Was ist Relativität?
NEHMEN wir an, du flögest mit einer Rakete durch den Weltraum. Wie könntest du dann feststellen, wie schnell du fliegst und in welcher Richtung?
Auf der Erde wäre das kein Problem. Die Geschwindigkeit des Autos bei 100 km in 1 Std. beträgt 100 km pro Std. Wir könnten die Entfernung sogar nachmessen, wenn wir dies beweisen müßten. Wir können uns nach etwas richten: dem Boden, über den wir gefahren sind. Die Autoräder betätigen während der Fahrt ein Tachometer, das uns jederzeit anzeigt, wie schnell wir fahren.
Vom Flugzeug aus kann man die Geschwindigkeit ermitteln, indem man die Erde beobachtet, über die man hinwegfliegt, und indem man einen Fahrtmesser verwendet. Er mißt die Geschwindigkeit des Flugzeugs relativ zur umgebenden Luft anhand des Staudrucks. Astronauten, die zum Mond fliegen, messen ihre Geschwindigkeit im Verhältnis zur Erde, indem sie die Strecke zum Mond durch die Zeit teilen, die sie brauchen, um dorthin zu gelangen. Solange man also einen bekannten Gegenstand sehen kann, kann man Richtung und Geschwindigkeit ihm gegenüber messen.
Im Weltraum
Wenn man aber die Erde, den Mond, die Planeten und die Sonne nicht mehr sehen kann, was dann? Selbst ein Fahrtmesser würde uns nichts mehr nützen, weil es im Weltraum keine Luft gibt.
Angenommen, du flögest mit deiner Rakete durch den Weltraum und sähest durch dein Fenster, wie sich ein Meteorit an dir vorbeibewegt. Fliegt er schneller als du? Das könnte man annehmen. Doch einen Augenblick. Könnte es statt dessen sein, daß du anhältst und daß er an dir vorbeifliegt? Oder ist der Meteorit stehengeblieben und du fliegst in Wirklichkeit rückwärts? Oder fliegt ihr beide rückwärts, doch du fliegst schneller rückwärts als der Meteorit? Wie könnte man überhaupt wissen, was im Weltraum vorwärts und rückwärts ist?
Du siehst, wie schwierig es ist, Bewegung im Weltraum nachzuweisen. Man benötigt einen bekannten Körper, zu dem man einen sich bewegenden Gegenstand in Beziehung bringen kann. Jede Bewegung im Raum ist deshalb relativ, das heißt schneller, langsamer, vorwärts oder rückwärts im Verhältnis zu etwas anderem. Hierauf beruht die Relativitätstheorie.
Spezielle Relativitätstheorie
Albert Einstein hat im Jahre 1905 als erster diese Theorie in einer Weise formuliert, die man durch physikalische Berechnungen und Versuche erfassen konnte. Seine Theorie schließt folgende grundsätzliche Überlegungen ein: 1. Alle Bewegung ist relativ; das bedeutet: Geschwindigkeit und Richtung irgendeines Gegenstandes kann man nur im Verhältnis zu einem anderen Gegenstand messen. 2. Die Lichtgeschwindigkeit in einem Vakuum ist ein absoluter Wert, das heißt, das Licht bewegt sich etwa 300 000 Kilometer in der Sekunde, und es ist von der Bewegung der Lichtquelle unabhängig.
Veranschaulichen wir diese beiden Punkte: Du fährst in einem Zug mit einer Geschwindigkeit von 80 Kilometern in der Stunde und wirfst einen Ball in Fahrtrichtung den Gang entlang mit einer Geschwindigkeit von 30 Kilometern in der Stunde. Wie schnell würde sich der Ball dann bewegen? Im Verhältnis zu dir und den Reisenden entlang des Ganges: 30 Kilometer in der Stunde.
Angenommen, jemand steht draußen neben den Schienen und sieht durch die Fenster des Eisenbahnwagens, wie du den Ball wirfst. Wie schnell würde sich der Ball von seinem Standpunkt aus bewegen? 110 Kilometer in der Stunde, denn die Geschwindigkeit des Zuges käme hinzu. Die Geschwindigkeit des Balles ist also relativ: Es kommt darauf an, wer ihn beobachtet.
