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Ist die Ablehnung eines Heilverfahrens eine Absage an das Leben?Erwachet! 1984 | 8. November
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Ist die Ablehnung eines Heilverfahrens eine Absage an das Leben?
FRAGE dich selbst: „Habe ich das Recht, unter verschiedenen medizinischen Heilverfahren zu wählen oder sie gänzlich abzulehnen?“ Diese wichtige Frage verdient es, betrachtet zu werden, weil einige behaupten, jemand offenbare einen Mangel an Wertschätzung für sein Leben, wenn er eine von Ärzten empfohlene Therapie ablehne. Ferner kann die Frage gestellt werden, ob Eltern lieblos handeln, falls sie eine bestimmte Behandlung für ihr krankes Kind, zu der man ihnen geraten hat, ablehnen, nachdem sie die damit verbundenen Risiken abgewogen haben.
Manche nehmen in dieser Angelegenheit einen dogmatischen Standpunkt ein und reduzieren ihn auf die Behauptung: „Ein Nein zur Therapie bedeutet ein Nein zum Leben des Kindes.“ Es ist allerdings leicht zu erkennen, wie übermäßig vereinfacht und oberflächlich diese Ansicht ist. Sie ist auf das Gefühl ausgerichtet und ignoriert 1. das Gewissen und grundlegende sittliche Normen, 2. das Persönlichkeitsrecht und das Familienrecht und 3. medizinische und gesetzliche Aspekte einer Streitfrage, der zur Zeit weltweit Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Das Gewissen ist ein persönlicher und unverletzlicher Teil eines jeden psychisch gesunden, gesitteten Menschen. Der bekannte katholische Kardinal John Henry Newman vertrat die Ansicht, daß der Weg zum Licht durch Gehorsam gegenüber dem Gewissen gefunden wird. Als sich die Kriegsverbrecher aus der Zeit des Nationalsozialismus darauf beriefen, daß sie lediglich Befehlen gefolgt seien, erhoben ehrenhafte Menschen in der ganzen Welt den Einwand, jene Verbrecher hätten trotz dieser Befehle ihrem Gewissen gehorchen müssen. Gleichermaßen erhob Papst Johannes Paul II. im Januar 1982 „seine Stimme zu Gott, daß das Gewissen nicht erstickt werde“. Jemand zu zwingen, sein Gewissen zu vergewaltigen, beurteilte er als „den schwersten Schlag gegen die Würde des Menschen. In einem gewissen Sinne ist es verwerflicher, als jemandes physischen Tod herbeizuführen, ja als Mord.“
Seine Äußerungen mögen mit deinem Rechtsempfinden in Übereinstimmung sein, daß das Gewissen bei Entscheidungen auf medizinischem Gebiet eine wichtige Rolle spielen sollte.
Gewissen und Medizin
Folgendes Beispiel sei angeführt: Auch wenn man kein Katholik ist, weiß man wahrscheinlich um das Verbot in der katholischen Lehre, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, sogar wenn eine Schwangerschaft für die Mutter oder das Kind ein Risiko darstellt. Man überlege sich, vor welch ein Problem ein römisch-katholischer Arzt in einem Land gestellt ist, in dem Abtreibung legalisiert ist, wie zum Beispiel in Italien, wo am 22. Mai 1978 das Gesetz Nr. 194 in Kraft getreten ist. Aufgrund dieses Gesetzes ist es Medizinern gestattet, aus Gewissensgründen Einwände gegen eine Abtreibung zu erheben. In Artikel 9 wird jedoch im einzelnen dargelegt, daß ein Arzt „Einwände aus Gewissensgründen nicht geltend machen kann“, wenn das Leben einer Frau gefährdet ist. Wozu soll sich dann ein Arzt, der ein aufrichtiger praktizierender Katholik ist, entscheiden?
Würde man einen Arzt des Mordes für schuldig befinden, wenn er, falls kein anderer Arzt in der Nähe ist, alles getan hat, was er tun konnte, ohne sein Gewissen zu verletzen? Andererseits wäre es „verwerflicher ... als Mord“, den Arzt zu zwingen, sein Gewissen zu vergewaltigen, sogar wenn eine Frau oder die Behörden darauf bestehen würden. Das veranschaulicht, wie Entscheidungen, die die Gesundheit und das Leben betreffen, von Gewissensfragen berührt werden.
