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Die peruanische VolksmusikErwachet! 1972 | 22. Juni
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Die peruanische Volksmusik
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Peru
RAFAEL kam herein und ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Wir haben für die Aufnahmen stundenlang gebraucht, so etwas habe ich noch nie erlebt“, sagte er. „Anstatt wie üblich einfach die Begleitung zu spielen, brauchte ich den ganzen Nachmittag dazu, dem Orchester beizubringen, wie man unsere Volksmusik spielt.“
„Das sollte doch nicht so schwierig sein“, entgegnete ich. „Ihr spielt doch alle ausgezeichnet Gitarre, und Volksmusik zu spielen ist doch so einfach.“
„Einfach, ja, aber ist dir schon einmal ihr Rhythmus aufgefallen? Es ist der Rhythmus, der jedem zu schaffen macht, der nicht in den peruanischen Bergen groß geworden ist.“
„Ja, mir ist aufgefallen, daß die peruanische Volksmusik etwas anders ist, aber was hat es eigentlich mit dem Rhythmus auf sich?“
„Auf einige Takte folgt immer ein Takt, der nur einen Bruchteil des normalen Taktschlages erhält. Das ist in der Musik ungewöhnlich. Jeder, der etwas von Musik versteht, weiß, daß ein Musikstück eine bestimmte Anzahl Takte hat und daß jeder Takt eine bestimmte Anzahl Taktschläge aufweist, es mögen zwei, drei, vier oder mehr sein. Bei der Musik der peruanischen Gebirgsindianer ist das jedoch anders.“
„Einen Augenblick mal“, sagte ich. „Ich habe auch etwas Ahnung von Musik und weiß, daß jeder Takt mit dem Zeitmaß übereinstimmen muß, damit der Rhythmus vorhanden ist. Nichts ist so verwirrend wie, ein Musikstück zu spielen oder ein Lied zu singen, bei dem nicht jeder Takt den vollen Zeitwert erhält. Meinst du, daß ...?“
„Daß bei der peruanischen Volksmusik nicht alle Takte den vollen Taktwert erhalten? Ja. Ich will dir das einmal vorführen.“ Er fing an, eine Melodie zu summen, die ich gut kannte, denn in den vier Jahren, in denen ich im Landesinneren als Lehrer tätig bin, habe ich sie schon oft gehört. Ich konzentrierte mich auf sein Summen, und da fiel mir auf, daß er bei jedem fünften Takt bei der Hälfte der Taktschläge innehielt. Es hörte sich ganz normal an — jedenfalls für peruanische Musik.
„Erinnerst du dich daran, wie die Leute zu dieser Musik tanzen?“ fragte er. „Ich will dein Gedächtnis etwas auffrischen.“ Damit sprang Rafael auf, machte ein paar Tanzschritte, während er die gleiche Melodie summte, wobei er beim fünften Takt plötzlich innehielt, dann während der nächsten vier Takte weitertanzte und beim fünften Takt wieder plötzlich innehielt. Wie oft hatte ich den Indianern zugesehen, wie sie gesungen und so getanzt haben! Dieser Tanz und die dazugehörige Musik — eine vollkommene Harmonie — sind faszinierend und so charakteristisch.
Im Geiste sah ich die malerischen kleinen Dörfer der Puna (Hochland mit rauhem Klima) und die Dörfer in den Andentälern, wo sich meilenweit Terrassen die steilen Berghänge entlangziehen. Ich erinnerte mich an die kleinen Orchester, die jeweils auf dem Dorfplatz zum Tanz aufspielten. Die Instrumente, Harfen und Flöten, die die Indianer spielten, hatten sie selbst verfertigt. Die bunten Röcke wirbelten hoch auf und entblößten die kräftigen Beine der Tänzerinnen, die sich vor ihrem Partner, der eine gestrickte wollene Zipfelmütze trug, im Kreise drehten. Sie drehten sich, stampften auf, blieben stehen, drehten sich und stampften auf, blieben stehen.
Jetzt sprach Rafael weiter. Er erklärte, daß es schwierig sei, diese Volksmusik niederzuschreiben, daß sie aber dennoch unkompliziert und einfach zu spielen sei. Einfach, abgesehen von dem besonderen Rhythmus, denn dieser bildet für Musiker, die das nicht gewohnt sind, ein unglaubliches Problem. Man könnte sagen, daß ihr geistiger Taktmesser bestrebt ist, die fehlenden Taktschläge zu ergänzen und den Rhythmus auszugleichen, doch dadurch ginge das Charakteristische an der peruanischen Volksmusik verloren.
