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  • Neutral in einer konfusen Welt
    Der Wachtturm 1980 | 1. Februar
    • An alle Furchtlosen aber, die „kein Teil der Welt“ sind, läßt Jehova Gott die Einladung ergehen: „Geh, mein Volk, tritt ein in deine inneren Gemächer, und schließe deine Türen hinter dir zu. Verbirg dich für nur einen Augenblick, bis die Strafankündigung vorübergeht. Denn siehe! Jehova kommt hervor aus seiner Stätte, um das Vergehen des Bewohners der Erde wider ihn zur Rechenschaft zu ziehen, und die Erde wird gewißlich ihr Blutvergießen enthüllen und wird nicht mehr ihre Getöteten zudecken“ (Jes. 26:20, 21). Nachdem Jehova mit der Welt, die mit Blutschuld beladen ist, abgerechnet hat, wird sein rein gebliebenes Volk aus seinem auf wunderbare Weise geschaffenen Versteck hervorkommen. Es wird sich dann ewigen Friedens auf einer Erde erfreuen können, die nie wieder mit Blut, das in Kriegen und anderen Auseinandersetzungen vergossen wurde, befleckt sein wird (Ps. 46:8, 9). Dann werden alle, die „kein Teil der Welt“ waren, immerdar in Gottes neuer Ordnung leben können, indem sie seinen Willen tun (1. Joh. 2:17). Sie haben ihren Beitrag zur Geschichte neutraler Christen geleistet, die in einer konfusen Welt frei von Blutschuld geblieben sind.

  • Wir gaben nicht auf!
    Der Wachtturm 1980 | 1. Februar
    • Wir gaben nicht auf!

      Über 100 Jahre im Dienste Gottes trotz schwerer Prüfungen des Glaubens

      Von Ilse Unterdörfer erzählt

      IM September 1939 befanden wir, meine Freundin Elfriede Löhr und ich, uns im Konzentrationslager Ravensbrück. Gerade war der Zweite Weltkrieg ausgebrochen.

      Kurz bevor wir in das neuerrichtete Lager Ravensbrück gebracht wurden, hatte uns Heinrich Himmler, der Reichsführer der SS, im Konzentrationslager Lichtenburg besucht, um uns Zeugen Jehovas zu bewegen, die Treue Gott gegenüber aufzugeben und die Kriegsanstrengungen der Nationalsozialisten zu unterstützen. Wir hatten uns aber alle geweigert. Wutentbrannt hatte Himmler daraufhin geschrien: „Euer Jehova kann von mir aus im Himmel regieren, aber hier auf der Erde regieren wir! Wir werden schon sehen, wer es länger aushält, ihr oder wir!“

      Fast sechs Jahre lang hielten Elfriede und ich zusammen mit vielen unserer christlichen Schwestern unter Verhältnissen aus, wie man sie sich schlimmer kaum vorstellen kann. Doch wir Zeuginnen überlebten; Himmler, Hitler und ihre Helfershelfer sind dagegen verschwunden.

      Jahre zuvor — noch als Jugendliche — hatten sowohl Elfriede als auch ich den Entschluß gefaßt, unser Leben in den Dienst Gottes zu stellen. Nichts sollte uns dazu bringen können aufzugeben. Bevor wir ins Konzentrationslager eingeliefert wurden, verspürten wir, wie Gott liebevoll für uns sorgte, als wir die gute Botschaft vom Königreich trotz der immer heftiger werdenden Verfolgung durch die Nationalsozialisten predigten. Und auch heute predigen wir noch, ja zusammen haben wir über 100 Jahre im Dienste Gottes verbracht. Nun möchte ich aber erzählen, wie wir nach Ravensbrück kamen.

      IN JUNGEN JAHREN IM DIENSTE GOTTES

      Im Jahre 1926, im Alter von nur 16 Jahren, symbolisierte Elfriede ihre Hingabe an Gott durch die Wassertaufe. Ihr Herzenswunsch ging in Erfüllung, als sie im Winter 1930 mit dem Vollzeitpredigtdienst beginnen konnte. Eine Zeitlang hinderte sie jedoch eine schwere Krankheit daran, diesen Dienst weiter durchzuführen. Als ich Elfriede im März 1937 zum erstenmal traf, war sie aber wieder tätig, und zwar im Untergrundwerk. Unter dem nationalsozialistischen Regime war nämlich die Tätigkeit der Zeugen Jehovas in Deutschland verboten; viele von uns setzten damals ihre Freiheit und sogar ihr Leben aufs Spiel, um überall im Land die geistige Speise zu verteilen.