Eltern, Kinder und Leben
Ein klares Bild vermittelt uns auch die Handlungsweise der ersten Christen. Vermutlich ist dir bekannt, daß sie sich weigerten, vor dem Standbild des Reichsherrschers Weihrauch darzubringen, da sie dies als eine götzendienerische Handlung betrachteten. Ihre Auffassung, die sie aufgrund ihrer Religion und ihres Gewissens vertraten, stand in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben und auch mit der Gesundheit und dem Leben ihrer Kinder. Wieso? Als sie vor die Wahl gestellt wurden: „Opfere Weihrauch, oder deine Familie wird in einer römischen Arena sterben!“, handelten die Christen nicht entgegen ihrer Überzeugung. Sie standen loyal zu ihrem Glauben, selbst wenn der Lauf, den sie einschlugen, für sie und ihre Kinder riskant oder verhängnisvoll war.
Die Christen wurden auch in Verbindung mit dem Blut geprüft, da die Bibel das Gebot enthält, ‘sich des Blutes zu enthalten’ (Apostelgeschichte 15:20). Tertullian, ein lateinischer Kirchenschriftsteller des dritten Jahrhunderts, berichtet, daß Epileptiker als ein angebliches Heilmittel das noch frische Blut getöteter Gladiatoren tranken. Nahmen die Christen aus derartigen „medizinischen“ Gründen Blut zu sich? Niemals. Tertullian schreibt außerdem, daß die Christen nicht einmal das Blut von Tieren aßen. In der Tat, wenn römische Beamte herausfinden wollten, ob jemand wirklich ein Christ war oder nicht, zwangen sie ihn zum Essen von Blutwurst, da sie wußten, daß echte Christen selbst bei Todesstrafe keine essen würden. Das ist deshalb erwähnenswert, weil sich die christlichen Zeugen Jehovas heute ebenfalls weigern, Blut zu sich zu nehmen.
Nun mögen wir uns fragen: „Schätzten die ersten Christen das Leben gering ein, oder spielten sie gern den Märtyrer?“ Nein, die römische Obrigkeit zwang ihnen und ihren Kindern den Tod auf. Ja, erinnern wir uns nicht respektvoll an jene ergebenen Christen, die wußten, wie es der Papst kürzlich ausdrückte, daß für sie die Verletzung ihres Gewissens schlimmer gewesen wäre als der Tod?
Falls jemand denkt, es handle sich hier um etwas anderes als Entscheidungen auf medizinischem Gebiet, beachte er, was Dr. D. N. Goldstein schrieb:
„Ärzte, die diesen Standpunkt [Personen eine Behandlung aufzuzwingen, falls sie sie ablehnen] vertreten, leugnen die Opfer all der Märtyrer, die die Geschichte schmückten, indem sie sich sogar auf Kosten ihres Lebens einem Ideal weihten. Denn diese Patienten, die lieber den sicheren Tod auf sich nehmen, als sich über religiöse Bedenken hinwegzusetzen, sind aus dem gleichen Holz geschnitzt wie diejenigen, die [lieber] ihren Glauben an Gott mit dem Leben bezahlten ..., als sich [gezwungenermaßen] taufen zu lassen. ... Kein Arzt sollte rechtlichen Beistand suchen, um einen Körper zu retten, indem er eine Seele vernichtet. Das Leben gehört dem Patienten“ (The Wisconsin Medical Journal).
Das wirkliche Leben wählen
Die meisten von uns sind wahrscheinlich der Meinung, daß das „Leben“ mehr bedeutet, als nur biologisch zu existieren. Es ist eine Existenz, die sich um Ideale oder Werte (Politik, Religion, Wissenschaft, Kunst usw.) dreht; ohne Derartiges wäre eine Existenz wertlos. Aus diesem Grunde riskierten während des Zweiten Weltkrieges Patrioten beiderlei Geschlechts ihr Leben, um politische Ideale zu verteidigen, wie Demokratie, Redefreiheit sowie Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Verteidigung dieser Ideale hatte den Tod vieler Kinder zur Folge. Zahllose andere wurden zu Waisen.
Dies kommt auch im Fall des bedeutenden italienischen Politikers Aldo Moro zum Ausdruck. Er wurde im Jahre 1978 auf barbarische Weise ermordet, als die Behörden sich weigerten, den Forderungen der Terroristen nachzukommen. Offensichtlich werden gelegentlich Menschenleben höheren Interessen geopfert.
