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  • Wir hielten an unserer Überzeugung fest
    Erwachet! 1979 | 22. August
    • Wir hielten an unserer Überzeugung fest

      Gibt es irgendeine Überzeugung, die dir wichtiger ist als dein Leben oder das Leben deiner Angehörigen? Die ersten Christen hatten eine solche Überzeugung, denn sie lehnten es ab, den römischen Kaiser zu verehren, obwohl das bedeutete, daß sie in einer Arena wilden Tieren vorgeworfen wurden. Auch heute halten Christen selbst angesichts des Todes an Gottes Gesetzen fest, wie der folgende Bericht zeigt.

      ALS der Arzt bestätigte, daß ich schwanger war, wich meine Freude über die bevorstehende Mutterschaft der hartnäckigen Angst, daß das neue Leben, das ich in mir trug, schon wenige Monate nach der Geburt ausgelöscht werde. Doch warum diese schreckliche Angst?

      Vier Jahre zuvor hatte ich einem hübschen kleinen Mädchen das Leben geschenkt. Wir nannten es Lisa. Doch plötzlich und unerwartet wurde sie schwer krank und starb zwei Monate nach ihrer Geburt. Todesursache war eine ungewöhnliche Blutkrankheit, die amegakaryocytische thrombopenische Purpura genannt wird — die Unfähigkeit, Blutplättchen zu produzieren.

      Die Ungewißheit darüber, wie oder warum Lisa diese Krankheit bekam, quälte mich. Bei meinem nächsten Baby, Adam, war ich zwar besorgt und hatte einige angsterfüllte Augenblicke, doch ich war erleichtert, als keine Anzeichen für die Störung auftraten. Aber diesmal jagte mir die Nachricht über meine Schwangerschaft eine schreckliche Furcht ein, denn ich bildete mir ein, diese seltene Krankheit trete bei jedem zweiten Kind auf. Dana, unser erstes Kind, das zwei Jahre vor Lisa geboren wurde, ist völlig gesund.

      Gary, mein Mann, versuchte meine Bedenken zu zerstreuen. „Jan, vielleicht ist die Krankheit gar nicht erblich bedingt“, argumentierte er. „Vielleicht war die Medizin schuld, die du genommen hast; du hast doch Berichte darüber gelesen, daß einige Medikamente in Verdacht stehen, bei Babys Blutkrankheiten zu verursachen. Diesmal hast du gar nichts eingenommen, nicht einmal Schmerztabletten.“

      Am 23. Juni 1977, es war ein Donnerstagmorgen, setzten schließlich die Wehen ein und kündigten die Geburt an. Um 13.35 Uhr kam unser Baby — ein Junge — zur Welt. Der Arzt wandte die LeBoyer-Methode der natürlichen Geburt an und setzte das Kind sachte auf meinen Leib. Kurz darauf durchschnitt Gary die Nabelschnur, und dann legte der Arzt das Kind in eine Badewanne mit warmem Wasser, das nahezu Körpertemperatur hatte. Mein Mann und ich umarmten uns und betrachteten unseren Sohn Bryan, der teilweise im Wasser schwebte, während er behutsam gewaschen wurde. Das alles ist so wunderbar, dachten wir, während wir das kleine Wesen begutachteten.

      Eine schlimme Nachricht

      Um 3.30 Uhr am nächsten Morgen, während meine Mutter Bryan versorgte und die Windeln wechselte, bemerkte ich die mir vertrauten und gefürchteten roten Flecken in der Leistengegend. Ich sah genauer hin und konzentrierte mich auf das, was ich sah. Dann überkam mich ein flaues Gefühl. Mein ganzer Körper wurde schwach, und meine Beine zitterten. „O nein, nicht noch einmal!“ entfuhr es mir. Schnell weckte ich Gary auf, um ihn zu unterrichten.

      Etwas später an jenem Morgen bestimmte der Arzt, der den Fall unserer Tochter kannte, die Thrombozytenzahl. Nach ein paar Minuten bestätigte er unsere schlimmsten Befürchtungen: „Bryan hat das gleiche wie Lisa.“ Er riet uns, ihn so schnell wie möglich ins Krankenhaus zu bringen. Voller Kummer und Angst verließen wir seine Praxis.

