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Trotz Widerstand gedeiht die reine Anbetung in den östlichen MittelmeerländernDer Wachtturm 1952 | 1. November
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Trotz Widerstand gedeiht die reine Anbetung in den östlichen Mittelmeerländern
Ein Bericht von N. H. Knorr, dem Präsidenten der Watch Tower Bible and Tract Society, über eine Vortragsreise durch Südeuropa, den Mittleren Osten und Indien.
NACH der Versammlung verbrachten wir noch einige Tage in Rom. Ich konnte mit den Missionaren und Kreisdienern manche Probleme besprechen und die Dinge im Zweigbüro der Gesellschaft überprüfen wie auch Anweisungen erteilen für das Werk, das in Italien noch zu tun ist. Der Besuch im Bethelheim in Rom verlief recht angenehm, und ich war froh, zu sehen, wie hübsch das Heim und der Garten darum herum instandgehalten werden.
Der Donnerstag, 13. Dezember, kam allzuschnell herbei. Wir erhoben uns um 4.15 Uhr, und alle Glieder der Familie und die Missionare, die im Heime wohnen, standen auf, um uns Lebewohl zu sagen. Sie wollten uns alle an den Flughafen begleiten, aber zu dieser frühen Morgenstunde gab es kein Transportmittel dorthin, und es war so viel praktischer, dass alle wieder zu Bett gingen und so für die Arbeit des kommenden Tages etwas mehr Ruhe erhielten. So fuhren wir denn in einem Taxi mit dem Zweigdiener nach dem Büro der Fluglinie weg.
Als wir bei Tagesanbruch am Flughafen ankamen, waren wir überrascht, dort zwei holländische Schwestern vorzufinden. Sie waren von Holland zur Versammlung gekommen, doch hatten wir nicht erwartet, sie am Flughafen zu sehen, und sie waren da, um uns Lebewohl zu sagen. Wir fragten, wie sie denn dorthin gelangt seien, und sie sagten, sie seien am Abend zuvor hinausgegangen und die ganze Nacht im Warteraum geblieben.
Um 7.20 Uhr waren wir unterwegs nach Athen, Griechenland. Während wir der Westküste Italiens entlangflogen, sahen wir die durch den Zweiten Weltkrieg berühmt gewordenen Küsten und die kleinen Häfen und alten Dörfer. Nicht lange, und wir flogen schon über Neapel. Da erblickte man den Vesuv und daneben, an seinem Fusse, die Ruinen von Pompeji. Darüber hinaus erstreckte sich eine Bergkette, deren Gipfel mit Schnee bedeckt waren. Die Luft war klar, und wir konnten drunten Hügel und Täler sehen, während wir nicht weit von Catanzaro die „Zehe“ des stiefelförmigen Italiens überquerten und über das Ionische Meer flogen. Es sah warm aus, als die Sonne das Wasser hell beschien und die Wolken zerstreute. Doch sobald wir uns Griechenland näherten, konnten wir gegen Norden und Süden des Golfes von Korinth auf dem ganzen Land eine schwere Schneedecke sehen, und wir wussten: dort unten war es kalt.
ATHEN, GRIECHENLAND
Wir trafen um 11.50 Uhr, Athener Zeit, im Flughafen von Athen ein, und viele frohe Brüder und Schwestern erwarteten uns und begannen sogleich, uns warmherzig ihre Gastfreundschaft zu bekunden. Ein Wagen wartete auf uns und führte uns der Meeresküste entlang, der Stadt Athen entgegen. Jenseits der Bucht sahen wir Piräus und zu unserer Rechten die schneebedeckten Hügel jenseits von Athen. Die Ruinen des Parthenons, dort auf der Akropolis im Zentrum des Stadtgebiets, erglänzten im hellen Sonnenschein. Es wurde uns gesagt, in Athen sei Schnee eine Seltenheit. Das Wetter am Tage vor unserer Ankunft war schlecht gewesen, nun aber schien die Sonne hell, und alle fühlten sich glücklich.
Bruder Idreos, der Zweigdiener, hatte für die Tätigkeit von der Zeit unserer Ankunft an, bis wir wieder abreisen sollten, ein Programm aufgestellt. Jede Minute wurde nützlich verwendet. Zuerst meldeten wir uns im Hotel und gingen dann weiter ins Bethelheim, wo wir mit der Familie das Mittagessen einnahmen. Es war eine Freude, wieder bei ihnen zu sein. Diesmal waren die Räumlichkeiten im Gebäude etwas grösser, denn gewisse Einrichtungen waren während der Jahre gemacht worden, um im Gebäude mehr Raum zu gewinnen. Wenn die Brüder dort auch eine hübsche Wohnung haben, ist diese doch nicht gross genug, um alle Familienglieder unterzubringen, so dass es nötig ist, eine Anzahl ausserhalb zu logieren.
