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  • Wir hatten dich schon lieb, bevor du geboren warst
    Erwachet! 1984 | 8. November
    • Wir hatten dich schon lieb, bevor du geboren warst

      Das Recht zu leben/das Recht zu sterben. Persönliche Freiheit bei der Wahl einer medizinischen Behandlung. Elterliche Liebe und Fürsorge gegenüber Kindern. Streitfragen wie diese erscheinen oft in den Schlagzeilen. Bisher sind nicht wenig Zeitungsartikel über Zeugen Jehovas erschienen, die aus religiösen Gründen Bluttransfusionen verweigert haben. Viele andere sind jedoch mit betroffen, weil Entscheidungen auf medizinischem Gebiet unser aller Leben und unsere Gesundheit berühren. Um diese Streitfragen ins Blickfeld zu rücken, möchten wir die Erfahrung einer Familie erwähnen, die ihre Lebensweise drastisch geändert hat, um den Kindern eine angemessene Fürsorge zukommen zu lassen. Danach folgt ein äußerst interessanter Fall, der von einem Ehepaar in Italien handelt, das des Mordes angeklagt wurde, als sein Kind an einer unheilbaren Krankheit gestorben war. Diese Artikel werden dir helfen, die obenerwähnten Streitfragen gegeneinander abzuwägen, insbesondere hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidungen, die deine Gesundheit und dein Leben betreffen, zu fällen hat.

      LUIGI und Antonella, 9 und 11 Jahre alt, kommen zum Mittagessen nach Hause. „Wie war es in der Schule?“ fragt Fiorella, ihre Mutter, und begrüßt sie mit einer liebevollen Umarmung. Während sie sich waschen und umziehen, unterhalten sie sich, und dann setzen sie sich an den Tisch. Nachdem Fiorella ein kurzes Gebet gesprochen hat, lassen sie es sich schmecken. Ihr Vater, Carlo, wird erst am Abend nach Hause kommen, aber sie sprechen oft und liebevoll von ihm und werden ihm viel zu erzählen haben.

      Meinst du, daß diese herzliche Familienatmosphäre aus einer vergangenen Ära stammt? Es mag den Anschein haben, weil die Realität in den Familien heute ganz anders aussieht. (Siehe Kasten.) Die Familie — wo die Kinder ihre meiste Zeit verbringen — ist eindeutig im Verfall begriffen.

      Parallel zur steigenden Zahl von Scheidungen und Trennungen wächst das Phänomen der „Kofferkinder“. Die Kinder werden wie Postpakete von einem Elternteil zum anderen und wieder zurück gesandt. Anderen Kindern, deren Eltern nicht getrennt leben, bleibt es nicht erspart, Zeugen trauriger Familienauseinandersetzungen zu sein, oder sie werden gar von den Eltern mißhandelt. Die sich verschlechternde Familienatmosphäre führt oft zu Drogenmißbrauch und Jugendkriminalität.

      Das Jahr 1979 wurde von den Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr des Kindes erklärt. Allerdings „ist etwas mehr als das Jahr des Kindes erforderlich, um die Situation in Ordnung zu bringen“, schrieb Fabrizio Dentice in der Zeitung L’Espresso vom 28. Januar 1979. Er fuhr fort: „Es bedarf einer Änderung des heutigen Lebensstils, da er uns zu dem macht, was wir sind.“

      Wie man jedoch weiß, ist es nicht einfach, seinen Lebensstil zu ändern und die häusliche Atmosphäre für die Kinder zu verbessern. Dennoch ist dies Carlo und Fiorella vor einigen Jahren gelungen, nachdem sie mit Jehovas Zeugen die Bibel studiert hatten. Sie entschlossen sich, in ihrer Familie biblische Grundsätze anzuwenden. Zum Segen ihrer Kinder zeichnet sich ihr häusliches Leben jetzt durch Liebe aus.

      Wie kann man seine Lebensweise ändern?

      Zweifellos kennt jeder Familien, für die es von Nutzen wäre, an ihrer Lebensweise und ihrer häuslichen Atmosphäre etwas zu ändern. Wie kann das erreicht werden? Durch eine Änderung der Lebensauffassung. Die meisten sind egoistisch und befriedigen ihre eigenen Launen und Wünsche. Viele verbrauchen ihre besten Kräfte, um Karriere zu machen oder dem Vergnügen nachzustreben. Wenn sie ihres Ehepartners müde werden, suchen sie sich einfach einen anderen.

      Damit es bei uns anders ist, müssen wir den grundlegenden und dauerhaften sittlichen Werten in unserem Leben den ersten Platz einräumen. Das bedeutet, für Gott und die Grundsätze der Heiligen Schrift Raum zu schaffen. Dadurch können unsere geistigen Bedürfnisse befriedigt werden, wie das bei Carlo und Fiorella der Fall war. Ferner sollten wir Hilfsbereitschaft gegenüber anderen entwickeln, denn die Bibel rät uns: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ und: „Beglückender ist Geben als Empfangen“ (Matthäus 22:39; Apostelgeschichte 20:35).

      Wie wird sich das auf unser Verhältnis zu unseren Kindern auswirken? Sie sind Personen und nicht einfach Gegenstände, die uns im Wege stehen. Ob die Kinder erwünscht waren oder nicht, wir werden sie als Personen betrachten, für die wir, die Eltern, verantwortlich sind. Sie können sich als ein Segen erweisen, wenn wir ihnen ein Erbe, bestehend aus Liebe und geistigen Werten, mitgeben. Solche Werte bilden ein stabilisierendes Element in jeder Familie.

      Eine derartige Ansicht wirkt sich sogar auf die Einstellung der Eltern zu ihren Kindern aus, bevor sie geboren werden. Wir werden das besser verstehen können, wenn wir weiter betrachten, was Carlo und Fiorella erlebten.

      Bevor sie geboren werden — und danach

      „Söhne sind ein Erbe von Jehova.“ Mit diesen Worten aus Psalm 127:3 wird zum Ausdruck gebracht, daß Kinder etwas Wertvolles sind, etwas, was großer Fürsorge bedarf. Jemand, der etwas zu erben hofft, bereitet sich darauf vor, es zu empfangen und sich darum zu kümmern.

      So war es auch bei Carlo und Fiorella. Bevor sie mit Jehovas Zeugen die Bibel studierten, konnten sie sich nicht vorstellen, wie positiv es sich sogar auf ein ungeborenes Baby auswirkt, wenn man sich nach den Grundsätzen der Bibel ausrichtet. Zum Beispiel wird in der Bibel mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß wir uns von jeder Befleckung des Fleisches reinigen sollten (2. Korinther 7:1). Aus diesem Grunde schädigen Jehovas Zeugen ihren Körper nicht durch den Genuß von Tabak oder die Einnahme von Aufputschmitteln. Auch gilt es als erwiesen, daß dies für die Sicherheit des noch ungeborenen Lebens von Bedeutung ist. Als Fiorella wiederum schwanger wurde, fühlte sie sich aufgrund ihrer Bibelkenntnis um so mehr veranlaßt, alles zu vermeiden, was dem Kind in ihrem Leib schaden konnte. Dadurch, daß sie eine angemessene und ausgeglichene Diät einhielt und hinsichtlich der Einnahme von Medikamenten Vorsicht walten ließ, nahm sie Rücksicht auf ihr noch ungeborenes Kind als ein wertvolles „Erbe“.

      Bekanntlich ist das jedoch für Eltern erst der Anfang. Nach der Geburt benötigt das Baby eine nahrhafte Kost, entsprechende Kleidung und medizinische Fürsorge. Man stelle sich vor, was das für eine Familie bedeuten kann! So mögen sich einige Eltern zum Beispiel des öfteren mit einem Imbiß als Abendessen zufriedengegeben haben, um ein Tanzlokal oder ein Kino besuchen zu können; jetzt aber müssen sie die Bedürfnisse ihrer Kinder berücksichtigen. Für das Wachstum der Kinder sind insbesondere ausgewogene, gesunde Mahlzeiten wichtig. Zwar mag es gelegentlich nötig sein, mit weniger aufwendigen Mahlzeiten auszukommen, doch liebevolle Eltern werden normalerweise ihre Verhältnisse so regeln, daß ihre Kinder eine gesunde, ausgewogene Kost erhalten. Jehovas Zeugen bemühen sich, das zu tun.

