3. Teil
Die elektronische Kirche schockt amerikanische Politik
DER Redner war leidenschaftlich und dynamisch. Er schwenkte seine Bibel vor einer Gruppe von 1 000 Prediger-Ehefrauen und erklärte: „Wir haben die Lösung für das politische Chaos in unserem Land, für den wirtschaftlichen Verfall, die schändliche Moral und die Schwächung der Familie.“
Welche Lösung? „Wir müssen unsere Herzen und unsere Hände vereinigen, um diese Nation wieder zusammenzufügen ... Wir müssen eine Umkehr fordern“, sagte Prediger James Robison aus Texas.
Mit Worten, denen viele aufrichtige Christen zustimmen könnten, verurteilte er scharf die Abtreibung. „Wenn das Massaker der Ungeborenen im Schoße ihrer Mutter nicht böse ist, dann hat der Mensch überhaupt keine Sünde.“
Unterdessen beriet am anderen Ende des Landes ein weiterer Prediger mit der gleichen Redegewandtheit eine Anzahl Kollegen, mit denen er sich versammelt hatte. „Was könnt ihr von der Kanzel aus tun?“ fragte er. „Ihr könnt die Leute als Wähler registrieren. Ihr könnt ihnen die Streitfragen erklären. Und ihr könnt ihnen Kandidaten empfehlen, ja direkt in der Kirche am Sonntagmorgen.“ Wie Robison setzte sich auch Jerry Falwell für politische Fragen ein.
Eine Menge Leute hören diesen Predigern zu. James Robisons wöchentliches Fernsehprogramm wird von 100 Stationen übertragen. Falwells Show ist sogar noch populärer. Jede Woche erreicht er 6 bis 18 Millionen Menschen über nahezu 400 Fernsehkanäle und weitere 400 Rundfunkstationen.
Solche politisch konservativen Prediger der elektronischen Kirche waren eifrig darauf bedacht, die Wähler bei den amerikanischen Wahlen im vergangenen Herbst zu beeinflussen. Nicht lange vor den Wahlen sprachen einige von ihnen anläßlich einer Tagung in Dallas (Texas) vor etwa 15 000 Fundamentalisten, größtenteils Predigern. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Ronald Reagan sprach ebenfalls vor dieser Gruppe und pries sie mit den Worten: „Das religiöse Amerika erwacht, vielleicht gerade rechtzeitig zum Segen unseres Landes.“ Ihm wurde herzlicher Beifall gespendet.
Natürlich gewann Reagan die Wahlen, die einen konservativen „Erdrutsch“ auslösten. Eine religiös-politische Aktionsgruppe, Moral Majority (Moralische Mehrheit) genannt, fühlt sich für diesen Sieg mitverantwortlich, da sie vier Millionen Wähler registriert habe, von denen die meisten für Reagan gestimmt hätten. Bedeutsamerweise verloren viele der Senatoren, die der „Moralischen Mehrheit“ und anderen Gruppen zuwider waren, ihre Sitze an relativ unbekannte Politiker.
Nach einer Untersuchung der Senatswahlen schrieb die New York Times: „Moral Majority, Christian Voice und andere konservative kirchlich orientierte Gruppen spielten eine aktive Rolle bei den ,moralischen Bewertungen‘, die gegen Liberale gerichtet waren. Ganz gleich, wie vielen Kongreßabgeordneten sie zur Wahl verhalfen, wird ihr Einfluß wohl weiter spürbar bleiben wegen der Zahl der Amtsträger, die sie eingeschüchtert haben.“
Ein Prediger sagte über die Ergebnisse jubilierend: „Dies ist in meinem Leben als Erwachsener der größte Tag für die Sache des Konservativismus und der amerikanischen Moral.“ Andere waren weniger begeistert. Die Bischöfe der Episkopalkirche in Amerika veröffentlichten einen Hirtenbrief, in dem sie die Propaganda verurteilten, die Prediger für politische Kandidaten machten. Die Bischöfe schrieben, daß eine solche Propaganda „im Namen Gottes die christliche Wahrheit verzerrt und die Religionsfreiheit in Amerika bedroht“.