Der Druck des griechischen Wachtturms und der Bücher und Broschüren für den lokalen Gebrauch wird von der Zweigstelle in Athen besorgt. An jenem Nachmittag besuchten wir die zwei Räumlichkeiten, wo das Drucken erfolgt, denn es ist unmöglich, eine Stätte zu finden, die gross genug ist, um die ganze Druckerei unterzubringen. Alle Publikationen werden zuerst in Handsatz gesetzt, und dann werden die Formrahmen hinübergetragen in die Druckerei. Eine Geschäftsfirma besorgt das Setzen gewisser Dinge auf der Linotype, aber das grössere Quantum Arbeit geschieht durch Handsatz. Nachdem die Bogen gedruckt sind, werden sie gebündelt und an die erste Stelle zurückgebracht. Wir sahen, wo gesetzt wird, und wo das Falzen und Heften vor sich geht. Dies bereitet viel Extraarbeit, doch kann dies nicht geändert werden, bis wir ein Gebäude bekommen können, wo die ganze Einrichtung untergebracht oder bis etwas von der Gesellschaft erbaut werden kann. Dies bedeutet ein grosses Problem.
Wir begaben uns ins Zweigbüro zurück, um die vielen Fragen zu besprechen, die in Griechenland aufgetaucht sind. Das Werk kann in diesem Lande nicht so frei getan werden wie in andern demokratischen Ländern. Die griechischen Behörden sind sehr von der griechisch-orthodoxen Kirche, der Staatskirche, beeinflusst, und jahrelang ist Jehovas Zeugen keine Bewilligung zu einer öffentlichen Versammlung erteilt worden. Es ist unmöglich, Königreichssäle zu erhalten und dort die Brüder zur reinen Anbetung zu versammeln. So müssen denn alle Christen, die Gott dienen möchten, mit der Möglichkeit rechnen, verhaftet und ins Gefängnis geworfen zu werden. Viele kleine Versammlungen werden von Zeit zu Zeit durch die Polizei gesprengt, und die Anklage wird vorgebracht, Jehovas Zeugen machten andere zu Proselyten, was der Verfassung widerspräche. Wenn es sich aber herausstellt, dass alle Anwesenden Zeugen Jehovas sind und denselben Glauben haben, werden sie gewöhnlich freigelassen, nachdem sie eine Nacht im Gefängnis verbracht haben. Die Brüder und Schwestern haben keine Angst wegen dieser Unannehmlichkeit, die sie dadurch bei ihrer täglichen Arbeit erleiden, denn sie wissen, dass die Anbetung Gottes gemäss seinen Geboten wichtiger ist als das allfällige Verlieren einer Beschäftigung.
ZUNAHME TROTZ VERFOLGUNGEN
Der Eifer und die Entschlossenheit, mit dem Predigen des Evangeliums voranzugehen, die wir bei den griechischen Brüdern vorfanden, ist etwas Bewundernswürdiges. Im Jahre 1947, als ich das Zweigbüro besuchte und mit einigen Gruppendienern sprach, gab es im Durchschnitt 1891 Verkündiger. Trotz den Verfolgungen und dem Widerstand gegen das Werk werden die „andern Schafe“ eingesammelt, und im Jahre 1951 gab es 3368, die in allen Teilen Griechenlands regelmässig die gute Botschaft predigen. Sie erreichten eine neue Höchstzahl von 4163. Es erfordert wirklichen Mut auf seiten dieser Verkündiger, das Werk voranzutreiben. Im Jahre 1947 gab es nur fünf Pioniere, und nun gibt es deren 27. Man hat dort einige Bücher und Zeitschriften zum Wirken, kann diese aber den Verkündigern nicht durch die Post zustellen. Sie müssen auf andere Weise den Empfängern im Lande abgeliefert werden. Jehova segnet jedoch ihre Anstrengungen, ihre Probleme zu überwinden.
Am ersten Abend unseres Dortseins besuchten wir die Dienstversammlung und die theokratische Dienstamtschule der Bethelfamilie, was alles in Griechisch vor sich ging, doch war es interessant zuzuschauen, denn wir sahen, wie sie selbst in kleinen Versammlungen Demonstrationen abhielten und den Anwesenden sehr lehrreiche Aufschlüsse über ihr Benehmen im Felde gaben. Nach dieser Versammlung sprach ich eine Weile zur Familie, und darauf machte Bruder Henschel einige Bemerkungen, die alle sehr schätzten.