      Wie jedoch unschwer zu erkennen ist, geht die Sorge für die Kinder über das Materielle hinaus. Kinder sehnen sich nach der Liebe ihrer Eltern und danach, daß sie ihnen Zeit widmen und sie sich als ihre Freunde erweisen. Ihre emotionalen Bedürfnisse müssen dadurch befriedigt werden, daß man sie „hegt und pflegt“ (1. Thessalonicher 2:7).

      Carlo und Fiorella lernten die Worte Jesu kennen: „Nicht von Brot allein soll der Mensch leben“ (Matthäus 4:4). Liebevolle christliche Eltern tragen dieser Tatsache Rechnung, indem sie sich der biblischen Unterweisung ihrer Kinder annehmen. Carlo und Fiorella hatten das in der Praxis gesehen, als sie begannen, die christlichen Zusammenkünfte der Zeugen Jehovas zu besuchen. Das waren keine Zusammenkünfte, in denen eine gedrückte Stimmung herrschte und nur ältere Leute zugegen waren, nein, sondern viele Kinder waren anwesend, deren entspannte Heiterkeit die ausgewogene Liebe und Fürsorge der Eltern widerspiegelte, die sie als Zeugen Jehovas ihren Kindern zuteil werden ließen.

      Vielleicht ist es dir neu, daß Jehovas Zeugen soviel Wert auf das Familienleben legen. Das ist tatsächlich der Fall. In vielen ihrer Publikationen werden die Pflichten christlicher Eltern behandelt. In ihren Zusammenkünften wird deutlich hervorgehoben, daß wahre Christen die Eigenschaften Jehovas Gottes widerspiegeln sollten, der „der Vater inniger Erbarmungen und der Gott allen Trostes“ ist. Somit werden alle Anwesenden angespornt, auf ihre Kinder zu achten (2. Korinther 1:3).

      Einige Außenstehende haben die herausragenden Eigenschaften bemerkt, die Jehovas Zeugen als Eltern offenbaren. Eine italienische Zeitung enthielt den Kommentar: „Wir haben beobachtet, daß sie hohe Moralbegriffe haben und sich streng daran halten, was dazu beiträgt, daß wahre Werte, wie ein gutes Familienleben, geschützt werden. Was das Verhalten der Ehepartner untereinander und zu ihren Kindern betrifft, so wird unter Jehovas Zeugen nicht geduldet, daß man verantwortungslos zu einer Trennung oder Scheidung Zuflucht nimmt“ (La Nazione, 31. Juli 1979).

      Liebevolle Obhut, medizinische Fürsorge

      Doch gibt es einige, die sagen: „Wenn Jehovas Zeugen gute Eltern sein wollen, warum lehnen sie es dann ab, daß ihren Kindern Blut übertragen wird? Ist das nicht Mord?“ Hast du solche Bemerkungen schon gehört, oder hast du dir sogar selbst ähnliche Fragen gestellt?

      Bei derartigen Bemerkungen geht es um mehr als nur um Jehovas Zeugen oder um Schlagzeilen in Zeitungen. Es geht um folgendes: Wie erwähnt, wird von liebevollen Eltern erwartet, daß sie um das Wohlergehen ihrer Kinder besorgt sind, und das offensichtlich auch in medizinischer Hinsicht. Welches Entscheidungsrecht haben jedoch die Eltern, wenn es um eine medizinische Behandlung ihrer Kinder geht?

      Diese Frage betrifft alle Eltern, nicht nur Zeugen Jehovas. Behalte zwar die Zeugen im Sinn, aber denke auch über solch hingebungsvolle Eltern nach wie Carlo und Fiorella, die ihre Kinder so sehr lieben, daß sie bereit wären, für sie zu sterben (Johannes 15:13). In Zeitungen ist über Eltern berichtet worden, die Einspruch dagegen erhoben haben, daß ihre Kinder auf ärztliche Anordnung hin Bluttransfusionen erhalten sollten. Warum? Gewiß nicht aus Gefühllosigkeit, denn es handelt sich um Eltern, die ihre Kinder lieben.

      In einer Anzahl von Fällen sind die Gerichte eingeschaltet worden, um sich mit diesen Belangen zu beschäftigen, mit Belangen, die die Rechte der Eltern betreffen. Das steht in Beziehung zu der Frage, wie weit die Sorge der Eltern für ihre Kinder gehen soll — Kinder, die schon geliebt wurden, noch bevor sie geboren waren. Behalte diese verschiedenen Gesichtspunkte im Sinn, und du wirst den folgenden Artikel äußerst interessant finden.

  • Sind diese Eltern liebevoll oder herzlos?
    Erwachet! 1984 | 8. November
    • Sind diese Eltern liebevoll oder herzlos?

      DIE Frage, wie weit die Rechte der Eltern hinsichtlich der Wahl einer medizinischen Behandlung für ihre Kinder gehen, ist in verschiedenen Ländern aufgeworfen worden, dennoch verdient ein spezieller Fall deine Aufmerksamkeit. Es handelt sich um den von Giuseppe und Consiglia Oneda, einem Ehepaar aus der kleinen Stadt Sarroch, die in der Nähe von Cagliari, einer größeren Stadt auf Sardinien, liegt.

      Dir mag einiges von ihren traurigen Erlebnissen bereits gut bekannt sein, da in der ganzen Welt davon berichtet wurde. Die Zeitschrift Erwachet!a und die Massenmedien in verschiedenen Ländern haben sich ausgiebig damit befaßt.

      Eine verhängnisvolle Krankheit

      Isabella, das kleine Mädchen der Onedas, litt an Thalassämie major, einer erblichen Blutkrankheit, die bis heute nicht heilbar ist. Die Krankheit verläuft tödlich. Zwar kann der Tod in einigen Fällen durch die Gabe von Bluttransfusionen eine Anzahl Jahre hinausgezögert werden, aber man räumt von ärztlicher Seite ein, daß es keine Heilung gibt. In Harrisons Werk Principles of Internal Medicine (Ausgabe 1980) wird folgendes erwähnt: „Patienten, die an β-Thalassämie major leiden, haben eine kurze Lebenserwartung. Bei der schwersten Form dieser Krankheit erreicht der Patient gewöhnlich nicht das Erwachsenenalter.“ In ernsten Fällen, wie bei Isabella, tritt der Tod häufig während der ersten zwei oder drei Lebensjahre ein. Was hättest du getan, wenn dein Kind von der gleichen Krankheit wie Isabella heimgesucht worden wäre?

      Obwohl Giuseppe und Consiglia wußten, daß Isabella sterben würde, brachten sie sie regelmäßig in ein Krankenhaus in Cagliari. Dort erhielt sie wiederholt Bluttransfusionen, die ihr zwar vorübergehend Erleichterung verschafften, aber auch Schwierigkeiten mit sich brachten. Warum? Weil Transfusionen zu einer Eisenüberladung führen. In Clinical Hematology von Wintrobe (1981) wird gesagt, daß „die meisten Patienten mit Thalassämie major“, die regelmäßig Transfusionen erhalten, „aufgrund von Komplikationen sterben, die infolge der Eisenüberladung eintreten“. In diesem medizinischen Lehrbuch wird zugegeben, daß „viele der beschriebenen therapeutischen Strategien sich für ein breites Anwendungsfeld als unpraktisch erwiesen haben. Die gegenwärtigen Kosten [der wirksamsten Methode] belaufen sich für einen einzigen Patienten auf ungefähr 5 000 Dollar pro Jahr.“

      Von einigen Ärzten wird die Aussicht auf eine Verlängerung des Lebens thalassämischer Kinder überbewertet. Dies ist nicht verwunderlich, denn niemand gibt gern zu, daß es keine Hoffnung mehr gibt, besonders Ärzte nicht, an die sich die Kranken hoffnungsvoll wenden. Uns allen ist indes bekannt, daß einige Krankheiten unheilbar sind. Die Mittelmeeranämie (Thalassämie major) muß in diese Kategorie eingeordnet werden. Daher ist man sich noch nicht darüber einig, welches die beste Therapie ist oder zu welchen Ergebnissen die verschiedenen Behandlungsmethoden führen. Keine führt jedoch zu einer echten Heilung.

