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In den Klauen des TodesErwachet! 1980 | 22. Dezember
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In den Klauen des Todes
Ein Überlebender einer Katastrophe in der Nordsee berichtet
„ICH spürte, wie die Plattform unter mir sank, und in ein paar Sekunden war ich im Wasser. Ich wurde immer, immer, immer weiter nach unten gezogen“, erinnert sich J. O. Jahnsen. Aber er überlebte es.
Der 23jährige Jahn Otto Jahnsen aus Grimstad (Norwegen) war an Bord der Service- und Hotelplattform „Alexander L. Kielland“, als sie am 27. März 1980 in der Nordsee versank. Bei diesem Unglück, das als Norwegens schlimmste Katastrophe der Friedenszeiten unseres Jahrhunderts gilt, kamen von den 212 Mann „an Bord“ 123 um.
Die Plattform war ein riesiges Gebilde, das von den Schwimmern bis zur Spitze des Bohrturmes eine Gesamthöhe von 99 Metern hatte. Sie war von einer Bohrinsel in eine Hotelplattform umgewandelt worden und lag neben der verankerten Stahlplattform „Edda“ im Ekofiskfeld.
J. O. Jahnsen war an jenem Abend in einem kleinen Kino der Hotelplattform. Er erinnert sich: „Ich hörte einen Schlag, dann noch einen. Da wir stürmisches Wetter hatten, dachte ich zuerst, es sei eine große Welle gewesen, die gegen das Deck geschlagen habe. Als wir den dritten Schlag hörten, neigte sich plötzlich die gesamte Plattform zur Seite. In wenigen Sekunden hatte das Deck eine Neigung von 35 bis 40 Grad.“ Offensichtlich war eine Strebe gebrochen, so daß einer der fünf Hauptpfeiler nachgab.
Es gelang allen, das Kino zu verlassen. Doch weiter oben auf der Plattform war ein größeres Kino, das zu einer Falle wurde — die Besucher konnten wegen der Schräglage die Türen nicht erreichen.
„Ich gelangte in einen Gang und arbeitete mich nach oben. Einige gerieten in Panik. Man hörte Schreie. Manche waren gestürzt und hatten sich verletzt, und wir alle hatten Angst.
Mir gelang es, einen Notausgang — eine Stahltür — zu öffnen. Sie mußte nach oben gestemmt werden, was sehr viel Kraft erforderte. Als sie schließlich offen war, kletterte ich nach draußen auf das rutschige Deck. Doch die Kleidung, die ich anhatte, war für die eisigen Winterwinde viel zu leicht.“ Die Lufttemperatur betrug etwa 5 °C, und die Winde hatten Sturmstärke.
Nachdem J. O. Jahnsen auf einer Leiter nach oben geklettert war, konnte er am höchsten Punkt des geneigten Decks eines der Rettungsboote erreichen.
Jetzt ins Wasser!
„Einige stiegen in das Rettungsboot, aber ich traute mich einfach nicht“, sagt er. „Als es herabgelassen wurde, zertrümmerte es an der Plattform. Soweit ich weiß, blieb nur einer der Männer, die an Bord waren, am Leben — und etwa 10 kamen um.“
Während J. O. Jahnsen das beobachtete, erhielt er eine Schwimmweste und legte sie an. Nach ihm kamen noch einige Leute, aber es waren nicht genügend Schwimmwesten da.
„Das Deck neigte sich noch mehr, und uns wurde klar, daß wir ins Wasser mußten“, erinnert sich J. O. Jahnsen. „Wir versuchten, über einen der riesigen Pfeiler nach unten zu gelangen. Er hatte einen Durchmesser von etwa 8 Metern und verlief fast waagrecht vom Deck aus hoch über dem Wasser. Bis zur Wasseroberfläche dürften es noch 20 Meter gewesen sein. Andere zerschlugen die Fenster der Wohnräume und kletterten dann an den Wänden hinunter.“
Jetzt ging alles ganz schnell.
„Die Plattform neigte sich immer mehr. Wir hielten uns an einem 10 Zentimeter dicken Kabel fest, das am Pfeiler entlanglief. Plötzlich riß dieses Kabel entzwei und um uns herum flogen Funken. Zum Glück wurde ich nicht getroffen. Doch ein Mann neben mir wurde getroffen und stürzte ins Meer.“
Gleich darauf tauchte die Plattform unter. Glücklicherweise hatte J. O. Jahnsen die Schwimmweste an. Er kämpfte gegen das Wasser, bis er an die Oberfläche kam.
