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  • In den Klauen des Todes
    Erwachet! 1980 | 22. Dezember
    • denn Zeit und unvorhergesehenes Geschehen trifft sie alle“ (Pred. 9:11).

      Wenn ein Unglück zuschlägt, ist oft der reine Zufall der entscheidende Faktor. Wenn Jahn Otto Jahnsen in das große statt in das kleine Kino gegangen wäre, wenn er das Rettungsboot bestiegen hätte, statt am großen Pfeiler der Plattform nach unten zu klettern, wenn er keine Schwimmweste mehr bekommen hätte, wenn er sich am Stahlseil festgehalten hätte, als es zerriß, und wenn er nicht auf ein Floß gelangt wäre, das mit einem Zelt überdacht war — ja, dann hätte er möglicherweise nicht überlebt, sondern wäre umgekommen. Sicher war es ihm von Nutzen, jung, gut trainiert und im Sporttauchen geübt zu sein, aber das waren nicht die entscheidenden Faktoren.

      In solchen Situationen ist es nicht entscheidend, zu „den Schnellen“ oder „den Starken“ zu gehören. Vielmehr spielen „Zeit und unvorhergesehenes Geschehen“ die entscheidende Rolle. Im Gegensatz zu dem, was einige religiöse Führer behaupten, stimmt es nicht, daß Gott bei solchen Katastrophen auf eine besondere Weise handelt. Im Gegenteil, er zeigt uns durch die Bibel deutlich, daß viele Dinge im Leben vom Zufall abhängen.

      Für viele der Überlebenden war es wie ein Wunder, aus den Klauen des Todes befreit zu werden, und das rief in ihnen ein Gefühl der Dankbarkeit hervor. Auch wir sollten dankbar sein für jeden Tag, an dem wir am Leben sind und Zeit haben, für unseren Nächsten etwas Gutes zu tun und unserem Schöpfer gegenüber Dankbarkeit zu zeigen — „denn Zeit und unvorhergesehenes Geschehen trifft“ uns alle.

  • Wir strebten nach Ruhm im Boxring
    Erwachet! 1980 | 22. Dezember
    • Wir strebten nach Ruhm im Boxring

      ES WAR der 21. Januar 1966. Ich saß auf dem Hocker in meiner Ecke des Boxringes. Mir war, als sei ich endlich an der Schwelle des Ruhmes und des Reichtums angelangt. Ich müßte nur noch diesen Kampf gewinnen, und Francisco San José würde als spanischer Meister in der Schwergewichtsklasse gefeiert werden. Der nächste Schritt wäre dann die europäische Meisterschaft.

      Abrupt wurden meine Gedanken durch den Klang des Gongs unterbrochen, und die erste Runde begann. Mein Gegner, Mariano Echevarría, hatte offensichtlich ähnliche Ambitionen, und wir traten ein strapaziöses Duell an, das über 12 Runden ging. Wir waren beide stark und schenkten uns nichts. An jenem Tag wurde ich der spanische Meister im Schwergewicht — ein Sieg nach Punkten.

      Als Junge war ich in meiner Heimatstadt Toro (Zamora) im Nordwesten Spaniens als Schläger bekannt. Auch meine Ausbildung an einer höheren katholischen Schule änderte mich nicht. Nach der Schule begann ich ein Leben der Kriminalität und Unmoral.

      Nach einiger Zeit verliebte ich mich in ein Mädchen aus meinem Heimatort, aber sie wollte mich nur akzeptieren, wenn ich meine Lebensweise ändern würde. Ich begann also, mich etwas zu bessern, hatte aber immer noch den Drang zu raufen. Da die einzig legale und „feine“ Art des Raufens das Boxen war, wurde ich Boxer. Im Jahre 1963 vertrat ich Spanien bei den Wettkämpfen für die Mittelmeermeisterschaft in Neapel und gewann eine Bronzemedaille. Statt jedoch zu versuchen, mich für die Olympiade des folgenden Jahres (Tokio) zu qualifizieren, entschied ich mich für die Profilaufbahn. Schließlich, so dachte ich mir, müßte ich mich auch gut bezahlen lassen, wenn ich schon ein solches Risiko einginge.

