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Der Messias — ein Segen für alle VölkerErwachet! 1983 | 22. Juni
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Der Messias — ein Segen für alle Völker
JESAJA, ein Prophet der Hebräischen Schriften, sagte über eine in der Zukunft liegende Zeit: „Und es wohnt der Wolf mit dem Lamme, und der Tiger lagert neben dem Böcklein, ... und der Leu, wie ein Rind, frißt Stroh“, und „sie [die Menschen] tun kein Leid und richten nicht Verderben an“ (Jesaja 11:6-9).a
Wie aber sollte es zu solch friedlichen Verhältnissen kommen? Interessanterweise brachte Jesaja diese Verhältnisse mit einem künftigen Herrscher in Verbindung, den er als „ein Reis aus dem Stamme Jischai [Vater des israelitischen Königs David]“ bezeichnete. Dieser Nachkomme König Davids würde ein idealer Herrscher sein, ein Mann, der nicht nach dem Augenschein urteilen noch sich aufs Hörensagen verlassen, sondern gerecht richten und Gerechtigkeit und Frieden herbeiführen würde. Ferner sollte dieser künftige Herrscher nicht nur über die Juden regieren, sondern alle Völker könnten sich an ihn um Führung und Lenkung wenden. Jesaja prophezeite: „Zu ... [ihm] werden Völker sich wenden“ (Jesaja 11:1-10; vergleiche Jesaja 9:5, 6).
In der Zeit nach Jesaja wurde es bei den Juden üblich, diesen erwarteten Herrscher als „Messias“, d. h. als Gesalbten, zu bezeichnen, doch die Identität des Messias ist seit langem eine Streitfrage. Aus der Geschichte geht hervor, daß im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Männer den Anspruch erhoben, der Messias zu sein; jeder gewann große Popularität, verlor sie aber dann wieder. Der jüdische Anthropologe Raphael Patai sprach zum Beispiel von der „Bereitschaft der Massen, jedem Betrüger und jedem sich einer Täuschung hingebenden Träumer, der behauptete, der Messias zu sein, zu glauben“. Wie zu erwarten war, wurden alle, die ihre Hoffnung auf einen falschen Messias setzten, bitter enttäuscht. Das zeigt gewiß, wie vorsichtig man beim Identifizieren des Messias sein muß.
Jesaja deutete indessen an, daß man sich dem Messias ‘zuwenden’ muß, möchte man an den Segnungen teilhaben, die er den Menschen zukommen lassen wird. Wir können dankbar sein für die Möglichkeit, aus dem, was den messianischen Prätendenten widerfuhr, sowie aus den Hebräischen Schriften selbst vieles zu lernen. Deshalb möchten wir dich einladen, auch die folgenden Artikel zu lesen.
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Warum wurde Jesus abgelehnt?Erwachet! 1983 | 22. Juni
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Warum wurde Jesus abgelehnt?
IM ERSTEN Jahrhundert unserer Zeitrechnung hatten die Juden das schwere Joch der römischen Fremdherrschaft zu tragen. In dieser Zeit wurde die Hoffnung, daß Gott seinem Volk einen Befreier, den verheißenen Messias, erwecken würde, akut. So schreibt der neuzeitliche jüdische Historiker Abba Hillel Silver: „Im ersten Jahrhundert ..., insbesondere die Generation vor der Zerstörung [Jerusalems 70 u. Z.], erlebten die Juden einen bemerkenswerten Ausbruch messianischer Emotionalität.“
Flavius Josephus, ein Historiker des ersten Jahrhunderts, erwähnte diese Erscheinung ebenfalls, indem er über eine Gruppe von Männern, die damals auftrat, schrieb: „Es waren dies Verführer und Betrüger, die unter dem Vorwand göttlicher Sendung auf Umwälzung und Aufruhr hinarbeiteten ..., indem sie es [das Volk] in die Wüste lockten, als ob Gott ihnen dort durch Wunderzeichen ihre Befreiung ankündigen würde.“
Obwohl im ersten Jahrhundert viele der messianischen Prätendenten eine große Anhängerschar hatten, ist nur Jesus von Nazareth heute noch populär. Und doch erkannte ihn das jüdische Volk damals nicht als den verheißenen Messias an. Deshalb erheben sich die wichtigen Fragen: Warum glaubten im Verhältnis so wenige Juden, daß Jesus der Messias war? Warum lehnte die Mehrzahl ihn ab?