      Ferner kann von medizinischer Seite nicht garantiert werden, daß ein Kind, das ernsthaft erkrankt ist wie die kleine Isabella, viele Jahre leben wird, selbst dann nicht, wenn eine Transfusionstherapie angewandt wird. Die Statistiken über Thalassämie major offenbaren die unabänderliche Wirklichkeit, Statistiken, die nicht zu widerlegen sind. In der Zeitschrift Minerva Medica (72, 1981, Seite 662—670) wurden Daten veröffentlicht, die vom ISTAT (Zentrales Institut für Statistik in Italien) zusammengestellt worden waren und aus denen hervorging, daß bei 23,8 Prozent von 147 Kindern, die 1976 an dieser Krankheit starben, der Tod innerhalb der ersten vier Lebensjahre eintrat.

      Warum tituliert man liebevolle Eltern als „Mörder“?

      Im vorausgehenden Artikel war die Rede von einem italienischen Ehepaar, dem es gelang, sein Familienleben glücklicher zu gestalten, weil es mit Jehovas Zeugen die Bibel studierte. Giuseppe und Consiglia Oneda machten eine ähnliche Erfahrung, die noch an Bedeutung gewann, als sie die Verheißung Jesu kennenlernten, daß ein Mensch, der die Anerkennung Gottes genießt, ‘zum Leben kommen wird, auch wenn er stirbt’ (Johannes 11:25). Wenn auch die Ärzte nicht in der Lage waren, Isabella ein angemessenes Maß an Gesundheit und Leben zuzusichern, so konnte es doch der Sohn Gottes.

      Als die Onedas im Sommer 1979 beschlossen, Zeugen Jehovas zu werden, setzten sie die Ärzte der II. Kinderklinik von Cagliari davon in Kenntnis, daß sie mit den Bluttransfusionen, die Isabella erhielt, nicht mehr einverstanden waren. Sie hatten aus der Bibel das Gebot Gottes kennengelernt, gemäß dem sich die Apostel und alle loyalen Christen ‘des Blutes enthalten’ sollten (Apostelgeschichte 15:28, 29; vergleiche 1. Mose 9:3, 4). Aufgrund dessen wandten sich die Ärzte an das Jugendgericht. Das Gericht verfügte, daß die Eltern die Transfusionen bei ihrer Tochter zulassen mußten, und betraute die Ärzte in dieser Sache mit der Verantwortung, Schritte einzuleiten, damit regelmäßig Bluttransfusionen verabreicht würden.

      In dem Bemühen, eine alternative Behandlungsmethode zu finden, konsultierten die Onedas andere Ärzte. In der Zwischenzeit wurde Isabella zu Blutübertragungen abgeholt. Dennoch nahm die Krankheit ihren Verlauf. Die lebenswichtigen Organe Isabellas ließen in ihrer Funktion immer mehr nach. Im März 1980 setzten die Ärzte die Transfusionstherapie ab. Einige Monate lang ließen sie Isabella nicht mehr zu Transfusionen abholen. Warum kamen sie der ihnen vom Gericht auferlegten Verpflichtung nicht nach? Dieses Rätsel haben die Behörden bis auf den heutigen Tag noch nicht zu lösen versucht.

      In den folgenden Monaten taten die Onedas für ihre geliebte Tochter alles, was sie tun konnten, indem sie für Medizin sorgten, die zu Hause verabreicht werden konnte, und indem sie ihr trotz begrenzter finanzieller Möglichkeiten die beste Nahrung zukommen ließen, die sie ausfindig machen konnten. Sie gaben ihre Hoffnung nie auf, sondern schrieben sogar Spezialisten in Deutschland, Frankreich und der Schweiz an.

      Ende Juni verschlechterte sich Isabellas Zustand plötzlich, vielleicht aufgrund einer Bronchitis, die sich bei Kindern, die an Thalassämie major leiden, verhängnisvoll auswirken kann. In diesem späten Stadium erschien die Polizei erneut und brachte Isabella in die Klinik, wo sie während einer zwangsweise vorgenommenen Bluttransfusion starb.

      Kannst du dir vorstellen, welche Traurigkeit die Onedas befiel und welchen Verlust sie an jenem 2. Juni empfanden, obwohl sie gewußt hatten, daß ihr zweieinhalbjähriges Kind an einer zum Tode führenden Krankheit litt? Ihr Kummer sollte aber noch vergrößert werden. Am 5. Juli 1980, etwa um 17 Uhr, wurden die Onedas von zwei Karabinieri verhaftet, während sie sich im Haus eines Freundes aufhielten. Sie hatten gerade noch genug Zeit, ihr zweites Kind, die erst drei Monate alte Ester, Freunden anzuvertrauen.

      Sie wurden in das örtliche Gefängnis von Cagliari gebracht, das (welche Ironie!) „Der Rechte Weg“ genannt wird und eines der miserabelsten Gefängnisse Italiens ist. Dort wurden sie in Zellen eingesperrt, die sich in voneinander getrennten Abteilungen des Gefängnisses befanden.

      Wie kam es zur Verurteilung wegen Mordes?

      Zwanzig Monate wurde dieses demütige Ehepaar in Haft gehalten. Schließlich kam es zu einer Gerichtsverhandlung, und am 10. März 1982 verkündete das Schwurgericht von Cagliari (Corte d’Assise) sein schockierendes Urteil: Giuseppe und Consiglia Oneda wurden des vorsätzlichen Mordes für schuldig befunden. Wie lautete das Strafmaß? Vierzehn Jahre Gefängnis — das ist mehr, als viele Terroristen erhalten!

      Es ist nur zu verständlich, warum dieses Urteil in ganz Italien Aufsehen erregte und von vielen Juristen kritisiert wurde. Zwar wurde ein Berufungsverfahren eingeleitet, aber das Berufungsgericht in Cagliari (Corte d’Assise d’Appello) bestätigte das erste Urteil. Das Strafmaß wurde lediglich auf neun Jahre herabgesetzt mit der Begründung, den Onedas müßten mildernde Umstände zugebilligt werden, da „sie aus Motiven von besonderem moralischen Wert“ gehandelt hätten.

      Die einzige Möglichkeit, die noch übrigblieb, um der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen, war eine Revision beim Kassationshof. Am 8. Juli 1983 wurde Giuseppe Oneda unter Vorbehalt aus der Haft entlassen, weil sein Gesundheitszustand durch seinen dreijährigen Gefängnisaufenthalt ein gefährliches Stadium erreicht hatte. Consiglia wurde aber weiterhin gefangengehalten.

      Der Kassationshof

      Dieses Gericht in Rom ist die höchste Instanz der italienischen Justiz. Es beurteilt Fragen hinsichtlich der korrekten Anwendung und Auslegung von Gesetzen und überprüft Urteile, die in unteren Instanzen gefällt wurden, wenn gegen diese Revision eingelegt worden ist. Falls der Kassationshof feststellt, daß das Gesetz nicht richtig beachtet oder falsch angewandt worden ist, hat er das Recht, das ursprüngliche Urteil aufzuheben und ein anderes Gericht mit der erneuten Verhandlung des Falles zu beauftragen. Am 13. Dezember 1983 befaßte sich der Kassationshof mit dem Fall Oneda.

      Nur selten werden Urteile, die dem Kassationshof vorgelegt werden, aufgehoben. Die zwei ursprünglichen nachteiligen Urteile würden beträchtlich ins Gewicht fallen. Gab es irgendeine Hoffnung, daß man die Onedas gerechterweise als liebevolle, fürsorgliche Eltern betrachten würde?

      Eine dramatische Wende der Ereignisse

      Wir wollen nun beschreiben, was sich an jenem Tag im Gericht abspielte:

      Nachdem einer der fünf Richter, der als Berichterstatter amtete, in der Einführung die maßgeblichen Punkte des Falles dargelegt hatte, erhielt der Staatsanwalt das Wort.

      Der Staatsanwalt gilt bei der Verteidigung als besonders gefürchtet, weil seine Anträge schwer zu entkräften sind. In diesem besonderen Fall handelte es sich bei dem Staatsanwalt um einen sehr erfahrenen Juristen, der dieses Amt in einer Reihe berühmter Fälle übernommen hatte. Was würde er zu sagen haben?