      Als wir wieder zu Hause waren, riefen wir verzweifelt einen Arzt nach dem anderen an. Wir begannen bei dem Arzt, der Lisa behandelt hatte, der aber inzwischen, wie wir nun erfuhren, nach Wisconsin verzogen war. Als unsere telefonischen Erkundigungen ohne Erfolg blieben, brachten wir Bryan in eine bedeutende Universitätsklinik im Westen von Los Angeles. Während wir alle Einzelheiten über die Krankheit unserer Tochter und unseres Sohnes erzählten, meldete sich einer der behandelnden Ärzte zu Wort. Er sagte, Bryan werde bei der Aufnahme sofort eine Bluttransfusion erhalten. Ich blickte Gary an und sagte ungeduldig: „Wir gehen wohl besser.“ Niedergeschlagen und geistig erschöpft fuhren wir heim.

      Es war fast Mitternacht, als wir zu Hause eintrafen. Meine Eltern, die in unserer Abwesenheit auf die Jungen aufgepaßt hatten, erzählten uns, ein Arzt aus einem Krankenhaus in Orange County habe angerufen. Er wolle mit uns sprechen und Bryan sehen. Die Nachricht von diesem Anruf gab uns wieder neuen Mut.

      Als wir am nächsten Morgen das Krankenhaus erblickten, sah ich, daß es neu und modern war, und das gab mir die Hoffnung, daß vielleicht etwas getan werden könne. Ein Arzt begrüßte uns, und nach einer kurzen Unterhaltung wurde Bryan in ein kleines Zimmer auf der Kinderstation gebracht. Man legte ihn in einen Inkubator. Er erhielt Medikamente und wurde fünf Tage lang beobachtet. Doch da man nichts mehr für ihn tun konnte, beschloß man, ihn zu entlassen.

      Man hatte zwar einen Gerichtsbeschluß erwirkt, um uns Bryan wegzunehmen und ihm Blut zu geben, doch es wurde den Ärzten klar, daß ihm Blut nicht helfen würde. Man teilte uns mit, daß nur wenige Menschen diese Krankheit überlebt hätten. Die Prognose lautete: Bryan würde wahrscheinlich innerhalb der nächsten sechs Monate sterben. Er hatte nur 4 000 Blutplättchen pro mm3; normal wären 200 000 bis 400 000. Schon ein Niesen oder Weinen könnte bewirken, daß er verblutete.

      Kurz bevor Bryan entlassen werden sollte, begann er im Magen-Darm-Trakt zu bluten. Besorgt behielten ihn die Ärzte noch zur weiteren Beobachtung und Behandlung dort. Da es für mich im Krankenhaus keine Unterkunft gab, blieb ich immer so lange bei ihm, bis er eingeschlafen war, und fuhr dann nach Hause. Die Krankenschwestern waren ausgezeichnet. Sie sorgten wirklich gut für ihn; sie erlaubten mir sogar, ihn in ein anderes Zimmer mitzunehmen, damit ich ihn jeden Abend vor dem Nachhausegehen stillen konnte, bis er einschlief.

      Ein weiterer Schlag

      Dienstag, der 19. Juli, begann wie jeder normale Arbeitstag. Bryan war jetzt zu Hause. Gary ging früh zur Arbeit. Dann, um 4 Uhr nachmittags, bekam ich einen Anruf. „Gary hat einen Unfall gehabt“, begann die Stimme. „Aber regen Sie sich nicht auf! Er hat sich das Bein gebrochen. Kommen Sie schnell, und melden Sie sich im Notoperationsraum!“

      Als ich durch die großen Pendeltüren des Notoperationsraums eintrat, stellte ich mich einer Angestellten vor und erkundigte mich nach Garys Zustand. Ein lauter Schrei drang an mein Ohr. Dann noch einer und noch einer. Mir ging ein Stich durchs Herz. „War das mein Mann?“ fragte ich. „Ja“, antwortete die Frau.

      „Wie schlimm sieht es aus?“ wollte ich wissen.

      „Ziemlich schlimm“, antwortete sie ernst. Ich erfuhr, daß er eine schwere Schürfwunde am Kopf, innere Blutungen und mehrfache Brüche hatte.

      „Er braucht eine Bluttransfusion. Sonst wird er sterben“, sagte der behandelnde Arzt. Einen Augenblick war ich so betroffen, daß ich gar nichts erwidern konnte. Dann überkam mich das mir schon vertraute flaue Gefühl. Ich bemühte mich, nicht in Panik zu geraten, und sagte dem Arzt: „Kein Blut.“ Er protestierte. Wieder sagte ich: „Da ist nichts zu machen; kein Blut.“ Er zuckte mit den Schultern, wandte sich um und ging weg.

      „Kann ich Gary sehen?“ fragte ich flehend.

      „Nein, das ist nicht möglich“, antwortete er.