Rabbi Hyman G. Enelow schreibt: „Die Vorstellungen, die der Jude vom Messias hatte ..., wurden durch Jesus nicht realisiert.“ Einfach ausgedrückt: Jesus wurde von den meisten nicht angenommen, weil er die Erwartungen des Volkes nicht erfüllte. Wie bereits erwähnt, beschrieb der Prophet Jesaja den Messias als einen künftigen König, der für immer Frieden schaffen und für Recht und Gerechtigkeit sorgen werde. Aufgrund solcher Prophezeiungen nährten die Juden bestimmte Erwartungen. Da der Messias König über Israel sein sollte, konnte damit gerechnet werden, daß die heidnische Macht, die bei seinem Erscheinen über Israel herrschen würde, ihm ihre Macht abtreten werde.
Schließlich setzte sich jedoch allgemein der Glaube durch, daß die Juden unter der Führung des Messias über jene heidnische Macht siegen würden. In dem Werk Encyclopaedia Judaica heißt es diesbezüglich: „Die Juden der Römerzeit glaubten, Gott werde den Messias erwecken, damit er das Joch der Heiden zerbreche und über ein wiederhergestelltes Königreich Israel regiere.“
Spuren dieser verbreiteten Anschauung findet man auch in den Schriften jener Zeit. So schrieb Josephus beispielsweise über die Juden, die sich 66 u. Z. gegen Rom empört hatten: „Was sie jedoch am meisten zum Kriege getrieben hatte, war ein zweideutiger Orakelspruch, der sich gleichfalls in ihren heiligen Schriften fand, daß nämlich um diese Zeit einer aus ihrem Lande die Weltherrschaft erlangen werde.“
Bestätigt wird das auch durch die messianischen Prätendenten, die vom Volk unterstützt wurden. Aus der Geschichte ist zu erkennen, daß außer Jesus von Nazareth alle messianischen Prätendenten jener Zeit politische Revolutionäre waren. Wir lesen in The Book of Jewish Knowledge: „Das Außergewöhnliche jener Männer, die im ersten Jahrhundert den Anspruch erhoben, der Messias zu sein, bestand darin, daß jeder als ein Sammelpunkt jüdischer Empörung gegen die Herrschaft Roms diente. Im Gegensatz zu Jesus ... waren die anderen ,Messiasse‘ jener Zeit ausnahmslos militante Unruhestifter und Patrioten.“ Ihre Verhaltensweise spiegelte lediglich die Erwartungen des Volkes wider.
Das alles läßt erkennen, daß den Juden des ersten Jahrhunderts die spätere Auffassung von einem leidenden oder sterbenden Messias fremd war. Der jüdische Gelehrte Joseph Klausner schreibt sogar: „Überhaupt war die ganze Idee eines Messias, der getötet werden würde, zur Zeit Jesu allen ... noch ganz unvorstellbar.“ Selbst die wenigen Juden, die glaubten, daß Jesus der Messias war, erwarteten nicht, daß er leiden müsse oder getötet werde (Matthäus 16:21, 22).
Daher waren alle, die von Jesu Lehren angezogen wurden, sicherlich beunruhigt, als sie sahen, daß Jesus, anstatt die römische Herrschaft zu stürzen und sich zum König über Israel zu machen, vom römischen Staat hingerichtet wurde. Joseph Klausner erklärt: „So sahen sich die meisten, die Jesus zu seinen Lebzeiten anhingen, von dem Gekreuzigten enttäuscht.“ Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß Paulus von Tarsus, ein christlicher Missionar des ersten Jahrhunderts, schrieb: „Christus am Pfahl, den Juden eine Ursache zum Straucheln“ (1. Korinther 1:23).
Aber trotz des krassen Gegensatzes zwischen dem Leben Jesu und den jüdischen Erwartungen glaubten schließlich in jener Zeit Tausende von Juden, daß Jesus der Messias war. Was war der Grund?
