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Bist du barmherzig, wie dein Vater barmherzig ist?Der Wachtturm 1973 | 1. Januar
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Bist du barmherzig, wie dein Vater barmherzig ist?
JEHOVA ist ein Gott, „der reich ist an Barmherzigkeit“. Über ihn sang der Psalmist: „Jehova ist gnädig und barmherzig, langsam zum Zorn und groß an liebender Güte. Jehova ist gut gegen alle, und seine Erbarmungen sind über alle seine Werke.“ — Eph. 2:4; Ps. 145:8, 9.
Was bedeutet das für dich? Hältst du Gottes Barmherzigkeit für eine Eigenschaft, die nur dann zur Anwendung kommt, wenn Personen vor ihm „vor Gericht stehen“, weil sie ein Unrecht begangen haben? Bringt er nur dann Barmherzigkeit zum Ausdruck, wenn er sein Gerichtsurteil über Übeltäter mildert?
Keineswegs. Zwar mag mit dem Wort Barmherzigkeit, wie es in der Heiligen Schrift gebraucht wird (hebr.: rachám; gr.: éleos), ein negativer Vorgang bezeichnet werden, zum Beispiel wenn mit einer Bestrafung zurückgehalten wird. Aber am häufigsten bezeichnet es einen positiven Vorgang. Barmherzigkeit ist, wie in einer früheren Ausgabe dieser Zeitschrifta besprochen, im wesentlichen „tätiges Erbarmen“, ein Ausdruck von freundlicher Rücksichtnahme oder von Mitleid, wodurch Personen, die in Not, in Schwierigkeiten oder in Gefahr sind, Erleichterung verschafft wird.
Barmherzigkeit ist keineswegs nur auf richterliche Entscheidungen beschränkt, sondern sie ist ein kennzeichnendes Merkmal der Persönlichkeit Gottes. Dies ist für ihn die übliche Art, sich gegenüber Personen zu verhalten, die in Not sind; hierdurch zeigt sich auf herzerwärmende Weise seine Liebe. Gottes Sohn, der geoffenbart hat, wie sein Vater ist, hilft uns durch seine eigene Persönlichkeit, durch sein Reden und durch seine Handlungen, zu erkennen, daß Jehova tatsächlich „der Vater inniger Erbarmungen und der Gott allen Trostes“ ist. (Joh. 1:18; 2. Kor. 1:3) Ja, ein bedeutender Grund dafür, daß Gottes Sohn auf die Erde gesandt wurde, war der, daß „er in den Dingen, die Gott betreffen, ein barmherziger und treuer Hoherpriester werde“, ein solcher, durch den wir uns „mit Freimut der Rede dem Thron der unverdienten Güte“ nahen können, „damit wir Barmherzigkeit erlangen und unverdiente Güte finden mögen als Hilfe zur rechten Zeit“. — Hebr. 2:17, 18; 4:15, 16.
Gott ist nicht etwa sentimental. Er wendet seine Barmherzigkeit stets in Harmonie mit seinen anderen Eigenschaften und gerechten Maßstäben, einschließlich seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit, an. (Hos. 2:19) Wir sollten also nie versuchen, auf Gottes Barmherzigkeit zu pochen, indem wir denken, daß er uns gegenüber stets barmherzig ist, ungeachtet, was wir tun. Er läßt sich nicht verspotten, und diejenigen, die willentlich Böses säen, können nur erwarten, Böses zu ernten. (Gal. 6:7) Wenn wir Gottes gerechte Wege durch unsere Worte, Taten und durch unsere Lebensweise absichtlich mißachten, sündigen wir gegen ihn, und er mag mit Recht ‘seine Erbarmungen im Zorn verschließen’. — Ps. 77:9; Röm. 2:4-11.
BARMHERZIGKEIT ERZEUGT BARMHERZIGKEIT
Gottes Sohn sagte: „Glücklich sind die Barmherzigen, da ihnen Barmherzigkeit erwiesen werden wird.“ (Matth. 5:7) Weitgehend trifft dies sogar auf unseren Umgang als Menschen miteinander zu. Jesus äußerte den Grundsatz: „Wie ihr wollt, daß euch die Menschen tun, so tut auch ihnen.“ Nachdem er seine Jünger aufgefordert hatte, weiterhin „barmherzig zu werden“ wie ihr Vater und damit aufzuhören, andere zu richten und zu verurteilen, fügte er hinzu: „Übt euch im Geben, und man wird euch geben. Man wird euch ein treffliches, vollgedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß in euren Schoß schütten. Denn mit dem Maß, mit dem ihr meßt, wird euch wieder gemessen werden.“ — Luk. 6:31, 36-38.