Mit dem Licht verhält es sich jedoch anders. Könntest du den Zug auf 100 000 Kilometer in der Sekunde beschleunigen und einen Lichtstrahl vorwärts, den Gang entlang, werfen — wie schnell, glaubst du, würde sich das Licht dann bewegen? Für dich im Zug: 300 000 Kilometer in der Sekunde, denn das ist die Lichtgeschwindigkeit Doch wie schnell würde das Licht an dem Zuschauer, der draußen neben den Schienen steht, vorbeieilen? Du denkst vielleicht, du müßtest hier — wie beim Ball — für den Beobachter draußen ebenfalls die Zuggeschwindigkeit (100 000 Kilometer in der Sekunde) hinzuzählen. Das ergäbe eine Gesamtgeschwindigkeit von 400 000 Kilometern in der Sekunde.
Beim Licht trifft das aber nicht zu! Es ist ein verblüffendes Phänomen: Du könntest den Lichtstrahl überhaupt nicht beschleunigen, ganz gleich, wie schnell dein Zug führe. Am Zuschauer neben den Schienen würde er sich mit einer Geschwindigkeit von 300 000 Kilometern in der Sekunde vorbeibewegen, weil die Geschwindigkeit der Lichtquelle ihn nicht beeinflußt. Die Lichtgeschwindigkeit ist die höchste Geschwindigkeit, welche die Wissenschaftler im Weltall beobachtet haben. Es könnte jedoch noch höhere Geschwindigkeiten geben, die sie noch nicht kennen.
Die beiden Überlegungen: Alle Bewegung ist relativ, und die Lichtgeschwindigkeit ist von der Geschwindigkeit ihrer Quelle unabhängig, sind grundlegend für die spezielle Relativitätstheorie.
Die spezielle Relativitätstheorie ist natürlich viel verwickelter, als man das in dieser Abhandlung andeuten kann, denn sie erklärt genau, wie sich Licht, Energie und Masse zueinander verhalten. Sie ermöglichte die Berechnungen, aus denen sich die berühmte Gleichung E = mc2 ergab, die Voraussetzung für die Benutzung der Atomenergie. Die Bombenexplosion hat in bezug auf die allgemeine Richtigkeit der speziellen Relativitätstheorie Einsteins nur wenig Zweifel übriggelassen.
Allgemeine Relativitätstheorie
Was geschieht, wenn sich Geschwindigkeit und Richtung ändern? Wie beeinflussen Gravitationsfelder die Bewegung von Körpern im Weltraum? Wie wird das Licht beeinflußt, wenn es ein starkes Gravitationsfeld eines Sternes passiert hat?
Im Jahre 1916 formulierte Einstein die allgemeine Relativitätstheorie. Darin schloß er die Möglichkeit ein, daß sich Geschwindigkeit und Richtung des Lichtstrahls, der starke Schwerefelder durchläuft, ändern, weil die Schwerkraft sie fast unmerklich beeinflußt.
Drückt man diese Theorie mathematisch aus, erkennt man, wie ungeheuer kompliziert sie ist. Das Buch New Frontiers of Physics (Neue Grenzen der Physik) sagt, man benötige „etwa zehn ähnliche Differentialgleichungen, jede so ehrfurchterregend und erstaunlich in ihrem Aufbau, daß eine sehr knappe und ungewohnte Formel nötig ist, um sie anwenden zu können“. Sei also nicht überrascht, wenn du feststellst, daß die Relativität ein schwieriges Gebiet ist. Für die Wissenschaftler ist es das auch.
Anhand dieser Theorie gelang es Einstein, einige andere Dinge vorherzusagen, z. B. die Wirkung, die die Schwerkraft auf natürliche Zeitabläufe ausübt.
Die Schwerkraft verlangsamt die Vorgänge
Wenn wir von natürlichen Zeitabläufen sprechen, meinen wir besonders die Atom„uhren“, die rhythmisch vibrierenden Atome, die gleichmäßige, meßbare Mengen an Strahlung aussenden. Diese Atomuhren sind viel genauer als mechanische.
Die allgemeine Relativitätstheorie sagte vorher: Alle natürlichen Zeitabläufe wie die rhythmische Strahlung der Atome verlangsamen sich, wenn sie sich auf einem größeren, „schwereren“ Körper befinden. Ein Atom zum Beispiel würde auf der Sonne langsamer strahlen als auf der Erde, denn die Sonne hat eine größere Masse oder ein stärkeres Schwerefeld.
Es ist zwar schwierig, solche Voraussagen zu beweisen. Man hat jedoch die Änderungen in der Menge der Atomstrahlung dichter Körper gemessen, und diese Messungen weisen darauf hin, daß Einsteins Schlußfolgerung im allgemeinen richtig ist. Solche Vorgänge scheinen auf einem Stern, der eine größere Masse hat, langsamer zu verlaufen als auf der Erde, denn seine Schwerkraft ist größer.