[Bilder auf Seite 5]
Was erwarteten die Juden: Das? oder Das?
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Würde der Messias leiden und sterben?Erwachet! 1983 | 22. Juni
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Würde der Messias leiden und sterben?
WIE wir bereits gesehen haben, erwarteten die Juden des ersten Jahrhunderts einen Führer, der die Römer besiegen und über Israel eine jüdische Königsherrschaft errichten würde, die eine Zeit des Friedens und der göttlichen Segnungen zur Folge hätte. Da Jesus von Nazareth diese Erwartungen nicht erfüllte, erkannte ihn das jüdische Volk nicht als Messias an.
Viele Juden jedoch, denen die Lehren Jesu zugesagt hatten, glaubten selbst nach seinem Tod noch, daß er der Messias war. Warum konnten sie glauben? Warum konnten diese Juden an jemand glauben, der leiden mußte und getötet wurde, während die Hebräischen Schriften doch erkennen lassen, daß der Messias durch eine Königsherrschaft über Israel eine Zeit großer Segnungen herbeiführen wird?
Wie aus den Schriften der jüdischen Nachfolger Jesu hervorgeht, kamen seine Jünger kurz nach seinem Tod zu dem Schluß, daß wichtige Prophezeiungen aus den Hebräischen Schriften übersehen worden waren, Texte, die zeigten, daß der Messias eine vorbereitende Aufgabe zu erfüllen hätte, ehe er als König über Israel regieren könnte. Was für eine Aufgabe war das? Und wo in den Hebräischen Schriften wird von dieser vorbereitenden Aufgabe des Messias gesprochen?
Die Prophezeiung über den Messias im Buch Daniel
In den Hebräischen Schriften bezieht sich das hebräische Wort für Messias oder Gesalbter oft auf Könige und Priester des alten Israel. Immer, wenn es sich auf diese geringeren Gesalbten bezieht, wird es im Hebräischen entweder als attributives Adjektiv gebraucht, oder ein anderes Genitivattribut tritt hinzu. Es gibt jedoch einen Bibeltext, wo das nicht der Fall ist, was andeutet, daß das Wort sich auf den Messias bezieht. Man beachte den Wortlaut dieses Bibeltextes:
„Siebzig (Jahr-)Wochen sind beschlossen worden über dein Volk und über deine heilige Stadt, zu wehren dem Abfall und ein Ende zu machen den Sünden, und zu sühnen die Missetat, und zu bringen ewiges Heil [„ewige Gerechtigkeit“, The Holy Scriptures by the Jewish Publication Society of America (JP)]. ... Und du mögest wissen und verstehen: Vom Ausgange des Spruches, Jeruschalajim wieder aufzubauen, bis zum Gesalbten [„Messias“, Patai], dem Fürsten, sind sieben (Jahr-)Wochen; noch zweiundsechzig (Jahr-)Wochen, so werden wieder erbaut Markt und Graben, und zwar im Drange der Zeiten. Und nach den zweiundsechzig (Jahr-)Wochen wird vernichtet [„abgeschnitten“, JP] werden ein Gesalbter“ (Daniel 9:24-26).
Interessant ist, daß die Schrift hier sagt, eine ewige Gerechtigkeit werde herbeigeführt, dies aber nicht der Herrschaft des Messias zuschreibt, sondern es mit dem Abgeschnittenwerden des Messias in Verbindung bringt.
Ferner wird gezeigt, daß diese Ereignisse mit ‘einem Ende der Sünden’ im Zusammenhang stehen. Das ist bestimmt bemerkenswert, denn in den Hebräischen Schriften heißt es, daß jeder von uns die angeborene Neigung hat, unrecht zu tun oder zu sündigen. In 1. Mose 8:21 wird folgende Äußerung Gottes zitiert: „Das Schaffen des Menschenherzens [ist] bös ... von seiner Jugend an.“ Ferner lesen wir: „Da ist kein Mensch gerecht auf Erden, der das Gute tue und nimmer fehle!“ (Prediger 7:20). Aber obschon jeder von uns diese Neigung hat, gegen die er immer wieder vergeblich ankämpft, so machen doch Erscheinen und Tod des Messias ‘den Sünden ein Ende’. Kein Wunder, daß das in Verbindung mit dem Herbeiführen ‘ewiger Gerechtigkeit’ gesagt wird!