Die „Alexander L. Kielland“ war gekentert. Aus dem Wasser ragten noch die vier anderen Pfeiler heraus. Viele Freunde J. O. Jahnsens waren in 40 bis 50 Meter Tiefe im Innern der gigantischen Plattform in Zimmern und Gängen gefangen.
„Ich erblickte ein Rettungsboot. Es war beschädigt und voll Wasser, aber ich konnte einsteigen und später noch vier andere Männer an Bord holen“, sagt er.
In den nächsten Stunden schlugen die Wellen bis zu 15 Meter hoch. Der Wind erreichte Hurrikanstärke.
„Während unser Boot von Wind und Wellen hin und her geworfen wurde, sahen wir viele Leute in der See treiben. Manche waren verletzt, und andere lagen regungslos, mit dem Kopf nach unten hängend, im Wasser.“
Vom Deck der benachbarten Bohrplattform „Edda“ wurden aus 30 Meter Höhe Gummiflöße zu den Männern geworfen, die um ihr Leben kämpften. Die meisten Flöße wurden von Wind und Wellen abgetrieben, doch einige konnten von den Hilfesuchenden erreicht werden. J. O. Jahnsen ergriff auch eines davon.
„Das Floß lag auf der verkehrten Seite, aber wir konnten es umdrehen, und drei von uns gelang es, an Bord zu klettern. Wir saßen bis zur Hüfte im Wasser. Aber das Floß hatte ein Zelt, und das bot uns Schutz vor den eisigen Winden. In nur wenigen Minuten konnten wir mehrere Männer aus dem Wasser ziehen, bis wir schließlich zu neunt waren.“
Das alles ereignete sich sehr schnell.
„Es dauerte nur 10 bis 15 Minuten vom ersten Schlag, bis die Plattform kenterte, und ich glaube, als wir im Wasser waren, da verging nicht mehr als eine Viertelstunde, bis wir das Gummifloß erreichten.“
Aber dann trieben sie etwa drei Stunden lang im Wasser.
„Die Wellen schlugen höher und höher. Die meisten von uns wurden seekrank und übergaben sich. Einer hatte eine schlimm aussehende Schnittwunde am Kopf und schien etwas geistesabwesend zu sein, aber er schaffte es, aufrecht zu sitzen. Später sichteten wir Versorgungsboote. Zeitweise kamen sie sehr nahe heran, aber da die Wellen so hoch waren, bezweifelte ich, daß sie uns sehen konnten.“
Ein Hubschrauber über uns
Als die Männer auf dem winzigen Gummifloß allmählich wieder zu sich kamen, begannen sie, einander zu schlagen und zu massieren, um sich warm zu halten. Es herrschte eine beißende Kälte. Sie glaubten nicht, daß sie vor Einbruch der Dunkelheit gerettet würden.
„Die ganze Zeit hörten wir Hubschrauber“, erinnert sich J. O. Jahnsen, „aber sie flogen vorüber. Plötzlich fiel um ca. 23 Uhr ein starker Lichtstrahl auf die Öffnung unseres Zeltes. Immer deutlicher hörten wir das Geräusch eines Hubschraubers. Wir blickten nach draußen und sahen, wie der Hubschrauber über uns schwebte und ein Mann abgeseilt wurde. Wegen der Wellen verfehlte er das Floß und wurde wieder eingeholt.“
Der Hubschrauber flog einen Kreis, und als er zurückkam, landete der Mann mit seinem Rettungsseil genau auf dem kleinen Floß.
„Er sagte nur: ,Steht alles gut?‘, und ohne auf eine Antwort zu warten, legte er dem ersten von uns den Gurt an. Schon wurde er in den britischen Militärhubschrauber hochgezogen. In schneller Reihenfolge kam ein Mann nach dem andern nach oben; der letzte, der das Floß verließ, war der Engländer.
Der Hubschrauber flog noch ein paar Runden, um nach anderen Überlebenden Ausschau zu halten, und dann wurden wir neun Männer nach etwa 20 Minuten zum ‚Ekofisk-Hotel‘ gebracht — eine große verankerte Plattform, die ausschließlich für Wohnzwecke vorgesehen war. Es liefen mehrere Männer auf den Hubschrauber zu, um uns zur Krankenstation der Plattform zu tragen. Hier wurden wir in warme Decken gehüllt, mit warmen Getränken versorgt und massiert.“
Es beteiligten sich Seeleute und Flieger aus vielen Ländern an dieser Rettungsaktion, der größten, die je in der Nordsee durchgeführt wurde. Insgesamt wurden 2 000 Mann, 47 Schiffe sowie 24 Hubschrauber und Flugzeuge eingesetzt.