      Als junges Mädchen hatte ich mir zum Ziel gesetzt, meinen Mitmenschen zu helfen; ich wollte Lehrerin an einer höheren Schule werden. Im Jahre 1931 begleitete ich jedoch meine Mutter, die zu einem Kongreß der Zeugen Jehovas nach Paris fuhr. Was ich dort hörte und erlebte, änderte mein Leben. Im folgenden Jahr wurde ich im Alter von 19 Jahren getauft.

      1933 kamen Hitler und seine Partei an die Macht. Beinahe gleichzeitig setzte die Verfolgung der Zeugen Jehovas ein. Groß war meine Freude, als ich das Vorrecht erhielt, im Untergrundwerk in Sachsen als Kurier zu dienen. Im August 1936 holte die Gestapo zum großen Schlag gegen unsere Untergrundorganisation aus. Fritz Winkler, der unser Werk beaufsichtigte, und die meisten der Bezirksdienstleiter wurden verhaftet und eingesperrt.

      Im September 1936 gelang es mir, nach Luzern (Schweiz) zu reisen, um mit ungefähr 300 anderen Brüdern aus Deutschland an einem Kongreß teilzunehmen. J. F. Rutherford, der damalige Präsident der Watch Tower Society, betraute dort Erich Frost mit der Aufgabe, unser schwer angeschlagenes Untergrundwerk zu reorganisieren. Einige Tage später wurde bestimmt, daß ich mit ihm zusammenarbeiten sollte.

      Im Auftrage Bruder Frosts reiste ich nach München, um Elfriede Löhr ausfindig zu machen. Außer daß ihr Vater Zahnarzt war, wußte ich nichts von ihr. Ich fand ihre Adresse im Telefonbuch und rief vorsichtshalber erst einmal an. Als wir uns dann trafen, teilte ich Elfriede mit, sie sei eingeladen worden, mit uns zusammen im Vollzeitdienst zu arbeiten. Auf diese Weise nahm eine enge Freundschaft ihren Anfang, die noch heute, 43 Jahre später, besteht. Wir sind in den Konzentrationslagern Gefährtinnen gewesen und arbeiten nun seit über 40 Jahren im Vollzeitpredigtwerk als Partnerinnen zusammen.

      IM UNTERGRUND

      Da die Gestapo uns alle suchte, fuhren wir gewöhnlich nachts mit dem Zug und schliefen, so gut es ging. Tagsüber trafen wir uns mit den Brüdern und Schwestern an vereinbarten Orten, um ihnen vervielfältigte Exemplare des Wachtturms sowie andere notwendige Informationen zu überbringen. Die Nächte verbrachten wir ab und zu bei Interessierten oder in Gartenhäusern von Brüdern, die der Gestapo noch nicht so gut bekannt waren.

      Adressen oder sonstige Notizen trugen wir nie bei uns. Wir lernten alles auswendig, damit, wenn wir verhaftet würden, der Polizei kein belastendes Material in die Hände fiele. Immer wieder verspürten wir, wie Jehova uns beschützte. Dies durften wir besonders erfahren, als wir die Verteilung der auf dem Kongreß in Luzern angenommenen Resolution vorbereiteten. In dieser Resolution erhob man scharfe Proteste gegen die grausame Behandlung, die Jehovas Zeugen durch die römisch-katholische Hierarchie und ihre Verbündeten in Deutschland erfuhren. Am 12. Dezember 1936 beteiligten sich zwischen 17 und 19 Uhr 3 459 Brüder und Schwestern in ganz Deutschland daran, Hunderttausende von Exemplaren dieser kraftvollen Resolution zu verteilen.

      Dann, am 21. März 1937, weniger als zwei Wochen nach meiner ersten Begegnung mit Elfriede, wurden Bruder Frost und ich verhaftet. Ungefähr zur gleichen Zeit fielen auch gewisse Bezirksdienstleiter der Gestapo in die Hände. Bruder Heinrich Dietschi, ein Bezirksdienstleiter, der noch frei war, übernahm in Bruder Frosts Abwesenheit die Aufsicht über das Werk.