Viele der inspirierten Sprüche heben diesen Gedanken hervor. In Sprüche 28:27 heißt es: „Wer dem Minderbemittelten gibt, wird keinen Mangel haben, aber wer seine Augen verhüllt, wird viele Flüche auf sich laden.“ Auch heißt es: „Wer gütigen Auges ist, wird gesegnet werden, denn er hat von seiner Speise dem Geringen gegeben.“ — Spr. 22:9.
Aber eine solche erbarmungsvolle Handlungsweise ist bestimmt nicht auf materielles Geben beschränkt. Die Menschen müssen Speise für ihren Sinn und ihr Herz erhalten; sie benötigen geistige Nahrung und eine ermutigende Botschaft sowie Ermunterung. Sonst leiden sie Mangel und Hunger, der quälender ist, als wenn es ihnen an materieller Speise fehlen würde. Das ist noch nie so sehr der Fall gewesen wie heute.
In einer Welt, in der die Menschen den Bedürfnissen anderer gegenüber so gefühllos sind, in der es so viel harte Kritik und so wenige ermunternde Äußerungen der Wertschätzung gibt, ist ein barmherziger Mensch wirklich ein wohltuender Segen. Daß er sich großzügig selbst zur Verfügung stellt und nicht nur von seinem Besitz gibt, wird nicht unbelohnt bleiben — Jehova wird ihn bestimmt belohnen. In Gottes Wort heißt es: „Wer dem Geringen Gunst erweist, leiht Jehova, und Er wird ihm sein Tun vergelten.“ (Spr. 19:17) Ja, Jehova schätzt diejenigen, die seine Barmherzigkeit nachahmen.
In der Bibel wird Barmherzigkeit eng mit Güte in Verbindung gebracht. Nachdem Jehova dem Moses zugesagt hatte, ihm ‘all sein Gutes’ zu offenbaren, ließ er seinen Engel vor dem Propheten vorübergehen und von Gottes Barmherzigkeit und liebender Güte sprechen. (2. Mose 33:19; 34:6, 7) Auch in Psalm 145:9 werden Güte und Barmherzigkeit in folgenden Worten nebeneinandergestellt: „Jehova ist gut gegen alle, und seine Erbarmungen sind über alle seine Werke.“
In welchem Ausmaß jemand, der barmherzig ist, bei anderen eine Erwiderung der Gefühle des Erbarmens hervorrufen kann, geht aus der Äußerung des Paulus in Römer 5:7 hervor, wo er erklärt: „Denn kaum wird jemand für einen gerechten Menschen sterben; ja, für den guten Menschen zu sterben, wagt es vielleicht jemand noch.“ Wie wir gesehen haben, schließt Güte Barmherzigkeit ein. Warum ist es denn wahrscheinlicher, daß jemand es wagt, für den „guten Menschen“ zu sterben als für den „gerechten Menschen“?
Jemand könnte als „gerecht“ angesehen werden, wenn er rechtschaffen, ehrlich und nicht der Unsittlichkeit schuldig ist. Der Betreffende ist frei von der Anklage, Unrecht begangen zu haben. Aber der ‘gute Mensch’ tut noch mehr. Er ist nicht nur daran interessiert, das zu tun, was richtig und in Ordnung ist. Erbarmen veranlaßt ihn, noch mehr zu tun als das, was die Gerechtigkeit verlangt; sein Beweggrund ist eine nützliche Rücksicht auf andere und der starke Wunsch, ihnen zu nützen, ihnen zu helfen und soviel wie möglich zu ihrem Glück beizutragen. Wenn der ‘gerechte Mensch’ auch Achtung und Bewunderung findet, spricht er das Herz nicht so sehr an wie der ‘gute Mensch’. Ja, für jemand, der herzlich, rücksichtsvoll, barmherzig und hilfsbereit ist, dessen Güte wirklich hervorragend ist und der im Herzen anderer Zuneigung findet — für einen solchen Menschen könnte man, wie Paulus sagt, bereit sein zu sterben. Und wenn schon Menschen eine solche Wertschätzung für jemand zeigen können, der Erbarmen bekundet, wieviel mehr wird Gott dies tun! Die Tatsache, daß Gott seinen geliebten Sohn opferte, veranschaulicht nämlich, daß er selbst Güte und Erbarmen liebt. — Röm. 5:6-8.
