Die wohltuende Dämmerung
WAS würdest du dazu sagen, wenn es plötzlich keinen Übergang mehr zwischen Tag und Nacht gäbe, sondern die Nacht plötzlich hereinbräche, so als würde man das Licht ausknipsen? Würdest du die Dämmerung vermissen?
Für viele ist die Dämmerstunde der schönste Teil des Tages. Sie finden die wechselnden Farben am Himmel reizvoll, ebenso das allmähliche Herabsinken der Nacht. Die Abenddämmerung hat schon viele Maler zu einem großartigen Kunstwerk inspiriert.
Wie entsteht die Dämmerung?
Hätte die Erde keine Atmosphäre, so würde nach Sonnenuntergang die Nacht so plötzlich hereinbrechen, als würde man das Licht ausknipsen. Das geschieht auf dem Mond, der ja keine Atmosphäre hat, wenn die Sonne unter den Horizont sinkt.
Aber auf der Erde verbreitet die Sonne nach ihrem Untergang noch Helligkeit, indem sie die oberen Schichten der Erdatmosphäre anstrahlt. Die Atmosphäre mit ihren vielen Staubteilchen wirft das Sonnenlicht zurück, so daß ein zerstreutes Licht oder Dämmerlicht entsteht. Während die Sonne unter den Horizont sinkt und immer weniger von der Atmosphäre darüber anstrahlt, wird es allmählich dunkel. Denselben Vorgang kann man beim Sonnenaufgang beobachten, nur in umgekehrter Reihenfolge. Auch den Übergang von der Nacht zum Tag nennt man Dämmerung — Morgendämmerung.
Die Dämmerungserscheinungen sind nicht überall auf der Erde gleich. Ihre Dauer ändert sich je nach der geographischen Breite des Beobachtungsortes. Am Äquator zum Beispiel geht die Sonne senkrecht zum Horizont auf und unter. Sie verschwindet daher rasch unter den Horizont, so daß die Dämmerung dort am kürzesten ist.
In der gemäßigten Zone, in höheren Breiten, sinkt die Sonne schräger gegen den Horizont herab. Es dauert daher länger, bis sie so weit unter dem Horizont steht, daß die Strahlen die höheren Luftschichten nicht mehr treffen. Daher dauert die Dämmerung länger.
Die Dauer der Dämmerung hängt auch von der Jahreszeit ab. Ihren Unterschied verdanken die Jahreszeiten der Neigung der Erdachse gegenüber der Bahn um die Sonne. Das hat zur Folge, daß die Sonne für jeden Erdort zu verschiedenen Zeiten des Jahres verschieden tief unter den Horizont sinkt; und außerdem wechselt die Neigung des scheinbaren Sonnenpfades gegenüber dem astronomischen Horizont.
Abschnitte der Dämmerung
Man unterscheidet bei der Dämmerung drei Abschnitte. Erstens: die bürgerliche Dämmerung. Sie beginnt, sobald die Sonne für den Bodenbeobachter unter dem Horizont steht, und reicht bis zu einer Sonnentiefe von sechs Grad. Das ist also die Zeit, während der man nach Sonnenuntergang noch im Freien der gewöhnlichen Beschäftigung nachgehen kann und der erste Stern sichtbar wird.
Dann folgt die nautische Dämmerung; sie dauert an, bis die Sonne 12 Grad unter dem Horizont steht. Zu dieser Zeit sind nur noch die Umrisse der Gegenstände sichtbar, den Horizont kann man nur noch undeutlich sehen, und die helleren Sterne werden sichtbar.
Schließlich gibt es die astronomische Dämmerung. Sie endet, wenn die Sonne achtzehn Grad unter dem Horizont steht. Die Farberscheinungen sind dann ganz verschwunden, und „vollständige“ Dunkelheit senkt sich herab.