      Als weder Bruder Frost noch ich zu einem verabredeten Treffen Ende März erschien, wußte Elfriede, daß etwas nicht stimmte. Nach Hause durfte sie nicht mehr gehen, da sie von der Gestapo gesucht wurde. Elfriedes Problem war: „Wer ist der Nachfolger von Bruder Frost, und wie kann ich ihn treffen?“ Sie betete zu Jehova; da kam ihr plötzlich der Gedanke, in die etwa 150 km von München entfernte Stadt Leutkirch zu fahren, um dort zu versuchen, den Kontakt wiederherzustellen. Noch am selben Tag traf sie in Leutkirch den Bruder, der von Bruder Dietschi geschickt worden war, um sie zu suchen. Gewiß war dies auf die Leitung der Engel zurückzuführen.

      Da die Nationalsozialisten behaupteten, der Inhalt der Resolution, die wir am 12. Dezember verbreitet hatten, entspreche nicht der Wahrheit, wurden Vorkehrungen getroffen, überall in Deutschland einen „offenen Brief“ mit handfesten Beweisen für die Verfolgung der Zeugen Jehovas zu verbreiten. Während der Vorbereitungen für diesen großangelegten Feldzug waren Bruder Frost und ich verhaftet worden. Nun arbeitete Elfriede eng mit Bruder Dietschi zusammen, um die Vorbereitungen abzuschließen. Am 20. Juni 1937 konnte der Feldzug erfolgreich durchgeführt werden. Im Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1974 berichtete Elfriede darüber:

      „Bruder Dietschi ... organisierte diese Aktion. Wir waren alle mit Mut erfüllt, und es war alles wunderbar eingerichtet, und jeder Bezirk hatte eine genügende Anzahl dieser Briefe erhalten. Ich holte einen großen Koffer für den Bezirk Breslau von der Bahn ab und brachte diesen nach Liegnitz zu den Brüdern. Ich selbst hatte auch meine bestimmte Anzahl erhalten, die ich zur festgesetzten Zeit — wie alle Brüder — verteilte.“

      Monate vor diesem Feldzug hatte sich die Gestapo gerühmt, unsere Organisation zerschlagen zu haben. Welch ein Schlag muß es daher für sie gewesen sein, als Hunderttausende von Exemplaren jenes Briefes auf solch organisierte Weise in ganz Deutschland verteilt wurden! Es versetzte sie tatsächlich in einen Schockzustand.

      UNSER WIEDERSEHEN

      Während Elfriede also noch frei war, befand ich mich in den Klauen der Gestapo. Zuerst wurde ich nur zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Aber sofort nachdem ich die Strafe verbüßt hatte, wurde ich wieder verhaftet und im Frühjahr 1939 in das Konzentrationslager Lichtenburg eingeliefert. Zu meiner großen Überraschung befand sich Elfriede bereits dort.

      Im Sommer 1939 wurden wir mit unseren christlichen Glaubensschwestern von Lichtenburg in das neue Lager Ravensbrück gebracht. Immer und immer wieder hatte man uns gedroht: „Wartet nur, bis ihr nach Ravensbrück kommt. Dort werden wir euch schon kleinkriegen!“ Das neue Lager mit seiner Umgebung glich einer Sandwüste. Nur die hohen Mauern mit dem Stacheldraht sowie die Baracken für die Häftlinge und die Häuser für die SS waren bereits fertiggestellt. Alles andere lag wüst und wartete auf Arbeiter, nämlich auf die Häftlinge.

      EINE PRÜFUNG UNSERES GLAUBENS

      Im Herbst des Jahres 1939 waren wir etwa 500 Zeuginnen Jehovas in Ravensbrück. Am 19. Dezember weigerten sich einige Schwestern, Munitionstaschen auf Soldatenuniformen zu nähen. Sie konnten es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren, auf diese Weise die Kriegsanstrengungen zu unterstützen. Daraufhin mußten wir uns alle auf dem Lagerplatz aufstellen. Ob wir nicht die Arbeiten ausführen wollten, wurden wir gefragt. Alle weigerten sich. Man startete daher eine Kampagne, durch die wir gezwungen werden sollten, unsere neutrale Stellung als Christen aufzugeben und die Kriegsanstrengungen zu unterstützen (Jes. 2:4).