      „Hören Sie“, argumentierte ich, „ich habe eine Tochter verloren. Mein Sohn wird bald sterben. Ich denke, ich kann es ertragen, meinen Mann zu sehen!“ Er gab nach.

      Gary lag auf einem Tisch unter den hellen Leuchten des Operationssaales. Ein paar Sekunden lang starrte ich ihn entgeistert an. Er lag auf dem Rücken und hatte nur die Unterhose an. Sein linkes Bein war an zwei Stellen zersplittert, oberhalb und unterhalb des Knies. Sein Gesicht war stark geschwollen und schmutzig. Eine tiefe Wunde klaffte auf dem Nasenrücken. Wahrscheinlich hatte seine Sonnenbrille ins Fleisch geschnitten, als er mit dem Gesicht auf der Straße aufschlug. Und oben am Kopf war ein tiefes, klaffendes Loch, das eine rosafarbene Hautschicht freilegte, die dem Schädel am nächsten war.

      Ich sah zum Arzt hin und konnte sehen, daß er offensichtlich besorgt war. Er sagte, Gary würde mit dem Hubschrauber ins medizinische Zentrum der Universität von Südkalifornien nach Ost-Los Angeles überführt werden. Die nötigen Vereinbarungen wurden getroffen, und ich unterdrückte meine Angst vor dem Fliegen und begab mich mit Gary an Bord des großen Hubschraubers. Der Flug dauerte nur fünf Minuten. Darauf wurde Gary in eine Station transportiert, wo noch weitere Unfallopfer auf ihre Behandlung warteten.

      Unsere Hauptsorge war, ob bei Gary eine innere Arterie verletzt war. Wenn ja, würde er verbluten. Und so wurde als erstes untersucht, ob dies der Fall war. Schließlich verkündete einer der Ärzte, man habe keine verletzte Arterie gefunden und es sehe gut aus. Herzschlag, Blutdruck und Temperatur hatten sich stabilisiert, wenn auch der Hämatokritwert (der prozentuale Anteil der roten Blutkörperchen im zirkulierenden Blut) auf 25 gesunken war; der Normalwert schwankt zwischen 40 und 65.

      Um 11.30 Uhr am nächsten Vormittag wurde Gary in die Neurochirurgie gebracht. Der Chirurg erklärte, was dort getan wurde: Sie nähten Garys Kopfwunde zu, entfernten den Straßenschmutz aus den offenen Wunden am Bein, setzten drei rostfreie Stahlnägel zur Befestigung der Drahtextension ein und nähten dann die Haut zusammen. Darauf kam sein Bein eingegipst in einen Streckverband.

      Eine nervenaufreibende Krise

      Am Freitag, dem 22. Juli, verließ ich Gary, nachdem ich den ganzen Tag an seiner Seite gewesen war. Sein Zustand war noch immer der gleiche — stabil, aber sehr ernst. Ich steckte Dana, Adam und Bryan ins Bett und legte mich gegen 23.30 Uhr schlafen. Nur Minuten später, wie mir schien, weckte mich das Telefon. Mit jagendem Puls sprang ich aus dem Bett. Als ich den Hörer abnahm, hörte ich die sachliche Stimme eines Arztes, der mir mitteilte, Garys Zustand habe sich verschlimmert und er werde die Nacht nicht überleben. „O nein!“ stöhnte ich wie benommen. Wieder überkam mich das flaue Gefühl.

      Ich fuhr mit Freunden ins Krankenhaus. Die Fahrt dauerte 30 Minuten. Ich fühlte, wie sich ein gewaltiger Druck in mir aufstaute. Wenn sie Gary Blut gäben, könnte er vielleicht überleben; wenn nicht, würde er sterben — so einfach schien es zu sein. Warum sollte er sterben und mich mit den drei Jungen allein zurücklassen? Warum? Ich erkannte, daß es einigen schwerfallen mochte, dies zu verstehen. Doch für mich war Gottes Gesetz hinsichtlich des Blutes völlig klar. ‘Blut sollt ihr nicht essen’, hatte Gott Noah und seinen Nachkommen geboten (1. Mose 9:4). Daß dieses Gesetz auch für Christen galt, bestätigte das urchristliche Kirchenkonzil von Jerusalem: „Denn der heilige Geist und wir selbst haben es für gut befunden, euch keine weitere Bürde aufzuerlegen als folgende notwendigen Dinge: euch der Dinge zu enthalten, die Götzen geopfert wurden, sowie des Blutes und des Erwürgten und der Hurerei“ (Apg. 15:28, 29).