Die alte Inkamusik heute
Peru wird von einer Gebirgskette, den Anden, durchzogen. Früher, als es noch keine Verkehrsmittel gab wie heute, bestand fast keine Verbindung zwischen der Gebirgsbevölkerung und der Küstenbevölkerung. Die alte Volksmusik aus der Zeit der Inka ist daher fast unverändert erhalten geblieben. Es erscheint merkwürdig, daß die Musik der Gebirgsindianer unter der Bevölkerung des verhältnismäßig nahen Küstengebietes völlig unbekannt blieb, während sie mit geringen Abwandlungen unter den Bewohnern des Gebirges in einem Gebiet von über 3 000 Kilometer Länge bekannt war.
Aus diesen Abwandlungen haben sich drei für jede Landschaft charakteristische Arten der Volksmusik entwickelt: eine besondere Art im nördlichen, eine andere im mittleren und eine dritte im südlichen Abschnitt der peruanischen Anden.
Angenommen, du wärest in den nördlichen Bergen groß geworden, dann liebtest du fröhliche, schmissige Musik, und du wärest es gewohnt, in schnellen Hopsern oder Schritten dazu zu tanzen. Du hättest eine Vorliebe für die Geige und die von Einheimischen verfertigte Harfe, für die quena (eine Art Rohrflöte) und für die Gitarre als Begleitinstrument.
Wärest du aber im Süden zu Hause, tanztest du zu den schwermütigen Klängen der Mandoline und des Akkordeons, ergänzt durch das Dröhnen des charango (ein Saiteninstrument) und den besonders kräftigen rhythmischen Stoß des großen guitarrón. Während du zu diesen traurigen Balladen tanztest, würden dich deine Gefühle überwältigen, und Tränen würden über die gegerbte Haut deiner Wangen rollen.
Oder wenn du in dem mittleren Teil der Andenregion aufgewachsen wärest, dem Land der Saxophone und Klarinetten, der Harfen und der Violinen, hättest du eine Vorliebe für die heiteren Melodien eurer Volksweisen. Die dumpfen cajon(selbstverfertigte Trommel)-Schläge, die aus der Ferne zu vernehmen sind, würden dich auf den Dorfplatz locken, wo du mittanzen oder nach dem Takt der Musik in die Hände klatschen würdest.
Der Rhythmus
Die Gebirgsindianer haben auch den Walzer tanzen gelernt, der vom Küstengebiet her eingedrungen ist, doch der Walzer ist in dieser Volksmusik so gut wie unbekannt. Der übliche Takt mit zwei oder vier Schlägen wird gewöhnlich in Gruppen von mehreren Takten zusammengefaßt, auf die dann ein Zwischentakt folgt.
Der gebrochene Takt wird je nach der Musikweise eingefügt, und manchmal variiert das sogar innerhalb einer Musikweise. Eine solche Weise mag zum Beispiel mit zwei Takten zu vier Taktschlägen beginnen, gefolgt von einem Takt mit nur einem Schlag, dem wiederum zwei Takte mit vier Schlägen folgen und dann ein Takt mit einem Schlag. Das wird durch das ganze Stück mit geringer Abweichung der Melodie wiederholt. Was an Klangfarbe und Schöpferischem fehlt, wird durch die unbändige Begeisterung wettgemacht, mit der die Indianer stundenlang stampfen, klatschen und juchzen.
Eine Möglichkeit, Gefühle auszudrücken
Diese Indianer verraten nach außenhin keine Gefühle, aber ihre Musik ist voll tiefer Empfindung. Ein Beispiel dafür sind die langsamen und schwermütigen Balladen, die bei Festen zu einer Musik, die als El Triste (die Traurige) bezeichnet wird, gesungen werden. Diese Musik eignet sich, um Klagen auszudrücken und für gefühlvolle Serenaden; nur diese Lieder werden von einem einzelnen Sänger gesungen, und zwar in Spanisch oder Quechua; begleitet wird er von einer Gitarre, auf der nur die Melodie gespielt wird. Er singt diese schwermütigen Weisen mit tiefem Gefühl, so daß die Zuhörer sich der Tränen nicht erwehren können. Nicht selten stehen die Gäste in kleinen Gruppen beieinander und lassen ihren Tränen, ohne sich ihrer zu schämen, freien Lauf, dennoch gefällt das Fest allen.
