundheitsbeamte, daß alle, die im Besitz eines für Gelbfieber gültigen Impfzeugnisses waren, weiterreisen könnten. Ich besaß ein solches Zeugnis, Bruder Franz jedoch nicht, da er nicht damit gerechnet hatte, in ein Gebiet zu kommen, in dem das Gelbfieber herrscht.
Deshalb wurden er und fünfzehn andere Passagiere zurückbehalten, da auch sie kein Zeugnis hatten (ein solches wird sehr selten benötigt — ausgenommen in gewissen Teilen Afrikas). Ich bedauerte das sehr, und es tat mir leid, weil ich nicht wußte, wie lange sie aufgehalten würden. Ich ging aber durch die Paßkontrolle und den Zoll und traf Vorkehrungen, um am Nachmittag nach Lahore weiterzufliegen. Dann kehrte ich zurück, um Bruder Franz in der Quarantäne-Station zu besuchen. Ich fand ihn, stieg auf ein Fensterbrett und unterhielt mich eine Weile mit ihm. Man hatte ihm und auch mir gesagt, daß sie möglicherweise neun Tage unter Quarantäne bleiben müßten, und das bekümmerte uns beide, denn Bruder Franz sollte auf seiner Weltreise zu festgesetzten Zeiten in Indien, Burma und Thailand (Siam) sein. Wir kamen uns hilflos vor, aber ein Herr unserer Reisegesellschaft, der mit dem amerikanischen Konsul in Lahore bekannt war, setzte sich unverzüglich mit der Gesandtschaft in Verbindung. Die Organisation der Pan American und auch die amerikanische Regierung nahmen sich dieser Angelegenheit unverzüglich an, in der Hoffnung, diese Leute frei zu bekommen, denn es war wirklich lächerlich, daß man das Flugzeug nicht freigab. Es lag ein gültiger Gesundheitspaß vor, und er wurde dem Gesundheitsbeamten auch ausgehändigt, aber dieser erkannte ihn nicht an, weil er (wie ich von einem Beamten der PAA erfuhr) in Schottland, statt in London, ausgestellt worden war.
In den nun folgenden Stunden — von 10 bis 16 Uhr, dem Zeitpunkt, da ich nach Lahore weiterreisen mußte — fuhr die Ambulanz mehrmals bei der Quarantäne-Station vor und nahm jedesmal einige Personen mit. Bis zu der Zeit, da ich wegging, war Bruder Franz noch nicht ins Krankenhaus gebracht worden. Als ich mich von ihm verabschiedete und das Flugzeug bestieg, war ich wirklich traurig und fühlte mich hilflos. Ich wußte, daß ich sogleich nach meiner Ankunft in Lahore mit Leuten in Verbindung treten konnte, die etwas für ihn unternehmen würden, sofern dies überhaupt möglich war.
Als ich spät abends in Lahore eintraf, veranlaßte ich Bruder Pope, den Zweigdiener von Pakistan, einen guten Freund von uns in Karatschi anzurufen, um sich zu erkundigen, was für Bruder Franz getan werden könne. Am nächsten Morgen mußten wir uns auf den Weg zum Kongreß begeben, und als ich zu Fuß auf der Hauptstraße von Lahore zur Versammlungsstätte ging, fuhr ein Bruder auf einem Fahrrad herbei und überreichte mir ein Telegramm. Ich öffnete es; es war von Bruder Franz und lautete: „HEUTE NACHT FREIGELASSEN.“ Mir hüpfte das Herz vor Freude, und ich dankte Jehova, daß Bruder Franz wieder frei war und seine Reise fortsetzen konnte, um seinen Brüdern in anderen Ländern zu dienen. (Als ich später nach Karatschi zurückkam, erfuhr ich von Bruder Britain, daß er Bruder Franz schließlich vor dem indischen Flugbüro in Karatschi getroffen habe, und er sagte, Bruder Franz sei sichtlich erfreut gewesen, einen Bruder zu sehen.) Es war eine gute Botschaft, zu hören, daß er sich nun auf der Reise nach Delhi und den beiden Kongressen in jenen Teilen Indiens befände. Damit war dieses Erlebnis zu Ende; in der nächsten Ausgabe werde ich über Lahore und den dortigen Kongreß berichten.