      Zuerst ließen sie uns in nur leichter Sommerkleidung von morgens bis abends draußen in der Kälte stehen. Und es war einer der härtesten deutschen Winter mit Temperaturen, die oft zwischen -15 °C und -20 °C lagen. Die Nacht über sperrte man uns in den Zellenbau ein. Dort mußten wir ohne Decken auf dem blanken Fußboden schlafen. Dazu öffnete man die Fenster, damit kalte Luft durchzog. Außerdem erhielten wir am ersten Tag nicht ein einziges Stück Brot zu essen. Während der folgenden vier Tage erhielten wir unter den gleichen Verhältnissen nur die halbe Ration zu essen. Dann wurden wir weitere drei Wochen in einer dunklen Zelle eingesperrt und durften nur jeden vierten Tag einmal etwas Warmes essen. An den anderen Tagen bekamen wir morgens ein Stück Brot und eine Tasse schwarzen Kaffee. Als die SS Weihnachten feierte (vom 25. bis 27. Dezember), erhielten wir überhaupt nichts.

      Danach wurden wir wieder in unsere Baracken geführt, die man für drei Monate zu Strafbaracken erklärte. Dies bedeutete noch weniger und noch schlechteres Essen sowie von morgens bis abends, sieben Tage in der Woche, schwere Arbeit mit Spitzhacke und Schaufel. Auch verweigerte man uns jegliche ärztliche Hilfe. Immer wieder drohten uns die SS-Führer: „Wenn ihr den Krieg nicht unterstützt, kommt ihr hier nur noch durch den Schornstein raus!“

      Als der Frühling des Jahres 1940 kam, waren wir nur noch Skelette. Wir wären wie die Fliegen weggestorben, wenn nicht Jehova Gott, der von Himmler direkt herausgefordert worden war, gezeigt hätte, daß er sein Volk unter den schlimmsten Verhältnissen bewahren kann. Niemand von uns 500 Schwestern wurde ernstlich krank, keine einzige starb. Selbst einige SS-Leute sagten: „Da hat euch euer Jehova wieder mal geholfen.“ Und was noch wichtiger war, keine einzige Schwester hatte aufgegeben, alle waren treu geblieben. Wirklich, die Lauterkeit gegenüber Jehova triumphierte!

      Ich möchte sagen, sowohl Elfriede als auch ich hatten mit dem Leben abgeschlossen. Unser Entschluß stand fest: Jehova treu zu bleiben, komme, was da wolle. Wir dachten so wie der Apostel Paulus: „Denn wenn wir leben, leben wir Jehova, und auch wenn wir sterben, sterben wir Jehova. Darum, wenn wir leben und auch wenn wir sterben, gehören wir Jehova“ (Röm. 14:8).

      DER ALLTAG IN RAVENSBRÜCK

      Doch die Lage sollte sich für uns bald zum Besseren wenden. Viele Bauern und Landarbeiter wurden zum Militär eingezogen, was in der Landwirtschaft zu einem Mangel an Arbeitskräften führte. Deshalb sandte man Häftlinge zum Arbeiten auf Bauernhöfe, die in der Umgebung von Ravensbrück lagen. Da hier die Gefahr größer war, daß Arbeiter flohen, und man wußte, daß Jehovas Zeugen keinen Fluchtversuch unternehmen würden, setzte man viele von uns zur Arbeit auf Bauernhöfen ein. Dort gab es außer der mageren Lagerkost zusätzlich etwas zu essen.

      Am meisten lag uns aber die geistige Ernährung am Herzen. Wir ermunterten uns deshalb gegenseitig durch das, was wir vor unserer Verhaftung an biblischer Erkenntnis aufgenommen hatten. Außerdem berichteten uns Neuankömmlinge, was sie in neuerer Zeit durch ihr Bibelstudium gelernt hatten. Wie glücklich waren wir doch, als man mehrere Bibeln ins Lager schmuggelte! Wann immer möglich, gaben wir anderen Häftlingen und auch unseren Aufseherinnen Zeugnis. Nichts konnte uns daran hindern, unsere Treue zu Jehova zu beweisen. Unser Entschluß war: „Lieber sterben als aufgeben!“