Somit kann man verstehen, daß ein Mensch, der hohe moralische Grundsätze vertritt, sich entscheiden könnte, lieber seinen biologischen Fortbestand zu riskieren, als seine Ideale zu verraten. Auf diese Weise erwählt er sich das wirkliche Leben, ein Leben im wahrsten Sinne des Wortes. Auf christliche Ideale trifft dies gewiß zu.
Christen betrachten das menschliche Leben als etwas Heiliges und als eine wertvolle Gabe von Gott. Man denke an den Apostel Paulus, der ein intelligenter, gebildeter Mann war. Er erduldete Schläge und befand sich in lebensbedrohenden Situationen, sagte jedoch: „Ich [habe] den Verlust aller Dinge erlitten, und ich betrachte sie als eine Menge Kehricht, damit ich Christus gewinne ..., um, wenn möglich, irgendwie zu der Früh-Auferstehung von den Toten zu gelangen“ (Philipper 3:8-11).
Wir können sicher sein, daß sich der Apostel Paulus niemals an etwas beteiligt hätte, wovon er wußte, daß Gott es verurteilte. Es steht außer Frage, daß Paulus niemals „das wirkliche Leben“, das für ihn ein Leben im Himmel bedeutete, aufs Spiel gesetzt hätte, nur um sein menschliches Leben um ein paar Jahre zu verlängern oder um seine Gesundheit nicht zu gefährden (1. Timotheus 6:19). Ziehe jedoch folgendes in Betracht:
Heutzutage gibt es Millionen von Kirchgängern, die einem Leben im Himmel erwartungsvoll entgegensehen; du vielleicht auch. Wenn also ein ernstlich erkrankter Mensch, der die Hoffnung auf ein zukünftiges ewiges Leben hat, eine Therapie verweigert, von der er denkt, daß Gott sie verboten hat, dann wäre es sicher unfair, ihn der Absage an das Leben zu beschuldigen. Er hat jahrelang auf der Erde gelebt, und er mag sich erholen und am Leben bleiben. Aber in jedem Fall, selbst wenn seine Ärzte seine religiöse Überzeugung nicht teilen, wäre es für ihn vernünftig, sein dauerhaftes zukünftiges Leben in Betracht zu ziehen und dementsprechende Entscheidungen auf medizinischem Gebiet zu treffen.
Dieser Gesichtspunkt wird von Ärzten selten erörtert, wenn sie eine bestimmte Therapie für dich oder deine lieben Angehörigen empfehlen. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist aber, daß sie dich darüber informieren sollten, in welchem Verhältnis die Risiken zu dem erwarteten Nutzen stehen. Du bist es dir und deiner Familie schuldig, all dies in Betracht zu ziehen, da es dir helfen kann, eine weise Entscheidung zu treffen und auch zu verstehen, welche Weisheit sich hinter der Handlungsweise anderer verbirgt.
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Dein Recht, Risiko und Nutzen gegeneinander abzuwägenErwachet! 1984 | 8. November
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Dein Recht, Risiko und Nutzen gegeneinander abzuwägen
DEIN Körper gehört dir. Dein Leben gehört dir. Diese Äußerungen scheinen nicht außergewöhnlich zu sein, aber sie unterstreichen eines deiner Grundrechte, die mit einer medizinischen Behandlung im Zusammenhang stehen. Es ist dein Recht, zu entscheiden, was mit dir geschieht. Viele machen von diesem Recht Gebrauch, indem sie ihren Fall von zwei voneinander unabhängigen Stellen beurteilen lassen und dann eine Entscheidung treffen. Andere lehnen eine bestimmte Therapie ab. Dr. Loren H. Roth führte 1983 eine Studie durch, die aufzeigt, daß 20 Prozent der Krankenhauspatienten die eine oder andere Behandlung ablehnen.
Wie kannst du eine Entscheidung treffen, wenn du erkrankst? Woher kannst du wissen, welches die beste Behandlung ist, da du kein Arzt bist? Gewöhnlich wenden wir uns an Ärzte, Experten, die eine fachliche Ausbildung haben, Erfahrung besitzen und denen die Verpflichtung auferlegt ist, Menschen zu helfen. Arzt und Patient sollten das „Risiko-Nutzen-Verhältnis“ erörtern. Worum handelt es sich dabei?
