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Das Großkapital und die MoralErwachet! 1984 | 22. April
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Das Großkapital und die Moral
WIESO ist es möglich, daß Leute selbst dann geschädigt werden, wenn das Großkapital innerhalb der Grenzen des Gesetzes bleibt? Weil das natürliche Ziel des Geschäftslebens darin besteht, Gewinn zu erzielen. Es scheint, daß viele Geschäftsleute es nicht als ihre Aufgabe betrachten, moralische Überlegungen darüber anzustellen, woher der Gewinn kommt.
Zum Beispiel hat es sich immer wieder erwiesen, daß das Rauchen für viele tödliche Folgen hat. Trotz allem fahren die großen Tabakkonzerne damit fort, aus der Herstellung und dem Vertrieb ihres gefährlichen Produkts enormen Profit zu schlagen. Sie betreiben nach wie vor ihre Werbung, um noch mehr Leute zu ermuntern, mit der „Sucht“ anzufangen. Anscheinend ist die Tatsache, daß es Geld einbringt, in ihren Augen ein unwiderlegbares Argument. Bei Auslandsgeschäften brauchen sich die Konzerne noch weniger um die Folgen ihres Vorgehens zu kümmern.
Das Großkapital kann noch auf andere Weise Menschen schädigen. Damit ein Produkt, das in Wirklichkeit niemand braucht, verkauft werden kann, geben manche Firmen viel Geld aus für Werbung, um Bedarf zu wecken und der Bevölkerung einzureden, daß das überflüssige Produkt doch unerläßlich sei. Ein Beispiel dafür war vor einigen Jahren die Vermarktung von Flaschennahrung für Säuglinge in armen Ländern.
Alle Experten stimmen darin überein, daß die vollkommene Nahrung für das Neugeborene die Muttermilch ist. Man hat große Firmen beschuldigt, in armen Ländern auf rücksichtslose Weise Flaschennahrung zu vermarkten, indem sie den Müttern einreden, für ihr Baby sei es gesünder, wenn es mit Flaschennahrung ernährt werde. Das Ergebnis? Die Mütter geben ihre begrenzten Mittel für dieses normalerweise überflüssige Produkt aus. Häufig können sie die Anleitungen nicht verstehen und erkennen nicht die Notwendigkeit, die Flasche zu sterilisieren. Als Folge davon leidet der Säugling möglicherweise an Fehlernährung oder Durchfall.
Wie man sagt, ist der Verkauf von Flaschennahrung u. a. dadurch gefördert worden, daß man der Mutter kurz nach der Geburt des Kindes eine Gratisprobe gab. Als sie aufgebraucht war, stellte die Mutter fest, daß sie ihr Kind nicht mehr stillen konnte, und schließlich war sie gezwungen, mit der Flaschennahrung (zum Ladenpreis natürlich) weiterzumachen. Warum? Weil die Muttermilch versiegen kann, wenn das Stillen etwa eine Woche unterbrochen wird.
Es ist legal, aber ...
Die großen Firmen werden jetzt heftig kritisiert wegen ihrer Geschäftsbeziehungen mit den ärmeren Ländern. Was geschah beispielsweise mit den 2,4 Millionen Kinderschlafanzügen, deren Verkauf in den Vereinigten Staaten verboten wurde, weil sie mit einem flammenhemmenden Stoff behandelt worden waren, der sich als krebserzeugend erwies? Sie wurden in Ländern verkauft, die nicht so strenge Bestimmungen haben.
