Das Geschäft mit den Medikamenten — Bist du ein Opfer?
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Australien
DAS grundlegendste Verlangen des Menschen ist der Wunsch zu leben. Deswegen ist er von jeher bereit, jeden gut zu entlohnen, der ihm helfen kann, länger zu leben oder eine Krankheit zu überwinden.
In medizinischen Büchern des Altertums wimmelt es von Rezepten — manche nützlich, andere regelrecht gefährlich. Doch noch nie hatte die Medizin einen solchen Aufschwung wie in unserem 20. Jahrhundert. Zu der fortlaufenden Entwicklung neuer medizinischer Verfahren kommt noch eine große Anzahl neuer Medikamente. In einem der vergangenen Jahre waren etwa 7 200 Medikamente und Medikamentenkombinationen auf dem Markt.
Andererseits sind einige der Meinung, daß noch nie zuvor in der Geschichte eine Gesellschaft so mit Medikamenten überhäuft worden ist wie gegenwärtig die Gesellschaft der wohlhabenden Länder. Eine unübersehbare Rolle spielt dabei der enorme Kostenaufwand. Allein Australiens 14 Millionen Einwohner geben jedes Jahr über 300 Mill. austral. Dollar für Medikamente aus. Könnte es sein, daß Arzneimittelhersteller die Sorge um die Gesundheit ausnutzen?
Aggressive Werbung
Es gibt eine Anzahl Arzneimittel, die man ohne ärztliche Verordnung kaufen kann. Um die Bevölkerung zum vermehrten Kauf anzuregen, lassen Arzneimittelhersteller durch Zeitungen, Zeitschriften, Plakate, Radio und Fernsehen unter hohen Kosten aggressive und ausgeklügelte Werbefeldzüge durchführen. Werbefachleute erforschen die Bedürfnisse, die Einstellung und die Geschmacksrichtung der „Zielgruppe“ — Personen, die die betreffende Medizin einmal benötigen mögen — und bereiten einen geeigneten Werbefeldzug vor. Raffinierte Werbesprüche und farbenprächtige Anzeigen in den verschiedensten Medien ermuntern dich zum Kauf.
Man wendet spitzfindige Methoden an, um deine Aufmerksamkeit zu erregen. Manche Medizin wird als „neu“ bezeichnet, obwohl sie in Wirklichkeit nichts weiter als eine Kombination bereits bekannter Medikamente ist. Firmen behaupten, ihr Produkt sei etwas Besonderes, weil es ein gewisses „XYZ“ enthalte, obwohl „XYZ“ nur ein Handelsname für einen üblichen Stoff ist. Manche überbetonen kleine, oft unbedeutende Unterschiede zwischen ihren Produkten und denen eines Konkurrenten. Unter Umständen wird auf Labortests oder Empfehlungen von Ärzten hingewiesen, oder die Werbung wird von einer Person im Arztkittel vorgetragen.
Die erstaunliche Beliebtheit schmerzstillender Mittel ist ein Ergebnis massiver und beständiger Werbung. Die Bevölkerung wird angeregt, das Einnehmen solcher Mittel als normal zu betrachten, als eine Hilfe zur Lösung der kleinen Probleme des Lebens. Dank einer ausgedehnten Verkaufsorganisation sind sie so gut wie überall erhältlich.
Viele Ärzte sagen, schmerzstillende Mittel, die Acetylsalicylsäure enthalten würden, seien verhältnismäßig sicher und wirksam. Allerdings können sogar einfache Kopfschmerzpräparate, die neben Acetylsalicylsäure noch eine andere Substanz enthalten, wie zum Beispiel Phenacetin, schwere Nierenschäden hervorrufen. Deshalb treten viele medizinische Organisationen dafür ein, die leichte Zugänglichkeit dieser Art Medikamente aufzuheben. Von maßgeblicher Seite ist die irreführende Werbung verurteilt worden, die besagt, schmerzstillende Mittel seien sicher, würden entspannen, beruhigen oder anregen.