      Überraschenderweise fragte er: „Kann gemäß den Tatsachen, die während dieses Verfahrens offenbar wurden, gesagt werden, daß die Mutter oder der Vater zu irgendeiner Zeit den Tod des Kindes herbeiwünschte? Ist das Gericht in Cagliari dieser Frage gründlich nachgegangen?“ Er fuhr fort: „Das Jugendgericht hat das Kind in der Obhut des Vaters und der Mutter gelassen, da es sie für liebevolle Eltern hielt und die Umgebung in der Familie das Beste für das Kind war.“ Darauf erwähnte er, daß „die beteiligten Richter, Fachleute und Soziologen sehr gut in der Lage waren, zu entscheiden, daß die Eltern es verdienten, das Kind in ihrer Obhut zu haben“.

      Wie verhält es sich mit der Anschuldigung, die Onedas hätten den Tod ihres Kindes aus niedrigen Beweggründen verursacht? Der Staatsanwalt fuhr fort: „Es existieren keine Tatbestände oder anderen Teilbeweise, die stark genug wären, uns zu erlauben, mit ruhigem Gewissen von niedrigen Beweggründen zu sprechen. ... Aus diesem Grund sind wir der Ansicht, daß die Richter [von Cagliari] auf diese Fragen keine zufriedenstellende Antwort gegeben haben.“

      Der Anklagevertreter unterbreitete dann folgenden überraschenden Antrag: „Ich fordere daher das Gericht auf, das Urteil aufgrund von nicht erwiesenen niederen Beweggründen aufzuheben.“

      Kein Beweis für niedrige Beweggründe! Das bedeutete, daß die Onedas keine vorsätzlichen Mörder waren! Außerdem beantragte der Anklagevertreter die Annullierung des ursprünglichen Urteils!

      Als nächstes hörte das Gericht die Vertreter der Verteidigung. Alle waren als Rechtsanwälte landesweit bekannt. Sie machten auf die Inkonsistenz der früheren Gerichtsverfahren und die Absurdität der gerichtlichen Entscheidungen aufmerksam.

      Darauf zog sich das Gericht für eine gewisse Zeit zurück. Schließlich verlas der vorsitzende Richter die Entscheidung des Gerichts: Das ursprüngliche Urteil wurde aufgehoben, und der Fall wurde zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht in Rom zurückverwiesen.

      Im Verlauf der Urteilsbegründung brachte das Gericht u. a. Fehler zur Sprache, die von seiten der Kinderklinik und anderer öffentlicher Institutionen begangen worden waren. Es hieß: „Zweifellos ... wies das Vorgehen der öffentlichen Institutionen ernste Mängel auf; im Anschluß an ihre ersten Bemühungen ... zeigten sie sich völlig desinteressiert, obgleich sie ausdrücklich ersucht worden waren, Schritte zu unternehmen, die zu einer eindeutigen und dauerhaften Lösung des Problems der ideologischen Ansichten der Angeklagten führen sollten.“ (Urteil des Kassationshofes, Seite 30.)

      Endlich wieder zusammen!

      Consiglia Oneda ist nun freigelassen worden, weil die Zeit ihrer Untersuchungshaft ablief. Nach einer harten Zeit von dreieinhalb Jahren sind die Onedas endlich wieder zusammen. Giuseppe und Consiglia erfreuen sich ihres Zusammenseins und schenken ihre liebevolle Aufmerksamkeit der kleinen Ester. Lassen wir uns ihre Erlebnisse von ihnen selbst erzählen:

      Giuseppe:„Wir heirateten 1976, und ein Jahr später wurde Isabella geboren. Wir hatten ihrer Geburt erwartungsvoll entgegengesehen, aber bald danach merkten wir, daß irgend etwas nicht in Ordnung war. Sie sah sehr blaß und kränklich aus. Als sie sechs Monate alt war, stellten die Ärzte bei ihr die schreckliche, zum Tode führende Krankheit fest. Man kann sich vorstellen, welche Traurigkeit diese verhängnisvolle Diagnose bei uns hervorrief.“

      Consiglia:„Natürlich hingen wir jetzt noch mehr an unserem Kind. Ich denke, daß alle Eltern so reagieren würden, wenn ihr hilfloses Kind an einer tödlichen Krankheit leiden würde. Sofort brachten wir Isabella zur Behandlung in die Kinderklinik, wo man Bluttransfusionen verordnete. Ungeachtet dessen verschlimmerte sich ihr Zustand weiter. Ich erinnere mich, daß ihr Unterleib gewaltig angeschwollen war, nachdem die Transfusionstherapie ein Jahr lang durchgeführt worden war; die Leber und die Milz hatten sich vergrößert. Was sie doch alles aushalten mußte, als ihr die Transfusionen gegeben wurden! Einmal dauerte es eine Stunde, bis die Ärzte eine Vene fanden; die ganze Zeit schrie meine kleine Tochter vor Schmerz.“

      Giuseppe: „Während jener traurigen Zeit fanden wir wirklich Trost in unserem Bibelstudium. Besonders tief beeindruckte uns die Verheißung aus Offenbarung 21:4, die besagt, daß Gott bald alle durch Schmerz verursachten Tränen von den Augen derer abwischen wird, die leiden, und daß der Tod nicht mehr sein wird.“

      Consiglia: „Für uns bedeutete das, daß wir Isabella in der Auferstehung gesund wiedersehen könnten, selbst wenn sie sterben sollte, was unglücklicherweise unabwendbar schien. Dann erfuhren wir aus der Bibel von dem Gebot Gottes, ‘sich des Blutes zu enthalten’ [Apostelgeschichte 15:20; 21:25], und wir entschieden uns ...“

      Giuseppe: „... die Grundsätze der Bibel zu beachten. Für uns war dies die einzige Möglichkeit, daß wir hoffen konnten, Isabella an dem Tag gesund zurückzuerhalten, an dem Gott sie von den Toten wieder auferwecken würde. Wir konnten beobachten, daß Transfusionen die Krankheit nicht aufhielten, und wir wußten, daß viele Kinder auf Sardinien in frühem Alter an derselben Krankheit sterben, obwohl sie Transfusionen erhalten. Außerdem hatten wir von vielen Eltern gehört, daß sie sich‚ als nach monatelanger Transfusionsbehandlung keine Besserung eintrat, dafür entschieden, für ihre Kinder zu Hause zu sorgen, um ihnen weitere Schmerzen und Schrecken zu ersparen.“

      Consiglia: „Wie hätten wir die einzige Aussicht, Isabella gesund zurückzuerhalten, die Aussicht, die sich auf die Verheißung des Wortes Gottes stützte, zurückweisen können? Was wir über die Ergebnisse dieser Behandlung gelesen hatten, ließ uns erkennen, daß Bluttransfusionen nicht gut sind. Wir erfuhren, daß sie oft zu verhängnisvollen Schäden an lebenswichtigen Organen führen.“

      Giuseppe: „Wir gaben den Ärzten unsere Entscheidung bekannt, und damit fing unsere nun gut bekannte Geschichte an.“

      Consiglia: „Isabella war sehr empfindsam, liebebedürftig und intelligent.“

      Giuseppe: „Sie war zwar nur etwas über zwei Jahre alt, doch sie kannte bereits viele Einzelheiten aus dem Buch Mein Buch mit biblischen Geschichten. Sie kannte Gottes Namen, Jehova. Sie hatte ein gutes Auffassungsvermögen und konnte uns von Personen in den Bildern erzählen.“

      Consiglia: „Für eine Mutter ist es etwas Schreckliches, wenn sie weiß, daß es ihr nicht möglich war, ihrem Kind einen Körper zu geben, der gesund genug ist, um lebensfähig zu sein. Meine Tochter Ester erinnert mich sehr an Isabella. Nun habe ich den Wunsch, diesem gesunden Kind die Liebe zu geben, die ich Isabella gern weiterhin gegeben hätte. Ich bin glücklich, wieder bei meiner Familie und bei den christlichen Brüdern zu sein, die so liebevoll zu uns sind. Dennoch werde ich niemals die dreieinhalb Jahre vergessen, die ich im Gefängnis verbracht habe, besonders nicht den Tag, an dem meine Zellengenossin aus Verzweiflung versuchte, Selbstmord zu begehen. Obwohl ich sie retten konnte, war das eine schreckliche Erfahrung. Doch es half mir, noch mehr auf Jehova zu vertrauen.“

      Giuseppe: „Meine Zellengenossen versuchten alles, um meine christliche Lauterkeit zu brechen — Gewalt, homosexuelle Praktiken und andere verderbliche Handlungen. Meine größte Sorge war, daß ich meine Lauterkeit aufgeben und die Möglichkeit verlieren würde, in Gottes neuem System der Dinge zu leben. Zuweilen war ich verzweifelt, zum Beispiel als das Berufungsgericht das Urteil bestätigte; manchmal wünschte ich, ich wäre nie geboren worden. Doch immer wieder fand ich Trost, wenn ich inbrünstig zu Jehova betete. Ich bin auch sehr dankbar dafür, daß er für das Bibelbuch Hiob gesorgt hat, weil ich denke, daß es viele Ähnlichkeiten zwischen der Erfahrung Hiobs und der meinen gibt. Natürlich antwortete Gott Hiob, indem er ihm Kraft gab, die Prüfung zu ertragen, und ihm half, den ‚Ausweg‘ zu finden [1. Korinther 10:13].