Nehmen wir an, du hättest ein krankes Knie. Ein Arzt empfiehlt eine Operation. Welche Risiken entstehen jedoch bei der Narkose und bei der Operation oder im Hinblick auf die spätere Funktionsfähigkeit des Beines? Was ist andererseits der mögliche Nutzen, und wie stehen die Erfolgsaussichten in deinem Fall? Nach einer Erörterung von Risiko und Nutzen hast du das Recht zu entscheiden: der Behandlung zuzustimmen oder sie abzulehnen.
Risiko und Nutzen gegeneinander abwägen
Untersuche das Risiko-Nutzen-Verhältnis in dem vorher erwähnten Fall von Giuseppe und Consiglia Oneda.
Ihre Tochter Isabella war sehr krank, und die Ärzte empfahlen (bestanden sogar darauf), daß ihr regelmäßig Bluttransfusionen gegeben werden sollten. In erster Linie erhoben die besorgten Eltern aufgrund ihrer Kenntnis der Gesetze der Bibel Einspruch. Doch wie hätte sich eine Betrachtung des Risiko-Nutzen-Verhältnisses ausgewirkt?
Heutzutage wird weithin unterstellt, daß Bluttransfusionen eine sichere und wirksame Behandlungsmethode sind. Wir sollten jedoch nicht vergessen, daß im 17. Jahrhundert der Aderlaß eine allgemein übliche medizinische Praktik war, die an Jung und Alt gleichermaßen vorgenommen wurde und oft verhängnisvolle Folgen hatte. Was wäre in jenen Tagen geschehen, wenn sich Eltern energisch gegen einen Aderlaß bei ihrem Kind ausgesprochen hätten?
Die Zeit des Aderlasses ist vorbei; heute treten die Mediziner dafür ein, Blut zu infundieren. Wenngleich von den Ärzten in den letzten Jahren eine Menge geleistet worden ist, so müssen sie doch zugeben, daß Transfusionen mit Risiken verbunden sind. Dr. Joseph Bove (Vorsitzender eines Komitees der American Association of Blood Banks, das sich mit Krankheiten beschäftigt, die durch Transfusionen übertragen werden) berichtete kürzlich, daß im Jahre 1943 das erste Mal davon die Rede war, daß sich jemand aufgrund einer Blutübertragung Hepatitis zugezogen habe. Er fuhr fort:
„Heute, nach 40 Jahren, wird die Übertragung von Hepatitis durch zumindest vier verschiedene aus dem Blut stammende Virusarten als Transfusionsrisiko anerkannt. Und zahlreiche weitere Infektionserreger, die durch Transfusionen von Blut und Blutbestandteilen übertragen werden können, sind erfaßt worden“ (The New England Journal of Medicine, 12. Januar 1984).
Wie hoch würdest du die Risiken transfusionsbedingter Krankheiten einschätzen, wenn du vor der Situation stündest, das Für und Wider hinsichtlich deiner Gesundheit oder der deiner Familie abzuwägen? Selbst Ärzte sehen sich außerstande, dies abzuschätzen, weil der Tod als Folge dieser Krankheiten oft lange nach einer Transfusion eintreten kann. Als Beispiel diene der Erreger der Hepatitis (B), der durch Ausleseverfahren nur teilweise gefunden wird. In einer Nachrichtensendung (10. Januar 1984) wurde berichtet:
„Nach Angaben des Seuchenkontrollzentrums (CDC) in Atlanta (Georgia, USA) erkrankten im Jahre 1982 ungefähr 200 000 Amerikaner an Hepatitis B; 15 000 Personen mußten aufgrund ihres akuten Krankheitsstadiums im Krankenhaus behandelt werden, und 112 starben. Weitere 4 000 starben an den Spätfolgen dieser Krankheit.“
Man mag sich die Frage stellen, wie viele in Deutschland, Italien, Japan und anderswo an den Folgen von transfusionsbedingter Hepatitis gestorben sind. Ja, der Tod infolge von Transfusionen ist ein ernsthaft abzuwägendes Risiko.