Volksmusik weiß zweifellos am besten derjenige zu schätzen, der der bestimmten Volkstumsgruppe angehört. Aber in den letzten Jahren ist diese alte Inkamusik auch für Orchester bearbeitet und von Sinfonieorchestern aufgeführt worden. Die gebrochenen Takte sind zwar geopfert worden, aber die charakteristische Molltonart dieser Musik, gespielt von einem großen Orchester, klingt überraschend schön.
Die Volksmusik der Küstenbewohner
Aber wenn es für jemand, der nicht in den peruanischen Anden groß geworden ist, schwierig ist, die für dieses Gebiet charakteristische Volksmusik zu spielen, darf dann erwartet werden, daß die kreolische Musik des Küstengebietes für Nichteinheimische leicht zu spielen ist? Leider nicht! Auch diese Musik hat Überraschungen zu bieten.
Die kreolische Musik weist im Gegensatz zu der Musik der Gebirgsindianer, die den Dreivierteltakt (gewöhnlich Walzertakt) nicht kennen, viele fröhliche Walzer auf, ferner Polkas und Foxtrotts. Obwohl viele dieser kreolischen Weisen einen normalen Takt haben, werden doch einige davon mit einer merkwürdigen Taktverschiebung (Synkope, Betonung eines unbetonten Taktteils) gespielt und gesungen.
Jeder Musiker oder Sänger interpretiert die Synkopen individuell, aber immer charakteristisch peruanisch, und es heißt, daß das jemand, der nicht hier aufgewachsen sei, selten nachahmen könne. Es ist interessant, daß Duette, Trios oder Quartette in diesem ungewöhnlichen Rhythmus in genauer Übereinstimmung „synkopieren“ können; doch es erfordert stundenlanges Proben. Diese Tatsache ist doppelt überraschend, wenn sie Lieder singen, die einen übergroßen Wortreichtum haben. Der Wortschwall wird geschickt in den synkopierten Rhythmus eingearbeitet und gleicht dann einem musikalischen Marathonlauf, der dem Zuhörer den Atem raubt.
Musik entsprechend der Landschaft
Die Walzer von Lima, der an der Küste gelegenen Hauptstadt, sind beschwingt und werden von Gitarristen oder modernen Orchestern entsprechend gespielt. Würdest du irgendwo durch Lima gehen, so kämest du ganz bestimmt im Laufe des Tages an einem Patio vorbei, in dem ein Fest gefeiert wird. Sehr wahrscheinlich würde auf Trompeten ein rassiger Foxtrott oder, begleitet von Saxophonen, eine Polka oder ein fröhlicher Walzer geblasen. Aber diese populären peruanischen Volksweisen würden mit ihrer unnachahmlichen Synkopierung gespielt.
Würdest du zur Nordküste reisen, würde dir auffallen, daß die Musik immer sentimentaler wird. Die Sänger haben sich angewöhnt, die Töne auf eine reizvolle Weise zu verschleifen und dadurch ihren Liedern einen Hauch von Schwermut zu verleihen.
Die Volksmusik der Gebirgsindianer hat sich aber, obschon es schon seit Jahrzehnten auch in den entferntesten Winkeln der Sierra Radios gibt, nicht im geringsten verändert.
Auf vielen charakteristischen Bildern von Peru wird das kleine Indianerorchester dargestellt, dessen Flöten- und Harfenspieler Paaren in bunten Gewändern zum Tanz aufspielen. Der weite Rock und die vielen Unterröcke der Señoritas mit ihrer gelbbraunen vom Wetter gegerbten Haut fliegen hoch auf, während die Tänzerinnen sich drehen, aufstampfen, stehenbleiben, sich drehen, aufstampfen, stehenbleiben.
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„Wir dachten, es sei die Polizei“Erwachet! 1972 | 22. Juni
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„Wir dachten, es sei die Polizei“
DER Apostel Paulus schrieb: „Das Wort Gottes ist lebendig und übt Macht aus.“ (Hebr. 4:12) Die Bibel übt Macht aus, indem sie dem Leser eine sichere Hoffnung für die Zukunft vermittelt und ihm hilft, sein Leben zu ändern.