MANGELNDES ERBARMEN STÖSST AB
Wenn Barmherzigkeit Barmherzigkeit erzeugt, trifft das Gegenteil ebenso zu. Dies wird gut durch Jesu Gleichnis von dem unbarmherzigen Sklaven veranschaulicht, der, nachdem ihm sein Herr, der König, eine ungeheure Schuld erlassen hatte, gegenüber einem Mitsklaven, der ihm nur einen geringen Betrag schuldete, kein Erbarmen bekundete. Die Unbarmherzigkeit dieses Mannes war anderen Sklaven zuwider, und sie setzten den Herrn davon in Kenntnis; dieser rief den unbarmherzigen Sklaven zu sich und sagte: „Böser Sklave, ich habe deine ganze Schuld getilgt, als du mich inständig batest. Hättest nicht auch du gegen deinen Mitsklaven barmherzig sein sollen, wie auch ich gegen dich barmherzig war?“ Erzürnt ließ der Herr den unbarmherzigen Sklaven ins Gefängnis werfen. — Matth. 18:32-34.
Ein ähnliches Empfinden brachte David zum Ausdruck, als er Nathans Erzählung von dem reichen Mann hörte, der einem armen Mann dessen einziges Lamm wegnahm, um einem Gast ein Mahl zu bereiten. Vor Zorn rief David aus: „Der Mann, der dies tut, verdient zu sterben!“ Warum? Weil „er kein Mitleid“ mit seinem Nächsten „gehabt hat“. Aber David, der selbst ein Mensch war, der in seinem Herzen Erbarmen hatte, wie dies seine Äußerung zeigte, bekam den überwältigenden Schlag zu spüren, daß ihm gesagt wurde: „Du selbst bist der Mann!“ Wenn wir also Barmherzigkeit üben, dürfen wir nicht zulassen, daß wir selbstgefällig werden, sondern wir müssen die Ermahnung beachten: „Fahrt fort, barmherzig zu werden, wie euer Vater barmherzig ist.“ — 2. Sam. 12:1-7; Luk. 6:36.
Wie ernst diese Angelegenheit ist, geht aus der Erklärung der Bibel hervor, wonach die ‘Unbarmherzigen’ zu denen gezählt werden, die in Gottes Augen „den Tod verdienen“. (Röm. 1:31, 32) Denke an die Pharisäer, die, wie Jesus sagte, als Klasse für die Gehenna, für die ewige Vernichtung, bestimmt waren. (Matth. 23:23, 33) Offensichtlich trug ein Mangel an Barmherzigkeit weitgehend dazu bei, daß sie diese Verurteilung verdienten. Als Jesus sie zurechtwies, weil sie ‘die Schuldlosen verurteilten’, sagte er zu ihnen: „Geht denn hin und lernt, was dies bedeutet: ,Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer.‘“ — Matth. 9:11-13; 12:7; Hos. 6:6.
Die Wurzel des Problems der Pharisäer bildete die Paragraphenreiterei, mit der sie an alles herangingen. Sie befaßten sich intensiv mit Regeln, Bestimmungen und Verfahren, aber sie übersahen die bedeutenderen Grundsätze des Wortes Gottes und die Grundregeln der wahren Anbetung oder schenkten ihnen weniger Aufmerksamkeit. Sie glichen bestimmt nicht demjenigen, von dem sie behaupteten, er sei ihr himmlischer Vater. (Joh. 8:41) Sehen wir bei uns selbst irgendeine Neigung dazu, ihnen gleich zu sein?