Auch nimmt in dem Risiko-Nutzen-Verhältnis bei Transfusionen der Anteil des Risikos zu. Professor Giorgio Veneroni (Mailand) führte im Mai 1982 aus: „In dem Maße, wie unser Wissen zunimmt, entdecken wir sogar noch eine größere Anzahl von Risiken, die mit Transfusionen homologen Blutes verbunden sind.“ Eine Entdeckung, die die Ärzte alarmiert hat, ist AIDS (erworbenes Immun-Defekt-Syndrom), eine Krankheit, die außergewöhnlich oft zum Tode führt. Dr. Joseph Bove sagte außerdem:
„Ärzte müssen das Transfusionsrisiko für den Empfänger gegen den erwarteten Nutzen abwägen. Dieses Konzept ist zwar nicht neu, aber es ist insofern aktueller geworden, als man die Befürchtungen eines Patienten nicht länger zerstreuen kann, daß er sich durch die Transfusion AIDS zuziehen könne.“
Ein derartiges Risiko besprachen die Ärzte mit den Onedas 1978 nicht. Es wurde damals nicht als solches erkannt. Heute wissen wir jedoch davon. Trägt nicht eine Kenntnis der größeren Transfusionsrisiken dazu bei, die Entscheidung der Onedas weniger kritisch zu betrachten?
Risiko und Nutzen gegeneinander abzuwägen obliegt den Eltern
Als Erwachsener hat man das Recht, die Risiken und den Nutzen einer Bluttransfusion oder anderer Behandlungsmethoden gegeneinander abzuwägen. „Jeder entscheidungsfähige Erwachsene wird als Herr über seinen eigenen Körper betrachtet. Er mag ihn weise oder unvernünftig behandeln. Er mag sich sogar einer lebensrettenden Behandlung widersetzen, aber das geht niemand anders etwas an, schon gar nicht den Staat“ (Willard Gaylin, M. D., Präsident des Hastings Center). Wer übernimmt es aber für ein Kind, die Risiken und den Nutzen gegeneinander abzuwägen?
Die allgemeine Erfahrung zeigt, daß die Eltern mit dieser Verantwortung betraut sind. Nehmen wir zum Beispiel den Fall, dein Kind hätte Probleme mit den Mandeln und eine Operation wäre vorgeschlagen worden. Du möchtest etwas über die Vor- und Nachteile einer Mandeloperation wissen, nicht wahr? Anschließend wirst du die Risiken mit denen einer Antibiotika-Behandlung vergleichen. Dann kannst du — wie viele Eltern zuvor — aufgrund von Informationen zu einer Entscheidung kommen.
Betrachte eine ernstere Situation. Ärzte übermitteln dir die traurige Nachricht, daß dein Kind eine vermutlich unheilbare Art Krebs hat. Sie sprechen davon, daß eine Chemotherapie durchgeführt werden könne, das Kind aufgrund der Medikamente aber sehr, sehr krank würde und die Chancen, die Krankheit in diesem Stadium in den Griff zu bekommen, fast gleich Null wären. Hättest du nicht das Recht, die letzte Entscheidung zu treffen?
Die Antwort, die du in einem Artikel von Dr. Terrence F. Ackerman finden kannst, lautet „Ja“.a Er gab zu, daß viele gerichtliche Verfügungen aufgrund der Behauptung zustande gekommen sind, daß der Staat Minderjährige schützen müsse. An dem berühmten M. D. Anderson Hospital and Tumor Institute folgte man jedoch in einer Anzahl von Fällen der Verfahrensweise, Transfusionen nicht gerichtlich zu erwirken. Warum nicht? Zum Teil, weil „jedes dieser Kinder eine möglicherweise tödlich verlaufende Krankheit hatte und wir einen erfolgreichen Ausgang nicht vorhersagen konnten“. Traf das nicht im Fall von Isabella zu?