      Was erreichte ich dadurch? Sechs Monate nachdem ich die spanische Meisterschaft im Schwergewicht errungen hatte, schlug mich mein Rivale Echevarría in sechs Runden. Nun war ich nicht mehr der Meister. In den nächsten vier Jahren hatte ich 23 Kämpfe, von denen ich 11 gewann, 9 verlor und 3 mit „unentschieden“ abschloß. Allmählich wurde mir bewußt, daß ich von den Veranstaltern und Managern manipuliert wurde, um die Karriere anderer zu fördern. Ein Sportjournalist schrieb mich für das Jahr 1969 als „Sühnopfer“ ab. Da ich Geld brauchte, willigte ich bei zwei Gelegenheiten in einen tongo ein, was „manipulierter Kampf“ bedeutet. Als ich mich weigerte, 1967 bei einem ähnlichen Geschäft mitzumachen, sorgte der Ringrichter dafür, daß ich verlor. Es sickerte schließlich durch, daß Meisterschaften in vielen Fällen in den Büros der Veranstalter und nicht im Ring entschieden werden.

      Am Anfang meiner Karriere überredete ich meinen jüngeren Bruder Carlos, es mit dem Boxen zu versuchen. Hier folgt sein Teil der Geschichte:

      Während Francisco als Amateurboxer Erfolge feierte, gewann ich Geländerennen. Ich blickte jedoch immer zu Francisco auf und folgte seinem Beispiel.

      Eines Tages, im Jahre 1963, kam Francisco nach Hause und verkündete, daß er meinen ersten Kampf arrangiert hätte. Mit der Zustimmung des Boxverbandes Valladolid kämpfte ich in unserer Heimatstadt gegen einen Boxer namens Sanchez. Ich war nervös, aber ich konnte die Leute unserer Stadt nicht im Stich lassen. Es kam dann soweit, daß ich ihn in der zweiten Runde k. o. schlug. Die Menge geriet außer sich vor Begeisterung und trug mich auf den Schultern durch die Stadt. Ich war siegestrunken. Von nun an träumte ich vom Ruhm im Ring.

      Ich zog nach Madrid, um richtig trainiert zu werden und Kämpfe austragen zu können. Im Jahre 1965 und im darauffolgenden Jahr wurde ich in meiner Gewichtsklasse der spanische Amateurmeister. Man wählte mich für das spanische Nationalteam aus, das gegen Frankreich und auf regionaler Ebene gegen Mannschaften aus Deutschland und Portugal kämpfte. All diese Amateurkämpfe waren Meilensteine auf dem Weg zur Profikarriere.

      Schließlich kam der lang ersehnte Tag — der 23. November 1966. Ich hatte in Madrid mein Debüt als Profi gegen Ben Bachir. Ich gewann durch K.-o.-Schlag. Damals konnte ich nicht ahnen, daß ich Ben später unter ganz anderen Bedingungen noch einmal begegnen würde. Nun mußte sich eine ganze Reihe internationaler Gegner meinen Fäusten unterwerfen, manche durch K.-o.-Schlag und andere durch Sieg nach Punkten. Der Kampf, der den größten Eindruck bei mir hinterließ, fand am 30. Dezember 1969 in Barcelona gegen Bernard Daudu, einen erfahrenen nigerianischen Boxer, statt.

      Obwohl ich außerhalb des Ringes eine ruhige, reservierte Person war, verwandelte ich mich, sobald der Kampf begann, in eine rasende Boxmaschine, einzig und allein mit dem Ziel, meinen Rivalen k. o. zu schlagen. Ich denke noch an die Worte eines Trainers in meiner Amateurzeit: „Wenn du in den Ring trittst, dann denke daran, daß du deinen Gegner um jeden Preis fertigmachen mußt. Du mußt Haß in deinem Herzen haben und ihn in Stücke zerschlagen. Er ist dein Feind. Habe kein Mitleid mit ihm.“

      Während der Kampf in Gang kam, verfehlten meine Schläge ihr Ziel. Die Menge wurde ungeduldig. Sie wollte Blut sehen. Es war ein Achtrundenkampf, und es fehlte nur noch eine Runde. Ich saß in meiner Ecke und hörte, wie mir mein Sekundant schnell zuflüsterte: „Mach ihn in dieser Runde fertig, sonst verlierst du den Kampf!“ Da geriet mein Blut in Wallung, und beim Ertönen des Gongs ging ich voller Wut und Haß auf ihn zu. Plötzlich, etwa in der Mitte der Runde, erwischte ich ihn mit der Linken am Kinn und gab ihm gleich darauf mit der Rechten einen Leberhaken. Er fiel in die Seile, und ich versetzte ihm noch einen Schlag. Der Ringrichter zählte. Daudu blieb liegen.