Am nächsten Tag sprachen wir mit dem Rechtsanwalt der Gesellschaft über manche Rechtsfragen und bereiteten etwas vor, das wir der amerikanischen Gesandtschaft unterbreiten wollten, um zu sehen, was auf dem Wege der Berufung auf verfassungsmässige Rechte für Jehovas Zeugen in Griechenland getan werden könnte. Eine willkürliche Entscheidung eines Departementes der griechischen Regierung besagt, dass alle Publikationen der Watch Tower Society und der Zeugen Jehovas mit „Ketzerei der Zeugen Jehovas“ bezeichnet werden müssten. Gegenwärtig werden sie gemäss Gesetz als „Publikationen der Zeugen Jehovas“ bezeichnet. Die protestantischen Organisationen können ihre Literatur verbreiten, wenn sie nur mit dem Namen der Organisation gestempelt oder als „Glaube“ oder „Dogma“ einer Organisation bezeichnet ist. Für Jehovas Zeugen aber besteht man darauf, dass das Wort „Ketzerei“ verwendet werde. Es gibt kein Gesetz, das den Gebrauch dieses Wortes verlangt, aber das Postamt nimmt unsere Publikationen ohne diesen Vermerk nicht an. Dies bereitet der Gesellschaft in der Verbreitung der Publikationen grosse Kosten, besonders für die Abonnements, und so wollen wir sehen, was getan werden kann. Bestimmt ist kein Einwand dagegen zu erheben, dass in die Publikationen die Worte „Glaubensanschauungen der Zeugen Jehovas“ eingestempelt werden, denn wir sind stolz auf das, was wir glauben, weil es auf Gottes Wort der Wahrheit beruht.
An jenem Nachmittag fand das grosse Ereignis des Besuches in Griechenland statt. Der Zweigdiener hatte Anstrengungen gemacht, Erlaubnis für eine besondere Versammlung der Zeugen Jehovas in einem Theater in der Stadt zu erhalten, und die Bewerbung darum war bei der Polizei eingereicht worden. Der Zweigdiener war nicht imstande, eine befriedigende Antwort zu erhalten, und als er am Tage unserer Ankunft ins Hauptquartier der Polizei kam, wurde ihm gesagt, es müsse noch auf die „Ansicht“ des Erzbischofs gewartet werden, und er müsse Geduld haben. So war es nicht möglich, einen regelrechten Kongress abzuhalten.
DAS TREFFEN MIT DEN BRÜDERN
Die zweite Lösung bestand darin, überall im Bezirk Athen viele der Brüder zu besuchen. Gemäss einem Programm wurde ich in einem Taxi von einer Wohnung in die andere geführt, um etwa zwanzig Minuten zu den Brüdern zu sprechen. Da gab es Gruppen von vierzig bis zu mehr als hundert, die zu gewissen Stunden des Nachmittags in verschiedenen Wohnungen zusammenkamen. Bisweilen mussten wir von einem Haus ins nächste ziemlich weit fahren. All dies geschah von 13 bis 19.15 Uhr. Bruder Henschel folgte mir in jede dieser Wohnungen, und auch er sprach etwa zwanzig Minuten lang durch einen Dolmetscher. Auf diese Weise wurde allen Brüdern, die erreicht werden konnten, Aufmerksamkeit, geistige Ermahnung und Ermunterung zuteil.
Es war eine der gesegnetsten Erfahrungen unseres Lebens, und auf diese Weise sprachen wir während über sechs Stunden zu 905 unserer griechischen Brüder. Es war herzerquickend, an den Gesichtern all dieser treuen Diener des Herrn die Freude abzulesen. Man sprach nicht wie von einem Podium aus, wobei die Zuhörer in einiger Entfernung bleiben, sondern befand sich mitten in einer Gruppe von Leuten, die mit scharfem Blick und aufmerksamem Ohr jedes gesprochene Wort und alles, was getan wurde, begierig verfolgten. Wir hatten keine Zeit, ihnen die Hand zu schütteln oder einzelnen besondere Grüsse auszurichten. Wir traten lediglich ins Haus, legten gewöhnlich nicht einmal den Mantel ab und waren schon am Sprechen. Die Verkündiger schätzten die lieben Grüsse der Brüder aus der weiten Welt und waren hochbeglückt, aus dem Hauptbüro direkte Nachrichten zu erhalten und zu hören, dass ihr Eifer für ihre Brüder in andern Ländern eine Hilfe bedeute, und dass ihre Brüder in diesem grossen Kampf um die Freiheit und die Verkündigung der Botschaft vom Königreich Schulter an Schulter mit ihnen kämpfen. Nie werden Worte die Freude beschreiben können, die sie und wir dabei empfanden!
