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Warum „fehlt es ihnen an Geistlichen“?Der Wachtturm 1958 | 15. August
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Warum „fehlt es ihnen an Geistlichen“?
In der Christenheit besteht heute selbst in den Ländern ein Pfarrer- oder Priestermangel, in denen eine religiöse „Hochkonjunktur“ herrscht. Wie erklärt sich dieser paradoxe Zustand?
„ES FEHLT uns an Geistlichen!“, konnte man in der Dezember-Ausgabe (1957) des Christian Herald, einer führenden protestantischen Monatszeitschrift Amerikas, lesen.
Diese Erklärung wurde durch einige eindrucksvolle Zahlen unterstrichen. Es wurde gezeigt, daß von ungefähr 308 000 Gemeinden in den Vereinigten Staaten beinahe ein Viertel keinen eigenen Pfarrer hat. Die Methodistenkirche, der nahezu 16 000 Geistliche fehlen, steht an der Spitze. Die „Southern Baptists“ [Südbaptisten] haben nahezu 6000 zu wenig und die „Disciples of Christ“ [Jünger Christi] über 3700. Auch andere Baptistengruppen weisen einen bedenklichen Predigermangel auf, ebenso die Lutherische Kirche, die Episkopalkirche und die Adventisten vom Siebenten Tag. In einigen Denominationen scheiden infolge Tod, Amtsniederlegung oder Pensionierung jedes Jahr über hundert Geistliche mehr aus, als neue hinzukommen.
Die protestantischen Kirchen sind aber nicht die einzigen, die mit diesem Problem zu kämpfen haben. Dieselbe Ausgabe des Herald berichtete, daß der römisch-katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten über 5000 Gemeindepfarrer fehlen. Dieser Mangel ist nicht nur in den Vereinigten Staaten zu verspüren. McManus von der St.-Patricks-Kathedrale bezeichnete den Pfarrermangel als eine weltweite Erscheinung. In einigen Gebieten von Südamerika sehen die Leute ihren Priester im Jahr nur zweimal, nämlich zur Zeit der fiesta. Bezeichnend für den Priestermangel in diesen Ländern ist die Lage in Venezuela, wo es auf 11 000 Katholiken nur einen Priester gibt.
Wenn wir uns Europa zuwenden, stellen wir fest, daß in dem vorwiegend katholischen Frankreich Tausende von Gemeinden keinen eigenen Pfarrer haben. Auch in Italien wird die Lage immer bedenklicher. Dort kam vor 85 Jahren noch ein Priester auf je 175 Katholiken, heute dagegen kommt ein Priester auf mehr als 1000 Gläubige. Die Zahl der Geistlichen ist dort während dieser Zeit von 150 000 auf 47 000 zurückgegangen.
Warum nimmt die Zahl der protestantischen und katholischen Geistlichen überall immer mehr ab? Und warum ausgerechnet in den Vereinigten Staaten, wo sich die organisierte Religion fortwährend damit brüstet, in bezug auf Zahl, Reichtum und Ansehen auf einer Höhe zu stehen, wie dies noch nie der Fall war? Die vorliegenden Tatsachen zeigen, daß nicht nur wenige junge Männer das Theologiestudium aufnehmen, sondern daß auch mehr Pfarrer ihr Amt niederlegen, um einen anderen Beruf auszuüben. Warum das?
WARUM DIE THEOLOGISCHE LAUFBAHN NICHT EINGESCHLAGEN WIRD
Warum wählen sich heute nicht mehr so viele junge Männer die Laufbahn eines Pfarrers oder Priesters? Das Blatt The Christian Herald gab den „Laien“, besonders den Eltern, die Schuld. Es führte folgenden Ausspruch eines Geistlichen an: „Meine Leute sehen es gern, daß junge Menschen der christlichen Berufung folgen, aber niemand wünscht, daß sein eigener Sohn es tut.“ Weiter wird erwähnt, daß es Studenten gebe, die dadurch entmutigt würden, daß ihre religiösen Freunde nicht genügend Interesse bekunden.
Die einen geben also den Eltern die Schuld, weil sie angeblich das Interesse an der theologischen Laufbahn nicht genügend fördern, während die anderen die jungen Leute selbst dafür verantwortlich machen. Sie werfen ihnen vor, zu materialistisch und zu selbstsüchtig zu sein, um sich dieser Laufbahn zu widmen.