      Nachdem das kurze Siegeszeremoniell vorüber war, verließ ich schnell den Ring, zog mich um und fuhr dann mit dem Zug zurück nach Bilbao. Als ich aus dem Zug ausstieg, waren meine Frau und meine Schwester da, um mich zu begrüßen, aber sie machten einen angespannten Eindruck. Was war los? Sie rückten mit der neusten Nachricht heraus. Daudu war an einer Gehirnblutung gestorben.

      Es ist schwierig zu beschreiben, wie ich auf diese Nachricht reagierte. Ich weinte lange und bitterlich. Ich konnte nicht glauben, daß meine Fäuste den Tod eines Menschen bewirkt hatten.

      Doch wie eigenartig die menschliche Natur ist! Wie schnell wir alles mit Vernunftgründen erklären wollen! Bald begann ich, nach Ausreden zu suchen, um zu rechtfertigen, daß ich mit dem Boxen weitermachte. Auch andere, die an meiner Karriere interessiert waren, gaben mir Ratschläge: „Es war ein Unfall. Boxen ist ein Sport. Dich trifft keine Schuld. Die Verletzung war wahrscheinlich im vorhergehenden Kampf entstanden.“ „Jetzt hast du die Chance, aus dem Ruhm, den du erlangt hast, Kapital zu schlagen.“ Tief in meinem Innersten gefiel mir keine dieser Erklärungen. Ich wußte, daß ihn der Boxsport getötet hatte, aber ich war der Henker gewesen, der ihm den Gnadenstoß versetzt hatte.

      Drei Monate später war ich in Madrid wieder im Ring. In einem Fernsehinterview wollte man wissen, wie ich nach diesem tragischen Vorfall über meine Karriere dachte. Ich erwiderte, daß ich entschlossen sei, mit dem Boxen weiterzumachen.

      Ein Sieg nach dem anderen führte schließlich zu meiner großen Chance am 25. Dezember 1970. Es ging um die spanische Meisterschaft im Weltergewicht. Der Ort: Bilbao (Vizcaya). Mein Gegner: José María Madrazo, ein erfahrener Mann. Aber ich war jünger und stärker, und in der sechsten Runde schlug ich ihn zweimal nieder. Er mußte allerhand einstecken, so daß der Ringrichter letztlich den Kampf wegen eines technischen K. o. abbrach. Jetzt hatte ich es soweit gebracht wie mein Bruder vier Jahre davor. Ich war ein spanischer Meister geworden.

      Doch mehr als ein Jahr bevor ich dieses Ziel erreichte, hatte mein Bruder Francisco das Boxen aufgegeben. Warum? Laß ihn selbst berichten.

      Obwohl ich mich selbst eher für einen Atheisten als für einen Katholiken hielt, war ich, als mich Zeugen Jehovas besuchten, neugierig zu erfahren, was sie glaubten. Ich bewunderte ihren Mut. Sie waren offensichtlich aufrichtig. Obwohl ich nicht alles glaubte, was sie lehrten, war ich daran interessiert, die Bibel kennenzulernen und verstehen zu lernen. Ich studierte mit den Zeugen jede Woche die Bibel anhand des Hilfsmittels Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt. Die Zeugen erwähnten niemals das Boxen. Doch als wir das Kapitel 14 „Woran man die wahre Religion erkennt“ studierten, war mir klar, daß das kennzeichnende Merkmal eines Christen die Liebe ist. Ich lernte, daß Jesus gesagt hatte: „Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe unter euch habt“ (Joh. 13:35). In dem Buch wurde erklärt: „Es muß eine Liebe sein, die sich nachhaltig auf alle Gebiete des täglichen Lebens auswirkt.“ In meinem Fall war davon auch das Boxen betroffen.