Was irgend nach diesem Erlebnis in Griechenland geschehen könnte, dürfte, was Erregung und Freude betrifft, im Vergleich dazu nur „mässig“ sein! Diese Gruppen hatten durch ihr Zusammenkommen alle das Verhaftetwerden riskiert, hatten aber keine Furcht. Sie wollten weitere lebengebende Erkenntnis in sich aufnehmen. Ihre einzige Klage war, es sei zu kurz. Der Tag endete mit einem späten Abendessen im Bethelheim inmitten einer zufriedenen, glücklichen Familie. Der Tag hatte für die Verkündiger in Griechenland Erfolg bedeutet und wunderbare Stunden eines geistigen Festmahles gebracht. Dies erfreute das Herz von Bruder A. Karanassios, des früheren Zweigdieners, der auf seinem Krankenbette lag. Er hatte gesehen, wie das Werk die Jahre hindurch in Griechenland zunahm, und nun, in seinem Alter, da er sich dem Ende seines irdischen Laufes näherte, freute er sich über die Segnungen und den Schutz, den Jehova zu diesem guten Werke gegeben hatte.
PLÄNE ZUR AUSDEHNUNG
Die Arbeit am Samstag begann mit einer Betrachtung des biblischen Morgentextes, wobei alle Glieder der Bethelfamilie zum Frühstück erschienen, und darauf folgten Besprechungen über Probleme sowie der Besuch von Grundstücken, die von der Gesellschaft für den Bau eines Hauses zur Unterbringung einer lokalen Druckereianlage, eines Büros und der ganzen Bethelfamilie gekauft werden konnten. Diese Sache wurde ernsthaft erwogen, und es ist zu hoffen, dass die Gesellschaft Anstalten treffen kann, um ein Grundstück zu erlangen und ein Gebäude zu erbauen, was das Werk in Griechenland erleichtern würde.
Mittags sprachen wir bei der amerikanischen Gesandtschaft vor und unterbreiteten einem freundlichen Beamten unsere Probleme. Er versicherte uns, er werde die ihm gegebene Mitteilung an jene weiterleiten, die in der griechischen Regierung die Autorität innehaben und werde sehen, was sich tun lasse, um die Schwierigkeiten, denen wir begegnen, etwas zu beheben. Es war interessant, mit ihm zu reden und zu sehen, wie gut er die Einstellung der Beamten der griechisch-orthodoxen Kirche zu unserm Werk und diejenige anderer, nicht-orthodoxer Leute in Griechenland kannte. Seine Erklärung über ihren Freiheitsbegriff war aufschlussreich.
Später an jenem Nachmittag hielten wir Besprechungen ab mit den Gruppendienern aus vielen Städten Griechenlands wie auch von den Inseln des Ägäischen Meeres und behandelten ihre Probleme, und später mit den Kreisdienern, die die Gruppen in ganz Griechenland besuchen. Sie stellten viele Fragen, und das Für und Wider ihrer Probleme wurde besprochen. Die Zusammenkunft begann um 13.30 Uhr und war um 17.45 Uhr zu Ende. Es waren 67 Personen anwesend. Einige der Vollzeitverkündiger stellten Fragen über den Besuch der Gileadschule, und es ist zu hoffen, dass weitere Verkündiger aus Griechenland dieses Vorrecht bald haben werden.
Der Sonntag war der Tag unserer Abreise, und unsere geschäftigen Tage in Athen eilten schnell vorbei. Weitere Zeugen Jehovas sollten besucht werden, und Istanbul war der nächste Halt. So begaben wir uns denn zum Flughafen. Etwa 55 begleiteten uns dorthin, und wir waren über den fruchtbaren Besuch bei ihnen glücklich. In der Tat, sie hatten eine Versammlung gehabt und waren entschlossen, fleissig weiterzudrängen und den „andern Schafen“ behilflich zu sein, vor der endgültigen Schlacht von Harmagedon Stellung zu beziehen. In ihrem Sinn gab es keinen Zweifel, dass die neue, durch Christus Jesus beherrschte Welt das ist, was benötigt wird, und sie werden die Botschaft predigen, auch wenn es bedeuten sollte, dass die Regierungen dieser Erde ihnen das Leben nehmen. Eine Anzahl Brüder in Griechenland haben ihr Leben bereits verloren. Manche sind dort im Gefängnis gewesen und sind es noch. Viele werden verfolgt. Aber das Wort des Herrn zeigt, dass, wenn die Glieder seines Volkes zerstreut werden, sie überall hingehen und das Evangelium predigen. Der Versuch, Jehovas Zeugen in Griechenland auseinanderzusprengen, hat sich zu einem grossen Zeugnis ausgewirkt, und sie werden fortfahren, die reine, unbefleckte Anbetung des höchsten Gottes, Jehovas, zu fördern.