      Als wir im Krankenhaus eintrafen, eilte ich in Garys Zimmer. Eine Sauerstoffmaske bedeckte Nase und Mund. Aufgrund seines Blutverlustes war er bleich und geschwächt. Er atmete schwach, und seine Stimme klang leise und dünn. Über ihm hingen zwei Infusionsflaschen, die Salze und Wasser und andere Stoffe enthielten, die die Körperflüssigkeit ersetzen sollten. Die durchsichtigen Schläuche hingen zum Bett hinunter und endeten in den Unterarmen, wo sie sicher befestigt waren. Mühevoll brachte er einige Worte heraus und schloß dann die Augen.

      Eine Frage der Lauterkeit

      Ich fragte ihn: „Gary, bist du sicher, daß du das willst?“ Ich wollte wissen, ob sein Verstand noch klar genug war, um zu wissen, was er wählte. Er erwiderte: „Mehr haben wir nicht, Jan, ... uns bleibt nichts anderes übrig.“ Trotz meines großen Kummers gab mir seine deutliche, zusammenhängende Antwort neue Kraft. Es schien ihm nichts auszumachen, daß er sterben würde. Statt dessen war er fest entschlossen, Jehovas Gesetz hinsichtlich des Blutes nicht zu übertreten.

      Einer der behandelnden Ärzte kam zu Gary. Mit besorgter Stimme sagte er: „Gary, Sie sterben. Wieso denken Sie, Sie seien im Recht, wenn doch keine andere Religion in der Welt das glaubt, was Sie glauben? Sie können nicht alle im Unrecht sein. Sie müssen im Recht sein. Ich weiß in meinem Herzen, daß Gott Ihnen vergeben wird, wenn Sie Blut nehmen.“

      Da nahm Gary seine letzten Kräfte zusammen und sagte nachdrücklich: „Die Mehrheit ist nicht immer im Recht. Erinnern Sie sich an den Elia aus der Bibel? Die ganze Nation wendete sich von Gott ab. Sie war nicht im Recht. Doch Elia, der dachte, er sei allein, wenn auch noch einige andere treu waren, wußte, daß er im Recht war.“

      Erschöpft hielt Gary inne. Schwach langte er nach dem Doktor, stupste ihn am Arm und sagte: „Wir werden uns morgen wiedersehen.“

      Gary blutete innerlich. Um die Blutung aufzuhalten, wurde den Infusionen Vitamin K beigegeben. In den frühen Morgenstunden stabilisierten sich endlich seine Lebenszeichen. Er klammerte sich am Leben fest, obwohl ihm nur noch ein Viertel seiner Blutmenge verblieben war. Ich saß lange neben Garys Bett, verwirrt und verängstigt. Ich betete zu Jehova wie zu einem gütigen Vater. Wie lange ich betete und meinen Gedanken nachhing, weiß ich nicht. Doch mir war, als hätte ich den ganzen Vormittag so zugebracht, bis die Krankenschwester zur routinemäßigen Untersuchung hereinkam.

  • Eine lebenrettende neue Therapie
    Erwachet! 1979 | 22. August
    • Eine lebenrettende neue Therapie

      ICH ging für ein paar Minuten aus Garys Zimmer und sah im Warteraum zwei unserer christlichen Brüder aus unserer Versammlung. Sie kamen gleich auf mich zu, einer von ihnen mit einer Fotokopie einer Seite des Wachtturms in der Hand. Nach einer kurzen Begrüßung überreichte er sie mir. Es handelte sich um die Rubrik „Nachrichten und ihre tiefere Bedeutung“ aus der Wachtturm-Ausgabe vom 1. September 1974 (deutsch: 1. Dezember 1974).

      Während ich den Artikel las, durchzuckte mich ein neuer Hoffnungsfunke. Der Artikel nahm auf einen Nachrichtenbericht Bezug, in dem eine neue Methode beschrieben wurde, die Patienten mit großem Blutverlust helfen sollte. Diese Therapie wird Sauerstoffüberdruckbeatmung genannt.

      Eine entscheidende Kraftprobe

      Gegen 11.30 Uhr kam der Leiter der chirurgischen Abteilung den Gang entlang. Er bat uns in sein Büro mit der Bemerkung: „Wir wollen die Sache jetzt ein für allemal klären.“

      Es war ein kleines Büro, das noch kleiner wurde, als drei Ärzte, meine beiden Bekannten und ich uns hineinzwängten. Ich konnte sehen, daß die Ärzte müde waren, wahrscheinlich, weil sie so viele Stunden arbeiteten und sich mit vielen schwierigen Problemen auseinandersetzen mußten. Die Weigerung Garys, Blut anzunehmen, schien ihre Last noch zu vergrößern. Ich konnte sie verstehen.