Aus dieser Theorie hat man eine andere interessante Schlußfolgerung gezogen: die Schwerkraft könnte einen Lichtstrahl anziehen oder ablenken.
Einen Lichtstrahl ablenken
Einstein errechnete, daß ein starkes Gravitationsfeld einen Lichtstrahl ablenken könne, ähnlich wie die Schwerkraft ein Materieteilchen anzieht.
Man sandte zwei britische Expeditionen aus, um dies experimentell zu beweisen. Die Astronomen photographierten Sterne in der Umgebung der verfinsterten Sonne, deren Licht also das starke Gravitationsfeld der Sonnenoberfläche durchquerte. War es dabei abgelenkt worden? Dann mußte man dies durch die veränderte Position der Sterne auf den Photographien erkennen.
Einstein hatte die Abweichung gemäß seiner Theorie auf etwa 1,75 Bogensekunden berechnet. Die beiden Gruppen maßen die Verschiebung auf den Photographien. In dem einen Fall betrug sie 1,98 Bogensekunden. Die Messungen der anderen Gruppe ergaben 1,6 Bogensekunden. Das kam erstaunlich nahe an die Voraussage heran — nahe genug, um die Vermutung zu bestätigen.
Die Schwerkraft konnte somit einen Lichtstrahl beeinflussen. Daraus ergab sich eine interessante Möglichkeit. In seinem Buch Relativity for the Layman (Relativität für den Laien) schreibt J. Coleman: „Es wäre interessant, sich zu überlegen, wie dicht die Masse eines Sternes sein müßte, damit seine Anziehungskraft groß genug wäre, damit kein Licht den Stern mehr verläßt. Das geschähe, wenn ein Stern, der den gleichen Radius hat wie die Sonne, etwa 400 000mal die Masse der Sonne hätte. Gäbe es solch einen Stern, könnten wir ihn niemals sehen, gleichgültig, wie nahe er wäre oder wie hell er leuchtete!“
Aus dieser allgemeinen Relativitätstheorie haben sich weitere interessante Möglichkeiten ergeben. Man versteht nun verschiedene Phänomene, die unsere Umwelt beeinflussen, etwas besser. Wissenschaftler wenden zwar die mathematischen Formeln der Theorie an; doch sie hat auch ihre Kritiker. Die Kritik beruht auf der Tatsache, daß man die Formeln entwickelt hat, um sie den Tatsachen anzupassen, die man vorfand, statt sie von grundlegenden Lehrsätzen abzuleiten. Es bleibt abzuwarten, inwieweit man sie noch verbessern kann, um die Gesetze des Universums auszudrücken.
Während man die Theorien prüft, beweist, ändert oder ablehnt, bleibt eine grundlegende Tatsache weiterhin im Vordergrund: Es ist die großartige Harmonie des Weltalls. Einstein selbst sagte dazu: „Die moderne Physik ist einfacher als die alte Physik. ... Je einfacher unser Bild von unserer Umwelt ist und je mehr Tatsachen es enthält, um so stärker spiegelt es in unserem Sinn die Harmonie des Universums wider.“
In seinen späteren Lebensjahren formulierte Einstein die einheitliche Feldtheorie. Diese Theorie drückte er mit einer Gruppe physikalischer Gesetze aus, die die Vorgänge im Atom und im Weltraum umfaßten. Sie zeigt, daß die grundlegenden Kräfte des Weltalls nicht unabhängig, sondern untrennbar sind. Das Universum in all seiner Vielfalt faßte er als eine Einheit auf. Über die einheitliche Feldtheorie schreibt Lincoln Barnett in Einstein und das Universum: „So tritt an die Stelle der mannigfaltigen Oberfläche der Natur eine letzte Einheit. ... So verschmelzen schließlich alle Wahrnehmungen des Menschen und seine abstrakten Erkenntnisse, und es enthüllt sich die tiefe Einheit des Universums.“
Wer wirklich weise und demütig ist, erkennt an, woher die Pracht und Harmonie des Weltalls stammt. Jemand mußte dies entworfen und erschaffen haben, denn nichts Geordnetes entsteht durch Zufall. Der Psalmist erkannte den Schöpfer an, als er sagte: „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes.“ Und der Apostel Paulus schrieb: „Natürlich wird jedes Haus von jemand errichtet, doch der, welcher alle Dinge errichtet hat, ist Gott.“ — Ps. 19:1; Hebr. 3:4.