Andere Prediger sind ebenfalls über die Politik der elektronischen Kirche besorgt. Ein Geistlicher aus Fort Worth beschwerte sich, daß Tagungen wie die in Dallas „immer in eine republikanische Wahlveranstaltung auszuarten scheinen“, obwohl sie als überparteilich deklariert würden. Selbst konservative Politiker zeigen sich besorgt. Ein Reagan-Helfer sagte: „Diese Ehe zwischen Religion und Politik ist das Gefährlichste und Erschreckendste, was ich je gesehen habe.“
Keiner dieser Kritiker bringt Aktivisten aus dem Gleichgewicht, wie zum Beispiel den, der zugab: „Vor 15 Jahren hätte ich das, was ich heute tue, nicht gutheißen können, aber ich bin jetzt überzeugt, daß mein Land moralisch krank ist und sich nicht wieder erholen wird, wenn wir nicht etwas dagegen unternehmen.“
Diese Prediger weisen schnell auf die offenkundige Heuchelei liberaler Geistlicher hin, die gegen den Vietnamkrieg oder die Kernenergie politisch aktiv wurden, aber ähnliche Aktivitäten Konservativer verurteilen. „Niemand hat je dem Nationalrat der Kirchen vorgeworfen, er vermische Religion mit Politik“, beklagt sich einer von ihnen. Doch wenn er sich einschalte, so heiße es, dies sei „ein Verstoß gegen die Trennung von Kirche und Staat“.
Am Ende des Wahlkampfs war es deutlich geworden, daß die amerikanischen Religionsführer völlig entzweit waren. Liberale Religionsführer behaupteten, konservative Prediger erweckten fälschlich den Eindruck, wer nicht mit ihnen übereinstimme, sei kein Christ. Der Nationalrat der Kirchen, Gegenstand des Zorns der Konservativen, gab eine Erklärung heraus, in der es hieß: „Es läßt sich keine ausschließlich ,christliche Wahlentscheidung‘ feststellen.“
Die Konservativen dagegen waren überzeugt, daß ihnen Gott den Auftrag gegeben habe, das Land moralisch umzukrempeln, und ihre liberalen Amtskollegen seien ein Teil des Problems. Als die „Moralische Mehrheit“ zu dem Schluß kam, daß ein Baptistengeistlicher, der schon 16 Jahre dem Kongreß angehört hatte, zu liberal war, organisierte sie 2 000 Freiwillige, die von Haus zu Haus gingen und sich für den Gegner des Geistlichen einsetzten. Der Prediger wurde bei den Vorwahlen geschlagen.
Zweifellos sind viele der politisch aktiven Prediger der elektronischen Kirche tief besorgt über die zunehmende Unmoral in Amerika und der übrigen Welt. Die meisten von ihnen sind fest davon überzeugt, daß eine Nation, die die Abtreibung toleriert, nicht Gottes Gunst haben kann, und jeder aufrichtige Christ wird mit ihnen übereinstimmen müssen. Sie glauben, daß die im ganzen Land herrschende Interesselosigkeit gegenüber der Bibel zu dem heutigen moralischen Verfall beigetragen hat. In einer Fernsehpredigt sagte einer ihrer Führer: „Wir müssen alle die Bibel studieren und lernen, an Gott zu glauben. Es ist wichtig, daß wir uns an seine Lehren halten, damit wir die Kraft haben, gegen die unmoralischen und gotteslästerlichen Kräfte anzukämpfen, die in der Politik und in den Medien überhandnehmen.“
Welcher Christ würde leugnen, daß wir die Bibel studieren und an Gott glauben müssen? Die Frage ist nur: Lehrt Gott uns in der Bibel, um die Kontrolle über die Politik und die Medien zu kämpfen? Ist das die Botschaft des Wortes Gottes für unsere Generation?