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IstanbulDer Wachtturm 1952 | 1. November
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Istanbul
Fortsetzung des Berichts über die Reise des Präsidenten der Gesellschaft, N. H. Knorr, und seines Sekretärs, M. G. Henschel.
AM SONNTAGNACHMITTAG, 16. Dezember, war es klar; das Wetter war gut, um über das Ägäische Meer zu fliegen. Zahlreiche griechische Inseln lenkten unsere Aufmerksamkeit auf sich, und nicht lange, nachdem wir Athen verlassen hatten, kamen wir zum Festlande der Türkei bei den Dardanellen. Das Land war mit Schnee bedeckt, denn der Tag vorher hatte der Türkei stürmisches Wetter gebracht. Die Flüge waren an jenem Tage abgesagt worden, weil die Flugzeuge im Flughafen Istanbul nicht landen konnten. Wir sahen, dass Schnee die Dörfer in den Bergen bedeckte, doch nachdem wir das Marmarameer überquert hatten und Istanbul sahen, gefiel es uns besser, denn da lag kein Schnee. Wir waren überrascht und erfreut, zwanzig Brüder im Flughafen zu sehen, die uns abholten.
Nur einige Wochen vorher waren die Brüder unterrichtet worden, dass der Präsident der Gesellschaft und sein Sekretär nach Istanbul kämen, um zu ihnen zu sprechen, und so hatten sie nur etwas mehr als vier Wochen zur Verfügung, um alle Anordnungen zu treffen und Interessierte zum öffentlichen Vortrag einzuladen, der im Saal der armenischen Kirche, welcher für den Anlass gemietet worden war, stattfinden sollte. Die Organisation der Zeugen Jehovas wird noch nicht als eine religiöse Gesellschaft anerkannt, doch kann sie Versammlungen in Gebäuden abhalten, wo reguläre religiöse Gottesdienste stattfinden. Das war der Grund, warum ein Saal in der armenischen Kirche gemietet worden war. Der Vortrag konnte nicht öffentlich angekündigt werden, sondern wurde nur durch mündliche Einladungen bekanntgeben, die an Freunde und Menschen guten Willens ergingen, welche über die gute Botschaft, das Wort des Herrn, belehrt werden. Während wir also im Bus vom Flughafen gegen die Stadt fuhren, wurde lebhaft darüber diskutiert, wie viele wohl kommen würden.
Dies war unser erster Besuch in Istanbul, und in der Dämmerung sahen wir das wellige, hügelige Ackerland ausserhalb der Stadt, die alten Mauern und die Ruinen einer alten Wasserleitung. Die Kaffeehäuser waren voll Männer. In den Schaufenstern waren runde Brotlaibe auf Gestellen aufgereiht. Die Strassen sind gepflastert, und die Trams und der weitere Verkehr schienen auf den alten, engen Strassen der Stadt nicht an ihrem Platze zu sein. Bald erkannten wir, dass das Reisen in diesem Teil der Stadt am besten zu Fuss geschieht. Fahrzeuge waren ineinandergepfercht, und man konnte recht wenig von einer Vorwärtsbewegung sehen. In den Strassen drängten sich die Leute, was das Schauen sehr interessant gestaltete. Wir fühlten uns in einer andern Welt, denn allerlei Leute aus vielen Nationen leben in Istanbul, einem Kreuzwege der Welt.
Von unserm Hotel aus gerade um die Ecke stand die armenische Kirche, wo die Versammlungen stattfinden sollten. Wie froh und überrascht waren wir alle, als wir den Saal betraten und mehr als hundert Personen dort versammelt fanden. Als die Ansprache „Ist die Religion der Weltkrise gewachsen?“ gehalten wurde, waren 150 anwesend. Die Lehrer waren überglücklich, denn sie konnten etwas von den Früchten ihrer Arbeit sehen.
Um den Zuhörern das von mir in Englisch Gesagte zu vermitteln, musste es in zwei Sprachen wiederholt werden, zuerst in Griechisch durch die Dolmetscherin Anna Matheaki, eine Gileadabsolventin, und dann durch Bruder Avrilios Kallinikou, der Griechisch, aber kein Englisch verstand und dasselbe zum Nutzen der meisten Anwesenden auf türkisch wiederholte. Alle waren sehr aufmerksam und drückten ihre Wertschätzung aus für die dargebotenen Gedanken. Ziemlich viele Akademiker waren anwesend. Nach der Versammlung folgte eine lebhafte Diskussion.