      Damals war ein ganz besonderer Boxkampf geplant. Mein Bruder Carlos und ich sollten als San José I und San José II, wie man uns in der Branche nannte, auf demselben Programm erscheinen. Ich machte mir eingehend Gedanken über meine Situation und bat im Gebet um Gottes Führung. Sollte und konnte ich mit dem Boxen weitermachen und dennoch mich als Christ bezeichnen? Nachdem ich sehr in mich gegangen war, beschloß ich, daß der Kampf am 17. Oktober 1969 in Bilbao mein letzter sein sollte.

      Die Pressenachricht, daß ich mich aus religiösen Gewissensgründen vom Ring zurückziehen wollte, schlug wie eine Bombe ein. Carlos konnte nicht glauben, daß das viermonatige Bibelstudium eine solche Veränderung in mir bewirken konnte. Meine „Freunde“ aus der Welt des Boxsports wollten, daß ich meine Entscheidung rückgängig machte. Sie boten mir die Gelegenheit an, bei der Europameisterschaft mitzumachen und das große Geld zu verdienen. Obwohl ich das Geld brauchte, blieb ich in meiner Entscheidung fest.

      Ich zog mit meiner Familie in meine Heimatstadt Toro zurück, wo ich seither eine ganz andere Art Kampf kämpfe — den christlichen Kampf. Die Wahrheit der Bibel hat meine Persönlichkeit verändert. Um zu veranschaulichen, was ich meine: Als ich vor einiger Zeit Besuche von Haus zu Haus machte, um über die Bibel zu sprechen, drohte mir ein stämmiger Mann, mich die Treppe hinunterzuwerfen. Früher wäre das für mich das Signal gewesen, ihn mit zwei Aufwärtshaken gegen das Kinn k. o. zu schlagen. Statt dessen half ich ihm, seine schlechte Laune zu überwinden, und beendete die Unterhaltung friedlich (2. Tim. 2:24-26).

      Es war nicht so leicht, meine Persönlichkeit zu ändern, den Gebrauch der Fäuste mit der Macht der Vernunft zu vertauschen. Aber es verschafft mir jedenfalls mehr Befriedigung, bei meiner Familie zu sein, auf dem Land zu arbeiten, Tiere zu hüten und in einem bescheidenen Umfang Gott zu dienen. Welch ein Gegensatz zum Lichterglanz der Boxarena und der blutrünstigen, wankelmütigen Zuschauermenge! (Röm. 12:1, 2; Kol. 3:10, 12).

      Obwohl meine Entscheidung, das Boxen aufzugeben, Carlos zu denken gab, setzte er seine Karriere fort. Laß ihn berichten, was nun geschah:

      Etwa ein Jahr nachdem sich Francisco zurückgezogen hatte, klopfte es an meiner Tür. Es war derselbe Zeuge, der ihn besucht hatte. Ich bat ihn herein, und nach einer Unterhaltung lud er mich ein, die Bibel zu studieren. Ich dachte mir, daß Wissen nicht schadet, und war auf jeden Fall brennend daran interessiert, zu erfahren, was meinen Bruder so stark beeinflußt hatte. Ich willigte also in ein Studium ein, stellte aber klar, daß ich niemals um der Religion willen das Boxen aufgeben würde.

      Meine erste große Überraschung erlebte ich, als ich in der Bibel im zweiten Buch Mose die Zehn Gebote las. Ich dachte, ich würde sie von der Schule her noch auswendig kennen, aber die Gebote in der Bibel unterschieden sich von der Version der Kirche. Ich hatte zum Beispiel nie etwas vom zweiten Gebot gehört, das den Gebrauch von Bildern für die Anbetung untersagt. Diese Auslassung wurde in der Version der Kirche dadurch vertuscht, daß man das zehnte Gebot in zwei aufgeteilt hatte. Dieser Betrug öffnete mir die Augen (2. Mose 20:4-6).

      Nachdem wir einige Male zum Bibelstudium zusammengekommen waren, setzte ein wahrer Kampf mit meinem Gewissen ein. Meine Frau nahm den christlichen Glauben an, und ich konnte mir schon ausmalen, was aus meinem Boxsport werden würde, wenn ich das Bibelstudium fortsetzen würde. In manchen Wochen entschuldigte ich mich, und in anderen hoffte ich, daß der Zeuge das Studium vergessen würde. Nichtsdestoweniger beeinflußte die Bibel mein Denken. Das merkte ich, als ich am 10. Oktober 1971 meinen Meistertitel im Weltergewicht gegen Angel Guinaldo aus Salamanca verteidigte.