      Selbst wenn mir der Aufenthalt im Gefängnis zeitweilig wie ein Alptraum vorkam, wandte ich mich stets an Jehova [1. Johannes 1:5]. Sehr ermuntert wurde ich auch durch die zahllosen Briefe, die meine christlichen Mitbrüder mir aus den verschiedensten Ländern sandten. Ihr liebevolles Interesse war für mich eine Bestätigung, daß Gott uns nicht im Stich läßt. Schriftstellen wie Römer 1:12 und Markus 13:13 halfen mir durchzuhalten. Als ich aus dem Gefängnis kam, war ich, wie der Apostel Paulus sagt, ‚niedergeworfen, doch nicht vernichtet‘ [2. Korinther 4:9].“

      Consiglia: „Ich weiß nicht, ob Giuseppe und ich im abschließenden Gerichtsverfahren vollständig freigesprochen werden. Doch wir sind all denen dankbar, die uns geholfen haben und noch helfen, die Falschanklage, daß wir unsere Tochter ermordet hätten, rückgängig zu machen. Es ist die schrecklichste Anschuldigung, die man gegen Eltern erheben kann.“

      Giuseppe: „Wir sind glücklich, alles überstanden zu haben, ohne daß sich in uns gegenüber irgend jemandem ein Haß entwickelt hat. Die Liebe zu Gott und zum Nächsten wird uns gewiß helfen, unsere vielen Segnungen zu schätzen. Wir haben unsere Familie, unsere geistigen Brüder, unseren Glauben und unsere Hoffnung.“

      Wahrscheinlich bist du auch der Meinung, daß dieses demütige Ehepaar aus Sarroch ungerechterweise angeklagt worden ist, und du magst angesichts dessen, was es durchmachte, von Mitleid bewegt sein. Dir mögen aber auch einige Aspekte hinsichtlich der Verantwortung der Eltern, sich um die Gesundheit ihrer Kinder zu kümmern, fraglich erscheinen. Ja, es handelt sich um eine Streitfrage, mit der du oder deine Verwandten und Freunde direkt in Berührung kommen können.

      [Fußnote]

      a Erwachet! vom 22. Januar 1983 und italienische Ausgabe vom 22. Mai 1983.

      [Kasten auf Seite 10]

      Baby Jane Doe — Wie werden sich Eltern entscheiden?

      Liebevolle Eltern sehen sich gelegentlich vor schwerwiegende Entscheidungen gestellt. Was würdest du tun, wenn Baby Jane Doe dein Kind wäre? The New York Times (1. November 1983) berichtete:

      „Vor drei Wochen wurde einem Ehepaar auf Long Island ein Mädchen geboren, das nicht gesund war. Baby Jane Doe litt an Spina bifida, hatte einen abnorm kleinen Schädel, einen Wasserkopf, d. h. zuviel Gehirnwasser, und weitere Mißbildungen. Selbst wenn sie operiert würde, würde sie in ihrer Entwicklung sehr zurückbleiben und ihr Leben lang ans Bett gefesselt sein — in ihrem Fall ungefähr 20 Jahre. Nachdem die Eltern Ärzte, Sozialarbeiter und Geistliche konsultiert hatten, trafen sie eine schmerzliche Entscheidung: Sie nahmen von der Operation Abstand und ließen der Natur ihren Lauf.“

      Einige Außenstehende waren damit nicht einverstanden und brachten die Sache vor Gericht. Als der Fall dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten vorgelegt wurde, weigerte sich das Gericht, ihn zu behandeln. Der Fall von Baby Jane Doe veranschaulicht die herzzerreißenden Probleme, vor die sich selbst liebevolle Eltern gestellt sehen mögen.

      [Bild auf Seite 9]

      Consiglia Oneda bei ihrer Entlassung aus dem Gefängnis zusammen mit ihrer Tochter Ester

  • Ist die Ablehnung eines Heilverfahrens eine Absage an das Leben?
    Erwachet! 1984 | 8. November
    • Ist die Ablehnung eines Heilverfahrens eine Absage an das Leben?

      FRAGE dich selbst: „Habe ich das Recht, unter verschiedenen medizinischen Heilverfahren zu wählen oder sie gänzlich abzulehnen?“ Diese wichtige Frage verdient es, betrachtet zu werden, weil einige behaupten, jemand offenbare einen Mangel an Wertschätzung für sein Leben, wenn er eine von Ärzten empfohlene Therapie ablehne. Ferner kann die Frage gestellt werden, ob Eltern lieblos handeln, falls sie eine bestimmte Behandlung für ihr krankes Kind, zu der man ihnen geraten hat, ablehnen, nachdem sie die damit verbundenen Risiken abgewogen haben.

      Manche nehmen in dieser Angelegenheit einen dogmatischen Standpunkt ein und reduzieren ihn auf die Behauptung: „Ein Nein zur Therapie bedeutet ein Nein zum Leben des Kindes.“ Es ist allerdings leicht zu erkennen, wie übermäßig vereinfacht und oberflächlich diese Ansicht ist. Sie ist auf das Gefühl ausgerichtet und ignoriert 1. das Gewissen und grundlegende sittliche Normen, 2. das Persönlichkeitsrecht und das Familienrecht und 3. medizinische und gesetzliche Aspekte einer Streitfrage, der zur Zeit weltweit Aufmerksamkeit geschenkt wird.

      Das Gewissen ist ein persönlicher und unverletzlicher Teil eines jeden psychisch gesunden, gesitteten Menschen. Der bekannte katholische Kardinal John Henry Newman vertrat die Ansicht, daß der Weg zum Licht durch Gehorsam gegenüber dem Gewissen gefunden wird. Als sich die Kriegsverbrecher aus der Zeit des Nationalsozialismus darauf beriefen, daß sie lediglich Befehlen gefolgt seien, erhoben ehrenhafte Menschen in der ganzen Welt den Einwand, jene Verbrecher hätten trotz dieser Befehle ihrem Gewissen gehorchen müssen. Gleichermaßen erhob Papst Johannes Paul II. im Januar 1982 „seine Stimme zu Gott, daß das Gewissen nicht erstickt werde“. Jemand zu zwingen, sein Gewissen zu vergewaltigen, beurteilte er als „den schwersten Schlag gegen die Würde des Menschen. In einem gewissen Sinne ist es verwerflicher, als jemandes physischen Tod herbeizuführen, ja als Mord.“

      Seine Äußerungen mögen mit deinem Rechtsempfinden in Übereinstimmung sein, daß das Gewissen bei Entscheidungen auf medizinischem Gebiet eine wichtige Rolle spielen sollte.

      Gewissen und Medizin

      Folgendes Beispiel sei angeführt: Auch wenn man kein Katholik ist, weiß man wahrscheinlich um das Verbot in der katholischen Lehre, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, sogar wenn eine Schwangerschaft für die Mutter oder das Kind ein Risiko darstellt. Man überlege sich, vor welch ein Problem ein römisch-katholischer Arzt in einem Land gestellt ist, in dem Abtreibung legalisiert ist, wie zum Beispiel in Italien, wo am 22. Mai 1978 das Gesetz Nr. 194 in Kraft getreten ist. Aufgrund dieses Gesetzes ist es Medizinern gestattet, aus Gewissensgründen Einwände gegen eine Abtreibung zu erheben. In Artikel 9 wird jedoch im einzelnen dargelegt, daß ein Arzt „Einwände aus Gewissensgründen nicht geltend machen kann“, wenn das Leben einer Frau gefährdet ist. Wozu soll sich dann ein Arzt, der ein aufrichtiger praktizierender Katholik ist, entscheiden?