Die nächsten Tage waren arbeitsreich, indem mit den fünf Lehrern, die in Istanbul sind, über ihre Probleme Rücksprache genommen wurde. Die Probleme sind zahlreich; das Hauptproblem ist die Sprache. Eine der Lehrerinnen sagte uns von einem Studium, das sie mit vier Personen abhält: einer sei in Russland geboren, doch von ungarischer Abstammung, ein Glied der russisch-orthodoxen Kirche; seine Frau sei ein Glied der griechisch-orthodoxen Kirche und spreche Griechisch. Eine junge deutsche Dame, die im selben Hause wohnt, sei römisch-katholisch, und noch eine andere Person, welche die Versammlung besuche, sei ein deutscher Ingenieur, der vorübergehend in Istanbul weile und der lutherischen Religion angehöre. Alle vier haben eine verschiedene Anbetungsform und sprechen mehrere Sprachen. Um die Dinge richtig zu erklären, muss sich die Lehrerin bisweilen in mehreren Sprachen ausdrücken. Dies ist möglich und zeigt, dass trotz dem Sprachenproblem, womit die Lehrer in Istanbul zu kämpfen haben, das Wort des Herrn bekanntgemacht und die „andern Schafe“ gefunden werden. Eine der Lehrkräfte spricht Englisch, Griechisch, Französisch und etwas Türkisch und Spanisch, während eine andere Deutsch, Schwedisch, Französisch, Englisch und etwas Türkisch spricht.
Wenn die Lehrer sich zu ihren Studien begeben, müssen sie oft Bibeln in drei verschiedenen Sprachen mitnehmen, um fähig zu sein, für das vorgefundene Interesse recht zu sorgen. Unsere Diskussion mit den Lehrern und die Betrachtung ihrer Probleme in Verbindung mit dem Werk erwies sich als sehr interessant. Es ist zu hoffen, dass eines Tages Vorkehrungen für einen eigenen religiösen Versammlungssaal getroffen werden können, statt dass man sich im Saale einer andern Religion versammeln muss.
Ferner war es möglich, mit den Dienern der Gruppe der Zeugen Jehovas, die sich der Königreichsinteressen annehmen, zusammenzukommen. Sie hatten viele Fragen über die Organisation, und ein ganzer Abend wurde mit 14 solcher Diener zugebracht. Einer der betonten Hauptpunkte war die Notwendigkeit, dass die Diener die Herde Gottes hüten und ihr behilflich sein müssen, indem sie den „andern Schafen“ des Herrn dadurch das rechte Beispiel geben, dass sie in ihrer Tätigkeit freundlich, geduldig und fleissig sind. In der Türkei müssen die Prediger des Reiches Gottes Takt anwenden und mit denen sprechen, bei denen sie Interesse vorfinden. Man kann nicht auf die Strassen gehen, um öffentlich das Evangelium zu predigen, ja nicht einmal von Haus zu Haus, so wie dies unsere Evangeliumsdiener in den meisten andern Ländern tun können. Gemäss den besondern Gesetzen der Türkei darf man nicht umhergehen, um die eigene Form der Anbetung zu fördern. Der einzige Weg ist, die Interessierten zu suchen und mit ihnen zu studieren. Dies erfordert Geduld und wirkliches Ausharren, doch ist es gut, zu berichten, dass die zwei Schwestern im Durchschnitt mehr als 160 Stunden monatlich in ihrer Lehrtätigkeit verbringen, und jede hält wöchentlich etwa 25 Heimbibelstudien ab. Wer den Eifer hat, das Werk voranzutreiben, der wird auch die Zeit finden, es zu tun, wenn auch die Hindernisse in Istanbul grösser sind als in andern Ländern.
Am letzten Abend, da wir dort waren, wurde eine weitere Versammlung im Saal der armenischen Kirche abgehalten. Bruder Henschel und ich sprachen zu denen, welche die Leute unterrichten, die in der Türkei Interesse am Königreichswerk bekunden. Es waren 44 zugegen, und sie hatten grosse Freude. Für diese Zeugen Jehovas in der Türkei war es ganz ungewöhnlich, miteinander eine grosse Versammlung abzuhalten. Wenn wir diese Veranstaltung mit dem öffentlichen Vortrage vergleichen, zeigt es sich, dass ausser den Zeugen selbst mehr als 100 Personen guten Willens zu diesem erschienen waren.