Außerdem heißt es in Daniel 9, daß das Erscheinen und der Tod des Messias ‘die Missetat sühnen’ werden. In den Hebräischen Schriften bezieht sich das Wort „Sühne“ auf das Zudecken der Sünde durch das Darbringen von Tieropfern (2. Mose 29:36). Eigenartigerweise wird in Daniel 9 das Wort „sühnen“ nicht in Verbindung mit dem Tod eines Tieres gebraucht, sondern in Verbindung mit dem Tod des Messias.
Ein „Sühnopfer“ für andere
Es ist beachtenswert, daß es in den Hebräischen Schriften außer in Daniel 9:24-26, wo ein stellvertretendes Sühnopfer angedeutet wird, noch einen Text gibt, der ausführlich eine Sühnung durch stellvertretendes Leiden und Sterben beschreibt. In dieser Prophezeiung ist die Rede von den Leiden und vom Tod eines Menschen, wodurch Sühne für die Sünden anderer erwirkt wird. Es wird sogar deutlich gesagt, daß er ein Schuldopfer für die Sünden anderer wird. Man beachte, was in Jesaja 52:13 bis 53:12 über diesen Diener Gottes geschrieben steht:
„Verachtet und gemieden von Menschen, ein Mann der Schmerzen und vertraut mit Leiden, und jenem gleich, vor dem man das Antlitz verhüllt, verachteten wir und hielten ihn für nichts. Aber unser Leiden trug er, und unsere Schmerzen lud er sich auf ... Er ist verwundet ob unseren Missetaten, zermalmt ob unseren Sünden. Die Strafe zu unserm Heile traf ihn, und durch seine Wunde sind wir genesen. ... der Ewige aber ließ ihn treffen unser aller Schuld. ... wer hat es empfunden, daß er weggetilgt ward aus dem Lande des Lebens, wegen der Missetat meines Volkes, der Strafe, die diesem (gebührte)? ... wenn er sich zum Sühnopfer gebracht [„sich als Ersatz geopfert hat“, JP], sieht er einen Samen, der lange dauert [„Er schaut noch Samen/lebt noch lang“, Tur-Sinai (TS)], und des Ewigen Wille gelingt durch dessen Hand. Ledig des Trübsals seiner Seele, soll er sich weiden zu sehen (den Samen), der durch seine Erkenntnis rechtfertigen wird den Gerechten, meinen Knecht, bei den Vielen, daß er ihre Schuld sich aufgeladen. Fürwahr, ich will ihm zu Teil geben die Vielen, und Mächtige soll er als Beute teilen [„mit den Mächtigen teilt er Beute“, TS] dafür, daß er dem Tode bloßgestellt sein Leben ..., da er doch die Sünde der Vielen trug, und es für Missetäter (ihn) getroffen.“
Man beachte, daß Jesaja sagte, Gerechtigkeit werde herbeigeführt durch eine Person, die als ein „Sühnopfer“ „zermalmt [ist] ob unseren Sünden“ und die dadurch „unser aller Schuld“ trägt. Da aus Daniel 9:24-26 hervorgeht, daß der Messias diese Sühne leisten wird, muß sich Jesaja 52:13 bis 53:12 ebenfalls auf das Werk des Messias beziehen.
Ein Widerspruch aufgeklärt
Wenn aber der Messias leiden und sterben muß, um die Sünden anderer zu sühnen, wie kann er dann in Erfüllung einer weiteren Prophezeiung Jesajas als König regieren? Jesaja deutete auf diesen scheinbaren Widerspruch hin, als er über den Messias sagte: „Wenn er sich zum Sühnopfer gebracht, [lebt (er) noch lang, TS].“ Und: „Mit den Mächtigen teilt er Beute/weil er dem Tod sein Leben hingegossen“ (TS). Wie konnte so etwas scheinbar Widersprüchliches tatsächlich geschehen? Wie kann jemand ‘lange leben’, nachdem er „dem Tod sein Leben hingegossen“ hat?