      Würde man einen Arzt des Mordes für schuldig befinden, wenn er, falls kein anderer Arzt in der Nähe ist, alles getan hat, was er tun konnte, ohne sein Gewissen zu verletzen? Andererseits wäre es „verwerflicher ... als Mord“, den Arzt zu zwingen, sein Gewissen zu vergewaltigen, sogar wenn eine Frau oder die Behörden darauf bestehen würden. Das veranschaulicht, wie Entscheidungen, die die Gesundheit und das Leben betreffen, von Gewissensfragen berührt werden.

      Eltern, Kinder und Leben

      Ein klares Bild vermittelt uns auch die Handlungsweise der ersten Christen. Vermutlich ist dir bekannt, daß sie sich weigerten, vor dem Standbild des Reichsherrschers Weihrauch darzubringen, da sie dies als eine götzendienerische Handlung betrachteten. Ihre Auffassung, die sie aufgrund ihrer Religion und ihres Gewissens vertraten, stand in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben und auch mit der Gesundheit und dem Leben ihrer Kinder. Wieso? Als sie vor die Wahl gestellt wurden: „Opfere Weihrauch, oder deine Familie wird in einer römischen Arena sterben!“, handelten die Christen nicht entgegen ihrer Überzeugung. Sie standen loyal zu ihrem Glauben, selbst wenn der Lauf, den sie einschlugen, für sie und ihre Kinder riskant oder verhängnisvoll war.

      Die Christen wurden auch in Verbindung mit dem Blut geprüft, da die Bibel das Gebot enthält, ‘sich des Blutes zu enthalten’ (Apostelgeschichte 15:20). Tertullian, ein lateinischer Kirchenschriftsteller des dritten Jahrhunderts, berichtet, daß Epileptiker als ein angebliches Heilmittel das noch frische Blut getöteter Gladiatoren tranken. Nahmen die Christen aus derartigen „medizinischen“ Gründen Blut zu sich? Niemals. Tertullian schreibt außerdem, daß die Christen nicht einmal das Blut von Tieren aßen. In der Tat, wenn römische Beamte herausfinden wollten, ob jemand wirklich ein Christ war oder nicht, zwangen sie ihn zum Essen von Blutwurst, da sie wußten, daß echte Christen selbst bei Todesstrafe keine essen würden. Das ist deshalb erwähnenswert, weil sich die christlichen Zeugen Jehovas heute ebenfalls weigern, Blut zu sich zu nehmen.

      Nun mögen wir uns fragen: „Schätzten die ersten Christen das Leben gering ein, oder spielten sie gern den Märtyrer?“ Nein, die römische Obrigkeit zwang ihnen und ihren Kindern den Tod auf. Ja, erinnern wir uns nicht respektvoll an jene ergebenen Christen, die wußten, wie es der Papst kürzlich ausdrückte, daß für sie die Verletzung ihres Gewissens schlimmer gewesen wäre als der Tod?

      Falls jemand denkt, es handle sich hier um etwas anderes als Entscheidungen auf medizinischem Gebiet, beachte er, was Dr. D. N. Goldstein schrieb:

      „Ärzte, die diesen Standpunkt [Personen eine Behandlung aufzuzwingen, falls sie sie ablehnen] vertreten, leugnen die Opfer all der Märtyrer, die die Geschichte schmückten, indem sie sich sogar auf Kosten ihres Lebens einem Ideal weihten. Denn diese Patienten, die lieber den sicheren Tod auf sich nehmen, als sich über religiöse Bedenken hinwegzusetzen, sind aus dem gleichen Holz geschnitzt wie diejenigen, die [lieber] ihren Glauben an Gott mit dem Leben bezahlten ..., als sich [gezwungenermaßen] taufen zu lassen. ... Kein Arzt sollte rechtlichen Beistand suchen, um einen Körper zu retten, indem er eine Seele vernichtet. Das Leben gehört dem Patienten“ (The Wisconsin Medical Journal).

      Das wirkliche Leben wählen

      Die meisten von uns sind wahrscheinlich der Meinung, daß das „Leben“ mehr bedeutet, als nur biologisch zu existieren. Es ist eine Existenz, die sich um Ideale oder Werte (Politik, Religion, Wissenschaft, Kunst usw.) dreht; ohne Derartiges wäre eine Existenz wertlos. Aus diesem Grunde riskierten während des Zweiten Weltkrieges Patrioten beiderlei Geschlechts ihr Leben, um politische Ideale zu verteidigen, wie Demokratie, Redefreiheit sowie Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Verteidigung dieser Ideale hatte den Tod vieler Kinder zur Folge. Zahllose andere wurden zu Waisen.

      Dies kommt auch im Fall des bedeutenden italienischen Politikers Aldo Moro zum Ausdruck. Er wurde im Jahre 1978 auf barbarische Weise ermordet, als die Behörden sich weigerten, den Forderungen der Terroristen nachzukommen. Offensichtlich werden gelegentlich Menschenleben höheren Interessen geopfert.

      Somit kann man verstehen, daß ein Mensch, der hohe moralische Grundsätze vertritt, sich entscheiden könnte, lieber seinen biologischen Fortbestand zu riskieren, als seine Ideale zu verraten. Auf diese Weise erwählt er sich das wirkliche Leben, ein Leben im wahrsten Sinne des Wortes. Auf christliche Ideale trifft dies gewiß zu.

      Christen betrachten das menschliche Leben als etwas Heiliges und als eine wertvolle Gabe von Gott. Man denke an den Apostel Paulus, der ein intelligenter, gebildeter Mann war. Er erduldete Schläge und befand sich in lebensbedrohenden Situationen, sagte jedoch: „Ich [habe] den Verlust aller Dinge erlitten, und ich betrachte sie als eine Menge Kehricht, damit ich Christus gewinne ..., um, wenn möglich, irgendwie zu der Früh-Auferstehung von den Toten zu gelangen“ (Philipper 3:8-11).

      Wir können sicher sein, daß sich der Apostel Paulus niemals an etwas beteiligt hätte, wovon er wußte, daß Gott es verurteilte. Es steht außer Frage, daß Paulus niemals „das wirkliche Leben“, das für ihn ein Leben im Himmel bedeutete, aufs Spiel gesetzt hätte, nur um sein menschliches Leben um ein paar Jahre zu verlängern oder um seine Gesundheit nicht zu gefährden (1. Timotheus 6:19). Ziehe jedoch folgendes in Betracht:

      Heutzutage gibt es Millionen von Kirchgängern, die einem Leben im Himmel erwartungsvoll entgegensehen; du vielleicht auch. Wenn also ein ernstlich erkrankter Mensch, der die Hoffnung auf ein zukünftiges ewiges Leben hat, eine Therapie verweigert, von der er denkt, daß Gott sie verboten hat, dann wäre es sicher unfair, ihn der Absage an das Leben zu beschuldigen. Er hat jahrelang auf der Erde gelebt, und er mag sich erholen und am Leben bleiben. Aber in jedem Fall, selbst wenn seine Ärzte seine religiöse Überzeugung nicht teilen, wäre es für ihn vernünftig, sein dauerhaftes zukünftiges Leben in Betracht zu ziehen und dementsprechende Entscheidungen auf medizinischem Gebiet zu treffen.

      Dieser Gesichtspunkt wird von Ärzten selten erörtert, wenn sie eine bestimmte Therapie für dich oder deine lieben Angehörigen empfehlen. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist aber, daß sie dich darüber informieren sollten, in welchem Verhältnis die Risiken zu dem erwarteten Nutzen stehen. Du bist es dir und deiner Familie schuldig, all dies in Betracht zu ziehen, da es dir helfen kann, eine weise Entscheidung zu treffen und auch zu verstehen, welche Weisheit sich hinter der Handlungsweise anderer verbirgt.