      Elfriede wurde beauftragt, für SS-Offiziere Gartenarbeit zu verrichten. Mich sandte man zusammen mit anderen Schwestern zur Arbeit auf ein SS-Gut. Gegen Ende 1942 schliefen wir nachts auf dem Gut, statt wieder in die Lagerbaracken zurückzukehren; somit erfreuten wir uns einiger Freiheiten. Im Frühjahr 1943 gelang es mir, briefliche Verbindung mit Bruder Franz Fritsche aufzunehmen. Er war ein mutiger Bruder, der geistige Speise in die Konzentrationslager schmuggelte. Einmal konnte ich ihn in einem Wald in der Nähe des Gutes treffen. Es wurde vereinbart, daß wir Lagerinsassen regelmäßig den Wachtturm und andere Publikationen erhalten sollten. Auf vielen Wegen kam die Literatur ins Lager.

      Aber das sollte nicht so bleiben. Bruder Fritsche wurde verhaftet. Die Gestapo fand schließlich heraus, daß die biblische Literatur über organisierte Verbindungen direkt in die Konzentrationslager geschmuggelt wurde. Wie sehr muß es sie doch schockiert haben, als sie dies entdeckte! Und auf welch eindrucksvolle Weise wurde bewiesen, daß 10 Jahre grausamer Verfolgung den Geist des Volkes Gottes weder in den Lagern noch außerhalb zu brechen vermochten! Sofort ordnete Himmler an, alle verdächtigen Lager nach biblischer Literatur zu durchsuchen.

      DAS SCHLIMMSTE JAHR

      Völlig überraschend erschien am 4. Mai 1944 die Gestapo in Ravensbrück und durchsuchte alles nach Bibeln und biblischer Literatur, besonders nach Wachttürmen. Die Gestapo-Beamten gingen auch dorthin, wo Elfriede für die SS-Leute Gartenarbeit verrichtete, und sie kamen ebenfalls auf das SS-Gut, auf dem ich arbeiten mußte. Man beschloß schließlich, 15 Schwestern, die man für die Verantwortlichen hielt, für alle büßen zu lassen. Elfriede und ich gehörten zu ihnen.

      Zuerst wurden wir in den berüchtigten Zellenbau eingesperrt. Dort zwängte man uns in dunkle, schmale Zellen hinein. Sieben Wochen lang durften wir nicht an die frische Luft gehen. Dann brachte man uns in den Strafblock, wo Elfriede und ich wieder in enge Verbindung kamen. Was wir dort in unserem letzten Jahr in Ravensbrück durchmachten, läßt sich nicht beschreiben. Stets verspürten wir aber, wie Jehova uns beschützte und liebevoll versorgte. Er gab uns die Kraft auszuharren. Besonders half uns die geistige Speise, die die auf dem Gut gebliebenen Schwestern zu uns hereinschmuggeln konnten. Dort hatte die Gestapo die Literatur nicht gefunden, da sie gute Verstecke hatten.

      Während der letzten Monate im Lager wurden die Zustände zunehmend schlechter, besonders dort, wo wir uns befanden — im Strafblock. Die Baracken waren gedrängt voll. Ursprünglich hatte man sie für 100 Häftlinge vorgesehen, aber zuletzt mußte der Strafblock 1 200 bis 1 500 aufnehmen. Sechs oder sieben Personen schliefen in zwei Betten, so daß niemand richtig schlafen konnte. Aufgrund der minderwertigen, oft ungenügend gewaschenen Nahrung waren Darmerkrankungen an der Tagesordnung. Zu Hunderten gingen die Häftlinge elend zugrunde.

      Auch Elfriede wurde schwer krank. Sie zog sich eine Lungenentzündung zu und bekam hohes Fieber. Ehe ich es verhindern konnte, brachte man sie in eine der Krankenbaracken voller Todkranker. Niemand durfte den Strafblock allein verlassen. Trotzdem gelang es mir mit Hilfe der Stubenältesten, Elfriede hin und wieder etwas zu trinken zu bringen.