Die türkische Sprache ist natürlich die Hauptsprache, und mit ihr kann man in der Stadt sehr gut auskommen, doch gibt es Tausende von Griechen, Armeniern, Deutschen, Spaniern, Franzosen und von noch anderer Nationalität. Istanbul ist der Mittelpunkt viel religiösen Kampfes gewesen und ist eine Stadt, wo Ost und West sich begegnen und wo die vielen Philosophien des Lebens aufeinanderstossen. Da ist nur e i n e s, was diesen Völkern Frieden und Glück bringen wird: das Königreich des allmächtigen Gottes. Verwirrung der Sprachen, Verwirrung der Ideen und Verwirrung der Religion werden beseitigt werden. Die Stadt des Altertums, wo grosse Mengen Volkes sich in den engen, steinigen Strassen drängen, und Tausende zerlumpter Bettler, die ihre Waren anpreisen, all dies wird zusammen mit dem Rest des alten Systems der Dinge durch Gottes Neue-Welt-Organisation ersetzt werden, und dann werden die Menschen frei sein, sich zu versammeln und Jehova auf der ganzen Erde anzubeten.
In der Türkei wird ein Zeugnis gegeben, doch keineswegs ein weitverbreitetes. Die sich dort befinden, sind eifrig in ihrem Dienste und haben sich zahlenmässig vermehrt. Wir wünschen ihnen Jehovas weitern reichen Segen.
Am Mittwochmorgen, 19. Dezember, kam eine Anzahl der Brüder ins BEA-Büro, um uns Lebewohl zu sagen. Die fünf Lehrer und zwei andere kamen mit zum Flughafen. Es war sehr kalt und schneite ein wenig. Dies liess uns erkennen, womit man dort in bezug auf das Wetter in dieser Jahreszeit zu rechnen hat, denn während unseres ganzen Besuches hatten wir Regen und Schnee gehabt. Doch ihr Eifer für den Herrn überwindet all dies, und Jehova schenkt die Zunahme.
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Fragen von LesernDer Wachtturm 1952 | 1. November
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Fragen von Lesern
● Was ist die unverzeihliche Sünde wider den heiligen Geist, von der Jesus sprach? — B. E., New York.
Jesus hatte eben einen dämonenbesessenen Mann geheilt, der blind und stumm war. Die Volksmengen staunten, aber die Pharisäer spotteten und sagten, Jesus habe dies durch Beelzebub getan. Jesus widerlegte ihre Behauptung, indem er zeigte, dass, wenn Satan den Satan austreibe, er wider sich selbst entzweit sei und sein Königreich nicht bestehen könne. Ferner, wenn Jesus Dämonen mittels Beelzebub austriebe, durch wessen Mittel dann ihre Söhne sie austrieben? Darauf sagte er: „Jede Art von Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben werden; aber die Lästerung wider den Geist wird nicht vergeben werden. Zum Beispiel: wer irgendein Wort wider den Sohn des Menschen redet, dem wird vergeben werden; doch wer irgend wider den heiligen Geist redet, dem wird nicht vergeben werden, nein, weder im gegenwärtigen System der Dinge noch im zukünftigen.“ — Matth. 12:22-32, NW.
Sie könnten wider den Sohn des Menschen reden und später Vergebung empfangen, weil sie die Tatsachen über ihn nicht kennten. Ihre Sünden der Unwissenheit sind verzeihlich, sofern sie der Erkenntnis der Wahrheit nicht widerstehen, wenn sie ihr gegenübergestellt werden. Indes war es anders, als die Pharisäer sagten: „Dieser treibt die Dämonen nicht anders aus, als durch den Beelzebub, den Obersten der Dämonen.“ Warum dies? Weil dies eine Sünde war wider den heiligen Geist, da offenbar eine solche Heilung, wie Jesus sie eben gewirkt hatte, nicht durch Menschenmacht erfolgen konnte. Zu sagen, es sei von Satan aus geschehen, war unlogisch, wie Jesus es ihnen zeigte. Die Pharisäer sagten nicht, solche Heilungen würden von Satan bewirkt, wenn ihre Söhne Dämonen austrieben. Warum dies nun willkürlich im Falle Jesu behaupten? Warum sagen, es sei Gottes Geist, wenn ihre Söhne es taten, jedoch die offenkundige Wirksamkeit des heiligen Geistes leugnen, wenn Jesus es tat? Warum? Weil sie die Wahrheit nicht liebten und nicht zu der wahrheitsgemässen Schlussfolgerung geführt werden wollten, dass sie falsche Lehrer seien und dass Jesus der Messias sei. Dies zuzugeben hätte für sie das Aufgeben manch selbstischer Bräuche bedeutet. Zu viele selbstische Dinge standen für sie auf dem Spiel.