      „Ich habe mit meinen Ärzten gesprochen, und wir sind entsetzt“, erklärte der Chefchirurg. „Mehr als entsetzt, wir sind verärgert! Wir haben hier einen jungen Mann, den wir retten könnten, aber die Grundsätze, nach denen Sie leben und nach denen zu leben Sie von ihm verlangen, machen es uns unmöglich zu helfen.“

      Er klemmte mehrere Röntgenaufnahmen von Garys gebrochenem Bein in die Halterung des Bildbetrachters, der an der Wand hing, und zeigte auf die mehrfachen Brüche in Garys Bein. Sie sahen aus wie die gezackte Bruchstelle eines Bleistifts. Eine Aufnahme zeigte deutlich, wie der Knochen durch das Fleisch drang.

      „Dagegen kämpfen wir“, sagte er, während er in schneller Reihenfolge auf jeden der Brüche zeigte. „Gary braucht hier und hier und hier Nägel, und in jedem Fall verlangt die Operation Blut.“ Immer wieder sagte er: „Ich bin verärgert!“ Ich war schrecklich eingeschüchtert, denn ich wußte, daß ich das Hauptziel seines Unmuts war. Ich senkte den Kopf und weinte.

      „Ich bin ein Christ“, erklärte der Chirurg, „und ich sehe nichts Verkehrtes daran, eine Bluttransfusion anzunehmen. Und selbst wenn es falsch wäre, würde Gott Ihnen vergeben.“ Darauf änderte er seine Taktik und sagte: „Wenn Sie nicht versuchen, Gary zu überreden, Blut zu nehmen, dann ist es so, als würden Sie ihn ermorden. Jeder, der an Gary wirklich interessiert ist [ich wußte, daß er wahrscheinlich seinen Blick auf mich heftete], wird versuchen, ihn dazu zu überreden, Blut zu nehmen.“ Dann wechselte er den Ton seiner Stimme und appellierte an mein Gefühl: „Wenn er Blut nähme, könnte er bald hier heraussein und zu Ihnen und den Kindern nach Hause kommen und schließlich wieder arbeiten gehen. Blut ist die einzige Lösung.“

      „Dieser Mann stirbt, und wir könnten ihn retten, aber Sie binden uns die Hände“, fuhr er fort. „Ist Ihnen schon jemals jemand unter den Händen gestorben, ohne daß Sie etwas tun konnten, um ihn zu retten?“ Ich unterbrach ihn und sagte leise: „Ja. Ich hatte eine Tochter.“ Meine Antwort muß ihn überrascht haben, denn er hörte auf zu reden. Die peinliche Pause wurde unterbrochen, als er sagte: „Also gut, gehen Sie alle hinaus. Gehen Sie hinaus, und denken Sie über das nach, was der Mann durchzumachen hat.“

      Eine veränderte Haltung

      Als ich aufstand, um hinauszugehen, wandte ich mich an ihn und fragte: „Kann ich mit Ihnen reden?“ Alle blieben stehen und drehten sich nach mir um. „Allein“, bat ich. „Also gut, alle raus!“ donnerte er.

      Als alle draußen waren, spürte ich sofort eine Veränderung in seinem Verhalten. Er schien sich zu beruhigen. Wir unterhielten uns ungezwungen, und er fragte mich, wie ich ein Zeuge Jehovas geworden sei, und erkundigte sich nach meiner Tochter. Dann fragte er mich nach meinem Alter. „Sechsundzwanzig“, sagte ich. Zu meiner Überraschung erwiderte er: „Mein Gott! Sie sind noch so ein junges Ding und müssen so viel durchmachen.“

      Diese Umwandlung hatte ich nicht erwartet. Ich fragte ihn, ob er aufgeschlossen sei. Er stimmte zu. Ich wollte, daß er mir diese Frage beantwortete, bevor ich ihm den Wachtturm-Artikel über die Sauerstoffüberdruckbehandlung zu lesen gab. Als er mir den Artikel zurückgab, fragte ich: „Denken Sie, das könnte helfen?“

      „Nun, ich weiß nicht“, antwortete er. „Doch so, wie die Sache aussieht, sollte man es wenigstens versuchen.“

      „Können Sie ihn irgendwohin schicken?“ bat ich ihn.

      „O nein!“ sagte er. „Das mache ich nicht. Das müssen Sie schon ganz allein tun. Sie können ja beim Marinestützpunkt anrufen.“

      „Was soll ich denn sagen? Mit wem soll ich reden?“ fragte ich.