Wenn du also rezeptfreie Medikamente kaufst, solltest du zuerst abwägen, ob du sie wirklich brauchst. Vergiß nicht, daß kein Medikament völlig sicher ist. Die Vorstellung, es gebe für jedes Wehwehchen ein Heilmittel in der Apotheke, dient zwar dem Hersteller, ist aber nicht unbedingt in deinem Interesse. Übersieh auch nicht, daß diese Medikamente gewöhnlich nur die Symptome, nicht die Ursache der Krankheit bekämpfen.
Nur rezeptpflichtige Medikamente
Da der Arzt der einzige ist, der dir die Beschaffung rezeptpflichtiger Medikamente ermöglichen kann, wird er in dieser Angelegenheit zu einem Mittelsmann zwischen dir und dem Hersteller. Da auch Ärzte nur Menschen sind, unterliegen auch sie dem Einfluß der Werbung. Ihnen geht eine Flut farbenprächtiger pharmazeutischer Glanzpapier-Prospekte zu, die so gestaltet sind, daß sie den Arzt ermuntern, ein bestimmtes Medikament für einen möglichst großen Bereich von Krankheiten zu verschreiben.
Von jedem Dollar, den australische Arzneimittelfirmen ausgeben, entfallen 20 Cent auf Verkaufsförderung, davon 42 Prozent auf reisende Vertreter, deren Tätigkeit auf den Bedarf des Arztes zugeschnitten ist. Am Ende ihres Gesprächs lassen sie vielleicht einen Notizblock oder einen Kugelschreiber mit dem Namen des Medikaments zurück, das der Arzt verschreiben soll.
Arzneimittelhersteller beteuern, es sei von höchster Wichtigkeit, die Ärzte zu informieren. Sicherlich kann es wertvoll sein, den Arzt auf ein neues Medikament aufmerksam zu machen. Ein großer Teil der Werbetätigkeit scheint jedoch darauf abzuzielen, den Arzt davon zu überzeugen, daß die neue Form eines alten Medikaments anderen Produkten überlegen ist, und einen Anreiz zu schaffen, die Medikamente des betreffenden Herstellers öfter zu verschreiben. Die Ärzte haben an mancher Werbung bemängelt, sie sei irreführend, indem sie einseitige Standpunkte wiedergebe und nachteilige Wirkungen des Medikaments herunterspiele.
Außerdem läßt die Arzneimittelindustrie teures audiovisuelles Material herstellen, Konferenzen abhalten und medizinische Fachzeitschriften herstellen, die der Arzt kostenfrei erhält. Obwohl dadurch Gutes bewirkt werden kann, ist immer Werbung mit im Spiel.
Ein unglücklicher Gesichtspunkt besteht darin, daß viele Ärzte in ihrer Kenntnis um die Verwendung und die Nebenwirkungen vieler heute verfügbarer Medikamente auf die Werbung des Herstellers und auf dürftige Kontakte mit Kollegen angewiesen sind. Daher überrascht einen nicht die Äußerung in einem Bericht an das australische Parlament: „Es besteht eine spürbare und vermeidbare Tendenz, zuviel zu verschreiben, und das trägt zu den hohen Ausgaben im Gesundheitswesen und den medikamentös bedingten Krankheiten sowie zur Abschwächung der künftigen Wirksamkeit wertvoller Medikamente bei.“
Das Dilemma des Arztes
Eines der größten Probleme, denen Ärzte gegenüberstehen, ist der Wunsch des Durchschnittspatienten, auf jeden Fall Medizin einzunehmen. Auch dann, wenn nur Ruhe, Zeit und Pflege nötig sind, um sich von einer Krankheit zu erholen, meinen viele Patienten, daß ein Arztbesuch ohne das Ausschreiben eines Rezepts eine Zeit- und Geldverschwendung ist. Wenn der Warteraum voll besetzt ist, ist ein Arzt sicherlich nicht geneigt, sich auf das zeitraubende und möglicherweise mühselige Unterfangen einzulassen, dich von der Entbehrlichkeit der Medikamente zu überzeugen. Unter dem Druck von seiten des Patienten und der Arzneimittelhersteller mag er es als leichter empfinden, einfach ein Rezept auszustellen.