      [Kasten auf Seite 13]

      Gesundheitsfürsorge für Kinder — Die Ansicht eines Jesuiten

      John J. Paris, SJ, außerordentlicher Professor am College of the Holy Cross (USA), sprach auf der Konferenz über gesetzliche und ethische Aspekte der Gesundheitsfürsorge für Kinder (1. April 1982). Er berichtete von einem jüdischen Richter, der anordnete, daß einem Zeugen Jehovas eine Bluttransfusion gegeben werden solle. Professor Paris sagte: „Der Richter richtete sich nach seiner eigenen Religion und ging so vor, wie es nach seiner Ansicht richtig wäre. Indem er so handelte, verletzte er den Glauben des Patienten.“

      Er fügte hinzu: „In der christlichen Theologie geht man nicht davon aus, daß das Leben lediglich aus dem Atmen besteht. Im Krankenhaus stirbt niemand; dort kommen die Lebensfunktionen zum Stillstand ... [Im Krankenhaus] ist das Leben nicht heilig, es ist elementar, und der Tod ist ein Versagen. Aber in der jüdisch-christlichen Tradition ist der Tod ein Teil der menschlichen Beschaffenheit, ein Teil der Reise des Lebens. Man kommt nicht umhin, anzuerkennen, daß durch diese Auffassungen die Lebensqualität bestimmt wird. Manchmal ist keine Behandlung die beste Behandlung.“

      [Kasten auf Seite 14]

      Die Ewigkeit verändert die Beurteilung

      Dr. Ruth Macklin arbeitet als Philosophin am Albert Einstein College of Medicine (New York). In einer Unterrichtsdiskussion über Ethik berichtete ein Medizinstudent über einen Patienten, der Zeuge Jehovas war und der an „Sichelzellenanämie litt [und] der das Risiko einging, ohne Bluttransfusion zu verbluten“. Der Student sagte: „Er war ein logisch denkender Mensch. Sein Denkvermögen war intakt. Wie ist es einzuschätzen, wenn religiöse Ansichten gegen die einzig mögliche Behandlungsmethode sprechen?“

      In Erwiderung sagte Dr. Macklin: „Wir mögen fest davon überzeugt sein, daß dieser Mann einen Fehler beging. Aber Jehovas Zeugen sind der Ansicht, daß eine Transfusion dem Essen von Blut gleichkommt und daß das Essen von Blut [möglicherweise] zu ewiger Verdammung führt. In der Medizin fällt es uns nicht schwer, das Risiko gegen den Nutzen abzuwägen; stellt man jedoch ewige Verdammung dem Weiterleben auf der Erde gegenüber, hat die Beurteilung aus einem anderen Gesichtswinkel zu erfolgen“ (The New York Times, 23. Januar 1984).

  • Dein Recht, Risiko und Nutzen gegeneinander abzuwägen
    Erwachet! 1984 | 8. November
    • Dein Recht, Risiko und Nutzen gegeneinander abzuwägen

      DEIN Körper gehört dir. Dein Leben gehört dir. Diese Äußerungen scheinen nicht außergewöhnlich zu sein, aber sie unterstreichen eines deiner Grundrechte, die mit einer medizinischen Behandlung im Zusammenhang stehen. Es ist dein Recht, zu entscheiden, was mit dir geschieht. Viele machen von diesem Recht Gebrauch, indem sie ihren Fall von zwei voneinander unabhängigen Stellen beurteilen lassen und dann eine Entscheidung treffen. Andere lehnen eine bestimmte Therapie ab. Dr. Loren H. Roth führte 1983 eine Studie durch, die aufzeigt, daß 20 Prozent der Krankenhauspatienten die eine oder andere Behandlung ablehnen.

      Wie kannst du eine Entscheidung treffen, wenn du erkrankst? Woher kannst du wissen, welches die beste Behandlung ist, da du kein Arzt bist? Gewöhnlich wenden wir uns an Ärzte, Experten, die eine fachliche Ausbildung haben, Erfahrung besitzen und denen die Verpflichtung auferlegt ist, Menschen zu helfen. Arzt und Patient sollten das „Risiko-Nutzen-Verhältnis“ erörtern. Worum handelt es sich dabei?

      Nehmen wir an, du hättest ein krankes Knie. Ein Arzt empfiehlt eine Operation. Welche Risiken entstehen jedoch bei der Narkose und bei der Operation oder im Hinblick auf die spätere Funktionsfähigkeit des Beines? Was ist andererseits der mögliche Nutzen, und wie stehen die Erfolgsaussichten in deinem Fall? Nach einer Erörterung von Risiko und Nutzen hast du das Recht zu entscheiden: der Behandlung zuzustimmen oder sie abzulehnen.

      Risiko und Nutzen gegeneinander abwägen

      Untersuche das Risiko-Nutzen-Verhältnis in dem vorher erwähnten Fall von Giuseppe und Consiglia Oneda.

      Ihre Tochter Isabella war sehr krank, und die Ärzte empfahlen (bestanden sogar darauf), daß ihr regelmäßig Bluttransfusionen gegeben werden sollten. In erster Linie erhoben die besorgten Eltern aufgrund ihrer Kenntnis der Gesetze der Bibel Einspruch. Doch wie hätte sich eine Betrachtung des Risiko-Nutzen-Verhältnisses ausgewirkt?

      Heutzutage wird weithin unterstellt, daß Bluttransfusionen eine sichere und wirksame Behandlungsmethode sind. Wir sollten jedoch nicht vergessen, daß im 17. Jahrhundert der Aderlaß eine allgemein übliche medizinische Praktik war, die an Jung und Alt gleichermaßen vorgenommen wurde und oft verhängnisvolle Folgen hatte. Was wäre in jenen Tagen geschehen, wenn sich Eltern energisch gegen einen Aderlaß bei ihrem Kind ausgesprochen hätten?

      Die Zeit des Aderlasses ist vorbei; heute treten die Mediziner dafür ein, Blut zu infundieren. Wenngleich von den Ärzten in den letzten Jahren eine Menge geleistet worden ist, so müssen sie doch zugeben, daß Transfusionen mit Risiken verbunden sind. Dr. Joseph Bove (Vorsitzender eines Komitees der American Association of Blood Banks, das sich mit Krankheiten beschäftigt, die durch Transfusionen übertragen werden) berichtete kürzlich, daß im Jahre 1943 das erste Mal davon die Rede war, daß sich jemand aufgrund einer Blutübertragung Hepatitis zugezogen habe. Er fuhr fort:

      „Heute, nach 40 Jahren, wird die Übertragung von Hepatitis durch zumindest vier verschiedene aus dem Blut stammende Virusarten als Transfusionsrisiko anerkannt. Und zahlreiche weitere Infektionserreger, die durch Transfusionen von Blut und Blutbestandteilen übertragen werden können, sind erfaßt worden“ (The New England Journal of Medicine, 12. Januar 1984).

      Wie hoch würdest du die Risiken transfusionsbedingter Krankheiten einschätzen, wenn du vor der Situation stündest, das Für und Wider hinsichtlich deiner Gesundheit oder der deiner Familie abzuwägen? Selbst Ärzte sehen sich außerstande, dies abzuschätzen, weil der Tod als Folge dieser Krankheiten oft lange nach einer Transfusion eintreten kann. Als Beispiel diene der Erreger der Hepatitis (B), der durch Ausleseverfahren nur teilweise gefunden wird. In einer Nachrichtensendung (10. Januar 1984) wurde berichtet:

      „Nach Angaben des Seuchenkontrollzentrums (CDC) in Atlanta (Georgia, USA) erkrankten im Jahre 1982 ungefähr 200 000 Amerikaner an Hepatitis B; 15 000 Personen mußten aufgrund ihres akuten Krankheitsstadiums im Krankenhaus behandelt werden, und 112 starben. Weitere 4 000 starben an den Spätfolgen dieser Krankheit.“

      Man mag sich die Frage stellen, wie viele in Deutschland, Italien, Japan und anderswo an den Folgen von transfusionsbedingter Hepatitis gestorben sind. Ja, der Tod infolge von Transfusionen ist ein ernsthaft abzuwägendes Risiko.

      Auch nimmt in dem Risiko-Nutzen-Verhältnis bei Transfusionen der Anteil des Risikos zu. Professor Giorgio Veneroni (Mailand) führte im Mai 1982 aus: „In dem Maße, wie unser Wissen zunimmt, entdecken wir sogar noch eine größere Anzahl von Risiken, die mit Transfusionen homologen Blutes verbunden sind.“ Eine Entdeckung, die die Ärzte alarmiert hat, ist AIDS (erworbenes Immun-Defekt-Syndrom), eine Krankheit, die außergewöhnlich oft zum Tode führt. Dr. Joseph Bove sagte außerdem:

      „Ärzte müssen das Transfusionsrisiko für den Empfänger gegen den erwarteten Nutzen abwägen. Dieses Konzept ist zwar nicht neu, aber es ist insofern aktueller geworden, als man die Befürchtungen eines Patienten nicht länger zerstreuen kann, daß er sich durch die Transfusion AIDS zuziehen könne.“

      Ein derartiges Risiko besprachen die Ärzte mit den Onedas 1978 nicht. Es wurde damals nicht als solches erkannt. Heute wissen wir jedoch davon. Trägt nicht eine Kenntnis der größeren Transfusionsrisiken dazu bei, die Entscheidung der Onedas weniger kritisch zu betrachten?