      „Sie rufen einfach an und fragen danach, wer für die Sauerstoffüberdruckbehandlung zuständig ist, und berichten den Fall.“ Darauf beugte er sich schnell nach vorn und griff nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch. Er begann mit jemandem zu reden, mit jemandem, den er beim Vornamen nannte. Er erzählte meine ganze Geschichte und machte den Eindruck, als wolle er mir wirklich helfen. Als er den Hörer auflegte, sagte er: „Alles geregelt.“ Gary sollte in das Long Beach Memorial Hospital überführt werden.

      Wahrscheinlich aufgrund des entschlossenen Vorgehens des Leiters der chirurgischen Abteilung ging alles überraschend schnell. Während Gary für den Transport vorbereitet wurde, sagte jedoch einer der Ärzte über die Sauerstoffbehandlung: „Sie wird überhaupt nichts nützen.“ Er sprach zwar leise, doch seine Stimme klang wütend, als er sagte: „Er braucht Blut, wenn seine Wunden heilen sollen.“ Das entmutigte mich. Doch ehe ich mich’s versah, wurde Gary in einen wartenden Krankenwagen gebracht. Ein Arzt begleitete uns auf der Fahrt.

      Neue Hoffnung

      Endlich kam ein großes, hypermodernes Krankenhaus in Sicht. Einige Pfleger warteten schon auf uns. Sie transportierten Gary sofort ins siebente Geschoß und brachten ihn in ein kleines Privatzimmer auf der Intensivstation. Eine Krankenschwester bat mich, draußen zu warten, bis die Ärzte die Untersuchung beendet hatten. Ich ging die Treppe hinab in einen Waschraum, um mich frisch zu machen. Dort hielt ich inne und betete um Mut und Kraft. Etwa 18 Stunden waren vergangen, seit ich in der Nacht zuvor durch den Anruf mit der Schreckensnachricht geweckt worden war.

      Erschöpft schleppte ich mich wieder zu dem Zimmer, in dem Gary lag. Als ich eintrat, waren die beiden Ärzte noch da. Einen Augenblick vergaß ich, daß ich den Artikel über die Sauerstoffüberdruckbehandlung bei mir trug. Dann ging ich auf den Arzt zu, der mir am nächsten stand, und überreichte ihm den Artikel. Es war ein großer, etwas rundlicher Mann mit breiten Schultern und mit nach hinten gekämmtem, schwarzem welligem Haar. Er nahm ihn und begann zu lesen. Als er fertig war, murmelte er in typischer Arztmanier: „Aha.“ Ungeduldig, seine Meinung zu hören, fragte ich: „Haben Sie schon einmal etwas von dieser Behandlungsmethode gehört?“

      „O ja“, antwortete er etwas lässig. „Ich habe den Artikel selbst geschrieben.“ (Es handelte sich dabei um den Artikel, der am 20. Mai 1974 in der Zeitschrift Journal of the American Medical Association erschienen war und auf den im Wachtturm Bezug genommen wurde.) Ich fühlte, wie ich aus Verlegenheit und übergroßer Freude errötete. Während er weiterredete und die Behandlungsmethode beschrieb, hob sich meine niedergedrückte Stimmung.

      Ich wollte optimistisch sein, hatte aber immer noch Zweifel. Ich wiederholte die Bemerkungen, die der Arzt kurz vor dem Verlassen der Universitätsklinik gemacht hatte. „Seine Meinung war“, erklärte ich, „daß diese Behandlung nicht hilft, und selbst wenn sie helfen würde, würden Garys Verletzungen nicht richtig heilen, weil er Vollblut brauche.“ Er sah mir direkt in die Augen, nickte verständnisvoll und erklärte philosophisch: „Einige Leute reden nur aus Unwissenheit.“ Zufrieden und zuversichtlich glaubte ich nun, daß Gary Chancen hatte.

      Die Sauerstoffüberdruckbeatmung

      Die Behandlung mit Sauerstoffüberdruck besteht darin, daß der gesamte Körper reinem Sauerstoff ausgesetzt wird, und zwar unter einem Druck, der höher ist als der atmosphärische Druck, der auf Meereshöhe 10 132,5 Newton pro Quadratmeter beträgt. Durch den Überdruck wird Sauerstoff in den Geweben und Flüssigkeiten des Körpers in viel höherer Konzentration als normal angereichert. Man benutzt dazu einen zylinderförmigen Tank aus einer kräftigen Metallkonstruktion mit einer dicken Glaskuppel, die es dem Patienten ermöglicht, hinauszusehen, und den draußen Stehenden, hineinzuschauen. Die ungewöhnlich dicke, kreisförmige Tür ähnelt der Tür eines Banktresors. Die Verständigung ist über eine Wechselsprechanlage möglich.