Die britische Tageszeitung The Guardian gab vor kurzem bekannt: „Die internationale Arzneimittelindustrie einschließlich führender britischer Firmen wurde vergangene Woche von Oxfam beschuldigt, rein um des wirtschaftlichen Profits willen die dritte Welt systematisch auszubeuten.“ In der Zeitung hieß es weiter: „Die schwerste Anklage zielt auf die Tendenz der großen Arzneimittelfirmen, gefährliche und möglicherweise giftige Präparate an die dritte Welt zu verkaufen — häufig mit denselben Behauptungen in bezug auf Sicherheit und Wirksamkeit, die sie im Westen widerrufen mußten.“
Es wird berichtet, daß Firmen aus dem Westen an Länder der dritten Welt Medikamente verkaufen, die im Westen wegen ihrer bekannten gefährlichen Nebenwirkungen verboten sind. Ein Antibiotikum, das in Asien gut verkauft wird, kann eine tödliche Form der Anämie hervorrufen. Ein Steroidhormon, das in Afrika verkauft wird, kann bei Frauen zu Bartwuchs und Kahlköpfigkeit und bei Mädchen zur Vergrößerung der Klitoris führen. Ein Medikament gegen Durchfall, das in Indonesien verkauft wird, wurde in den Vereinigten Staaten und in Japan aus dem Verkehr gezogen, weil es Hirnschäden und Blindheit hervorrufen kann.
Einige Vertreter von Arzneimittelfirmen haben alles mögliche getan, um diese Produkte in den Handel zu schleusen. Ärzten und Krankenhausleitern wurden Bestechungsangebote gemacht, die „vom Auto bis zur kostenlosen Universitätsausbildung ihrer Kinder reichen“.
Doch die moralischen Probleme des Großkapitals sind nirgendwo offenkundiger als bei dem größten aller Geschäfte — dem Waffengeschäft.
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Das Großkapital und der KriegErwachet! 1984 | 22. April
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Das Großkapital und der Krieg
DER internationale Waffenhandel wurde im 19. Jahrhundert ein blühendes Geschäft. Stahlhersteller wie die deutsche Firma Krupp und die englischen Firmen Vickers und Armstrong begannen, Rüstungsgüter in Massen zu produzieren. Als die Regierung des eigenen Landes nicht genug Waffen kaufen konnte oder wollte, bauten diese Firmen ein internationales Handelsnetz auf und wurden bald zu riesigen multinationalen Unternehmen.
Von Anfang an wurden Zweifel laut über die Moral der Produktion und des Exports von Rüstungsgütern. Alfred Nobel aus Schweden entdeckte eine Form des Kordits für Schußwaffen (ein Schießpulver ohne Rauchbildung), und im Alter von 60 Jahren kaufte er die schwedische Gewehrfabrik Bofors auf. Dennoch gab er ein Interesse am Pazifismus vor und hinterließ eine Stiftung für den berühmten Friedensnobelpreis, der Personen verliehen werden sollte, die sich in besonders hervorragender Weise um die Förderung wohlwollender Beziehungen zwischen den Nationen bemüht hatten. Als William Armstrong im Jahre 1900 starb, kommentierte eine britische Zeitung: „Es ist erschreckend, sich vorzustellen, auf welche Weise sich ein kühler und beherrschter Geist wie der des Lord Armstrong auf die Vernichtungswissenschaft ausgewirkt hat.“
Nichtsdestoweniger wurden jegliche Bedenken bald von patriotischen oder wirtschaftlichen Erwägungen verdrängt. Vor dem Ersten Weltkrieg schwärmten Waffenhändler in fast alle Hauptstädte der Welt aus und boten ihre Waren an. Jener Krieg dagegen brachte ein schwerwiegendes moralisches Problem des Waffenhandels zutage.
Während des Krieges wurden auf den Schlachtfeldern Waffen britischer und französischer Produktion gegen britische und französische Soldaten eingesetzt. Deutschland kämpfte gegen die Russen und die Belgier, die von Krupp ausgerüstet worden waren. Die meisten Kriegsschiffe der kriegführenden Länder waren mit Panzerungen versehen, die nach einem Krupp-Patent hergestellt worden waren, und in der Schlacht von Jütland verschossen beide Seiten Granaten mit Kruppzündern.
Die Rüstungsfirmen schlugen aus
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