Auf manche jungen Leute, so heißt es auch, wirke das Beispiel der Geistlichen selbst abstoßend. Diesen Gedanken brachte Robert Rankin in seinem Artikel „Das geistliche Amt stärken“ zum Ausdruck, der in The Christian Century vom 27. April 1955 erschien. Er erwähnte, daß viele Jugendliche die theologische Laufbahn nicht einschlagen, weil sie nicht genügend unterrichtet oder falsch unterrichtet sind, weil sie sich nicht für würdig halten oder weil sie sich vor zu hohe Anforderungen gestellt sehen, und führt dann unter dem Titel „Kann er sich selber treu bleiben?“ weiter aus:
„Auf andere wirkt das geistliche Amt, so wie es vom Geistlichen ausgeübt wird, abstoßend. Ohne Zweifel ist das Urteil einiger unfair und naiv; doch sei es, wie es wolle, so bin ich doch, wenn auch ungern, allmählich zu der Überzeugung gekommen, daß manche unserer tüchtigen jungen Leute der Berufung nicht folgen, weil sie die Kanzel im Zeichen der Heuchelei, Anmaßung und Unfähigkeit sehen. Und was das Schlimmste ist: Einige haben das Empfinden, daß diese Merkmale unbedingt erforderlich seien, um als Pfarrer Erfolg zu haben.“
„Ein Jüngling sagte mir“, fährt Rankin fort, „er würde sich für das Theologiestudium interessieren, wenn er überzeugt werden könne, daß er nicht so zu handeln brauche, wie sein eigener Pfarrer handle. Er betonte ausdrücklich, daß er die übertrieben scherzhaften Reden, die er in seiner Kirche gehört habe, und die Tricks, die dort von der Kanzel herab angewandt worden seien und seiner Meinung nach erforderlich waren, um die Menschen ‚zu halten‘, verabscheue. Er ziehe es deshalb vor, Lehrer zu werden, da ihm dieser Beruf als solcher nicht nur eine größere Befriedigung verspreche, sondern da er ihm auch eine gute Gelegenheit biete, sich selber treu zu bleiben.“ — New York Post, 8. März 1958.
Dieses Bekenntnis oder Eingeständnis von seiten eines religiösen Führers ist wahrhaftig Ironie in der höchsten Potenz. Der Pfarrerberuf gilt doch als der Beruf, in dem sich jemand wie in keinem anderen Beruf der Aufgabe widmen kann, Männer und Frauen über die hohen Grundsätze der Sittlichkeit, Aufrichtigkeit und der Bewahrung der Lauterkeit zu belehren.
WARUM SIE ES AUFGEBEN
Nach einer Meldung, die vor noch nicht langer Zeit in der amerikanischen Presse erschien, sagte Godfrey Poage, CP, ein Sprecher der römisch-katholischen Kirche, daß es in den Vereinigten Staaten ungefähr eine halbe Million Exseminaristen gebe (Ein Seminarist ist dort jemand, der ein Theologieseminar besucht, um Pfarrer zu werden.). Daß es so viele Exseminaristen gebe, beweise, daß der Pfarrermangel nicht nur darauf zurückzuführen ist, daß heute nicht mehr so viele junge Leute die theologische Laufbahn einschlagen, sondern auch darauf, daß viele das Theologiestudium aufgeben, um sich einer anderen Laufbahn zuzuwenden. Warum dies?
Sind sie materialistisch eingestellt? Dann kann es gut möglich sein, daß das Gehalt, das sie beziehen würden, sie veranlaßt, das Theologiestudium aufzugeben. Sind sie Idealisten? Dann könnte es sein, daß Enttäuschung, Entmutigung und Aussichtslosigkeit die Ursache wären. Sie mögen derselben Schwierigkeit begegnet sein, welcher Ogantz, ein Indianerhäuptling, der vor etwa 150 Jahren in Quebeck lebte, schon begegnet war. Er war von einem französischen, katholischen Priester großgezogen und dann als Missionar zu seinem Volke gesandt worden. Er sagte zu einem Freund:
„In meinem Herzen bin ich nie ein guter Katholik gewesen, obwohl ich versuchte, ein guter Christ zu sein. Ich fand es jedoch viel leichter, andere Indianer zu Katholiken zu machen als zu Christen. Damit meine ich, daß sie viel eher bereit waren, die Förmlichkeiten des Christentums statt dessen Gesetze zu beobachten, und daß sie durch meine Predigten nicht besser wurden. Ich wurde entmutigt und befürchtete, daß meine Predigten Betrug seien, ja daß ich ein Betrüger sei.“ — Historical Collections of Ohio, Band 1, Frank H. Howe.
Haben sie vielleicht Schwierigkeiten, die Entwicklungslehre mit den eindeutigen Worten Moses, Jesu und seiner Apostel in Übereinstimmung zu bringen? Oder fällt es ihnen schwer, den Wortlaut ihres Glaubensbekenntnisses mit den Lehren der Bibel in Einklang zu bringen? Ist es vielleicht das Dilemma, in das ein Geistlicher gerät, wenn er sieht, wie seine Schäfchen die hohen Grundsätze der Bibel verletzen, und er wählen muß, ob er ihnen lieber die Wahrheit sagt oder einen vollen Kollektenbeutel sieht. Oder ist es die Predigttätigkeit der christlichen Zeugen Jehovas, die wie ein Hagelsturm „die Zuflucht der Lügen“, die die angeblichen christlichen Geistlichen lehren, hinwegschwemmt? — Jes. 28:17, RS.
