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Nonnen heute — Und morgen?Erwachet! 1975 | 8. Mai
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Stellen niederdrückend sein. In den Vereinigten Staaten ist jede dritte Nonne 60 Jahre alt oder älter. Das Durchschnittsalter der Nonnen des bedeutendsten Ordens für Erziehung und Unterricht in der Erzdiözese Boston ist nahezu 60 Jahre. Wie der Leiter der Zentralstelle für kirchliche Statistik des Erzbistums Seattle, James Eblen, schrieb, „lag noch vor zwanzig Jahren das Alter der meisten Nonnen zwischen 20 und 40 Jahren“.
Ist es da verwunderlich, daß manch einer befürchtet, die geistlichen Orden würden bald aussterben? Es sieht so aus, als würden auch jetzt viele Nonnen nur auf eine Gelegenheit warten, ihre Ordensgemeinschaft zu verlassen, und weitere würden das ebenfalls tun, wenn sie könnten. Gabriel Moran ließ das in seinem Artikel durchblicken, der in der Zeitschrift National Catholic Reporter erschien:
„Einige bleiben in ihrer Ordensgemeinschaft, weil sie alt, krank oder hilflos sind. Sie haben keine andere Wahl, als sich verzweifelt an das zu klammern, was noch übrig ist. Es gibt aber auch andere, die ohne weiteres gehen könnten, doch sie sind sich nicht schlüssig, ob sie dann ein besseres Leben hätten.
Was ist die Ursache des Niedergangs der geistlichen Orden? Warum „fühlen sich“ — wie die Katholiken sich ausdrücken — so viele Nonnen „zum Ordensleben nicht mehr berufen“?
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Warum sie ihren Orden verlassenErwachet! 1975 | 8. Mai
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Warum sie ihren Orden verlassen
ES HAT immer einige Nonnen gegeben, die aus ihrem Orden ausgetreten sind. Aber die heutige Abwanderungsbewegung, die Zehntausende von Nonnen erfaßt hat, ist sowohl in bezug auf die Zahl als auch auf die Wirkung ohne Beispiel. Warum die vielen Austritte?
Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Zur Hauptsache sind jedoch Struktur und Leitung der Kirche dafür verantwortlich. Mercedes Alonso, eine ehemalige Nonne, schrieb: „Die Krise entsteht nicht durch die steigende Zahl von Ordensschwestern, die ihren Orden verlassen, sondern dadurch wird sie lediglich offenbar.“
Was veranlaßt die Nonnen, die Ordensgemeinschaften zu Tausenden zu verlassen?
Ein Hauptgrund für die Austritte
Die Nonnen sind insbesondere mit Traditionen und Einschränkungen, die sie für sinnlos halten, nicht einverstanden. Als Beispiel sei das Zölibatsgebot der Kirche erwähnt.
Das Zölibatsgebot wurde vor Jahrhunderten von der Kirche erlassen; es ist zugegebenermaßen nicht biblisch. Das bestätigte auch Papst Johannes XXIII. wie folgt: „Der priesterliche Zölibat ist kein Dogma. Die Heilige Schrift fordert ihn nicht. Es ist sogar leicht, eine Änderung herbeizuführen.“
Tausende von Nonnen und Priestern haben eine solche Änderung gefordert, einige haben sogar die Heilige Schrift als Autorität zitiert. Der katholische Theologe Hans Küng erinnerte zum Beispiel daran, daß „Petrus und die Apostel verheiratet waren und auch in der vollkommenen Nachfolge blieben, was dann durch viele Jahrhunderte für die Gemeindevorsteher vorbildlich blieb“ (Matth. 8:14; 1. Kor. 9:5). Doch die Kirche weigert sich, das Zölibatsgebot zu ändern.
Viele Nonnen verlassen ihren Orden, weil sie es nicht für richtig halten, daß man sie zwingt, sich einem Gebot von Menschen zu unterwerfen. Einige sind sogar aus der katholischen Kirche ausgetreten. Sie sind zweifellos durch folgende biblische Warnung in ihrem Entschluß bestärkt worden: „Der Geist aber sagt ausdrücklich: In den späteren Zeiten werden manche vom Glauben abfallen und Irrgeistern sich zuwenden und Lehren von Dämonen ... Sie verbieten das Heiraten“ (1. Tim. 4:1-3, Kürzinger).
Einschränkende Bestimmungen
Die erzwungene Ehelosigkeit ist nur eines der Kirchengebote, die die Nonnen als Zwang empfinden. Ärger erregen auch die Vorschriften über das Tragen der Ordenstracht. Nicht wenige finden, die Ordenstracht sei ungeeignet und unbequem.
Viele Nonnen halten es auch für eine unnötige Demütigung, sich den Kopf kahlscheren lassen zu müssen, um die Haube tragen zu können. „In all den Jahren, die ich als Ordensfrau zubrachte, konnte ich mich nicht an die Tatsache gewöhnen, keine Haare zu haben; wenn ich keine Haube trug, mied ich die Spiegel. Ich blickte nur hinein, wenn es gar nicht anders ging“, sagte eine ehemalige Nonne.
Zu erwähnen wären außerdem die Regeln über die Disziplin. Midge Turk, die achtzehn Jahre lang Ordensfrau war, schreibt in ihrer Autobiographie The Buried Life (Das begrabene Leben, 1971): „Der Disziplin diente eine dreißig Zentimeter lange Peitsche, die aus Schnüren geflochten war und am Ende in vier geknotete Schnüre auslief. Man sagte uns, wir sollten sie gemäß den Ordensregeln nur mittwochs und freitags nachmittags während einer bestimmten Zeit zur Selbstzüchtigung gebrauchen und nur Rücken, Beine oder Gesäß damit geißeln.“ In der Bibel findet diese „strenge Behandlung des Leibes“ keine Stütze, außerdem halten viele diese Sitte für einen mittelalterlichen Zwang und für menschenunwürdig (Kol. 2:20-23).
Ferner bestehen Regeln, die das Schweigen zur Pflicht machen und festlegen, wann gebetet und wann meditiert werden soll usw. Diese unzähligen Vorschriften, die von den Nonnen zum Teil als ungerecht und lächerlich empfunden werden, rufen bei ihnen Frustrationen hervor. Sogar Kardinal Suenens schrieb in seinem 1963 erschienenen Buch The Nun in the World (Die Nonne in der Welt), daß die Nonnen in vieler Hinsicht Gefangene veralteter Regeln seien, durch die ihre Kräfte und ihre Leistungsfähigkeit vergeudet würden.
„Wir Nonnen durften nur mit Erlaubnis miteinander sprechen, sonst hatten wir Schweigepflicht“, erklärte eine Nonne, die mehr als siebzehn Jahre in einem Kloster in Brooklyn (New York) gewesen war. „In den Ordensregeln stand sogar, daß wir einander nicht einmal berühren durften. Diese Regel war eine übertriebene Reaktion auf die Beschuldigung, viele Nonnen seien Lesbierinnen. Allerdings war im Mittelalter die lesbische Liebe in den Nonnenklöstern weit verbreitet.“
In den vergangenen zehn Jahren sind jedoch einige der erwähnten Regeln geändert worden. Aber die Neuerungen mußten erkämpft werden. Die Kirchenleitung, mit der langwierige, zähe Verhandlungen geführt wurden, willigte erst in die Reformen ein, als zu sehen war, daß die weiblichen Orden und Kongregationen nur dadurch vor ihrer völligen Auflösung bewahrt werden konnten. Viele Nonnen verließen die Ordensgemeinschaften, weil sie bei ihren Bemühungen, Reformen herbeizuführen, überall behindert wurden.
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