Vielleicht erinnerst du dich, daß Jesus Christus mehr als einmal die Gelegenheit hatte, die politische Macht auszuüben, aber er war nie dazu bereit. Als die Menschen sahen, daß er sie durch ein Wunder ernähren konnte, versuchten sie, ihn zum König zu machen. Zweifellos glaubten sie, ihre wirtschaftlichen Probleme seien dann gelöst. In dem Bericht heißt es: „Als somit die Menschen die Zeichen sahen, die er tat [die Speisung von etwa 5 000 Männern mit nur fünf Broten und zwei Fischen], begannen sie zu sagen: ,Dieser ist bestimmt der Prophet, der in die Welt kommen soll.‘ Als nun Jesus erkannte, daß sie im Begriff waren, ... ihn zu ergreifen, um ihn zum König zu machen, zog er sich wieder auf den Berg zurück, er allein“ (Joh. 6:14, 15).
Jesus suchte nicht politische Macht; er lehnte sie ab. Warum sollte er sich auch in die schmutzige Politik Judäas und Galiläas einlassen? Später erklärte Jesus vor Pontius Pilatus: „Mein Königreich ist kein Teil dieser Welt“ (Joh. 18:36). Wenn Jesu Königreich nicht von dieser Welt war, als er auf der Erde lebte, ist es dann etwa jetzt von dieser Welt, nur weil er im Himmel ist? Das wäre doch bestimmt nicht logisch.
Jesus wußte, daß er das korrupte politische System seiner Tage nicht reformieren konnte, und er versuchte es auch nicht. Er wußte, daß er, wenn er ein politischer Messias geworden wäre und den Juden die Freiheit von der römischen Bedrückung versprochen hätte, nur von verschiedenen Interessengruppen ausgenutzt worden wäre, wie zum Beispiel von der nationalistischen jüdischen Partei der Zeloten, und dann fallengelassen worden wäre. So hätte er seinen Vater nicht verherrlichen können.
Ist es wahrscheinlich, daß Jesus daran interessiert ist, das heutige ebenfalls korrupte politische System zu reformieren? Oder ist es eher wahrscheinlich, daß Prediger, die sich politisch betätigen, in der Gefahr stehen, ausgenutzt zu werden und selbst korrupt zu werden? Bezeichnenderweise war die „Moralische Mehrheit“ nicht die Idee eines Predigers. Die Idee und sogar der Name „Moralische Mehrheit“ stammt von einer Gruppe konservativer politischer Lobbyisten, die Mr. Falwell wegen seiner Popularität im ganzen Land, wegen seines riesigen, computergesteuerten Postversandes und seiner nachweislichen Fähigkeit, Geld aufzubringen, dazu überredeten, diese Organisation zu unterstützen. Sogar Pat Robertson, ein bekannter Star der elektronischen Kirche und Talkmaster des 700 Club, gibt zu, daß „die Evangelisten in der Gefahr stehen, ausgenutzt und manipuliert zu werden“.
Wollte Jesus nicht gerade dieser Manipulation aus dem Wege gehen, als er Satans Angebot, ihm „alle Königreiche der Welt und ihre Herrlichkeit“ zu geben, ablehnte? Dieses Angebot hatte einen Haken, und den hat es auch heute noch. Satan verlangte von Jesus, vor ihm ‘niederzufallen und ihm einen Akt der Anbetung zu erweisen’ (Matth. 4:8, 9). Den Geistlichen der elektronischen Kirche steht politische Macht zur Verfügung. Sie brauchen nicht mehr dafür zu tun, als ein Teil des politischen Systems der Welt unter Satan zu bleiben (Joh. 14:30; 15:19; 2. Kor. 4:4).