Ein anderer Diener Gottes warf einmal die Frage auf: „Wenn ein Mann stirbt, lebt er wieder auf?“ (Hiob 14:14). Die Hebräischen Schriften antworten mit einem entschiedenen Ja! Sie berichten nicht nur, daß Propheten Gottes Tote zum Leben zurückbrachten, sondern es heißt darin auch, daß die Zeit kommen wird, wo „viele von denen, die schlafen im Erdenstaube, ... erwachen“ werden (Daniel 12:2; vergleiche 1. Könige 17:17-24; 2. Könige 4:32-37; 13:20, 21).
Damit sich Gottes Wort erfüllen kann, müßte auch der Messias zum Leben zurückgebracht oder auferweckt werden. Nur dann könnte er als König regieren und die Menschheit weiterhin segnen. Folgende Worte Davids können mit Recht auf ihn angewandt werden: „Du läßt der Scheol [dem Grab] nicht meine Seele“ (Psalm 16:10, TS).
Diese biblischen Prophezeiungen wurden von den jüdischen Jüngern Jesu des ersten Jahrhunderts schließlich so verstanden. Man erkannte, daß Jesus trotz seiner Leiden und seines Todes der Messias sein konnte, ja man sah darin sogar eine Bestätigung dafür, daß er der Messias war!
Warum so schwierig zu akzeptieren?
Für die Mehrzahl der Juden jener Zeit war es schwierig, den Gedanken von einem leidenden und sterbenden Messias zu akzeptieren. Die Ursache dafür waren zweifellos andere populäre Auffassungen jener Zeit. Zum Beispiel dachten viele Juden, sie wären imstande, ihre angeborene Neigung zur Sünde völlig zu besiegen, indem sie sich bemühten, das mosaische Gesetz, die Thora, zu halten. Solche Personen glaubten, aus eigener Kraft ‘der Sünde ein Ende’ machen zu können, und sahen daher keine Notwendigkeit, daß der Messias für ihre Sünden sterbe, um sie zu sühnen.
Ferner wurde allgemein gelehrt, daß Gott die Juden schon allein deshalb für gerecht erkläre, weil sie Nachkommen Abrahams seien. Wenn aber den Juden automatisch Gerechtigkeit zugeschrieben wurde, brauchten sie keinen Messias, der „viele zur Gerechtigkeit“ führte. Es war so, wie Klausner schreibt: „Die ganze Idee eines Messias, der getötet werden würde, [war] zur Zeit Jesu allen ... noch ganz unvorstellbar.“
Bis etwa 100 Jahre nach Jesu Tod lehnten es die Juden ab, an einen Messias zu glauben, der getötet werden würde. Doch dann trat etwas ein, wodurch sich das änderte. Was?
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Was geschah mit den jüdischen Erwartungen?Erwachet! 1983 | 22. Juni
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Was geschah mit den jüdischen Erwartungen?
DIE Sammlung alter jüdischer Schriften, babylonischer Talmud genannt, enthält folgenden aus der ersten Zeit des zweiten Jahrhunderts stammenden Kommentar über den Messias:
„Das Land wird trauern [Sacharja 12:12]. Welche Bewandtnis hat es mit der Trauer? ... einer [Rabbi Dosa] sagt, um den Messias, ... der dann getötet wird.“
Merkwürdigerweise wird an dieser Stelle von dem Messias gesagt, daß er getötet wird. Wie wir jedoch gesehen haben, war eine solche Vorstellung den Juden des ersten Jahrhunderts unbegreiflich. Warum dieser Meinungsumschwung?
Die Auffassung von einem sterbenden Messias ist anscheinend im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, insbesondere nach dem Tod Simon Bar Kochbas, populär geworden. Bar Kochba war ein Kriegsmann, ein politischer Revolutionär. Sein messianischer Anspruch wurde von vielen anerkannt. Selbst Rabbi Akiba Ben Joseph, der als „einflußreichster aller rabbinischen Weisen“ gilt, begrüßte Bar Kochba feierlich als den Messias.