Die Dämmerungserscheinungen
Die Dämmerung ist manchmal außerordentlich farbenreich. Wenn die Sonne etwa zwei Grad unter dem Horizont steht, mag ein herrliches Purpurlicht zu sehen sein. Diese Farberscheinung kann ganz verschieden sein, aber gewöhnlich verbreitert sie sich schnell und nimmt an Intensität zu, so daß alle Gegenstände auf dem Erdboden purpurn schimmern. Das Purpurlicht dauert an, bis die Sonne etwa sechs Grad unter dem Horizont steht. Die Dunstschicht, die hauptsächlich für die Streuung des Lichts verantwortlich ist, das diese Farberscheinung hervorruft, liegt ungefähr zehn Kilometer über der Erdoberfläche.
Danach erscheint alles in der Luft und auf dem Erdboden in ein unbeschreibliches Blau getaucht. Das beobachtet man besonders im Winter, wenn alles verschneit ist. Dann verliert sich das Abendrot mehr und mehr und verschwindet schließlich ganz, sobald die Sonne 18 Grad unter dem Horizont steht.
Wirkung auf Pflanzen und Tiere
Der allmähliche Übergang vom Tag zur Nacht gibt Pflanzen und Tieren Zeit, sich anzupassen. Bei manchen Pflanzen kann man während der Dämmerung beobachten, wie sich langsam die Blätter senken oder sich die Blüten schließen, als sollten die zarten Teile vor der Nacht verborgen werden. Andere Pflanzen öffnen bei Eintritt der Dämmerung ihre Blüten; man hat den Eindruck, sie wollten einfangen oder einatmen, was sie während des Tages versäumt haben. Dieser Rhythmus wird offenbar durch einen eingebauten Mechanismus gesteuert, der durch den Helligkeitswechsel in Gang gesetzt wird.
Einen ähnlichen Vorgang beobachtet man im Tierreich. Manche Tiere werden abends schläfrig und ziehen sich in ihr Nest oder auf ihr Lager zurück. Andere Tiere dagegen werden abends munter und gehen nachts auf Nahrungssuche. Über diesen Tag-und-Nacht-Rhythmus schrieb der Psalmendichter, der Jehova Gott die Ehre dafür gibt, vor fast 3 000 Jahren folgendermaßen: „Du machst Finsternis, und es wird Nacht; in ihr regen sich alle Tiere des Waldes.“ — Ps. 104:20.
Wirkung auf den Menschen
Für den Menschen kann die Abenddämmerung eine erholsame schöne Stunde sein. Diese Dämmerstunde gibt ihm Zeit, sich auf die kommende Nacht einzustellen, und dem Auge gibt der allmähliche Übergang vom Tag zur Nacht Gelegenheit, sich anzupassen. Die Abenddämmerung kann Ängste verscheuchen und das Herz mit einem Gefühl der Zufriedenheit erfüllen. „Mit der Abenddämmerung kommen auch Erquickung und Linderung“, sagte ein Dichter.
Die Abenddämmerung kann eine günstige Zeit zum Nachdenken sein. Sie regt den Menschen an, seine Gedanken über das Alltägliche zu erheben. Sie stimmt den Menschen besinnlich und hilft ihm, bei sich Einkehr zu halten.
Aber man muß auch wachsam sein. Die Abenddämmerung mag das Gemüt eines Menschen so beeinflussen, daß er in Gefahr kommt, auf die schiefe Bahn zu geraten. Wenn sich seine Gedanken in gewissen Bahnen bewegen, mögen sie in ihm sinnliche Regungen hervorrufen, die er dann in unrechtmäßiger Weise zu befriedigen sucht. Vor dieser Gefahr warnt der weise König Salomo, wie wir in der Bibel, und zwar in den Sprüchen, lesen. Er beschreibt einen unverständigen Jüngling, der „in der Dämmerung, am Abend des Tages, in der Mitte der Nacht und in der Dunkelheit“ den Weg nach dem Hause einer Hure schreitet. — Spr. 7:7-9.
Das zeigt gewiß deutlich, wie wichtig es ist, daß gottesfürchtige Personen die Dämmerstunde, aber auch die übrigen Stunden des Tages, zu einem guten Zweck benutzen. Es ist unerläßlich, daß man über die reinen, erhabenen Grundsätze, die in Gottes Wort, der Bibel, zu finden sind, nachdenkt und im Gebet Herz und Gedanken von der Erde zu Jehova Gott erhebt, dem Schöpfer der wohltuenden Dämmerung.