      Die Kompression beginnt langsam und wird allmählich erhöht, bis sie den vorgeschriebenen Wert erreicht. Die Wirkung auf das Trommelfell ist ähnlich, wie wenn man einen Berg hinauf- oder hinunterfährt. In den ersten Tagen erhielt Gary diese Behandlung alle sechs Stunden rund um die Uhr. Nach jeder Behandlung verspürte er eine anregende Belebung.

      Als Gary am vierten Tag um 20 Uhr eine Behandlung hinter sich hatte, prüfte die Krankenschwester wie üblich sein Blutbild. Das Ergebnis verursachte einige Aufregung — der Hämatokritwert war um einen vollen Prozentpunkt gestiegen, von 10 auf 11. Er war zwar noch gefährlich niedrig, doch die Nachricht gab uns beiden Auftrieb. Am achten Tag der Behandlung betrug der Wert bereits 19, und das reichte aus, um ihn von der Intensivstation in die Isolierstation zu überführen.

      Ein unmißverständliches Zeichen für Garys verbesserten Gesundheitszustand erhielt ich eines Morgens, als er aufwachte. „Möchtest du heute morgen etwas frühstücken?“ fragte ich fröhlich. Seit dem Unfall hatte er keine Nahrung bei sich behalten können. Es riß mich daher aus dem Sessel, den ich als Bett benutzte, als er antwortete: „Ja, gern.“

      „Gut, gut“, sagte ich aufgeregt. Sein wiederkehrender Appetit war ein weiterer Beweis dafür, daß er am Leben bleiben würde. Im Widerspruch zur allgemeinen ärztlichen Meinung hatte er ohne Blut überlebt und gleichzeitig die teilweise tödlichen Komplikationen vermieden, die sich oft bei einer Bluttransfusion ergeben. Natürlich hatte er die Bluttransfusion deshalb verweigert, weil Gottes Gesetz Christen gebietet: ‘Enthaltet euch des Blutes’ (Apg. 15:28, 29).

      Eine weitere Krise

      Bevor Gary die Intensivstation verlassen konnte, bekam Bryan auf einmal Fieber. Die Fontanelle, die weiche Stelle oben am Schädel, war geschwollen, und das zeigte, daß auf das Gehirn ein Druck ausgeübt wurde — ein erster Hinweis auf Hirnhautentzündung. Ein fürchterlicher Schreck durchfuhr mich, als die behandelnde Ärztin ankündigte, er benötige eine Blutplättchentransfusion. Sie erklärte, daß sein Blutplättchenwert so niedrig sei, bestehe die Gefahr, daß bei der Lumbalpunktion eine Blutung eintrete, die zur Lähmung führen könne.

      Als wir Bryan das erstemal in dieses Krankenhaus gebracht hatten, war ein Gerichtsbeschluß erwirkt worden, um uns das Sorgerecht für Bryan zu entziehen. Es war ihm aber doch kein Blut gegeben worden, da es ihm nicht geholfen hätte. Sein Körper war nicht in der Lage, Blutplättchen richtig zu bilden. Daher hatten wir mit dem Arzt, der Bryan behandelte, vereinbart, daß ihm kein Blut gegeben würde.

      Schließlich traf der Arzt ein, mit dem wir die Vereinbarung getroffen hatten. Ich berichtete ihm kurz, was vorgefallen war. Er sagte, er werde die Lumbalpunktion ohne Blut durchführen. So einfach war das — es sollte kein Blut gegeben werden. Es bestand jedoch die Möglichkeit, daß Bryan verblutete oder gelähmt wurde. Die Rückenmarksflüssigkeit wurde ins Labor geschickt, und es stellte sich heraus, daß Bryan Virusmeningitis hatte. Ich seufzte.

      Eine dramatische Wende

      Seit dem ersten Blutplättchentest, der an dem Tag durchgeführt worden war, an dem wir Bryans Krankheit entdeckten, hatte der Blutplättchenwert gleichbleibend 4 000 pro mm3 betragen. Doch ein paar Tage nach seiner Meningitiserkrankung enthüllte eine Blutuntersuchung eine dramatische Wende. Strahlend berichtete der Arzt: „Bryans Blutbild hat sich ein wenig gebessert.“

      „Wirklich?“ unterbrach ich ihn.