Wenn Gottes Barmherzigkeit auch keineswegs auf Zeiten des Gerichts beschränkt ist, fällt sie bei solchen Anlässen gewiß besonders auf. Wie sehr sollten wir doch den Wunsch haben, daß Gott uns zu solchen Zeiten Barmherzigkeit erweist!
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„Barmherzigkeit frohlockt triumphierend über das Gericht“ — Wie?Der Wachtturm 1973 | 1. Januar
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„Barmherzigkeit frohlockt triumphierend über das Gericht“ — Wie?
DIE Tatsache, daß Barmherzigkeit ‘triumphierend über das Gericht frohlocken’ kann, sollte jeden von uns sehr interessieren. Warum? Weil der Apostel Paulus in seinen inspirierten Schriften versichert, daß „jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft ablegen“ wird. — Jak. 2:13; Röm. 14:12.
Unser Interesse wird noch mehr dadurch gesteigert, daß die Zeit, in der Gott gegen alle Menschen im Gericht vorgehen wird, jetzt sehr nahe ist. Die Prophezeiungen zeigen, daß die mysteriöse „Babylon die Große“, das Weltreich der falschen Religion, sowie all die politischen Nationen bald die Kraft des göttlichen Gerichts spüren werden. Allen Menschen auf Erden steht eine Zeit ‘großer Drangsal’ bevor, und diese zu überleben hängt davon ab, daß sie Gottes Anerkennung, sein günstiges Urteil, empfangen. (Matth. 24:21, 22; 25:31-34, 41; Offb. 17:1-5; 19:11-15) Diese Zeit der Drangsal wird die Millenniumsherrschaft des Sohnes Gottes über die Erde einleiten, und an jenem „Gerichtstag“ werden diejenigen, die am Leben geblieben sind, und die auferweckten Toten gemäß ihren Taten gerichtet. — Matth. 11:21-24; 12:41, 42; Apg. 10:42; Offb. 20:12, 13.
Aber Barmherzigkeit kann selbst in unserer Zeit ‘triumphierend über das Gericht frohlocken’, denn Gottes Richtersprüche sind nicht ausschließlich auf die Zeiten des Gerichtes beschränkt, die noch in der Zukunft liegen. Durch Christus Jesus, das Haupt der Christenversammlung auf der ganzen Erde, beschäftigt sich Jehova täglich mit seinen Dienern. In unterschiedlichem Ausmaß und auf verschiedenerlei Weise bekundet er ihnen gegenüber als Gesamtheit und als einzelnen seine Gunst oder keine Gunst, ebenso, wie er es gegenüber der Versammlung des buchstäblichen Israel in alter Zeit tat.
Jehova mag zum Beispiel als Richter handeln, indem er jemand in seinem Volk in eine verantwortungsvollere Stellung einsetzt, während er einen anderen erniedrigt. (Vergleiche Psalm 75:6, 7.) Auch kann Gott, wenn es unter denen, die behaupten, ihm zu dienen, einen Meinungsstreit gibt, indem jemand vielleicht ungerechterweise beschuldigt oder bekämpft wird, auf ähnliche Weise seinen Standpunkt bekanntgeben und zeigen, wen er in der Streitfrage unterstützt. (Ps. 35:1, 23, 24) Ferner zeigt die Heilige Schrift, daß es in der Christenversammlung Älteste gibt, die als Richter amten und so Christus Jesus, ihr Haupt, und seinen Vater, Jehova Gott, vertreten. Ihr Urteil sollte sich nach dem von Gott geäußerten Wort richten und sich darauf stützen. Gott kann sich solcher Männer bedienen, um sein Gericht zum Ausdruck zu bringen oder Zucht anzuwenden. — 1. Kor. 5:3-5, 12, 13; 6:2-5.
VERMEIDE, DASS ‘DAS GERICHT FÜR DICH OHNE BARMHERZIGKEIT IST’
Wie wird es uns an irgendeinem kritischen Punkt in der Gegenwart oder an einem schnell herbeikommenden Gerichtstag ergehen, wenn wir vor Gott und vor dem von ihm eingesetzten Richter, Christus Jesus, Rechenschaft für uns ablegen? Es spielen viele Faktoren eine Rolle, aber es mag von großem Vorteil sein, wenn wir hier den Faktor betrachten, den Jakobus, der Jünger und Halbbruder Jesu, mit folgenden Worten hervorhob: „Denn für den, der nicht Barmherzigkeit übt, wird das Gericht ohne Barmherzigkeit sein. Barmherzigkeit frohlockt triumphierend über das Gericht.“ (Jak. 2:13) Wie können wir uns als solche erweisen, die ‘Barmherzigkeit üben’, um ein „Gericht ohne Barmherzigkeit“ zu vermeiden?