      Unschwer konnte man erkennen, daß Elfriede nicht mehr lange leben würde, wenn sie dort bliebe. Regelmäßig fuhren Lastwagen vor den Krankenbaracken vor, und man warf die Toten und Sterbenden auf die Ladefläche und fuhr zum Krematorium. Mit Hilfe der Stubenältesten war es indes zweien von uns möglich, Elfriede aufzusuchen. Ihr Bett stand in der Nähe eines Fensters. Unter Aufbietung aller Kräfte gelang es uns, sie durchs Fenster zu entführen. Wir trugen sie wieder zum Strafblock zurück. Dort wandte eine inhaftierte russische Ärztin eine einfache, wenn auch schmerzhafte Behandlung an mit dem Erfolg, daß Elfriedes Lungenentzündung zurückging. Ihr Leben war gerettet.

      In den ersten Frühlingstagen des Jahres 1945 näherte sich der Zweite Weltkrieg rasch seinem Ende. Die SS beabsichtigte, das Lager in die Luft zu sprengen. Die Russen drangen aber so schnell vor, daß die SS ihre teuflischen Pläne nicht mehr ausführen konnte. Am 28. April fiel Ravensbrück den Russen kampflos in die Hände. So wurden wir nach fast sechs langen Jahren aus dem „Feuerofen“ befreit. Nicht zu vergessen, daß wir uns vorher schon etwa zwei Jahre in Haft befunden hatten.

      AN UNSEREM ENTSCHLUSS FESTGEHALTEN

      Beide hatten wir Jehova versprochen: Sollten wir noch einmal frei werden, würde unsere ganze Zeit und Kraft seinem Dienst gehören. Auf unserer beschwerlichen Heimreise besuchten wir Bruder Frost, der die gleiche Einstellung hatte. Er lud uns ein, so bald wie möglich nach Magdeburg zu kommen, von wo aus das Predigtwerk in Deutschland reorganisiert werden sollte.

      Kaum war ich jedoch in meiner Heimatstadt Olbernhau eingetroffen, als mir die Ortsverwaltung anbot, die Leitung des Kriminalamtes zu übernehmen. Doch da gab es nichts zu überlegen. Meine Entscheidung war längst gefallen. Ich wollte wieder den Vollzeitdienst aufnehmen. Nur drei Wochen später gehörten Elfriede und ich zu den ersten fünf Bethelmitarbeitern in Magdeburg.

      1947 besuchte Bruder N. H. Knorr, der damalige Präsident der Gesellschaft, Westdeutschland. Er ermunterte gewisse Brüder und Schwestern, die Wachtturm-Bibelschule Gilead zu besuchen. Daher bewarben Elfriede und ich uns darum, diese Missionarausbildung zu erhalten. Schließlich kam die Einladung, und 1949 reisten wir in die USA, um die Schule zu besuchen.

      Nach so vielen Jahren, in denen wir von der Organisation Jehovas abgeschnitten waren und weder reguläre Zusammenkünfte besuchen noch in den Predigtdienst gehen konnten, erlebten wir nun die Freude, in Gilead reiche geistige Segnungen zu empfangen. Wir sahen dies als eine großartige Belohnung und als eine wunderbare Entschädigung für die vielen hinter uns liegenden Entbehrungen an. Der Höhepunkt kam, als wir im Sommer 1950 den Kongreß „Mehrung der Theokratie“ besuchten, den Jehovas Zeugen im Yankee-Stadion in New York abhielten. Am Eröffnungstag fand die Abschlußfeier für die 15. Klasse der Gileadschule — unsere Klasse — statt.

      MISSIONARDIENST

      Unsere erste Missionarzuteilung war Köln. Wir arbeiteten mit den 35 Verkündigern der Ortsversammlung zusammen. Bald konnten wir viele erfolgreiche Bibelstudien durchführen und den Verkündigern im Königreichswerk helfen. Nach dreieinhalb Jahren erhielten wir eine neue Zuteilung: Österreich. Inzwischen war aber die Versammlung in Köln auf 214 Verkündiger angewachsen. Auch erlebten wir noch, daß ein neuer Königreichssaal seiner Bestimmung übergeben wurde.

      In den vergangenen 24 Jahren, die wir in Österreich gedient haben, sind wir in viele Gebiete geschickt worden, zum Beispiel ins Gasteiner Tal, nach Gmunden am schönen Traunsee, nach Hohenems in Vorarlberg und nach Telfs in Tirol. Zur Zeit sind wir wieder in Vorarlberg tätig, nämlich im Bregenzer Wald. In unseren verschiedenen Gebieten haben wir den Brüdern siebenmal helfen können, einen Königreichssaal zu finden. In drei der uns zugeteilten Gebiete gab es anfangs entweder überhaupt keinen Königreichsverkündiger oder nur einen oder zwei. Mit der Zeit konnten wir aber erleben, wie an diesen Orten neue Versammlungen gegründet wurden. Wenn wir auch keine eigenen Kinder haben, haben wir doch viele geistige Kinder und geistige Enkel, mit denen wir in Liebe innig verbunden sind.