Bar Kochba war der Anführer der Juden in einem Aufstand gegen das Römerreich. Anfänglich war er gegen die römischen Legionen siegreich, und drei Jahre lang behauptete er sich gegen sie. Im Jahre 135 u. Z. jedoch wurden die aufständischen Juden, die in diesem Krieg über eine halbe Million Mann verloren, besiegt, und Bar Kochba wurde getötet.
Die Generation, die sich ganzherzig hinter Bar Kochba gestellt hatte, befand sich nun in einer eigenartigen Lage. Sein Tod rüttelte nicht nur an der messianischen Hoffnung, sondern auch an der Ehre Rabbi Akibas. Dr. Joseph Heinemann von der Hebräischen Universität Jerusalem schreibt über die Wirkung, die der Tod Bar Kochbas auf seine Zeitgenossen hatte:
„Diese Generation mußte mit allen Mitteln versuchen, das Unmögliche zu erreichen — Bar Kochbas messianischen Anspruch trotz seiner Niederlage aufrechtzuerhalten. Diese paradoxe Lage konnte keinen geeigneteren Ausdruck finden als in der hochambivalenten Legende von einem militanten Messias, der in der Schlacht fällt, aber doch ein echter Erlöser bleibt.“
Wie konnten die Juden die Auffassung von einem sterbenden Messias mit der Tatsache in Einklang bringen, daß der Messias als König regieren soll? Raphael Patai schreibt:
„Die Schwierigkeit wurde durch eine Zweiteilung des Messias gelöst: Man unterschied den Messias Ben Joseph [Sohn Josephs], der die Heere Israels gegen dessen Feinde anführen und nach vielen Siegen und Wundern fallen würde. ... Auf diesen wird dann der Messias Ben David [Sohn Davids] folgen und Israel zum Endsieg, zum Triumph, und in das glückliche messianische Zeitalter führen.“
Dieser Gedanke von einem sterbenden Messias wurde in den Jahren nach Bar Kochbas Tod weiterentwickelt und schließlich auf einen noch künftigen Messias angewandt, der in der Schlacht fallen würde. Dazu schreibt Patai erläuternd: „Vermutlich muß man verstehen, daß ... [der Messias] als Sohn Josephs an der Schwelle zur Endzeit sterben wird, dann aber als Sohn Davids auferstehen und die Aufgabe, die er in seiner früheren Inkarnation begann, vollenden wird.“
Welch merkwürdige Ähnlichkeit hat diese Auffassung doch mit derjenigen der Christen des ersten Jahrhunderts! Beide Gruppen behaupteten, an einen Messias zu glauben, der sterben und vor Anbruch der vorhergesagten Friedenszeit auferstehen werde.
Neue Gründe für eine Ablehnung
In den frühen Jahrhunderten unserer Zeit wurde die Bevölkerung des heidnischen Rom allmählich zum Katholizismus bekehrt, und unter den angeblichen Nachfolgern Jesu entwickelte sich eine antisemitische Einstellung. In späteren Jahrhunderten wurden die Juden Zeugen von Greueln wie den Kreuzzügen und der Inquisition — Greuel, durch die Gottes Gebot „Du sollst ... deinen Nächsten lieben, wie dich selbst“ deutlich übertreten wurde (3. Mose 19:18). Ferner übernahmen die angeblichen Nachfolger Jesu unchristliche Glaubensansichten wie die Trinitätslehre. Dabei hatte Moses gelehrt: „GOTT IST EIN EINIGES ... WESEN“ (5. Mose 6:4). Während der Grund, warum die Juden Jesus vorher abgelehnt hatten — weil sie nicht an einen sterbenden Messias glaubten —, nicht mehr als stichhaltig angesehen werden konnte, ergaben sich neue Gründe, warum sie es taten: das unbiblische Verhalten und die unbiblischen Glaubensansichten derer, die vorgaben, Jesus nachzufolgen. Deshalb lehnten die Juden das Christentum weiterhin ab.
Der Messias — eine wirkliche Person oder ein Ideal?