Ackerman unterstrich den Wert des „Respekts gegenüber dem Recht der Eltern, ihre Kinder auf eine Weise aufzuziehen, die sie für angemessen halten“. Er argumentierte: „Ein grundlegender Lehrsatz in der Praxis der Pädiatrie ist der, daß dem Arzt die moralische Pflicht obliegt, die Eltern und die Familie zu unterstützen. Die Diagnose einer möglicherweise tödlich verlaufenden Krankheit ihres Kindes setzt die Eltern einer gewaltigen Belastung aus. Wenn Eltern zusätzlich noch mit etwas zu kämpfen haben, wovon sie glauben, es sei eine Übertretung des Gesetzes Gottes, werden sie in ihrer Fähigkeit, ihre Aufgaben wahrzunehmen, vielleicht noch mehr beeinträchtigt. Darüber hinaus wirkt sich das Wohlergehen der Familie direkt auf das Wohlergehen des kranken Kindes aus.“
Alternative Methoden
Um die vielen Transfusionsrisiken zu umgehen, sind Operationstechniken entwickelt worden, die den Bedarf an Blut einschränken. Tatsächlich hat der Standpunkt, den Jehovas Zeugen hinsichtlich des Blutes einnehmen, zu diesen Forschungen ermutigt. Gegen Ende 1983 brachten die Zeitungen in den Vereinigten Staaten einen Bericht, der auf einer Tagung der American Heart Association vorgetragen worden war: Bei Herzoperationen an 48 Kindern im Alter von drei Monaten bis acht Jahren wurde kein Blut verwendet. Die Körpertemperatur des Patienten wurde herabgesetzt, und das Blut wurde mit einer Salz- und Nährlösung verdünnt. Es wurde jedoch kein Blut gegeben. Anfangs wurde diese Technik nur bei Kindern von Zeugen Jehovas angewandt. Als die Chirurgen feststellten, daß die Kinder der Zeugen die Operation viel besser überstanden als Kinder, bei denen herkömmliche Methoden angewandt wurden, entschlossen sie sich, diese Technik bei allen ihren Patienten anzuwenden.
Verständlicherweise gibt es Fälle, in denen Ärzte eine Bluttransfusion als unerläßlich erachten. Doch können folgende Einwände erhoben werden: 1. Selbst viele Ärzte geben zu, daß die Fälle, in denen sie davon überzeugt sind, daß Transfusionen wirklich lebenswichtig sind, sehr selten sind. 2. Die schädliche Gewohnheit, Blut unnötigerweise zu übertragen, hat sich seit langem eingebürgert. 3. Die schwerwiegenden Transfusionsrisiken machen es unmöglich, hinsichtlich des Risiko-Nutzen-Verhältnisses einen dogmatischen Standpunkt einzunehmen. Folglich wird von einigen Krankenhäusern berichtet, daß viele, die keine Zeugen Jehovas sind, darauf bestehen, kein Blut zu erhalten.
Hoffnung für die Zukunft
Erfreulicherweise wird dem Recht und der Würde des einzelnen mehr und mehr Aufmerksamkeit geschenkt. In aufgeklärten Ländern, wie zum Beispiel in Italien, werden Anstrengungen unternommen, die größtmögliche Freiheit sicherzustellen, wozu die Freiheit gehört, auf Sachkenntnis beruhende Entscheidungen zu treffen. In einer Broschüre, die von der American Medical Association herausgegeben worden ist, wird erklärt: „Der Patient muß das letzte Wort darüber haben, ob er die Risiken einer Behandlung oder Operation, die ihm von einem Arzt empfohlen worden ist, auf sich nehmen will oder ob er es riskiert, sich nicht behandeln zu lassen. Das ist das natürliche Recht des einzelnen, das gesetzlich anerkannt ist.“
Das gleiche ist auf Minderjährige anwendbar. Wenn du Kinder hast, solltest du an Entscheidungen, die deine Kinder betreffen, einen aktiven Anteil nehmen. Ein Richterkollegium in den Vereinigten Staaten schrieb in „Leitfaden für den Richter bei ärztlichen Anordnungen, Kinder betreffend“:
„Wenn eine Wahl zwischen mehreren Verfahren besteht — wenn der Arzt zum Beispiel ein Verfahren empfiehlt, das eine achtzigprozentige Erfolgschance bietet, von den Eltern aber abgelehnt wird, diese jedoch nichts gegen ein Verfahren einzuwenden haben, das nur eine vierzigprozentige Erfolgschance bietet —, dann muß der Arzt das Verfahren anwenden, das vom medizinischen Standpunkt aus riskanter ist, aber die Zustimmung der Eltern hat.“
Ein solcher Hinweis kann höchst bedeutungsvoll werden, wenn du auf deinem Recht — ja deiner Verpflichtung — bestehst, über medizinische Aspekte genau informiert zu werden. Oft erweist es sich als vorteilhaft, von einem anderen Experten eine zweite Diagnose stellen zu lassen. Ziehe Erkundigungen über die verschiedenen Verfahren ein, die bei einem medizinischen Problem angewandt werden können, und frage nach den möglichen Risiken und Vorteilen jeder Therapie. Wenn du das Risiko-Nutzen-Verhältnis kennst, kannst du eine sachkundige Entscheidung treffen. Von seiten des Gesetzes hast du dazu das Recht. Von seiten Gottes und deines Gewissens bist du dazu verpflichtet.
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