      Sobald ich in den Ring trat, schrie die Menge: „Gib’s ihm, San José! Mach ihn gleich fertig!“ „Schlag ihn mit deiner Linken zusammen!“ Mein Gegner wartete in seiner Ecke auf die Gelegenheit, mir den Meistertitel zu nehmen. Währenddessen machte mir mein Gewissen schwer zu schaffen. Es fielen mir die Worte der Bibel in 1. Johannes 4:20 ein: „Wer seinen Bruder nicht liebt, den er gesehen hat, kann Gott nicht lieben, den er nicht gesehen hat.“ Mir kam noch eine ganze Flut anderer Texte in den Sinn, die meine Handlungsweise verurteilten, und doch versuchte ich mich zu rechtfertigen.

      Der Gong ertönte. Nun standen wir uns gegenüber. Während wir kämpften, ließ mir mein Gewissen keine Ruhe. In mir kam die Frage auf: „Was tue ich hier? Lieber Gott, bitte vergib mir!“

      Das Ganze schien eine Ewigkeit zu dauern, aber ich wünschte mir so sehnlich, mich vom Boxen als unbesiegter Meister zurückzuziehen. Mein persönlicher Stolz machte sich bemerkbar. Ich wollte die Leute wissen lassen, daß ich das Boxen aus Liebe zu Gott aufgab, nicht, weil ich meinen Titel verlor.

      Der Kampf endete schließlich, aber nicht mit meinem üblichen K.-o.-Schlag. Hatte ich gewonnen oder verloren? Gespannt wartete ich auf die Entscheidung. Der Ringrichter verkündete: „Unentschieden.“ Ich war immer noch der Meister.

      Nun wurde ich offiziell als Anwärter für die europäische Meisterschaft in Betracht gezogen. Jahrelang hatte ich für dieses Ziel gearbeitet und gekämpft. Von allen Seiten wurde ich unter Druck gesetzt — von meinem Gewissen und von meinen Trainern. Ich studierte immer die Bibel und besuchte christliche Zusammenkünfte. Daraus entwickelte sich eine Kraft, die meinen Sinn antrieb. Die Bibel hatte mich sozusagen gegen die Seile geworfen, und ich war nahe daran, auf die Matte zu gehen. Ich konnte mich nicht Bibeltexten widersetzen wie: „Ich zerschlage meinen Leib und mache ihn zum Sklaven, damit ich mich nicht, nachdem ich anderen gepredigt habe, selbst irgendwie als unbewährt erweise.“ „Die Liebe fügt dem Nächsten nichts Böses zu“ (1. Kor. 9:27; Röm. 13:10).

      Ich schaffte es, mehrere Monate verstreichen zu lassen, ohne wieder einen Kampf zu vereinbaren. Im Februar 1972 erhielt ich einen Brief vom Boxverband, in dem mir erklärt wurde, daß ich noch 15 Tage Zeit hätte, meinen Titel zu verteidigen oder aufzugeben. Ich wandte mich im Gebet an Jehova und bat ihn um Hilfe und Führung. Diese Hilfe bekam ich auch, und ich gab bekannt, daß ich religiöser Grundsätze wegen das Boxen aufgab.

      Das blieb nicht ohne Reaktion der Nachrichtenmedien. Zweimal wurde ich im Fernsehen interviewt, um meine Beweggründe zu erläutern. Viele Sportfans kritisierten meine Entscheidung. Aber nun hatte ich inneren Frieden erlangt. Ich hatte einen echten Sieg errungen.

      Manchmal fragt man mich, ob ich es bereue, das Boxen aufgegeben zu haben. Das erinnert mich an die Beschreibung eines Pressefotos von Francisco und mir in „Kampfbekleidung“ — kurze Hosen und bandagierte Hände. Es war zu lesen: „Carlos und Francisco San José von Angesicht zu Angesicht. Obwohl die beiden Brüder in verschiedenen Gewichtsklassen sind, trachten sie nach einer Entlohnung für ihre Bemühungen um den ephemeren Ruhm im Boxring.“ Man sprach also von einem „ephemeren Ruhm“. „Ephemer“ ist griechisch-lateinischen Ursprungs und bedeutet buchstäblich „nur einen Tag dauernd“. Wie wahr das doch ist in der Welt des Boxsports!