Betrachte zunächst den Zusammenhang der inspirierten Worte des Jakobus. Zuvor hatte er darauf hingewiesen, wie verkehrt es sei, in der Versammlung Parteilichkeit zu bekunden, die Wohlhabenden den Armen vorzuziehen. (Jak. 2:1-9) Er betonte auch, wie wichtig es sei, denjenigen unter den Jüngern, die in Not seien, zu helfen und sich um sie zu kümmern. (Jak. 1:27; 2:14-17) Dann besprach er das ‘schwerere Gericht’, dem diejenigen unterworfen sind, die in der Versammlung als Lehrer dienen, und wies eindringlich auf die Notwendigkeit hin, die Zunge richtig zu gebrauchen, nämlich um zu segnen und zu nützen, nicht um zu verfluchen und zu schaden. — Jak. 3:1-18.
Wo sehen wir uns nun in diesem Bild? Beachten wir die Wohlhabenden mehr als die finanziell Armen, ob wir nun außerhalb oder innerhalb der Versammlung Gottes dienen? Bildet dies die Grundlage dafür, wem wir, wenn wir unter Gottes Volk eine verantwortungsvolle Stellung einnehmen, besondere Gunst erweisen, Vorrechte gewähren und wem wir besonders entgegenkommen? Oder behandeln wir alle unparteiisch, indem wir ein größeres Interesse daran haben, gute geistige Eigenschaften zu erkennen, statt auf materiellen Besitz oder geschäftlichen Scharfsinn zu achten? Denken wir daran, daß einige zwar mehr Geld spenden mögen als andere, daß aber dennoch das „Scherflein der armen Witwe“ besonders zu loben ist, weil es nicht aus dem Überfluß, sondern aus dem Mangel gegeben wird? — Luk. 21:1-4.
Aber was hat dies mit Barmherzigkeit zu tun? Wie wirkt sich Parteilichkeit oder die Bevorzugung gewisser Personen auf die Barmherzigkeit aus?
Jakobus schrieb: „Wenn ihr nun dem königlichen Gesetz nach dem Schriftwort beständig nachkommt: ,Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst‘, tut ihr sehr wohl. Wenn ihr aber fortfahrt, Parteilichkeit [„Vornehmtuerei“, New English Bible] zu bekunden, so begeht ihr Sünde, denn ihr werdet vom Gesetz als Übertreter überführt.“ (Jak. 2:8, 9) Parteilichkeit oder die Bevorzugung gewisser Personen wirkt gegen die Barmherzigkeit und unterdrückt sie. Man wird dadurch leicht gefühllos gegen die Bedürfnisse anderer oder verstopft, wie es in Sprüche 21:13 heißt, sein Ohr, so daß man nicht den „Klageschrei des Geringen“ hört.
Zwar kann man jemandem besondere Beachtung schenken, und in einigen Fällen sollte man das sogar tun. Aber dazu sollten wir durch die vortrefflichen geistigen Eigenschaften des Betreffenden veranlaßt werden. Zum Beispiel heißt es in 1. Timotheus 5:17: „Die älteren Männer, die in vortrefflicher Weise als Vorsteher dienen, halte man doppelter Ehre würdig, besonders die, die hart arbeiten in Wort und Lehre.“ Über Epaphroditus, der „dem Tode ganz nahe [kam], da er seine Seele Gefahren aussetzte“, um Paulus Dienst zu leisten, schrieb der Apostel: „Haltet Männer von dieser Art weiterhin wert.“ (Phil. 2:25, 29, 30) Dies ist keine Parteilichkeit. Es ist die gebührende und verdiente Anerkennung treuen Dienstes.