Die Arzneimittelhersteller behaupten, daß sie sich ebenfalls in einer schwierigen Lage befinden. Seit der „Contergan-Affäre“, die durch Tausende von mißgebildeten Babys hervorgerufen wurde, fordern die Regierungen für die Freigabe eines Medikaments zunehmend strengere Tests. Die mit der Forschung und Entwicklung und dem Genehmigungsverfahren verbundenen Kosten sind sehr hoch. Nicht alle neuen Medikamente bringen wirtschaftlichen Erfolg. Selbst die erfolgreichen kann man nur für begrenzte Zeit patentieren lassen. Manchmal wird schon kurze Zeit später ein noch besseres Arzneimittel entdeckt. Daher sind die Hersteller darauf bedacht, ihre Medikamente schnellstens so weit zu verbreiten wie möglich.
Wie kannst du dich schützen?
Wie kannst du vermeiden, den Bestrebungen zum Opfer zu fallen, mehr Medikamente zu kaufen und zu gebrauchen? Bedenke vor allem, daß der menschliche Körper wunderbar dazu konstruiert ist, viele Krankheiten selbst zu heilen. In der Veröffentlichung Australian Prescriber wird zugegeben: „Medikamente sind zwar wichtig zur Bewältigung vieler Krankheitszustände, doch vielen Patienten ist am besten mit einer Therapie ohne Medikamente gedient. Die günstigste Behandlung besteht nicht immer in Pillen und Arznei.“ Oft ist es viel nützlicher, dem Körper genügend Ruhe zu gönnen, als ihn mit Medikamenten vollzustopfen und zu zwingen, in Gang zu bleiben. Bisweilen können natürliche Nahrungsmittel oder natürliche Heilmittel helfen
Dränge den Arzt nicht, ein Rezept auszustellen, sondern hilf ihm festzustellen, ob dein Fall wirklich Medikamente erfordert. Wenn ja, dann bringe in Erfahrung, welche Nebenwirkungen oder möglichen Komplikationen auftreten können. Ein gewissenhafter Arzt wird dir gern diese Informationen vermitteln. Könnten die Nebenwirkungen die Vorzüge überwiegen? Wie groß muß die Dosis sein, und wie lange muß das Mittel eingenommen werden?
Ein großer Schutz besteht auch in der Erkenntnis, daß gemütsverändernde Drogen kein Ersatz dafür sind, emotionale Probleme „an der Wurzel zu packen“. Wenn du in deinem Leben mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hast, ist es vielmehr erforderlich, deinen Lebensstil ehrlich zu untersuchen und Mut zu fassen, um die nötigen Änderungen vorzunehmen.
Wenn das Einnehmen von Medikamenten unumgänglich scheint, dann folge genau den Anordnungen des Arztes. Vermeide es, gleichzeitig eine Anzahl verschiedener Medikamente ohne medizinische Überwachung einzunehmen. Beachte auch warnende Hinweise, zum Beispiel, daß man in Verbindung mit einem Medikament Alkoholgenuß meiden oder nicht Auto fahren sollte.
Sicher haben Arzneimittel schon Millionen Menschen das Leben gerettet. Sie haben die Dauer der Genesung verkürzt und dazu beigetragen, die Angst vor Krankheiten zu mindern. Andererseits sind viele das arglose Opfer von unnötigem Medikamentengebrauch, von Arzneimittelabhängigkeit und medikamentös bedingten Krankheiten geworden. Wenn Medikamente indes mit Einsicht und Verständnis gehandhabt werden, dann ist es weitaus unwahrscheinlicher, dem Geschäft mit den Medikamenten zum Opfer zu fallen.