Zweifellos frohlockten die abtrünnigen Christen des vierten Jahrhunderts, als sie unter Kaiser Konstantin nach einer langen Zeit heftiger Verfolgung politische Macht erhielten. Doch wie wirkte sich das auf sie aus? „Fast unmittelbar nachdem die Christen des Reiches gesetzlich anerkannt worden waren, begannen führende Männer der Kirche, den Staatsbeamten zu sagen, wie sie sich in ihrem Amt zu verhalten hätten“, erklärte der Theologe Robert Culver. Bald war die Kirche völlig in die römische Politik verwickelt, führte Kriege und folterte ihre Feinde. War die politische Macht diesen Preis wert?
Angenommen, die Prediger der elektronischen Kirche würden — so gut ihre Absichten auch sein mögen — das gleiche Maß an politischer Macht erhalten wie jene damaligen Kirchenführer. Wären sie in der Lage, dem zersetzenden Einfluß des politischen Systems Satans zu widerstehen? Nach der Geschichte zu urteilen, ist dies unmöglich. Tatsächlich hat einer von ihnen öffentlich zugegeben, bei seinen bis heute noch begrenzten politischen Aktivitäten von einer uralten Taktik des Teufels — der Täuschung — Gebrauch gemacht zu haben. Er war gezwungen, zu gestehen, daß er eine Unterhaltung mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten über vermutliche Homosexuelle im Mitarbeiterstab des Präsidenten erfunden hatte.
Wer auf die Politik vertraut und darauf, daß seine Probleme mit Hilfe der Politik gelöst werden können, vertraut letzten Endes auf Politiker, auf unvollkommene Menschen. Die Bibel gibt aber deutlich zu verstehen, daß Menschen diese Fähigkeit nicht haben. Jeremia, der mit der korrupten Politik Jerusalems gut vertraut war, erklärte: „Ich weiß wohl, o Jehova, daß nicht beim Erdenmenschen sein Weg steht. Es steht nicht bei dem Manne, der da wandelt, auch nur seinen Schritt zu richten“ (Jer. 10:23).
Wie widersinnig es ist, auf Politiker zu vertrauen — darauf zu hoffen, daß einige aufgrund ihres Standpunktes in politischen Fragen moralischer sind als andere —, wurde durch die Bewertung in dem „Moralreport“ der Christian Voice unterstrichen. Die eindrucksvolle Benotung von 94 (von 100 möglichen) Punkten erhielt ein Kongreßabgeordneter, der wegen Bestechung angeklagt war, und ein anderer, der Alkoholprobleme und homosexuelle Neigungen hatte!
Die Bibel gibt guten, realistischen Rat, wenn sie sagt: „Was krumm gemacht ist, kann nicht geradegemacht werden“ (Pred. 1:15). Die politischen Systeme dieser Welt sind von Natur aus „krumm“. Ihr größter Machtvermittler, Satan, ist „ein Lügner und der Vater der Lüge“ (Joh. 8:44). Weder die Geschichte noch die Bibel berechtigt zu der Erwartung, daß die Menschheit je ihre Probleme durch die Politik lösen wird, trotz aller guten Absichten.
Bedeutet das, daß es für die Menschheit keine Hoffnung gibt? Müssen wir uns mit dem geistigen Tod abfinden, der in Form einer Flut von Schmutz und Unmoral die Welt heimsucht? Kann denn gar nichts gegen Abtreibungen, Homosexualität, Promiskuität unter Teenagern und die steigende Scheidungsziffer getan werden?
Etwas kann und wird gegen all diese Probleme unternommen werden — und zwar bald! Lies darüber im nächsten Artikel.
[Herausgestellter Text auf Seite 10]
Viele Senatoren, die der „Moralischen Mehrheit“ zuwider waren, verloren ihre Sitze an relativ unbekannte Politiker.
[Herausgestellter Text auf Seite 11]
„Diese Ehe zwischen Religion und Politik ist das Gefährlichste und Erschreckendste, was ich je gesehen habe.“