Jakobus zeigt, daß Barmherzigkeit in der wahren Anbetung eine wichtige Rolle spielt. Er erklärt: „Die Form der Anbetung, die vom Standpunkt unseres Gottes und Vaters aus rein und unbefleckt ist, ist diese: nach Waisen und Witwen in ihrer Drangsal zu sehen und sich selbst von der Welt ohne Flecken zu bewahren.“ (Jak. 1:27) Eine solche Form der Anbetung läßt nicht zu, daß du angesichts wichtiger Bedürfnisse der Brüder dein Interesse nur dadurch bekundest, daß du den Wunsch oder auch den Glauben zum Ausdruck bringst, daß „schon alles gutgehen wird“. Sie veranlaßt dich, zu handeln, indem du tust, was du kannst, um ihnen zu helfen. — Jak. 2:14-17.
In einem ähnlichen Gedankengang schrieb der Apostel Johannes: „Wer immer aber die Mittel dieser Welt zum Lebensunterhalt hat und seinen Bruder Not leiden sieht und dennoch die Tür seiner Gefühle innigen Erbarmens vor ihm verschließt, wie bleibt da die Liebe Gottes in ihm? Kindlein, laßt uns lieben, nicht mit Worten noch mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit.“ Ja, außer der ‘öffentlichen Erklärung’ für den Namen Gottes wollen wir nicht vergessen, „Gutes zu tun und die Dinge mit anderen zu teilen, denn solche Schlachtopfer sind Gott wohlgefällig“, da „euer Vater barmherzig ist“. — 1. Joh. 3:17, 18; Hebr. 13:15, 16; Luk. 6:36.
Außerdem verlangt die wahre Anbetung, daß wir ‘die Zunge zügeln’ und sie nicht mit Stolz oder Eifersucht gebrauchen, auch nicht, um zu prahlen oder parteiische Unterschiede zu machen, sondern vielmehr in Sanftmut, Friedfertigkeit und Vernünftigkeit. So ein freundlicher und nützlicher Gebrauch der Zunge zeigt, daß man die Weisheit besitzt, die „voller Barmherzigkeit“ ist. (Jak. 3:13-18) Auch dies ist sehr wichtig, denn „aus der Fülle des Herzens redet der Mund“. Deshalb sagte Jesus, daß „die Menschen von jedem nutzlosen Ausspruch, den sie machen, am ,Gerichtstag‘ Rechenschaft geben werden“. — Matth. 12:34-36.
Würden wir also in unserem Umgang mit anderen Parteilichkeit bekunden, wären wir, was unser Interesse für ihre Bedürfnisse betrifft, gefühllos, würden wir unsere Zunge auf strenge Weise gegen andere gebrauchen, indem wir sie kritisch beurteilen würden — was könnten wir dann zur Zeit des Gerichts erwarten? Jakobus erklärt: „Für den, der nicht Barmherzigkeit übt, wird das Gericht ohne Barmherzigkeit sein.“ Ja, derjenige, der „sein Ohr vor dem Klageschrei des Geringen verstopft, der wird auch selbst rufen und keine Antwort erhalten“. (Spr. 21:13) Gott läßt solche Personen sozusagen „ihre eigene Medizin probieren“.
WIE DIE BARMHERZIGKEIT ZUR ZEIT DES GERICHTES TRIUMPHIEREND FROHLOCKEN KANN
Jehova Gott ist wirklich „gnädig und barmherzig, langsam zum Zorn und groß an liebender Güte“. Aber diejenigen, die zur Zeit des Gerichtes seine Barmherzigkeit wünschen, müssen selbst barmherzig sein. Dasselbe Argument, das Jakobus gebraucht, brachte Jesus schon früher, als er sagte: „Glücklich sind die Barmherzigen, da ihnen Barmherzigkeit erwiesen werden wird.“ — Ps. 145:8; Matth. 5:7.