Vor kurzem erzählte ein junger verheirateter Mann auf einem Kongreß der Zeugen Jehovas in Philadelphia, wie sich das in seinem eigenen Leben bewahrheitet hat:
„Im vergangenen Sommer erhielten wir Besuch von meinem jüngeren Bruder, der auf Hawaii wohnt. Wir, meine Frau, ich und dieser Bruder, gingen gemeinsam zelten. Jeden Abend, wenn wir beim Lagerfeuer saßen, las er uns aus der Bibel vor. Wir erkannten, daß vieles von dem, was in der Bibel geschrieben steht, sich auf unsere heutige Zeit bezieht. Nachdem mein Bruder wieder nach Hawaii abgereist war, setzten wir das Bibellesen fort, indem wir einander jeden Tag ein Stück daraus vorlasen. Bald hatten wir die Christlichen Griechischen Schriften und einen großen Teil der Hebräischen Schriften durchgelesen.
Aus dem, was wir lasen und was wir in der Welt beobachteten, zogen wir den Schluß, daß eine große Vernichtung über die Erde kommen müßte, die nur wenige Menschen überleben würden. Wir glaubten, daß die Erde danach ihre natürliche Schönheit zurückerlangen würde.
Etwa um diese Zeit erhielten wir den Besuch eines Freundes, der in Vermont wohnt. Wir erzählten ihm einiges von dem, was wir aus der Bibel erfahren hatten. Er erwiderte, wir würden ähnlich reden wie Jehovas Zeugen. Da wir nicht genau wußten, wer Jehovas Zeugen waren, schenkten wir seiner Bemerkung keine Beachtung, sondern fuhren fort, täglich in der Bibel zu lesen. Zum erstenmal seit einigen Jahren waren wir wieder wirklich fröhlich, denn das Furchtbare, was in der Welt geschah, beunruhigte uns nicht mehr über Gebühr.
Gegen Ende des Sommers wurden wir etwas niedergeschlagen. Wir verstanden nicht alles, was wir in der Bibel lasen, und wir hatten das Gefühl, wir sollten eigentlich nicht so allein sein mit unserer Ansicht. Doch als wir uns näher mit den einzelnen Kirchen befaßten, stellten wir fest, daß das, was sie predigten, nicht der Bibel entsprach, auch taten sie oft Dinge, die in der Bibel verurteilt wurden.
Dann erhielten wir eine Bibel, in der der göttliche Name, Jehova, vorkam. Eines Tages beteten wir voller Verzweiflung zu Gott und benutzten dabei zum erstenmal den göttlichen Namen. Wir beteten zu ihm, er möge uns Verständnis schenken und uns zeigen, wohin wir uns wenden und was wir tun sollten. Nach einiger Zeit, die uns nur wie wenige Minuten vorkam, klingelte die Türglocke.
Da wir in Philadelphia niemand kannten, dachten wir, es sei die Polizei, denn wir gebrauchten auch Drogen und hatten an jenem Tag sogar Drogen im Haus versteckt.
Vorsichtig gingen wir an die Tür, stellten aber fest, daß es nicht die Polizei war, sondern eine junge Frau mit ihrem Söhnchen. Sie war eine Predigerin und hatte den Wunsch, mit uns gerade über das zu sprechen, was Gegenstand unseres Gebetes gewesen war. Als sie sich als Zeuge Jehovas vorstellte, erinnerte ich mich an die Bemerkung meines Freundes. Nachdem sie eine Zeitlang mit uns gesprochen hatte, übergab sie uns ein Exemplar des Buches Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt und sagte uns, wo Jehovas Zeugen sich versammelten. Noch an jenem Abend lasen wir das ganze Wahrheits-Buch durch. Wir erkannten, daß all die einzelnen Gedanken, die wir aus der Bibel kennengelernt hatten, hier zu einem harmonischen Ganzen verbunden waren. Schon am nächsten Tag besuchten wir die Zusammenkünfte, von denen sie gesprochen hatte.
Kurz danach hörten meine Frau und ich auf, Rauschmittel zu gebrauchen. Bald darauf rasierte ich meinen Bart ab und ließ mir die Haare kürzer schneiden, so daß ich wie jemand aussah, der daran interessiert war, ein Prediger zu werden. Jetzt wenden wir den größten Teil unserer Zeit dafür auf, anderen zu helfen, die Schönheit und Kraft des Wortes Gottes sowie die Hoffnung, die es vermittelt, kennenzulernen, und das bereitet uns große Freude.“
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