      WAS UNS AUSHARREN HALF

      Auch nachdem wir die schweren Prüfungen unseres Glaubens in den Konzentrationslagern überlebt hatten, waren wir Versuchungen ausgesetzt, den Vollzeitdienst aufzugeben. Zunehmendes Alter und die Nachwirkungen der Jahre im KZ haben zu gesundheitlichen Problemen geführt. Auch ist in jüngerer Zeit oft die Gleichgültigkeit der Menschen in Gebieten, wo man sehr materialistisch eingestellt ist, entmutigend. Ab und zu ist daher in uns der Wunsch aufgekommen, ein ruhigeres Leben mit mehr Bequemlichkeiten zu führen, als sie ein Vollzeitverkündiger genießt. Was hat uns aber geholfen auszuharren?

      Wir haben uns das Beispiel treuer Diener Jehovas vor Augen gehalten, Personen, die alles hinter sich ließen, um ihm zu dienen — wie Abraham, Sara, Moses, der Apostel Paulus und unser größtes Beispiel, Jesus Christus. Dies hat uns geholfen, die richtige Einstellung zu bewahren und an den wirklichen Werten festzuhalten. Stets haben wir den Rat, den Jesus gab, im Sinn behalten: „So fahrt denn fort, zuerst das Königreich und Seine Gerechtigkeit zu suchen.“ Auch haben wir uns an das erinnert, was Jesus in seiner Bergpredigt zuvor gesagt hat: „Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein“ (Matth. 6:33, 21).

      Wir haben daher immer versucht, unser Herz auf das Königreich Gottes gerichtet zu halten und darauf, daß wir mit allem, was wir haben, Gott dienen. Indem wir diesen Dienst wie einen kostbaren Schatz bewahrten, waren wir in der Lage, unter der grausamen Gewaltherrschaft des Nazismus auszuharren. Dadurch, daß wir so an der Königreichshoffnung festhielten, ist es uns auch möglich gewesen, in den Jahren, die seither vergangen sind, im Vollzeitdienst zu bleiben und nicht aufzugeben.

      Wirklich, wir können auf ein Leben voller großartiger Segnungen zurückblicken. Immer wieder haben wir erlebt, wie wahr die Worte in Maleachi 3:10 sind: „‚Stellt mich bitte darin auf die Probe‘, hat Jehova der Heerscharen gesprochen, ,ob ich euch nicht die Schleusen der Himmel auftun und tatsächlich Segen über euch ausschütten werde, bis kein Bedarf mehr ist.‘“ Unser Wunsch und Gebet ist daher, im Vollzeitdienst bleiben zu können, ja ihn in Ewigkeit in Gemeinschaft mit Jesus Christus und in der Gegenwart Jehovas fortzusetzen.

      [Bild auf Seite 9]

      Ilse Unterdörfer und Elfriede Löhr heute

  • ‘Die Ausdehnung seiner Stärke’
    Der Wachtturm 1980 | 1. Februar
    • ‘Die Ausdehnung seiner Stärke’

      Der Psalmist rief aus: „Preiset Jah! Preiset Gott an seiner heiligen Stätte. Preist ihn in der Ausdehnung seiner Stärke“ (Ps. 150:1). Die ‘heilige Stätte’ ist offensichtlich Gottes Wohnstätte, der Himmel. Da der Ausdruck ‘heilige Stätte’ parallel zu der Bezeichnung „Ausdehnung“ verwandt wird, ist mit der Ausdehnung offenbar der unsichtbare, geistige Bereich gemeint. Dort im Himmel ist die Stärke oder die Macht Gottes deutlich zu beobachten. Deshalb ist der Himmel die „Ausdehnung seiner Stärke“. Bestimmt sollten wir Erdbewohner Jehova, der droben an der „heiligen Stätte“, der „Ausdehnung seiner Stärke“, thront, preisen.

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