Eigentlich liegt die Ursache darin, daß der Stand oder der Beruf des „christlichen“ Geistlichen an sich nicht biblisch begründet oder nachweisbar ist. Der Unterschied zwischen Geistlichen und Laien war unter den Christen des ersten Jahrhunderts völlig unbekannt. Sie beachteten die Anweisung Jesu: „Ihr aber, laßt euch nicht ‚Rabbi‘ nennen, denn e i n e r ist euer Lehrer, während ihr alle Brüder seid. Ferner: Nennt nicht jemanden auf der Erde euren Vater, denn e i n e r ist euer Vater, der himmlische. Auch laßt euch nicht ‚Führer‘ nennen, denn e i n e r ist euer Führer, der Christus.“ — Matth. 23:8-10, NW.
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Die Kriegskunst erlernenDer Wachtturm 1958 | 15. August
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Die Kriegskunst erlernen
HOMER W. Smith berichtet in dem Werk Man and His Gods kurz folgendes über die Schrecken der Kreuzzüge: „In der Meinung, daß das Heilige Land und auch die großen Städte von Kleinasien für die Kirche zurückerobert werden könnten, forderte Urban II. im Jahre 1095 zu einer ausgedehnten Büßer- und Pilgerfahrt auf, die zugleich ein Krieg gegen die Ungläubigen werden sollte. Er versprach allen, die daran teilnahmen, Schulden- und Sündenerlaß sowie selige Unsterblichkeit.
Beim ersten Kreuzzug zogen die Kreuzfahrer, rücksichtslos mordend, folternd und plündernd, quer durch Europa nach Süden. Zwei Heerhaufen, die in Ungarn grauenhaft gehaust hatten, wurden völlig aufgerieben. Eine dritte Gruppe, die am Rhein Tausende von Juden hinmetzelte, wurde nachher im Süden vernichtet. Von zwei weiteren Haufen ging ein großer Teil unterwegs zugrunde, und von den Übriggebliebenen kamen nur noch jämmerlich wenige in Konstantinopel an, nachdem sie die Griechen, die ihnen zu Hilfe gekommen waren, geplündert hatten … Etwa 7000 von den schätzungsweise 150 000 bis 300 000 Kreuzfahrern überquerten schließlich den Bosporus und wurden von den Türken völlig aufgerieben. Ein Haufen gebleichter Knochen war alles, was übrigblieb und den nachfolgenden Kreuzfahrern Zeugnis vom Ausgang dieses sogenannten ‚Volkskreuzzuges‘ gab.
Zwei Jahre später gelang es einem besser organisierten Heere unter Gottfried Bouillon, Jerusalem einzunehmen und das lateinische Königreich von Palästina zu errichten … Die Stadt mußte einen ganzen Monat lang belagert werden, ehe sie eingenommen werden konnte, und noch nie war ein heidnisches Heer so grausam vorgegangen wie die Christen … Jerusalem hielt der Belagerung einen Monat lang stand. Bei seiner Eroberung wurden die Juden in die Synagogen getrieben und bei lebendigem Leibe verbrannt, und die Chronisten berichten darüber stolz, daß die Pferde der Kreuzfahrer beim Einzug in den Tempel knietief durch das Blut der Ungläubigen wateten … Am folgenden Tag metzelten die Kreuzfahrer im Namen Jesu, der angeblich in der Gruft begraben sein sollte, als feierliches Opfer eine unzählige Menge Menschen jeden Alters, betagte Männer und Frauen, Jungfrauen und Kinder sowie Mütter mit Säuglingen nieder.
Im Laufe der folgenden zwei Jahrhunderte flackerte die Feindschaft zwischen dem Christentum und dem Islam im Osten noch achtmal auf. Wenn das Papsttum eine Gelegenheit sah, einen Kaiser zu schwächen, um sich zu bereichern, oder wenn es darum ging, die Völker der europäischen Länder von einem Krieg unter sich abzulenken, dann forderte es wieder zu einem Kreuzzug auf. Das Kreuzfahrertum wurde zu einer christlichen Beschäftigung, und nachdem die Christen das Prinzip der organisierten, grausamen Kriegführung kennengelernt und es im Kampf gegen die Ungläubigen praktisch angewandt hatten, dauerte es nicht mehr lange, bis sie die Kriegskunst unter sich selbst anwandten.“
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