      Risiko und Nutzen gegeneinander abzuwägen obliegt den Eltern

      Als Erwachsener hat man das Recht, die Risiken und den Nutzen einer Bluttransfusion oder anderer Behandlungsmethoden gegeneinander abzuwägen. „Jeder entscheidungsfähige Erwachsene wird als Herr über seinen eigenen Körper betrachtet. Er mag ihn weise oder unvernünftig behandeln. Er mag sich sogar einer lebensrettenden Behandlung widersetzen, aber das geht niemand anders etwas an, schon gar nicht den Staat“ (Willard Gaylin, M. D., Präsident des Hastings Center). Wer übernimmt es aber für ein Kind, die Risiken und den Nutzen gegeneinander abzuwägen?

      Die allgemeine Erfahrung zeigt, daß die Eltern mit dieser Verantwortung betraut sind. Nehmen wir zum Beispiel den Fall, dein Kind hätte Probleme mit den Mandeln und eine Operation wäre vorgeschlagen worden. Du möchtest etwas über die Vor- und Nachteile einer Mandeloperation wissen, nicht wahr? Anschließend wirst du die Risiken mit denen einer Antibiotika-Behandlung vergleichen. Dann kannst du — wie viele Eltern zuvor — aufgrund von Informationen zu einer Entscheidung kommen.

      Betrachte eine ernstere Situation. Ärzte übermitteln dir die traurige Nachricht, daß dein Kind eine vermutlich unheilbare Art Krebs hat. Sie sprechen davon, daß eine Chemotherapie durchgeführt werden könne, das Kind aufgrund der Medikamente aber sehr, sehr krank würde und die Chancen, die Krankheit in diesem Stadium in den Griff zu bekommen, fast gleich Null wären. Hättest du nicht das Recht, die letzte Entscheidung zu treffen?

      Die Antwort, die du in einem Artikel von Dr. Terrence F. Ackerman finden kannst, lautet „Ja“.a Er gab zu, daß viele gerichtliche Verfügungen aufgrund der Behauptung zustande gekommen sind, daß der Staat Minderjährige schützen müsse. An dem berühmten M. D. Anderson Hospital and Tumor Institute folgte man jedoch in einer Anzahl von Fällen der Verfahrensweise, Transfusionen nicht gerichtlich zu erwirken. Warum nicht? Zum Teil, weil „jedes dieser Kinder eine möglicherweise tödlich verlaufende Krankheit hatte und wir einen erfolgreichen Ausgang nicht vorhersagen konnten“. Traf das nicht im Fall von Isabella zu?

      Ackerman unterstrich den Wert des „Respekts gegenüber dem Recht der Eltern, ihre Kinder auf eine Weise aufzuziehen, die sie für angemessen halten“. Er argumentierte: „Ein grundlegender Lehrsatz in der Praxis der Pädiatrie ist der, daß dem Arzt die moralische Pflicht obliegt, die Eltern und die Familie zu unterstützen. Die Diagnose einer möglicherweise tödlich verlaufenden Krankheit ihres Kindes setzt die Eltern einer gewaltigen Belastung aus. Wenn Eltern zusätzlich noch mit etwas zu kämpfen haben, wovon sie glauben, es sei eine Übertretung des Gesetzes Gottes, werden sie in ihrer Fähigkeit, ihre Aufgaben wahrzunehmen, vielleicht noch mehr beeinträchtigt. Darüber hinaus wirkt sich das Wohlergehen der Familie direkt auf das Wohlergehen des kranken Kindes aus.“

      Alternative Methoden

      Um die vielen Transfusionsrisiken zu umgehen, sind Operationstechniken entwickelt worden, die den Bedarf an Blut einschränken. Tatsächlich hat der Standpunkt, den Jehovas Zeugen hinsichtlich des Blutes einnehmen, zu diesen Forschungen ermutigt. Gegen Ende 1983 brachten die Zeitungen in den Vereinigten Staaten einen Bericht, der auf einer Tagung der American Heart Association vorgetragen worden war: Bei Herzoperationen an 48 Kindern im Alter von drei Monaten bis acht Jahren wurde kein Blut verwendet. Die Körpertemperatur des Patienten wurde herabgesetzt, und das Blut wurde mit einer Salz- und Nährlösung verdünnt. Es wurde jedoch kein Blut gegeben. Anfangs wurde diese Technik nur bei Kindern von Zeugen Jehovas angewandt. Als die Chirurgen feststellten, daß die Kinder der Zeugen die Operation viel besser überstanden als Kinder, bei denen herkömmliche Methoden angewandt wurden, entschlossen sie sich, diese Technik bei allen ihren Patienten anzuwenden.

      Verständlicherweise gibt es Fälle, in denen Ärzte eine Bluttransfusion als unerläßlich erachten. Doch können folgende Einwände erhoben werden: 1. Selbst viele Ärzte geben zu, daß die Fälle, in denen sie davon überzeugt sind, daß Transfusionen wirklich lebenswichtig sind, sehr selten sind. 2. Die schädliche Gewohnheit, Blut unnötigerweise zu übertragen, hat sich seit langem eingebürgert. 3. Die schwerwiegenden Transfusionsrisiken machen es unmöglich, hinsichtlich des Risiko-Nutzen-Verhältnisses einen dogmatischen Standpunkt einzunehmen. Folglich wird von einigen Krankenhäusern berichtet, daß viele, die keine Zeugen Jehovas sind, darauf bestehen, kein Blut zu erhalten.

      Hoffnung für die Zukunft

      Erfreulicherweise wird dem Recht und der Würde des einzelnen mehr und mehr Aufmerksamkeit geschenkt. In aufgeklärten Ländern, wie zum Beispiel in Italien, werden Anstrengungen unternommen, die größtmögliche Freiheit sicherzustellen, wozu die Freiheit gehört, auf Sachkenntnis beruhende Entscheidungen zu treffen. In einer Broschüre, die von der American Medical Association herausgegeben worden ist, wird erklärt: „Der Patient muß das letzte Wort darüber haben, ob er die Risiken einer Behandlung oder Operation, die ihm von einem Arzt empfohlen worden ist, auf sich nehmen will oder ob er es riskiert, sich nicht behandeln zu lassen. Das ist das natürliche Recht des einzelnen, das gesetzlich anerkannt ist.“

      Das gleiche ist auf Minderjährige anwendbar. Wenn du Kinder hast, solltest du an Entscheidungen, die deine Kinder betreffen, einen aktiven Anteil nehmen. Ein Richterkollegium in den Vereinigten Staaten schrieb in „Leitfaden für den Richter bei ärztlichen Anordnungen, Kinder betreffend“:

      „Wenn eine Wahl zwischen mehreren Verfahren besteht — wenn der Arzt zum Beispiel ein Verfahren empfiehlt, das eine achtzigprozentige Erfolgschance bietet, von den Eltern aber abgelehnt wird, diese jedoch nichts gegen ein Verfahren einzuwenden haben, das nur eine vierzigprozentige Erfolgschance bietet —, dann muß der Arzt das Verfahren anwenden, das vom medizinischen Standpunkt aus riskanter ist, aber die Zustimmung der Eltern hat.“

      Ein solcher Hinweis kann höchst bedeutungsvoll werden, wenn du auf deinem Recht — ja deiner Verpflichtung — bestehst, über medizinische Aspekte genau informiert zu werden. Oft erweist es sich als vorteilhaft, von einem anderen Experten eine zweite Diagnose stellen zu lassen. Ziehe Erkundigungen über die verschiedenen Verfahren ein, die bei einem medizinischen Problem angewandt werden können, und frage nach den möglichen Risiken und Vorteilen jeder Therapie. Wenn du das Risiko-Nutzen-Verhältnis kennst, kannst du eine sachkundige Entscheidung treffen. Von seiten des Gesetzes hast du dazu das Recht. Von seiten Gottes und deines Gewissens bist du dazu verpflichtet.

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