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WBBR von der Watch Tower Bible and Tract Society verkauftDer Wachtturm 1957 | 15. Juli
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WBBR von der Watch Tower Bible and Tract Society verkauft
DER Rundfunk hat beim Predigen des Reiches Gottes in den vergangenen dreißig Jahren eine große Rolle gespielt. Am 24. Februar 1924 begann die nichtkommerzielle Radiostation WBBR, die der Watch Tower Society gehörte, in der Stadt New York ihre Sendungen auszustrahlen.
Damals bestand ein großes Bedürfnis nach einer solchen Radiostation sowie nach weiteren, die sich die Gesellschaft in späteren Jahren an verschiedenen Orten in den Vereinigten Staaten erwarb. Die Radiosender wurden zu dem Zwecke benutzt, „diese gute Botschaft vom Königreich“ in großen Bevölkerungszentren zu predigen. In jenen Tagen, das heißt in den 1920er Jahren, gab es noch nicht so viele Haus-zu-Haus-Verkündiger, die die Bevölkerung der Großstädte mit der Königreichsbotschaft erreichen konnten, und der Rundfunk war das gegebene Mittel dazu. Millionen von Wohnungen waren mit Empfangsapparaten versehen, und so konnten die Leute die Wahrheit hören.
Seit 1924 haben sich indes die Verhältnisse geändert, besonders in der Stadt New York. Damals, im Jahre 1924, gab es nur eine einzige Versammlung der Zeugen Jehovas, die annähernd 200 Verkündiger zählte, und diese Brüder hatten das ganze Gebiet von Long Island, Brooklyn, Queens, Bronx, Manhattan, Staten Island und Teile von New Jersey, also Millionen von Menschen, zu bedienen. So dachte man damals, man könne die Millionen am raschesten durch die Benutzung einer Radiostation erreichen, und jahrelang wurde dann die Radiostation WBBR hierfür benutzt. Um das Jahr 1940 bedienten nur 1548 Verkündiger die Stadt New York, was bedeutet, daß es nicht genügend Versammlungsverkündiger oder Vollzeitpioniere gab, um dieses dichtbevölkerte Gebiet zu betreuen.
Heute aber, im Jahre 1957, gibt es mehr als 7000 Verkündiger, ja im Dezember 1956 erreichten die 62 Versammlungen der Stadt New York eine neue Höchstzahl von 7256 Versammlungsverkündigern. Dazu kommen noch 322 Pioniere, die in diesem ganzen Gebiet arbeiten. Heute können wir den Leuten durch Heimbibelstudien unsere Aufmerksamkeit schenken. Laut Berichten wurden im Jahre 1940 anhand von Grammophonvorträgen und einer Frage- und Antwort-Broschüre Heimbibelstudien in begrenztem Umfange durchgeführt, doch jetzt werden wöchentlich mehr als 5000 Bibelstudien anhand von Büchern, Broschüren und Zeitschriften als Hilfsmittel zum Studium abgehalten.
Die große Geldsumme, die nötig war, um die Radiostation zu betreiben, kann nun sehr gut für das Missionar- und Sonderpionierwerk in anderen Ländern und auch in Amerika verwendet werden. Daher hat die Gesellschaft beschlossen, die Radiostation WBBR zu verkaufen, und sie hat dies am 15. April 1957 bereits getan. Die Station WBBR hat ihren Zweck erfüllt und den Interessen des Reiches Gottes gut gedient. Wir freuen uns, daß so viele neue Zeugen Jehovas hervorgetreten sind, um das Predigt- und Unterweisungswerk durchzuführen, das so notwendig ist, um dem Volke eine Erkenntnis der Wahrheit zu vermitteln. Die Menschen können über Radio nicht so gut Fragen stellen, wie es jetzt durch persönlichen Kontakt in den Studien, die in ihrem Heim anhand ihrer eigenen Bibel durchgeführt werden, möglich ist.
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