„Wir waren die ersten, die zum Ekofisk-Hotel gebracht wurden“, sagt J. O. Jahnsen. „Wir alle, sogar unser Verletzter, hatten alles gut überstanden. Um 2.30 Uhr brachte uns ein Hubschrauber zum Rogaland-Krankenhaus in Stavanger (Norwegen). Am nächsten Morgen durfte ich das Krankenhaus verlassen, und am gleichen Abend — 24 Stunden nachdem alles angefangen hatte — war ich wieder bei meiner Familie in Grimstad.“
J. O. Jahnsen meint, daß er Glück gehabt hatte. Er überlebte alles ohne Verletzung und hatte auch hinterher keine Probleme mit den Nerven. Er ist Maurer von Beruf und hatte gerade seine Arbeit in der Nordsee aufgenommen, um die Winterpause zu überbrücken. Jetzt beabsichtigt er, an Land zu bleiben.
„Unvorhergesehenes Geschehen“
In jener Märznacht in der Nordsee war der Abstand zwischen Leben und Tod sehr gering. Es war eine furchtbare Veranschaulichung, die zeigte, wie der Zufall entscheiden kann, ob ein Mensch leben oder sterben wird — so wie die Bibel sagt, daß „nicht den Schnellen der Wettlauf gehört noch den Starken die Schlacht, ... denn Zeit und unvorhergesehenes Geschehen trifft sie alle“ (Pred. 9:11).
Wenn ein Unglück zuschlägt, ist oft der reine Zufall der entscheidende Faktor. Wenn Jahn Otto Jahnsen in das große statt in das kleine Kino gegangen wäre, wenn er das Rettungsboot bestiegen hätte, statt am großen Pfeiler der Plattform nach unten zu klettern, wenn er keine Schwimmweste mehr bekommen hätte, wenn er sich am Stahlseil festgehalten hätte, als es zerriß, und wenn er nicht auf ein Floß gelangt wäre, das mit einem Zelt überdacht war — ja, dann hätte er möglicherweise nicht überlebt, sondern wäre umgekommen. Sicher war es ihm von Nutzen, jung, gut trainiert und im Sporttauchen geübt zu sein, aber das waren nicht die entscheidenden Faktoren.
In solchen Situationen ist es nicht entscheidend, zu „den Schnellen“ oder „den Starken“ zu gehören. Vielmehr spielen „Zeit und unvorhergesehenes Geschehen“ die entscheidende Rolle. Im Gegensatz zu dem, was einige religiöse Führer behaupten, stimmt es nicht, daß Gott bei solchen Katastrophen auf eine besondere Weise handelt. Im Gegenteil, er zeigt uns durch die Bibel deutlich, daß viele Dinge im Leben vom Zufall abhängen.
Für viele der Überlebenden war es wie ein Wunder, aus den Klauen des Todes befreit zu werden, und das rief in ihnen ein Gefühl der Dankbarkeit hervor. Auch wir sollten dankbar sein für jeden Tag, an dem wir am Leben sind und Zeit haben, für unseren Nächsten etwas Gutes zu tun und unserem Schöpfer gegenüber Dankbarkeit zu zeigen — „denn Zeit und unvorhergesehenes Geschehen trifft“ uns alle.
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Wir strebten nach Ruhm im BoxringErwachet! 1980 | 22. Dezember
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Wir strebten nach Ruhm im Boxring
ES WAR der 21. Januar 1966. Ich saß auf dem Hocker in meiner Ecke des Boxringes. Mir war, als sei ich endlich an der Schwelle des Ruhmes und des Reichtums angelangt. Ich müßte nur noch diesen Kampf gewinnen, und Francisco San José würde als spanischer Meister in der Schwergewichtsklasse gefeiert werden. Der nächste Schritt wäre dann die europäische Meisterschaft.
Abrupt wurden meine Gedanken durch den Klang des Gongs unterbrochen, und die erste Runde begann. Mein Gegner, Mariano Echevarría, hatte offensichtlich ähnliche
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