      „Ja“, fuhr er fort. „Der Wert ist auf 25 000 gestiegen.“

      Ich war schrecklich aufgeregt. Natürlich wollte ich glauben, daß Bryan am Leben bliebe. Doch hatten wir die Hoffnung aufgegeben, da uns der Arzt gesagt hatte, seines Wissens hätten nur sehr wenige diese Krankheit überlebt. Ich konnte mich kaum beherrschen, als ich Gary die gute Nachricht von Bryans verbessertem Blutbild erzählte. „Das ist immer noch nicht gut, Jan“, sagte er matt, unbeeindruckt von meiner Begeisterung. Er versuchte, mich vor falschen Hoffnungen zu schützen. Einer der Ärzte hatte erklärt, Bryans Überlebenschancen ständen eins zu einer Milliarde.

      Eine Woche verging. Wir ließen eine zweite Blutuntersuchung durchführen. Die Zahl der Blutplättchen betrug diesmal 50 000! Und jede weitere wöchentliche Untersuchung zeigte eine weitere Verbesserung. Bei der nächsten Untersuchung betrug der Wert überwältigende 193 000; in der darauffolgenden Woche 309 000. Schließlich erreichte er 318 000, was als normal betrachtet wird. Die Ärzte waren fassungslos. Sie machten Bemerkungen wie: „Hier kommt das einmalige Baby“ und: „Es macht uns noch alle zu Zeugen Jehovas.“ Sie schrieben die Veränderung von Bryans Zustand sogar einem „Wunder“ zu.

      Gary und Bryan sind inzwischen völlig gesund, und ich bin für den glücklichen Ausgang sehr dankbar. Niemand möchte seine Lieben leiden oder sterben sehen. Doch diese Erlebnisse haben mir gleichzeitig vor Augen geführt, daß es etwas Wichtigeres gibt als das gegenwärtige Leben. Viel wichtiger ist, daß wir Gottes Gebote halten, denn wenn wir das tun, haben wir die sichere Aussicht, daß Gott uns in seinem gerechten neuen System von den Toten auferwecken wird, wo wir uns des ewigen Lebens in vollkommener Gesundheit und Glück erfreuen können (Offb. 21:3, 4). Sind Jesu Treue bis zum Tod und seine Auferstehung nicht ein Beweis dafür, daß es das weiseste ist, Gottes Geboten zu gehorchen?

      Ich bin unserem barmherzigen und gütigen Gott, Jehova, dankbar, daß er mir die Kraft gegeben hat, treu auszuharren und seinen Geboten in dieser prüfungsreichen Zeit zu gehorchen. In meinem Fall trafen bestimmt die inspirierten Worte des Apostels Paulus zu: „Wir haben ... diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die Kraft, die über das Normale hinausgeht, Gottes sei und nicht die aus uns selbst“ (2. Kor. 4:7). (Eingesandt.)

  • Die moderne Japanerin
    Erwachet! 1979 | 22. August
    • Die moderne Japanerin

      Vom „Awake!“-Korrespondenten in Japan

      SCHON seit Jahrhunderten wird die Japanerin von Beobachtern aus dem Westen als Muster für anmutige Schönheit und passive Unterordnung betrachtet. Das Bild der bescheidenen, stillen und stets dienstbereiten Ehefrau im Kimono ist in vielen Ländern bekannt. Vermittelt diese Vorstellung ein vollständiges Bild? Wie bewegt sich die Japanerin in unserer modernen Welt?

      Die herkömmliche japanische Definition für Frau lautet ryosai kembo (gute Ehefrau, weise Mutter), und das gilt heute noch als das Ideal. Die überwiegende Mehrheit der Japanerinnen zeigt, daß sie in dieser Rolle Glück und Erfüllung finden können. Doch besonders seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Stellung der Frau in der japanischen Gesellschaft im Wandel begriffen.

      Die anmutige Frau im Kimono gibt es heute noch, aber außer ihr sieht man Frauen in Blue jeans, Shorts und hohen Stiefeln. Die lebhafte junge Frau im Hosenanzug, die ein Taxi herbeiruft, kann auch die gelassene junge Frau im Kimono sein, die einmal in der Woche ihre ocha (Teezeremonie) besucht. Diese moderne Frau zeigt größtenteils immer noch bewundernswerte Eigenschaften ihrer Vorfahrinnen, zum Beispiel Bescheidenheit und Ausdauer. Allerdings neigt sie eher dazu, ihre Meinung frei zu äußern, und kann besser über ihre Zukunft bestimmen, als es ihre Großmutter konnte. Ihre Eltern suchen vielleicht einen passenden Ehepartner aus, aber die endgültige Entscheidung, wen sie heiraten wird,

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