Wenn also ein Christ, der wirklich Erbarmen bekundet, selbst in irgendeine Schwierigkeit geraten sollte, vielleicht, weil er in irgendeiner Hinsicht versagt hat, oder sogar, weil er einen Fehltritt begangen hat, braucht er kein „Gericht ohne Barmherzigkeit“ zu befürchten. Solch ein barmherziger Mensch ist nicht mit demjenigen zu vergleichen, der einen gerechten Weg ganz verläßt, um auf einem bösen Weg fortzufahren, was zur Folge hat, daß „keiner von all seinen gerechten Taten, die er getan hat“, von Gott oder von Gottes Vertretern „gedacht werden“ wird. (Hes. 18:24) Zur Zeit des Gerichts — vor, während oder nach der „großen Drangsal“ — wird ihm seine barmherzige Handlungsweise gut zustatten kommen. Denn Gott ist nicht ungerecht, daß er eure Arbeit und die Liebe vergessen würde, die ihr seinem Namen gegenüber erzeigt habt, indem ihr den Heiligen dientet und noch dient.“ — Hebr. 6:10.
Der Fall Davids veranschaulicht dies. Hätte Gott David einfach so betrachtet, wie er war, als er seine verkehrten Handlungen hinsichtlich Urias, des Hethiters, und der Frau Urias beging, so hätte Jehova bestimmt keine Ursache gehabt, im Falle Davids irgendwelche Barmherzigkeit zu bekunden. Aber Jehova wußte, daß diese Tat keineswegs für David typisch war und daß David in Wirklichkeit ein Mensch war, der Erbarmen bekundete. Davids aufrichtige Ergebenheit in der Vergangenheit und die Tatsache, daß er barmherzig war, trugen bestimmt sehr dazu bei, daß Jehova ihm zu jener Zeit Barmherzigkeit erwies, obwohl David der von Gott kommenden Zucht keineswegs entging.
Als die angeblichen Freunde Hiobs gegen diesen schwere Beschuldigungen erhoben, sagte Hiob: „Wenn er [Gott] eine Abrechnung verlangt, was kann ich ihm antworten?“ Was kam Hiob alles in den Sinn?
Der Zusammenhang seiner Worte zeigt, daß er wußte, daß Jehova sehr daran interessiert sein würde, ob er, Hiob, ein Mann wahren Erbarmens gewesen wäre, ein Mann liebender Güte, der auch seine Lauterkeit bewahrt hätte. (Hiob 31:13-22, 29-32; vergleiche Psalm 37:21-26.) Beachte auch, daß Paulus wegen der wohltuenden Freundlichkeit, die ihm der Jünger Onesiphorus erwiesen hatte, darum betete, daß der Herr diesem Mann gewähren möge, daß er zusammen mit seinem Hause „bei Jehova Barmherzigkeit finde an jenem Tage“. — 2. Tim. 1:16-18.
Daher übt Gott mit Recht Barmherzigkeit gegenüber denen, die sich durch barmherziges Handeln ausgezeichnet haben. Wenn sie vor Gott ins Gericht gebracht werden, gibt es zufolge ihrer barmherzigen Handlungsweise guten Grund, großzügig die Vorkehrungen auf sie anzuwenden, die nun durch das Loskaufsopfer des Sohnes Gottes vorhanden sind. Somit kann die Barmherzigkeit tatsächlich über die Gefahr eines ungünstigen Urteils, das sonst über diese Personen kommen könnte, ‘triumphierend frohlocken’. (Jak. 2:13) Da sie im Umgang mit anderen Erbarmen bekundet haben, zeigt Jehova ihnen gegenüber ebenfalls Erbarmen.
Diejenigen, die in den Versammlungen als Älteste dienen, werden bestimmt danach trachten, in ihrem gesamten Umgang mit ihren Brüdern und Schwestern gewissenhaft die Ansicht und Denkweise Jehovas zu vertreten. Sie werden daran denken, daß sie selbst vor dem Oberhirten der Herde „Rechenschaft ablegen“ müssen. (Hebr. 13:17; 1. Petr. 5:2-4) Wenn sie als Richter dienen, werden sie es nicht versäumen, von der Barmherzigkeit Kenntnis zu nehmen, durch die sich einige ausgezeichnet haben, die in ihrem christlichen Wandel einen Fehler gemacht haben, die dann aber bereuen und den aufrichtigen Wunsch bekunden, weiter treu zu bleiben.
Ja, wir alle haben wirklich Grund, den Wunsch zu hegen, daß unser „Rechenschaftsbericht“ viel Barmherzigkeit aufweist, denn „Barmherzigkeit frohlockt triumphierend über das Gericht“.
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