Die messianische Hoffnung blieb bei den Juden all die Jahrhunderte hindurch lebendig. So heißt es zum Beispiel in einem der von Maimonides, einem jüdischen Gelehrten des Mittelalters, formulierten dreizehn Glaubensartikel: „Ich bekenne mich fest zu dem Glauben, daß der Messias kommt, und möge er auch säumen, so warte ich doch täglich auf ihn.“
In neuerer Zeit haben jedoch viele Juden den Gedanken an einen personenhaften Messias völlig aufgegeben. Vor einem Jahrhundert schrieb Joseph Perl beispielsweise: „Der gebildete Jude stellt sich den Messias nicht als eine wirkliche Person vor.“
Solche Juden sehen im Messias kein wirkliches Individuum, sondern ein Ideal und sprechen daher lieber von einem messianischen Zeitalter als vom Messias. Ohne einen personenhaften Messias kann es aber kein messianisches Zeitalter geben.
Wann sollte dieser Messias kommen? Was sagen die Hebräischen Schriften?
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Wann sollte der Messias erscheinen?Erwachet! 1983 | 22. Juni
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Wann sollte der Messias erscheinen?
IM BABYLONISCHEN Talmud ist eine interessante Legende zu finden über Jonathan Ben Ussiel, den Verfasser der als Targum bezeichneten paraphrasierenden Übersetzung der hebräischen Propheten. Nach dieser Legende wollte Jonathan die Hagiographa, den dritten Teil der Hebräischen Schriften, ins Aramäische übersetzen. Da gebot ihm jedoch eine „Stimme vom Himmel“, es nicht zu tun, weil dieser Teil der Schriften das Datum für das Erscheinen des Messias enthalte.
Es ist interessant, daß eine Prophezeiung Daniels (das Buch Daniel gehört zur Hagiographa), die, wie wir bereits kennengelernt haben, ausdrücklich vom Messias spricht, auch zeitliche Angaben über sein Erscheinen enthält. Wir wollen uns nochmals mit dem Text aus Daniel 9:24-27 befassen:
„Siebzig (Jahr-)Wochen sind beschlossen worden über dein Volk und über deine heilige Stadt, zu wehren dem Abfall und ein Ende zu machen den Sünden, und zu sühnen die Missetat, und zu bringen ewiges Heil. ... Und du mögest wissen und verstehen: Vom Ausgange des Spruches, Jeruschalajim wieder aufzubauen, bis zum Gesalbten, dem Fürsten, sind sieben (Jahr-)Wochen; noch zweiundsechzig (Jahr-)Wochen, so werden wieder erbaut Markt und Graben, und zwar im Drange der Zeiten. Und nach den zweiundsechzig (Jahr-)Wochen wird vernichtet werden ein Gesalbter. ... Und er wird ein kräftiges Bündnis schließen mit vielen, eine (Jahr-)Woche lang, und zur Hälfte der (Jahr-)Woche wird er aufheben Opfer und Speiseopfer.“
Man beachte, daß gesagt wird, diese Zeitperiode umfasse „siebzig (Jahr-)Wochen“. Der hier verwendete hebräische Ausdruck bedeutet wörtlich „siebzig Wochen“ oder „siebzig Siebente“. Die jüdischen Gelehrten haben jedoch allgemein den Standpunkt vertreten, daß jede dieser Wochen nicht sieben Tage, sondern sieben Jahre lang sei. Deshalb gibt der Religions- und Literarhistoriker Leopold Zunz in seiner Übersetzung den hebräischen Ausdruck mit „siebzig (Jahr-)Wochen“ wieder. (Auch Die Bibel in heutigem Deutsch gibt den Ausdruck mit „Jahrwochen“ wieder.) Die ganze Periode von „siebzig Wochen“ umfaßt demnach 490 Jahre.
Wann fängt diese 490 Jahre dauernde Zeitperiode an? Gemäß der Prophezeiung beginnt sie mit dem Ausgang „des Spruches, Jeruschalajim [Jerusalem] wieder aufzubauen“. Ist ein solcher „Spruch“ je ausgegangen?