So widerstanden sie der wahren Schlussfolgerung, zu der Jesu Werke sie hätten führen sollen. Mochten sie wider den Sohn des Menschen reden, wenn sie dies wünschten, dennoch hätten sie auf das Zeugnis achtgeben sollen, das seine Werke für ihn ablegten, Werke, die durch die Macht des heiligen Geistes gewirkt wurden. Jesus sprach: „Wenn ich nicht die Werke meines Vaters tue, so glaubet mir nicht; doch wenn ich sie tue, so glaubet den Werken, wenn ihr auch mir nicht glaubet.“ (Joh. 5:36; 10:37, 38, NW) Wenn sie sagten, diese Wunderwerke seien durch Satan geschehen, so sündigten sie wider den Geist. Sie lästerten Gottes Geist und sagten, er sei von Satan. Willentlich und aus selbstischen Gründen widerstanden sie der Schaustellung seiner Macht. Zu solchen sagte Stephanus: „Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herz und Ohren, ihr widerstrebt allezeit dem heiligen Geiste.“ — Apg. 7:51, NW.
Dieses Moment der Willentlichkeit an der Sünde machte diese zu einer unverzeihlichen, weil es sie unbelehrbar machte, erhaben über eine Zurechtweisung, und der göttlichen Vorkehrung zur Vergebung feind. So sagte Jesus: „Wer irgend wider den heiligen Geist lästert, hat keine Vergebung in Ewigkeit, sondern ist ewiger Sünde schuldig.“ (Mark. 3:28-30, NW) Es gibt kein Opfer, das solch willentliches Sündigen wider den heiligen Geist zudecken würde, „weder im gegenwärtigen System der Dinge noch im zukünftigen“. Dies bedeutet nicht, dass solche Pharisäer am Tausendjahr-Gerichtstag zurückkehren werden, um zu finden, dass ihnen immer noch nicht verziehen ist; dies würde zu nichts führen. Es bedeutet, dass die Wirksamkeit des Geistes Gottes dann so offenkundig sein wird wie zur Zeit, da Jesus auf Erden weilte, und dass dann, gleichwie als Jesus auf Erden war, einige gegen die offenkundige Wirksamkeit des heiligen Geistes sündigen werden, und dies besonders am Ende der Tausendjahrherrschaft, wenn Satan zur Schlussprüfung der Bewohner der Erde losgelassen wird. Solche Sünde wird auch in jener fernen Zeit noch unverzeihlich sein.
Johannes schreibt: „Wenn jemand seinen Bruder sündigen sieht, eine Sünde, die nicht todbringend ist, so wird er bitten, und er wird ihm das Leben geben, ja, denen, die nicht so sündigen, dass sie sich dem Tode aussetzen. Es gibt todbringende Sünde. Nicht hinsichtlich dieser Sünde sage ich ihm zu bitten. Alle Ungerechtigkeit ist Sünde; und doch gibt es Sünde, die nicht todbringend ist.“ (1. Joh. 5:16, 17, NW) Wenn jemand aus Unwissenheit oder wegen menschlicher Unvollkommenheiten sündigt, so ist Vergebung erhältlich. Doch für willentliches Sündigen gibt es kein sündensühnendes Opfer: „Wenn wir willentlich Sünde pflegen, nachdem wir die genaue Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, so bleibt kein Schlachtopfer für Sünden mehr übrig, sondern ein gewisses furchtvolles Erwarten des Gerichts und ein Feuereifer, der die Gegner verzehren wird.“ (Heb. 10:26, 27, NW) Für willentliches Sündigen, wobei jemand mit weit offenen Augen die unleugbare Wirksamkeit des heiligen Geistes oder der wirksamen Kraft Gottes sieht, gibt es keine Vergebung, und wir sollten nicht für die Vergebung der Sünden solcher Sünder beten. Selbst vor der Zeit Christi durfte für solche nicht Fürbitte eingelegt werden. (Jer. 7:1-16; 11:14; 14:11) Willentliche Sünder, die unaufrichtig und unbussfertig auf ihren bösen Wegen beharren und nicht willens sind, sich den Erfordernissen Gottes anzupassen, haben „keine Vergebung in Ewigkeit“, was bedeutet, dass sie zur Zeit ihres Sterbens in den zweiten Tod gehen.
Somit sehen wir, dass jemand nicht zur Klasse der Gesalbten gehören muss, um wider den heiligen Geist zu sündigen, noch muss der Geist Gottes auf ihm ruhen wie auf der Klasse der „andern Schafe“, um dagegen sündigen zu können. Manche in Satans sichtbarer Organisation sündigen wider den heiligen Geist, indem sie willentlich und absichtlich ungehorsam sind gegen das, was sie wissen, dass es in Gottes Wort geschrieben steht, und indem sie sich nicht der Neuen-Welt-Gesellschaft anpassen, wenn sie die offenkundige Wirksamkeit des Geistes Gottes auf seiner sichtbaren Organisation ruhen sehen.
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