      Ich hatte hin und wieder Kontakt mit einigen einst berühmten Exboxern. Sie bieten einen mitleiderregenden Anblick. Stets denken sie an ihren kurzen, verblaßten Ruhm zurück. Wo sind ihre „Freunde“ heute? Wie oft beobachtete ich, daß ein Boxer nur „Freunde“ hat, wenn er gewinnt und wenn diese „Freunde“ aufgrund seiner Siege zu Geld kommen. Du brauchst nur zu verlieren, und schon sind die „Freunde“ verschwunden.

      Was Reichtum anbelangt — durch das Boxen bin ich gewiß nicht reich geworden. Etwa ein Drittel der Einnahmen dient zur Deckung der Kosten für das Training und das Management. Und in den Monaten zwischen den Kämpfen wird der Rest für die Familie verbraucht.

      Seit ich jedoch Zeuge Jehovas bin, habe ich in anderer Hinsicht weitaus mehr gewonnen. Ich habe jetzt echte Freunde, deren Freundschaft auf echten und bleibenden Werten beruht, nicht auf dem Ruhm eines Idols. Es sind meine geistigen Brüder, mit denen ich hier in San Salvador del Valle (Vizcaya) im Norden Spaniens die „gute Botschaft“ predige. Dadurch, daß ich mich an dieser Tätigkeit beteilige, habe ich das Vorrecht, ein Zeuge für die größte Person des Universums, Jehova Gott, zu sein.

      Wenn ich christliche Kongresse besuche, werde ich oft an meine Zeit als Boxer erinnert, weil sie in Sportstadien abgehalten werden, in denen ich vor Jahren Boxkämpfe ausgefochten habe. Im Jahre 1978 fand in Barcelona ein internationaler Kongreß statt. Zu dem Gelände gehörte auch die städtische Sporthalle, in der ich mitverantwortlich wurde für den Tod des nigerianischen Boxers Daudu. Welch ein Gegensatz! Statt einer blutrünstigen Menge, die nach einem K. o. schreit, war jetzt hier eine friedliebende Zuhörerschaft versammelt, die Gottes Wort lauschte, und das in einer Atmosphäre der Liebe und des Friedens.

      Zuvor, als ich im Jahre 1974 den Bezirkskongreß der Zeugen Jehovas im Fußballstadion von Salamanca besuchte, bemerkte ich, daß ein stämmiger Zeuge, der mir bekannt vorkam, neben mir herging. Er sah mich an, ging vorbei und drehte sich dann wieder um, um sich nochmals zu vergewissern, da auch ich ihn zweimal gemustert hatte. Erstaunt riefen wir gleichzeitig aus: „Du mußt doch Ben Bachir/San José II sein!“ Und so war es auch. Früher waren wir Feinde im Boxring gewesen, und jetzt waren wir als christliche Brüder vereint.

      Francisco und ich sind froh, die unerquickliche Welt des Boxens mit ihrer Grausamkeit und Gewalttätigkeit, ihrer Habsucht, Manipulation und Ausbeutung verlassen zu haben. Wir haben einen besseren Lebensweg gefunden, den christlichen Weg der Liebe, der einen bleibenden Lohn, Gottes Anerkennung und ewiges Leben, mit sich bringt (Hebr. 11:6; Röm. 6:23).

      [Herausgestellter Text auf Seite 17]

      „Es sickerte schließlich durch, daß Meisterschaften in vielen Fällen in den Büros der Veranstalter und nicht im Ring entschieden werden.“

      [Herausgestellter Text auf Seite 18]

      „Ich wußte, daß ihn der Boxsport getötet hatte, aber ich war der Henker gewesen.“

      [Herausgestellter Text auf Seite 19]

      Ich lernte, daß ein Christ eine Liebe haben sollte, die sich nachhaltig auf sein tägliches Leben auswirken sollte. In meinem Fall war davon auch das Boxen betroffen.

      [Herausgestellter Text auf Seite 20]

      „Die Bibel hatte mich sozusagen gegen die Seile geworfen, und ich war nahe daran, auf die Matte zu gehen.“

      [Herausgestellter Text auf Seite 21]

      Ephemerer Ruhm — „nur einen Tag dauernd“. Wie wahr das doch ist in der Welt des Boxsports!

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