Daniel lebte noch, als König Cyrus von Persien 538/37 v. u. Z. den Befehl gab, den Tempel in Jerusalem wieder aufzubauen, aber erst etwa hundert Jahre später erging der „Spruch“, die Stadt Jerusalem wieder aufzubauen. In Nehemia 2:1-8 wird berichtet, daß König Artaxerxes Longimanus im 20. Jahr seiner Regierung diesen „Spruch“ ergehen ließ. Und wann war das? Nach den zuverlässigsten Geschichtsquellen trat Artaxerxes seine Herrschaft 474 v. u. Z. an; sein 20. Regierungsjahr und somit das Jahr, in dem der „Spruch“ ausging, wäre demnach das Jahr 455 v. u. Z.a Die 490 Jahre umfassende Periode begann also 455 v. u. Z.
Wann genau während dieser 490 Jahre sollte der Messias erscheinen? Man beachte, daß die 70 Wochen in drei Perioden aufgeteilt sind: 7 Wochen, 62 Wochen und eine Woche. Außerdem heißt es in der Prophezeiung, daß der Messias nach den 7 und den 62 Wochen oder nach 69 „Jahrwochen“ bzw. nach 483 Jahren erscheinen werde. Daraus können wir den Schluß ziehen, daß der Messias 483 Jahre nach dem Jahr 455 v. u. Z. erscheinen sollte, also im Jahre 29 u. Z.
Aus der Prophezeiung geht ferner hervor, daß der Messias nach den 62 Wochen (die auf die 7 Wochen folgen) vernichtet oder sterben werde, d. h. während der letzten Woche. Die letzte Periode von sieben Jahren dauerte von 29 u. Z. bis 36 u. Z. Wann in dieser letzten Woche würde er sterben? Wir lesen: „Zur Hälfte der (Jahr-)Woche wird er [der Messias] aufheben Opfer und Speiseopfer.“ Da aus der Prophezeiung auch hervorgeht, daß durch den Tod des Messias die Sünden wirklich gesühnt werden, hatten die im Tempel dargebrachten Tieropfer keinen Sinn mehr, nachdem der Messias gestorben war. Gemäß der Prophezeiung würde der Messias somit „zur Hälfte der (Jahr-)Woche“ oder 33 u. Z. sterben.
Ist der Messias 29 u. Z. erschienen und 33 u. Z. gestorben? Wie wir bereits gesehen haben, erwarteten die Juden im ersten Jahrhundert sehnsüchtig den Messias (Lukas 3:15). Aber von allen messianischen Prätendenten des ersten Jahrhunderts erschien nur einer im Jahre 29 u. Z. auf der Weltbühne und starb nur einer im Jahre 33 u. Z. — Jesus von Nazareth! (Vergleiche Lukas 3:1, 2.)
Wie wir gesehen haben, war es den im ersten Jahrhundert lebenden Nachfolgern Jesu nicht nur möglich, die Ereignisse im Leben Jesu mit den Prophezeiungen der Hebräischen Schriften in Einklang zu bringen, sondern durch Jesu Erscheinungen nach seinem Tod gewannen sie auch die Überzeugung, daß er auferstanden war und eines Tages wiederkommen werde, um als messianischer König zu regieren und die vorhergesagte Friedenszeit herbeizuführen.
Aber wie ist es mit uns heute? Seit Jesu Tod sind fast 2 000 Jahre vergangen, und bis heute warten wir auf die vorhergesagte Friedenszeit. Jesus hat jedoch prophezeit, wie die Welt in den „letzten Tagen“ des gegenwärtigen Systems der Dinge und zur Zeit der vollständigen Errichtung des messianischen Königreiches Gottes aussehen wird (Matthäus, Kapitel 24 und Lukas, Kapitel 21).
Die heutigen Verhältnisse würden demnach bedeuten, daß wir die Zeit erleben können, über die es in der Bibel heißt: „Und es wohnt der Wolf mit dem Lamme, und der Tiger lagert neben dem Böcklein, ... und der Leu, wie ein Rind, frißt Stroh“, und „sie [die Menschen] tun kein Leid und richten nicht Verderben an“ (Jesaja 11:1-10).
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